31 Okt
Gute Nachrichten: Michael von Wildgrounds richtet wie im letzten Jahr wieder einen Blogathon aus! Und wie im letzten Jahr hätte ich um ein Haar wieder zu spät davon Wind bekommen, war ich doch die letzten Wochen im Urlaub und bin jetzt dabei, mich langsam durch den überlaufenden Feedreader durchzukämpfen. Gut, dass mir diese Neuigkeit gleich aufgefallen ist, so dass ich zum einen selbst noch mitmachen und ein bisschen die Werbetrommel rühren kann. Wäre ja schade, wenn wieder nur zwei deutschsprachige Blogs dabei wären!
Wer ist noch mit dabei? Der Blogathon läuft für eine Woche, los geht’s am Mittwoch.
25 Okt
Original: Haru to no tabi (2010) von Masahiro Kobayashi
Das Filmfest Hamburg ist ja sehr verlässlich: Japanische Filme spielen nie eine große Rolle, aber dafür haben sie immer den neuesten Film von Masahiro Kobayashi im Programm. Dieses Jahr lief Haru’s Journey und der hat voll und ganz für die sonstige Abwesenheit von Werken aus dem zweitgrößten Filmmarkt der Welt entschädigt, nicht zuletzt dank Altstar Tatsuya Nakadai.
Der spielt den alten Fischer Tadao, der eines Tages Hals über Kopf zusammen mit seiner Enkelin Haru (Eri Tokunaga) sein kleines Fischerdorf verlässt und sich aufmacht, seine Geschwister zu besuchen. In den Gesprächen mit seinen Geschwistern wird klar, dass Tadao ein neues Zuhause sucht, weil Haru nicht mehr mit ihm in dem kleinen Dorf leben möchte und er sich nicht allein versorgen kann. Doch niemand will ihn aufnehmen, zu schwer wiegen Streit und Fehler der Vergangenheit, die Tadao der Reihe nach von seinen Geschwistern aufs Brot geschmiert werden. Aber auch Haru wird durch die Reise klar, dass sie noch offene Wunden mit sich trägt – und dass sie Tadao eigentlich gerne bis zu seinem Tod begleiten möchte.
Wie man es von Kobayashi kennt, lässt er sich viel, viel Zeit mit der Entwicklung der Charaktere. Der Film folgt einem sehr langsamen Rhythmus, Kamerabewegungen und Schnitte werden sehr sparsam eingesetzt. Eine Szene, in der Tadao seinen ältesten Bruder besucht und sich mit ihm vor der Veranda sitzend unterhält, erinnert regelrecht an Mizoguchi mit ihrer Kombination aus Distanz und Verlagerung der Aufmerksamkeit durch Kamerabewegung statt Schnitte.
Der Auftakt zum Film ist jedoch ein Paukenschlag: Die Tür eines Holzhauses fliegt auf und heraus stürmt ein bärtiger, humpelnder, in einen wehenden schwarzen Mantel gekleideter Tatsuya Nakadai, der wutentbrannt seinen Spazierstock von sich schleudert. Ich fühlte mich unweigerlich an so manche Szene in Ran erinnert und hatte einen Moment lang einen Kloß im Hals.
Mit seinen 77 Jahren hat dieser Mann immer noch eine fantastische Präsenz auf der Leinwand, auch in einem eigentlich so ruhigen Film wie diesem. Was er allein mit seiner Stimme an Emotion und Dynamik freisetzen kann! Bei ihm spürt man ständig, wie es unter Tadaos Oberfläche brodelt und kann sich ohne weiteres vorstellen, wie dieser Sturkopf in einem Wutanfall seine Geschwister schwer verletzt und für immer entfremdet haben mag. Gleichzeitig ist er aber auch verletzlich und macht sich rührende Sorgen um seine Enkelin Haru, ist für sie sogar bereit, das größte Opfer zu bringen: Den Kotau vor seinen Geschwistern zu machen und einzugestehen, dass er Fehler gemacht hat.
