Archive for Juni, 2009

Wenn man monatelang auf so ein Event wie das JFFH hinarbeitet und mit einem gestandenen Team richtig viel Zeit und Energie investiert, dann fällt es schwer, sich vorzustellen, dass das alles umsonst gewesen sein könnte. Weil plötzlich etwas unvorhergesehenes passiert und das gesamte Projekt, das ganze Filmfest am seidenen Faden hängt. Doch genau so ging es uns dieses Jahr.

Ich saß im ICE, unterwegs in die süddeutsche Heimat, als mein Handy klingelte und eine Freundin aus dem Filmfest-Team dran war. Ein wichtiger Sponsor hatte gerade sein Engagement abgesagt! Eine Finanzierungslücke tat sich auf, die unsere gesamten Planungen über den Haufen warf. Und das 6 Wochen vor der Eröffnung!

Ohne die Unterstützung dieses Sponsors hätten wir das geplante Filmprogramm deutlich zusammenstreichen müssen, und das ausgerechnet im 10. Festival-Jahr, für das wir uns so viel vorgenommen hatten. Die fast abgeschlossenen Filmplanungen, die Arbeit am Poster, dem Programmheft, die Pressearbeit: alles wurde eingefroren.Die Suche nach alternativer Finanzierung wäre so kurzfristig aussichtslos gewesen, das war uns klar. Fieberhaft wurde mit dem Sponsor verhandelt und nach einigen Tagen konnten wir – nicht zuletzt dank externer Unterstützer – doch noch eine Übereinkunft erzielen.

Das JFFH war in letzter Minute gerettet, aber unser Zeitplan war gehörig durcheinander geraten. Unter anderem verpassten wir wichtige Drucklegungstermine der Presse, die Filmfestplakate und das Programmheft wurden erst im allerletzten Moment fertig. Zu spät, um große Aufmerksamkeit zu erzielen und den Bekanntheitsgrad des Filmfests so zu steigern, wie wir das in unserem Jubiläumsjahr eigentlich geplant hatten.

Warum schreibe ich das hier?

Weil Veranstaltungen wie das Japanische Filmfest Hamburg, die vom Engagement und der Leidenschaft einiger Freiwilliger getragen werden, nicht selbstverständlich sind. Ganz im Gegenteil ist es vielmehr ein Wunder, dass es gelingt, gerade solche kulturellen Events nur mit ehrenamtlicher Arbeit auf die Beine zu stellen.

Angesichts klammer staatlicher Kassen und des Renditezwangs in der Wirtschaft sind dies aber sehr wacklige Beine, und schon ein einzelner Stolperstein kann all das, was über die Jahre aufgebaut wurde, zunichte machen. Da die Budgets für Kulturförderung bzw. Kultursponsoring in Krisenzeiten als erste zusammengestrichen werden, sind es gerade auch die kleinen, ehrenamtlichen Veranstaltungen, denen dann schnell das wenige Geld, das sie zur Umsetzung überhaupt brauchen, abhanden kommt.  Und dabei sind es gerade Events wie das JFFH, die mit lächerlich geringen finanziellen Mitteln einen erheblichen Beitrag zur kulturellen Vielfalt leisten.

Ich darf gar nicht darüber nachdenken, dass mit einer einzigen Investmentbanker-Abfindung die Zukunft des JFFH wahrscheinlich für die nächsten 50 oder 100 Jahre gesichert wäre! Welche gesamtgesellschaftlichen, kulturellen Werte sich hier schaffen ließen! Vom interkulturellen Austausch ganz zu schweigen.

Umso mehr freut es mich aber, dass die Anziehungskraft des JFFH ungebrochen ist, ja, dass die Begeisterung immer weiter um sich greift. Während und nach dem Filmfest haben sich ein halbes Dutzend Besucher bei mir gemeldet, die unser Team gerne verstärken möchten. Solange es diese Begeisterung und Bereitschaft bei den Menschen gibt, sich für eine tolle Sache zu engagieren, bin ich zuversichtlich, dass das JFFH auch unter großen wirtschaftlichen Problemen die nächsten 10 Jahre weiter gedeihen und einzigartige japanische Filmperlen nach Hamburg bringen wird.

Wer jetzt zu Tränen gerührt ist und unbedingt auch mit anpacken möchte, kann sich gern jederzeit bei mir melden. Und wer nicht in Hamburg oder Umgebung wohnt, kann trotzdem dabei helfen, das JFFH finanziell etwas unabhängiger zu machen und Mitglied bei Nihon Media e.V. werden, dem Verein, der die organisatorische Plattform für das Filmfest abgibt. Einfach den Mitgliedsantrag herunterladen, ausfüllen und uns schicken.

Ich sage schonmal danke und bis nächstes Jahr beim 11. JFFH! 🙂

…scheint im Tokyoter Stadtteil Nerima zu liegen, zumindest was die Animationsindustrie in Japan angeht. Jedenfalls entsteht dieser Eindruck beim Lesen von Jason Grays Streifzug durch seinen Wohnort, der gleich am Bahnhof mit einer Plakatwand beginnt, die Nerima als „Wiege der Anime“ anpreist. Das nenne ich mal dezentes Stadtmarketing!

