4 Feb
Original: Akumu tantei (2006) von Shinya Tsukamoto
Zwei rätselhafte Selbstmorde, bei denen sich die Opfer (Täter?) im Schlaf auf brutalste Weise selbst töteten, beschäftigen die Tokyoter Polizei. Beide Opfer haben unmittelbar vor ihrem Selbstmord mit derselben Person telefoniert, auf ihren Handys finden sich mysteriöse Hilferufe. Für die hochdekorierte Analystin Keiko Kirishima (Hitomi), die frisch von der Polizei- Akademie in den aktiven Dienst gewechselt ist, ist dies ihr erster Fall und sie geht ihn mit dem ihr eigenen Ehrgeiz an.
Dazu geht sie auch ungewöhnliche Wege und nimmt Kontakt mit Koichi Kagenuma (Ryuhei Matsuda) auf, der die Fähigkeit besitzt, in anderer Menschen Träume einzudringen. Koichi will mit der Sache nichts zu tun haben, warnt Keiko aber davor, die Nummer anzurufen. Als jedoch einer von Keikos Kollegen den Anruf macht und sich danach im Schlaf umbringt, will sie der Sache endlich auf den Grund gehen und lässt sich ebenfalls auf die gefährliche Traumwelt ein.
Ich habe bisher noch keine anderen Filme von Tsukamoto gesehen, der 1989 mit seinem bahnbrechenden Werk Tetsuo the Ironman über Nacht Kultstatus erreichte. Er ist bekannt für alptraumhaft-morbide Filme, die sich teilweise an der Grenze zum Splatter bewegen, mit denen er die dunkle Seite der menschlichen Psyche erkundet. Vergleiche mit Filmemachern wie Cronenberg oder Lynch sind an der Tagesordnung.
Wegen dieses Hintergrunds und meiner Begeisterung für den im selben Jahr erschienenen atemberaubenden Anime Paprika, (der sich ebenfalls mit der Verquickung von Traum und Realität und dem Eindringen in Träume beschäftigt), war ich sehr auf Nightmare Detective gespannt und habe mir einiges davon versprochen. Leider wurde ich über weite Strecken enttäuscht.
Aber beginnen wir mit dem Positiven: Der Film ist überwiegend sehr reduziert und minimalistisch inszeniert, um nicht zu sagen kalt. Viele Szenen sind ganz in blau-grünen Tönen oder sehr dunkel gehalten. Auch werden die Hauptcharaktere sehr isoliert dargestellt. Dadurch entsteht eine bedrückende Stimmung, die gut zum Thema Selbstmord passt.
Im krassen Gegensatz zu dieser allgemein vorherrschenden Atmosphäre stehen die „Jagdszenen“ der Alpträume, in denen der „Traummörder“ über seine Opfer herfällt. Diese beeindruckenden Szenen sind ruckelig, rasant, voller Lichtblitze und begleitet von kakophonischen Soundeffekten – einem Mix aus metallischen und erdig-wässrigen Geräuschen, sehr schwer zu beschreiben. Von diesem handwerklich-ästhetischen Gesichtspunkt aus bietet der Film ein stimmiges, gut umgesetztes Konzept und ist absolut sehenswert.
Leider war’s das aber auch schon an positiven Aspekten. Denn abgesehen davon funktioniert der Film einfach nicht: Das Duell zwischen dem Mörder und seinen Verfolgern wird viel zu spät aufgebaut und nimmt erst in den letzten 20 Minuten Fahrt auf. Es ist zwar die ganze Zeit irgendwie klar, dass es auf einen Showdown hinauslaufen wird, aber als es dann soweit ist, kommt er völlig aus dem Nichts – und funktioniert auch nicht wirklich, weil vorher keine Beziehung zwischen dem Mörder auf der einen und Keiko bzw. Koichi auf der anderen Seite entwickelt wurde. Alles bleibt irgendwie unmotiviert.
Ganz besonders leidet der Film aber an seinen Hauptcharakteren. Tsukamoto spielt selbst den Mörder, der aber erst in den letzten 20 Minuten des Films in Erscheinung tritt, und macht dabei mit Abstand die beste Figur. Ryuhei Matsuda, der eigentlich titelgebende Charakter, taucht nach seiner Einführung gleich am Anfang über lange Zeit ab und wirkt auch später wie ein Fremdkörper. Das Popsternchen Hitomi zeigt den ganzen Film hindurch (außer in der Schlusszene) eigentlich nur zwei Gesichtsausdrücke, nämlich „grübeln“ und „angespanntes grübeln“. Wie jemand auf IMDb bemerkte, ist ihre außergewöhnliche Schönheit außerdem irgendwie fehl am Platze und lenkt eher von den psychologischen Aspekten ihres Charakters ab – in meinen Augen eine Fehlbesetzung.