Haru steht lange im Schatten des alten Mannes, bevor der Film sich dann gegen Ende schlagartig ganz um sie und ihre Probleme zu drehen beginnt und klar wird, dass diese Reise beide mit ihren Familien und sich selbst versöhnen soll. Diesen Bogen bekommt Kobayashi aber ganz wunderbar hin, auch wenn gegen Schluss vielleicht ein bisschen viel Tränen fließen. Was aber auf mich nicht aufgesetzt gewirkt hat. Ein sehr empfehlenswerter Film über Familienbande, mit dem Masahiro Kobayashi daran erinnert, dass er zu den großen und viel zu unbekannten Regisseuren seines Landes zählt.
19 Okt
Es gibt ja noch eine Welt jenseits meines eigenen Blogs – die ich natürlich aufmerksam verfolge, überwiegend per RSS-Feed. Besonders gerne lese ich dabei Filmrezensionen, egal ob ich den besprochenen Film schon kenne oder nicht. Da ich nur über einen kleinen Teil der Filme, die ich tatsächlich gesehen habe, auch eine Rezension schreiben kann, möchte ich von jetzt an regelmäßig auf Filme verweisen, die auf anderen Blogs rezensiert wurden. Besonders interessant fand ich in den letzten Wochen die folgenden Beiträge:
Viel Spaß beim Lesen!
* was ein Kalauer!! 😀
17 Okt
Original: Jōiuchi: Hairyō tsuma shimatsu (1967) von Masaki Kobayashi
Fünf Jahre nach dem grandiosen Harakiri wandte sich Regisseur Kobayashi wieder dem Chambara-Genre zu und machte direkt dort weiter, wo er aufgehört hatte: Wieder eine Geschichte aus der Tokugawa-Zeit, wieder ein Vater der von einem barbarischen System zum Einsatz von Gewalt getrieben wird, wieder spielt Architektur eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der Botschafts des Films. Trotz all dieser Parallelen fügte Kobayashi doch ein zentrales, neues Element hinzu, das Samurai Rebellion eine ganz andere Note gibt als Harakiri: Eine starke Frau.
1725, der Fürst Matsudaira verstößt seine Konkubine Ichi (Yoko Tsukasa), die ihm widerwillig einen Sohn geboren hatte, und zwingt sie in eine Ehe mit dem Samurai Yogoro (Go Kato). Dessen Vater Isaburo (Toshiro Mifune) ist zwar Aufseher der Wache und bester Schwertkämpfer des Clans, stand aber sein ganzes Leben unter der Fuchtel seiner Frau und hat nie aufgemuckt. Doch nun fürchtet er, dass seinem Sohn dasselbe Schicksal einer lieblosen Ehe droht und lehnt die Hochzeit ab. Unter dem Druck des Hofes ist es schließlich Yogoro, der in die Hochzeit einwilligt. Tatsächlich erweist sich Ichi als perfekte Ehefrau und zwischen den beiden erwächst eine innige Liebe. Überglücklich überlässt Isaburo die Führung der Familie Yogoro, um sich ganz seiner ersten Enkeltochter zu widmen.
Doch die Freude dauert nicht lange: Der erstgeborene Sohn des Fürsten stirbt, Ichis Sohn aus der Beziehung mit dem Fürsten ist plötzlich legitimer Nachfolger. Da die Mutter des Thronfolgers unmöglich mit einem normalen Samurai verheiratet sein kann, erfordert das Protokoll die Rückkehr Ichis an den Hof und ihre Scheidung von Yogoro. Die beiden weigern sich jedoch, ihr Glück wegen protokollarischer Erfordernisse und dem Dünkel des Fürsten aufzugeben und bekommen von Isaburo volle Rückendeckung. Als Yogoros eigener Bruder seine Schwägerin Ichi mit einem Trick an den Hof und damit in die Gefangenschaft lockt, greift Isaburo zu den Waffen.
