21 Okt
Original: Dekigokoro (1933), von Yasujiro Ozu
Im Zentrum dieser feinen Tragikomödie stehen der einfache Fabrikarbeiter Kihachi (Takeshi Sakamoto) und sein Sohn Tomio (Tomio Aoki, in den 30ern von Ozu regelmäßig in verschiedenen Kinderrollen eingesetzt). Kihachi ist von ziemlich einfachem Gemüt und ein rechter Tunichtgut, und so ist es an dem achtjährigen Tomio, sich für seinen Vater um den Ernst des Lebens zu kümmern.
Die beiden haben sich in dieser ungewöhnlichen Rollenaufteilung gut eingefunden. Diese gerät jedoch etwas durcheinander, als Kihachi sich für die in Nachbarschaft gekommene Harue (Nobuko Fushimi) zu interessieren beginnt. Auch seine Freundschaft mit dem Nachbarn und Kollegen Jiro wird dadurch auf eine ernste Probe gestellt. Doch als Tomio erkrankt, rücken alle zusammen und Kihachi erkennt schließlich, was er an dem Jungen hat.
Passing Fancy beginnt zunächst als stimmungsvolle Komödie, welche die merkwürdige Beziehung zwischen Kihachi und Tomio mit einfachen aber sehr effektiven Mitteln auf den Punkt bringt. Tomio spielt seinem Vater Streiche und kümmert sich zugleich darum, dass dieser seiner Pflicht nachkommt und zur Arbeit geht, sei es zur Not auch durch einen wohlgezielten Schlag gegen das Schienbein des schlafenden Faulenzers.
Aber dann nimmt die Handlung eine überraschende Wendung ins Dramatische, was von Ozu genauso meisterlich gehandhabt wird wie die anfängliche Leichtigkeit. Emotionaler Höhepunkt des Films ist eine Szene, in der Tomio, der wegen seines ungebildeten, einfältigen Vaters von seinen Mitschülern gehänselt und verprügelt wurde, seiner Frustration freien Lauf lässt und selbst auf Kihachi einzuschlagen beginnt. Dieser wehrt sich zunächst, lässt die Schläge seines kleinen Sohnes dann aber widerstandslos über sich ergehen.
Der Rollentausch zwischen Vater und Sohn wird hier wie nirgends sonst im Film verdeutlicht und auch von Kihachi selbst akzeptiert. Ihm ist bewusst, dass er genauso – vielleicht sogar noch mehr – auf Tomio angewiesen ist als der auf ihn. Und natürlich weiss er auch, dass er alles andere als ein vorbildlicher Vater ist. In dieser Szene beweist er, dass er nicht nur ein durch und durch liebenswerter, großherziger und bei all seinen Schwächen ein schlicht guter Mensch ist, sondern dass er auch die Größe hat, für seine Schwächen geradezustehen. Und sei es einem Achtjährigen gegenüber.
Diese menschliche Größe stellt er zudem unter Beweis, als er erfährt, dass Harue in Jiro verliebt ist. Nicht nur stellt er seine eigenen Interessen hintenan, er erklärt sich sogar bereit, bei Jiro für eine Ehe mit Harue zu werben. Mit Kihachi schuf Ozu hier einen Charakter, der – von Takeshi Sakamoto großartig verkörpert – sofort das Herz des Zuschauers stiehlt und später noch in zwei weiteren Filmen Ozus wiederkehrte, wenn auch ohne direkten Bezug auf Passing Fancy.
Die Wende vom komödiantischen ins dramatische (und wieder zurück zur Komödie ganz am Ende) könnte auch zusammenfassend für Ozus Karriere als Ganzes stehen. Denn in seinen darauffolgenden Filmen verließ er mehr und mehr sein angestammtes Terrain der Komödien um einfache Leute und machte sich auf, das Wesen der Familie im Allgemeinen und den Wandel der japanischen Familie im Besonderen zu ergründen.
Auf diesem Weg entwickelte er dann auch seinen weltberühmt gewordenen Stil, der sich hier in manchen Elementen bereits andeutet, etwa in der ihm eigenen Art, den Hauptinhalt des Bildes in die obere Bildhälfte zu verlagern, woraus dann die bekannte „Sitzende Kamera“ entstand. Auch einige weitere Markenzeichen sind bereits vorhanden, aber noch nicht so weit ausgearbeitet und gefestigt, wie es schon im Jahr darauf in A Story of Floating Weeds der Fall war.
Somit ist Passing Fancy ein weiteres Puzzleteil, an dem man die Entwicklung Ozus und seiner Themen, Motive und Stilelemente nachvollziehen kann. Aber auch für sich allein ist der Film ein großes Puzzle aus Komödie, Familiendrama, einem schlitzohrig-bezaubernden Hauptcharakter und einer ungewöhnlichen Vater-Sohn Geschichte, bei dem Ozu es irgendwie schafft, dass alles zusammenpasst und alle Teile sich zu einem gelungenen Ganzen fügen.
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