22 Mai
Original: Paprika (2006) von Satoshi Kon
Gegen 0.30 Uhr endete die Vorführung von Paprika, und obwohl es mein vierter Film an diesem Tag gewesen war hätte ich ihn mir am liebsten gleich noch einmal angesehen! So mitreißend ist die intelligente Geschichte dieses neuen Meisterwerks von Satoshi Kon, in dem er mit den Gegensätzen von Wirklichkeit und Traum spielt, die sich letztlich in Filmen auflösen. Absolut genial!
Namensgeberin des Films ist die überaus wandelbare Traumfigur Paprika, alter Ego der Psychologin Chiba, die fließend zwischen den beiden Welten wechseln kann. Diese Fähigkeiten nutzt sie, um dem Polizisten Konagawa bei der Überwindung eines Traumas zu helfen. Ermöglicht wird ihr dies durch das DC Mini, ein Gerät, mit dem Psychiater Träume ihrer Patienten wie einen Film aufzeichnen, analysieren und sogar an diesen teilhaben können.
Als eines der Geräte gestohlen und missbraucht wird, um in die Träume der Menschen einzudringen, sie zu manipulieren und ihr Unterbewusstsein zu zerstören, begibt sich Paprika auf die Suche. Diese führt sie in die Traumwelten verschiedener Menschen, die unter dem Einfluss des DC Mini immer mehr miteinander, aber auch mit der Wirklichkeit verschmelzen. Dabei bekommt sie überraschend Hilfe von Konagawa, der so der Überwindung seines Traumas näher kommt. Doch auch Paprika/Chiba muss sich ihrem eigenen, zwischen zwei Welten bzw. Persönlichkeiten schwankenden Unterbewusstsein und ihren Gefühlen stellen.
Der Film beginnt mit Konagawas Traum, einem Zaubertrick in einem Zirkus, und so wie ein Zauberer kleine Kinder in seinen Bann zieht, so bezaubert auch Satoshi Kon mit diesem Film. Das Tempo von Paprika ist in den Traumsequenzen geradezu halsbrecherisch, die Fantasie der Animateure scheint keine Grenzen zu kennen und der exzellente Soundtrack trägt ebenfalls dazu bei, dass man sich dem Bann dieses Films nicht entziehen kann.
Die Geschichte ist sehr komplex, bietet reihenweise überraschende Wendungen – allein durch die fließenden Wechsel von Traum und Realität- sowie reichlich Hinweise auf die Rollen der Charaktere und die Entwicklung der Handlung. Diese sind so dicht und doch zugleich fast unmerklich eingewoben, dass vieles beim ersten Sehen unbemerkt bleibt. Das gilt gerade auch für das erste der beiden dominanten Motive des Films, die ich hier erwähnen möchte, die Ähnlichkeit von Traum und Film.
Bereits in der Auftaktsequenz mit Konagawas Traum wird das Thema Film als Äquivalent zum Traum etabliert: In kurzen Momentaufnahmen saust er als Tarzan durch den Dschungel und kämpft a la James Bond in einem Zugabteil (diese Szenen werden später noch mehrfach aufgegriffen). Dann berichtet er Paprika, dass er Filme nicht ausstehen könne. Im weiteren Verlauf stellt sich jedoch heraus, dass er in seiner Jugend von Filmen begeistert war und selbst einen gedreht hatte. Immer wieder sieht er sich mit Filmplakaten konfrontiert und mehrere Szenen spielen in einem Kinosaal, wo er Paprika auch erklärt, wie ein Achsensprung über die 180°-Grad-Linie sich auf einen Film auswirkt. Dabei trägt er die für Akira Kurosawa typische Mütze und Sonnenbrille (eine grandiose Idee und – wenig überraschend – eine meiner Lieblingsszenen).
Das zweite immer wieder auftretende Motiv ist die scheinbar grenzenlose Wandlungsfähigkeit von Paprika, die auch im Trailer schön zum Ausdruck kommt. Allein während des Vorspanns wechselt sie fast im Sekundentakt ihr Aussehen und springt zwischen komplett verschiedenen Kontexten und Bildebenen hin und her. Damit wird ihr eine allgegenwärtige Agilität, ja Macht zugewiesen, die ihren Höhepunkt im Showdown des Films findet (mehr werde ich nicht verraten). Diese Macht durch Wandlungsfähigkeit steht für die in Animes häufig anzutreffende implizite Überlegenheit von Frauen gegenüber Männern, die Susan Napier in der japanischen Kultur verwurzelt sieht: „The transformative power of the female body is an important convention in both high and folk culture in Japan.“
Aber bevor ich mich jetzt komplett in Details verliere, empfehle ich einfach jedem, sich diesen Film anzusehen. Gelegenheit dazu gibt es schon bald, denn laut twitch soll am 20. Juni die französische DVD erscheinen, die auch englische Untertitel enthält und die jetzt schon bei Amazon vorbestellt werden kann. Und auch auf die deutsche Ausgabe muss man dann hoffentlich nicht mehr lange warten.
Update: Bei twitch gibt’s jetzt auch einen ausführlichen Bericht zur japanischen Limited Edition DVD von Paprika.
3 Kommentare for "Paprika"
[…] Paprika […]
Warum heißt der Film „Paprika“? Das war die erste Frage die ich mir gestellt hab und so überrascht ich über die Antwort war umso überraschter war ich über diesen Film.
Der Zuschauer wird einem einzigen Verwirrspiel ausgesetzt, eingepackt in einen actiongeladenes Anime für Erwachsene. Fakt & Fiktion sind im Ablauf der Geschichte nicht mehr zu unterscheiden. Ansatzweise erinnerte mich dieser Spagat zwischen Realität und Traumwelt an „Perfect Blue“ allerdings hier noch viel extremer.
>7/10
1semiconductor
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