Ganz wie in Harakiri unterlegt Kobayashi die Opening Titles wieder mit beeindruckenden Ansichten großartiger Architektur, diesmal der Burg des Fürsten. Diese starren, symmetrischen und abweisenden Formen stehen bildhaft für die menschenverachtenden, absoluten Gehorsam einfordernden Machtstrukturen und die Logik des Protokolls, derer sich der Fürst nach Lust und Laune bedient: Zunächst, um die junge Ichi zu seiner Konkubine zu machen und sie dann wieder loszuwerden, als sie nach der Geburt seines Sohnes unbequem wird. Später, um sie als Mutter des Thronfolgers zurück an den Hof zu holen, damit er sein Gesicht wahren kann.
Bei all diesen Parallelen entsteht jedoch eine völlig andere Atmosphäre. Wo Harakiri über weite Strecken ein Duell zweier Männer ist, bei dem erst nach und nach die Grausamkeit des Systems ans Licht kommt und das fast überwiegend mit Worten und erst ganz am Ende mit dem Schwert geführt wird, ist in Samurai Rebellion schnell klar, dass hier drei aufrechte Menschen einen aussichtslosen Kampf gegen ein unmenschliches System führen. Diese Klarheit nutzt Kobayashi, um das traditionelle, tyrannische Wertesystem gnadenlos und bis ins Kleinste zu sezieren. So baut sich mit jedem neuen, skrupellosen Akt der Unterdrückung und der willenlosen, kriecherischen Zustimmung aus den Reihen der Verwandtschaft eine Welle der Empörung auf, die Isaburo schließlich stellvertretend für den Zuschauer in Aktion umwandelt.
Dieses Finale hat wenig mit der recht kurzen Eruption der Gewalt am Ende von Harakiri gemein. Wie von Tatewaki (Tatsuya Nakadai), Isaburos einzig ebenbürtigem Gegner und guten Freund angekündigt, veranstaltet der Meisterschwertkämpfer Isaburo ein regelrechtes Massaker unter den Truppen des Fürsten. Über gut 20 Minuten zieht sich das Gemetzel hin, unterbrochen von der Begegnung und dem Duell mit Tatewaki, der aber erkennen muss, dass auch er machtlos ist gegen Isaburos gerechten Zorn.
Dieses Duell auf freiem Feld unter offenem Himmel greift die erste Szene des Films auf, in der die beiden im Auftrag des Fürsten ein Schwert an einer Strohpuppe testen: Ausdruck des Hochmuts und der Selbstüberschätzung der Beamten und ihres Machtapparats. Dieses Duell symbolisiert aber auch das Ausbrechen aus dem Machtgefüge, denn praktisch der gesamte Film zwischen diesen beiden Szenen am Anfang und ganz am Ende spielt in einengenden, klar strukturierten Räumlichkeiten.
Die Gespräche zwischen Vater und Sohn, zwischen Mann und Ehefrau sowie zwischen der Familie und den Abgesandten des Hofes werden in streng komponierten Einstellungen gezeigt, eingerahmt von Wänden und Schiebetüren. Immer wieder ragen Balken ins Bild oder trennen die Menschen visuell. Der nach schlichten aber strengen geometrischen Prinzipien angelegte, das Haus umgebende Steingarten, verstärkt diesen Eindruck des Gefangenseins in Strukturen noch.
Eine eigentlich unscheinbare, aber sehr aufschlussreiche Szene voller Symbolkraft findet in diesem Steingarten statt: Ichi steht allein im Garten, während die Familie drinnen über den Umgang mit ihrer Weigerung, an den Hof zurückzukehren, debattiert. Dann tritt Isaburo zu ihr hinzu, doch er folgt nicht den vorgegebenen Wegen, er zerstört die mühsam aufgebaute Struktur des Gartens und läuft über den säuberlich hergerichteten Kies. Als Yogoro und Isaburo ihr Haus in Vorbereitung der Kämpfe schließlich in seine Einzelteile zerlegen, ist dies ein symbolischer Akt der Befreiung von den rigiden, ihnen aufgezwungenen Strukturen.