Ganz unbegründet scheint dieser Anspruch aber nicht zu sein, wie Jason ausführliche beschreibt. Um nur ein paar der Namen zu nennen: Toei Animation, Madhouse, Phoenix Entertainment, Anime International, Sunrise, alle haben sie ihre Studios in Nerima oder angrenzenden Stadtteilen. Isao Takahata, Rintaro, Hayao Miyazaki, Osamu Tezuka: Die großen Namen haben fast alle schon mal hier gearbeitet. Zudem gab Nerima auch in zahlreichen Serien den Hintergrund ab, beispielsweise spielten Doraemon, Ranma 1/2 oder Urusei Yatsura ganz oder teilweise in Nerima.

Soviel zum Thema Industriecluster, Netzwerken und Sozialkapital! Jasons Artikel bestätigt aber nicht nur wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Theorien, sondern bietet auch einen wunderbaren Ausflug in die Geschichte der Animationsindustrie in Japan. Unbedingt lesen!

Café Isobe

Original: Jun kissa isobe (2008) von Keisuke Yoshida

Leider Gottes werden japanische Komödien meistens unter dem Label „durchgeknallter Trash“ promotet, was Café Isobe nun so ganz und gar nicht gerecht wird. Auch wenn im Film einige schräge Gestalten auftauchen, bewegt er sich doch auf sehr viel ruhigerem und ernsterem Territorium und widmet sich mit großer Offenheit und viel Herz seinen Protagonisten und deren Problemen.

Im Zentrum des Films stehen die Teenagerin Sakiko (Riisa Naka) und ihr geschiedener Vater Yujiro, bei dem sie lebt. Yujiro (Hiroyuki Miyasako) ist ein Faulenzer wie er im Buche steht, was zwischen den beiden immer mal wieder für Spannungen sorgt. Als sein Vater stirbt und ihm ein beträchtliches Erbe hinterlässt, schmeisst er seinen Job hin und eröffnet ein Café, das er aber so eigenwillig einrichtet, dass sich kein Mensch blicken lassen will. Sakiko ist von dem ganzen überhaupt nicht begeistert, ihr Vater und sein Café sind ihr so peinlich, dass sie es sogar ihren Freunden verheimlicht.

Als eines Tages die hübsche Motoko (Kumiko Aso) im Café auftaucht, verliebt Yujiro sich vom Fleck weg und stellt sie als Kellnerin ein. Natürlich riecht Sakiko den Braten, die Spannungen zwischen ihr und Yujiro nehmen zu, immer öfter flüchtet sie sich heimlich zu ihrer Mutter. Doch Yujiro schwebt im siebten Himmel, nicht zuletzt weil dank Motoko und ihrem knappen Kostüm auch das Café endlich brummt. Doch auch Sakiko verliebt sich in einen Gast und wird bitter enttäuscht.

Ganz wunderbar und ohne Effekthascherei gelingt es dem Film, uns in die Gefühlswelten der drei Hauptcharaktere einzuführen: Yujiro, der anfangs wie ein alternder Frauenheld wirkt, eigentlich aber nach der großen, romantischen Liebe sucht; Sakiko, die noch nicht so recht weiß, was sie von der Liebe erwarten soll; wie beide durch Enttäuschung zusammengeschweisst werden. Und auch der Kristallisationspunkt Motoko hat es nicht leicht und muss mit dem Unverständnis und der Ablehnung der Menschen umgehen.

Café Isobe unterhält mit feinem, immer wieder überraschendem Humor, befasst sich dabei aber auch sehr stimmig und ernsthaft mit Freundschaft, Familie und den verworrenen Pfaden der Liebe. Ein kleiner, unaufdringlicher und sehr symapthischer Film mit großartigen Darstellern (Riisa Naka gewann mehrere Nachwuchspreise), der sich auf den Spuren ruhiger Komödien wie Linda Linda Linda oder Maison de Himiko bewegt und einen tollen Eröffnungsfilm für das 10. JFFH abgab.

OK, ich bin etwas spät dran, schließlich ist das JFFH ja schon vorbei. Aber eines muss ich noch loswerden, und zwar den Geburtstagstrailer, ein zweiminütiger Zusammenschnitt aller Eröffnungsfilme, den wir nur am Eröffnungsabend gezeigt haben. Film ab!

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=J7f2t_sY0kY[/flash]

Linda Linda Linda war dabei, Dolls, Zatoichi, Maiko Haaan!!! und einige mehr, die ich zum Teil gar nicht erkannt habe… naja, ich bin ja auch noch recht frisch beim Filmfest dabei. Weil ich irgendwie noch richtig in Filmfest-Stimmung bin und es noch gar nicht wahrhaben kann will, dass jetzt wieder ein Jahr bis zum nächsten JFFH vergeht, hab ich gleich noch ein bisschen nach Trailern anderer Festivals gesucht. Vielleicht findet sich ja Anregung, wie die Zeit rumzukriegen ist?