Alles in allem ist der Film einfach unausgereift: Die Charaktere bleiben seltsam ungreifbar und unbegreifbar, der Plot ist voller Lücken und Ungereimtheiten. Ein gutes Beispiel dafür ist die am Anfang konstruierte Rivalität zwischen Keiko und einem älteren zynischen Kollegen, der sie immer wieder wegen ihrer Unerfahrenheit und ihrer hochhackigen Schuhe aufzieht – und der nach ca. 60 Minuten einfach auf nimmerwiedersehen aus dem Film verschwindet.
In einigen Kommentaren und Reviews habe ich gelesen, dass dieser Film für Tsukamoto eine Auftragsarbeit gewesen sein soll – das könnte eine Erklärung sein für die Schwächen des Plots und der Charaktere. Nightmare Detective ist kein wirklich schlechter Film und wer sich gern ein bisschen gruselt wird schon seinen Spaß dran haben, aber was mit dem Thema „Träume und Realität werden eins“ alles möglich ist, das sollte man sich besser bei Paprika anschauen.
4 Kommentare for "Nightmare Detective"
Schön, mal eine durchdachte, eigenständige und vom Hype unabhängige Meinung zum Film zu lesen. Applaus dafür!
*erröt*
Mir war nicht bewusst, dass es einen Hype um den Film gab/gibt. Wenn, kann ich das (angesichts meiner Renezension nicht weiter verwunderlich) nicht nachvollziehen. Wie kam der Hype denn zustande, bzw. worauf bezieht er sich?
Vielleicht sollte ich öfter mal gehypte Filme zerrupfen, scheint ja gut anzukommen 😉
Tsukamotos Versuch, einen „typischen“ J-Horror-Film zu drehen, stößt vielerorts auf Enttäuschung.
Es ist sicherlich nicht sein bester Film (aber für mich zum Beispiel besser, als Miikes Versuch in diesem Genre: The Call), allerdings denke ich, dass er dennoch eine Menge zu bieten hat – schon alleine, dass er eine metaphorische Ebene erreicht (zumindest für mich, platt ausgedrückt: sinngemäß sagt der Nightmare Detective in einer Szene: Ich möchte an den Träumen anderer nicht mehr teilnehmen => lesart => Ich möchte an den Gesellschaftsentwürfen anderer Leute nicht teilnehmen …), die eher selten ist, bei heutigen Filmen.
Aber sicher sind seine früheren Werke besser. Ich glaube, VITAL wäre für Dich der richtige Film, wenn ich mir so Deine Vorlieben anschaue.
Oder als Kurzfilm, der aber relativ heftig ist, HAZE.
Nightmare Detective 2 ist übrigens wirklich übel …
Paprika ist übrigens tatsächlich klasse, eben so wie die andere Anime-Verfilmung eines Romans von Tsutsui: Das Mädchen, das durch die Zeit sprang.
Wie bei jedem neuen Film von Tsukamoto gibt es in der Fangemeinde große Wellen, ein Regisseur, der -auch von mir – beinah kultisch verehrt wird.
Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass dessen Körper-/Bodymutilations-/Technologie-Konzept nichts neues an sich darstellt (das gibt es ja schon seit den 20er Jahren), sondern eher einer radikalen Selbstbestimmung zuzuschreiben ist. Ein unabhängiger Filmemacher nicht (nur) für die Arthausfreaks, sondern auch für Körperhorrornerds Einstürzende Neubauten-Afficionados.
Mir persönlich gefällt er so gut, da ich sehr auf sein enegetisches Kino stehe, das wenig Rücksicht auf filmmische Konventionen nimmt, sondern mit einer persönlichen Ästhetik individuelle Kunstkonzepte immer weiter entwickelt. Tsukamoto dreht eben nicht immer denselben Film, sondern führt die Entwicklung fort, trägt sie weiter. Da kann man ja klare Linien erkennen. Insofern ist der Wandel von TETSUO bis NIGHTMARE DETECTIVE absolut plausibel und macht Sinn. ND ist eine weitere Radikalisierung der Körperbedrohung hinein bis in die Psyche.
So ist der Film innerhalb des „Werkkontexts“ formal nur logisch und eine konsequente Weiterentwicklung – als isoliertes Kunstwerk betrachtet aber hat er durchaus seine Schwächen, etwa in der Charakterentwicklung usw. Wobei man sich über die „Funktion“ des Charakters, eines „Helden“ in einem Tsukamotoschen Film sicherlich nochmals getrennt und ausführlich unterhalten müßte.
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