In den anschließenden Kämpfen gegen immer größer werdende Scharen von Gegnern steigert sich Isaburos Wut und Siegeswille ins Übermenschliche, nicht einmal Gewehrkugeln scheinen ihn stoppen zu können. Kobayashi deutet in den letzten Minuten von Samurai Rebellion an, in welche Richtung sich Chambara in den folgenden Jahren entwickeln würde: Immer überdrehtere Gewaltexzesse, in denen comichaft verzerrte, unbesiegbare Helden die Grenzen der Realität hinter sich lassen.
Samurai Rebellion wird wohl für immer und ewig im Schatten des berühmteren Harakiri stehen, muss den Vergleich mit seinem Vorgänger aber keineswegs scheuen. Das zentrale Element des familiären Glücks sowie die gegenüber Harakiri weniger verschachtelte und damit leichter nachvollziehbare Struktur des Films machen ihn eingänglicher und für ein größeres Publikum interessant – weshalb ich ihn Einsteigern in die Materie sogar eher empfehlen würde. Jedenfalls wieder mal ganz ganz großes Kino von Masaki Kobayashi!
10 Okt
Die Blogschau hat in diesem Jahr eher unregelmäßig stattgefunden. Gerade dreimal habe ich bisher die Gelegenheit gefunden, auf andere spannende Blogprojekte hinzuweisen. Dafür waren es in 2010 bisher hauptsächlich deutschsprachige Blogs, während in den früheren Jahren vor allem Englisch dominierte. Das ist natürlich eine sehr erfreuliche Entwicklung, und in diesem Sinne geht es auch heute weiter!
Im Aufgebot ist nämlich Tief in den Wäldern, der rundum empfehlenswerte Blog von Marald, den viele von euch schon seit langem als regelmäßigen, sachkundigen und ebenso scharfsinnigen wie -züngigen Kommentator hier kennen. Ich hatte zudem das große Vergnügen, Marald höchstselbst auf dem JFFH zu begegnen, wir haben uns zusammen Summer Wars angesehen. Im März hatte er sich dann offenbar ein Herz gefasst und begonnen, seine Japanophilie in einem Blog auszuleben. Diese seine Begeisterung für Japan ist wohl deutlich umfassender als meine eigene, jedenfalls schreibt er nicht nur über Filme sondern auch über Literatur oder Musik. Besonders schön finde ich seine Liste mit 22 Filmen für Einsteiger, bei der ich mir einbilde, ein bisschen Pate gestanden zu haben 😉
Nach diesem Highlight erlaube ich mir mal ein bisschen Werbung in eigener Sache, ich führe nämlich seit diesem Sommer noch einen zweiten, persönlichen Blog. Unter dem Motto mind under construction beschäftige ich mich dort mit allerlei Themen, die mich sonst noch so beschäftigen: Das Internet im Allgemeinen und Social Networks im Besonderen, gesellschaftliche und politische Entwicklungen, was man beim Umgang mit Geld beachten sollte und welche Rolle unsere Menschlichkeit (sprich: Psychologie) bei dem allem spielt. Dieses Projekt läuft eher nebenher und steckt noch in den Kinderschuhen, aber gerade deshalb freue ich mich immer über Anregungen oder Kritik und danke dafür schonmal im Voraus!
5 Okt
Original: Onibaba (1964) von Kaneto Shindo
Im vom Bürgerkrieg zerrissenen und zerstörten Japan sichern sich zwei Frauen, Mutter und Schwiegertochter, ihre Existenz, indem sie verwundeten oder getöteten Samurai ihre Waffen und Kleider abnehmen und diese verhökern. Eines Tages kehrt ihr Nachbar Hachi (Kei Sato) zurück und berichtet vom Tod des Sohnes bzw. Ehemanns. Zunächst machen die drei gemeinsame Sache und töten mehrere Samurai, aber zwischen Hachi und der Schwiegertochter (Jitsuko Yoshimura) entwickelt sich schnell eine starke sexuelle Anziehungskraft.