Sehr cool: Der Trailer zum New York Film Festival von 2006. Bringt die Botschaft klar auf den Punkt, ohne Schnörkel oder Gedöns.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=pUFCXYP3MX4[/flash]

Ein bisschen zu sehr auf der Klischee-Schiene unterwegs ist mir der Trailer vom New York Asian Film Festival 2007:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=VqMSb5HtRqU[/flash]

Sehr schön anzusehen der Trailer vom Asia Filmfest 2008:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=4hvSvuZnrw0[/flash]

Meine absoluten Favoriten kommen aber vom San Francisco International Film Festival 2005:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=cNAPAifAXok[/flash]

Original: Genius Party Beyond (2008)

Fünf Animationsregisseure durften sich für den zweiten Teil des Genius Party Experiments – beide Filme bestehen jeweils aus mehreren eigenständigen Anime-Kurzfilmen – austoben. Dieses Mal dabei die Newcomer Masahiro Maeda (seine Episode „Gala“ macht den Auftakt), Shinya Ohara („Wanwa“) und Tatsuyuki Tanaka („Tojin Kit“). Außerdem Kazuto Nakazawa („Moondrive“), der bereits an Animatrix mitgewirkt und die Animationssequenzen für Kill Bill beigesteuert hatte sowie Koji Morimoto („Dimension Bomb“), einer der anerkanntesten Animateure weltweit und Mitgründer des Studio 4°C.

Ich werde jetzt nicht groß in die Details der einzelnen Episoden gehen, die sind alle für sich genommen faszinierend und in sich stimmig was ihre Ästhetik und Atmosphäre angeht, erzählen aber auch alle für sich genommen eine kleine Geschichte. Mal machen diese Episoden einfach nur Spaß („Moondrive“), mal regen sie zum Nachdenken an („Dimension Bomb“). Manche kommen knallbunt daher und überrollen einen mit ihrer Kreativität und Vitalität geradezu („Wanwa“), andere holen einen wieder herunter, sind stoisch und unterkühlt bis zur Schmerzhaftigkeit („Tojin Kit“). Und mit „Gala“ ist auch ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk dabei.

Dass Genius Party Beyond trotz dieser großen Bandbreite, der Unterschiede zwischen den einzelnen Episoden funktioiniert und überzeugt, liegt daran, dass die fünf Episoden auch einiges gemeinsam haben. Vor allem gibt es keine Ausfälle, alle fünf sind absolut sehenswert und auf ihre Art mitreissend und fesselnd. Und zudem haben die Episoden ein gemeinsames Thema, das sie in eine übergeordnete Struktur einfügt und dem ganzen Film seinen Rhythmus verleiht: Der Zyklus von Leben und Tod.

In der ersten Episode steht das Wunder neuen Lebens im Zentrum, dessen Alltäglichkeit und Unscheinbarkeit in „Gala“ einmal aus einer ganz anderen Perspektive gezeigt wird. Besonders begeisternd an dieser Episode fand ich (neben der wunderbaren Idee als solcher) das fantastische Zusammenspiel von Bildern und Musik, das eine unglaubliche Energie freisetzt, die mich am Ende der Episode mit wild klopfendem Herz in den Kinosessel gedrückt hatte.

Weiter geht es dann mit der durchgeknallten Schatzsuche in „Moondrive“, die in meinen Augen die wilden Jugendjahre repräsentiert, in denen alles möglich ist und man nie zurück schaut. In „Wanwa“ stehen Kindheit und Familie im Vordergrund und werden mit einem Stil umgesetzt, der wirklich wirkt als wären Kinder mit Malstiften am Werk gewesen.

Nach diesem lebensfrohen und quietschbunten Abschnitt wird es nun sehr viel ernster: In „Tojin Kit“ sehen wir einen Hauptcharakter bar jeglicher Energie und Lebensfreude, in einer farblosen, monotonen, von leeren Gängen und Industrie geprägten Welt. Das einzige, was diese Trostlosigkeit durchbricht, wird von einer totalitären Staatsmacht gejagt und vernichtet. Willkommen in der Midlife-Crisis.

Am Ende des Films folgt dann mit Koji Morimotos „Dimension Bomb“ der absolute Höhepunkt. Die grandiose, rätselhafte Animation fegt alles beiseite, nimmt gefangen und reisst alles mit sich fort. Lichtdurchflutete Bilder von faszinierender Schönheit wie der obige Screenshot aus einem Kornfeld wechseln sich ab mit bedrückenden Bildern brennender, sich vor Verzweiflung windender Körper. Gegensätze wie heiss und kalt, Regen und Sonne, Himmel und Hölle prägen diese Episode und markieren den Übergang vom Leben zum Tod. Der Kreis schließt sich, das Leben kann neu beginnen.

Genius Party Beyond ist eine Sammlung kleiner Meisterwerke, deren Zusammenspiel exzellent funktioniert und die so in ihrer Gesamtheit noch über sich hinaus wachsen. Animation vom Allerfeinsten, kreativ und ambitioniert, Avantgarde wie man sie selten so konzentriert zu sehen bekommt. Für mich war das der letzte Film, den ich auf dem JFFH gesehen habe, und es war ein würdiger Ausklang. Jetzt heisst es nur noch, auf die DVD warten, die hoffentlich bald bei rem erscheint.