Diese bedroht die Existenz der Mutter (Nobuko Otowa), denn sollte ihre Schwiegertochter sie zugunsten von Hachi verlassen, wäre sie allein auf sich gestellt und dem Hungertod geweiht. So versucht sie es mit Einschüchterung und Ammenmärchen über Ehebrecher, die in der Hölle landen würden. Dann begegnet ihr ein Samurai mit einer merkwürdigen Maske, dem sie nach seinem Tod die Maske abnimmt, um damit ihre Schwiegertochter von Besuchen bei Hachi abzuhalten. Doch die Maske lässt sich nicht so einfach missbrauchen.
Der Film konzentriert sich ganz auf diese ungewöhnliche Dreiecksbeziehung, andere Charaktere kommen so gut wie nicht vor. Der obige Screenshot aus einer Szene am Anfang des Films symbolisiert die Situation perfekt (falls dies von Kaneto Shindo so beabsichtigt war, muss er Wunder bewirken können): Die beiden Frauen bilden eine Einheit, doch die eine von ihnen wendet ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der noch ein Außenseiter ist, während die andere dadurch noch mehr gezwungen ist, sich auf sie zu konzentrieren.
Vögel tauchen immer wieder in Onibaba auf, aber der Film ist so voller Symbole und Anspielungen, dass es unmöglich ist, hier auf alles einzugehen und zu interpretieren. Zudem wurde das in den letzten Jahrzehnten bereits ausgiebig getan, und auch Regisseur Shindo hat bereitwillig in Interviews Auskunft gegeben, was er sich bei dem Film gedacht hat. Daher werde ich mich gar nicht weiter mit wilden Interpretationen befassen, sondern mich an das halten, was Shindo selbst zur Einordnung des Films sagte.
Onibaba beginnt mit zwei verletzten Samurai, die sich durch die Susuki-Felder kämpfen, wie im klassischen Jidaigeki-Film. Dann verschiebt Shindo den Fokus aber komplett, als die beiden Samurai hinterrücks von den beiden Frauen erstochen werden, um die sich der Film von nun an dreht. Dies ist eindeutig Ausdruck der sozialistischen Weltsicht Shindos und seinem Interesse an den unterprivilegierten, unterdrückten Menschen und solchen, die am Rand der Gesellschaft stehen.
Im Gegensatz zu den anderen Akteuren bleiben die beiden Frauen ohne Namen, sie sollen stellvertretend stehen für alle Menschen und deren unbedingten Willen zu Überleben. In der Tat dreht sich für die drei Protagonisten den ganzen Film über alles ausschließlich um die Befriedigung der absoluten Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Sex. So ist es auch nicht allzu überraschend, dass in Onibaba nicht allzuviel gesprochen wird. Shindo äußerte mehrfach seine Bewunderung für diesen unbändigen Willen der Menschen, entgegen aller Widrigkeiten und selbst unter höllischen Bedingungen weiterzuleben. Dieses Thema findet sich auch in Die nackte Insel wieder, den er vier Jahre zuvor gedreht hatte.
Das tiefe Loch mitten in dem Nichts aus Wasser und Schilf, in das die Frauen die toten Samurai „entsorgen“, dient als Symbol für den Tod. Mehrfach springen die beiden über das Loch und so symbolisch dem Tod von der Schippe. Mit einer solchen Szene endet auch der Film – die Schwiegertochter springt über das Loch, bei der ihr hinterherlaufenden Mutter bleibt offen, ob sie hineinstürzt. Shindo hat allerdings in einem Interview selbst die Interpretation nahegelegt, dass sie es schafft, weil sie immer noch vom unbedingten Willen zum Leben beflügelt wird und sich auch durch die ihr widerfahrene Bestrafung durch die Maske nicht unterkriegen lässt.
Zwar leben die Frauen in stetiger Angst vor den kriegführenden Samurai, aber auch der zurückgekehrte Hachi ist ein Eindringling, beschwört Konflikte herauf. Die Mutter lässt ihn das unmissverständlich wissen: „Wir sind wir und du bist du.“ Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl, jeder versucht nur, sein eigenes Überleben zu sichern. Als die Tochter dann ihr Verhältnis mit Hachi beginnt, merkt die Mutter wie sich dieses Gemeinschaftsgefühl verschiebt und sie droht, nun selbst zur Außenseiterin zu werden. Um die Schwiegertochter an sich zu binden, schürt sie deren schlechtes Gewissen und berichtet Schauermärchen über die Hölle, in die Ehebrecher nach dem Tode kämen. Dies könnte durchaus auch ein Seitenhieb Shindos auf die Instrumentalisierung sexueller Begierden durch religiöse Bewegungen sein.
Je weiter sich die Beziehung von Hachi und der Tochter entwickelt, um so mehr verschieben sich die Gewichte in der Beziehung zwischen den beiden Frauen. Ist es anfangs die Mutter, die den Ton angibt, wird die Tochter nach und nach immer aufmüpfiger und unabhängiger. Als sie am Ende entdeckt, dass hinter der Maske kein Dämon sondern ihre Schwiegermutter steckt, kehrt sich die ursprüngliche Abhängigkeit in ihr Gegenteil um, nun hält sie alle Trümpfe in der Hand und die Schwiegermutter ist ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Shindo bringt dieses neue Machtverhältnis auch ganz bildhaft zum Ausdruck.
Überhaupt, die Bilder! Wie kaum ein anderer Film brennt sich Onibaba unauslöschlich ins Gedächtnis ein mit seiner unvergesslichen Bildsprache. Kein anderer japanischer Film ist in den letzten Jahren so oft von Lesern meines Blogs angefragt worden, und alle Mails lauteten etwa „ich habe da mal einen Film gesehen, in dem überall Schilf ist, vielleicht wissen Sie, welcher das sein könnte?“ und dann weiß ich schon, dass sie nur Onibaba meinen können. Das Schilf soll übrigens laut Shindo ebenfalls ein Symbol sein, für das bewegte, vom Sturm gepeitschte Leben der Menschen und deren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Nicht nur das Schilf prägt den Film, es sind vor allem auch die Kontraste. Der ständige Gegensatz von hell und dunkel, der sich im Schattenwurf des Schilfs findet, wird in vielen Szenen aufgegriffen, in denen die Protagonisten sich durch Tupfen von Licht kämpfen. Ruhige und lange Einstellungen wechseln mit dynamisch geschnittenen Szenen, auf Landschaftsbilder folgen Nahaufnahmen. Das setzt sich auch klanglich fort: Momente absoluter Stille werden plötzlich von dröhnenden Paukenschlägen unterbrochen.
Die Dreharbeiten müssen für alle Beteiligten die Hölle gewesen sein. Praktisch einen ganzen Sommer, von Juli bis September, verbrachte das Team rund um die Uhr in einem Sumpf. Auf Grund des niedrigen Budgets waren die Unterkünfte sehr einfach gehalten und wurden bei Taifunen mehrfach überschwemmt. Shindos Regieassistenten verbrachten Tage damit, bis zur Hüfte im Schlamm stehend das tiefe Loch zu graben oder hölzerne Planken zu verlegen, auf denen die Schauspieler dann ihre spektakulären Läufe durch die Schilflandschaft durchführen konnten. Die emotionale und atmosphärische Dichte des Films dürfte zu einem guten Teil auf diese extremen Arbeitsbedingungen, die das Team zusammenschweißten, zurückzuführen sein.
Onibaba ist zweifelsohne eines der herausragendsten Werke der japanischen New Wave Ära und bis heute einer der international bekanntesten japanischen Filme überhaupt – und das völlig zu Recht! Regisseur und Drehbuchautor Kaneto Shindo verwandelte ein altertümliches japanisches Schauermärchen in eine Parabel voller psychologischer Anspielungen und zeitlos-universeller Themen und fing diese in berauschend schönen, ausdrucksstarken schwarz-weiss Bildern ein. So ist Onibaba ein gleichermaßen intelligenter wie schön anzusehender, unterhaltsamer wie zutiefst verstörender Film.