14 Jan
Original: Ukigusa monogatari (1934), von Yasujiro Ozu
Eine wandernde Theatertruppe unter Leitung des alternden Schauspielers Kihachi (Takeshi Sakamoto) kommt in eine kleine Stadt auf dem Lande. Dort lebt seine frühere Geliebte Otsune (Chouko Iida) mit ihrem gemeinsamen Sohn Shinkichi (Koji Mitsue), mit denen Kihachi nun viel Zeit verbringt. Die beiden verschweigen Shinkichi jedoch die Identität seines Vaters und machen ihn glauben, dieser wäre schon lange tot.
Als Kihachis derzeitige Geliebte Otaka (Rieko Yagumo), Schauspielerin und Mitglied der Truppe, von Kihachi „Familie“ erfährt, wird sie eifersüchtig. Es kommt zum Streit mit Kihachi und aus Ärger über ihn bezahlt sie ihre Kollegin Otoki (Yoshiko Tsubouchi), Shinkichi zu verführen. Die beiden verlieben sich jedoch auf Anhieb ineinander, der Konflikt mit Kihachi, der sich für seinen Sohn eine bessere Zukunft als das Leben eines fahrenden Schauspielers wünscht, wird unausweichlich.
Besonders ins Auge gestochen ist mir Takeshi Sakamoto, der zuvor bereits in einigen Filmen Ozus mitgewirkt hatte und bis Ende der 40er Jahre zu dessen festem Stamm an Schauspielern gehörte, in der Rolle des Kihachi. Wie er dessen Charakter zum Leben erweckt und ausformt, ist wirklich ganz wunderbar! Angesichts dessen, dass es sich um einen Stummfilm handelt, bediente er sich dabei einer Reihe von kleiner Gesten und Manierismen, etwa, dass Kihachi sich ständig kratzt, mal im Gesicht, am Rücken, am Hintern oder wie hier im Screenshot am Oberschenkel. Auch dieses Tuch auf seinem Kopf trägt er ständig mit sich herum, reibt sich damit den Schweiß aus dem Gesicht oder fächelt sich Luft zu.
So entsteht ein sehr lebendiges Bild eines einfachen Mannes, der sich im Umgang mit Menschen oft etwas unwohl fühlt, wozu auch seine Rückgriffe auf Gewalt passen, denn er ohrfeigt Otaka mehrfach heftig für ihre Intrigen, und auch Otoki und Shinkichi bekommen seine Hand zu spüren. Sein gutes Herz und die väterliche Liebe zu Shinkichi veranlassen ihn dann aber doch dazu, den jungen Leuten ihren Willen zu lassen. So gibt er Otoki und Shinkichi seinen Segen, bevor er sich – gemeinsam mit Okata, mit der er sich versöhnt – wieder auf die Wanderschaft macht, um die kleine Familie nicht zu belasten.
Seine eigene Sehnsucht nach einer Familie und dem Zusammensein mit seinem Sohn bleibt dabei tragisch unerfüllt, er bleibt im Leben des ewigen Vagabunden gefangen. Dies verdeutlicht besonders die letzte Szene des Films: Kihachi und Okata sitzen im Zug und begießen mit einem Glas Sake ihre Versöhnung. Kihachi gegenüber schläft ein kleiner Junge, den er lange und sehnsüchtig anstarrt. Doch er ist nicht für eine feste Familie geschaffen, sein Schicksal ist es, wie das Gras im Titel ziellos im Strom des Lebens zu treiben.
Ozus komödiantische Wurzeln sind in A Story of Floating Weeds unübersehrbar und lockern die Handlung sehr viel stärker auf, als ich dies aus seinen berühmten Nachkriegsfilmen wie Tokyo Story kenne. Obwohl sein unverkennbarer Stil natürlich noch lange nicht voll entwickelt ist sind fast alle Elemente dennoch bereits vorhanden, wenn auch noch nicht so klar herausgearbeitet und konsequent eingesetzt.
Ein Beispiel wäre die Verwendung der Kamera, die einerseits meist die typische niedrige Position einnimmt, aber andererseits bei weitem noch nicht so statisch wirkt wie in den späteren Filmen. So gibt es einige Kamerafahrten, etwa durch die Zuschauer bei einer Theatervorstellung, und auch die Schnitte erfolgen für einen Film der dreißiger Jahre sehr schnell, was dem Film einerseits Dynamik verleiht und ihn andererseits für 1934 sehr modern erscheinen lässt.
Charakteristisch für Ozu – wenn hier auch nur ansatzweise vorhanden – ist die Verwendung von Ellipsen, bei denen eine angekündigte Handlung nicht im Bild gezeigt wird. Das wohl prominteste Beispiel dafür wäre die Szene, in der Otaka von Kihachis „familiären Verpflichtungen“ erfährt und sie dem Schauspieler, der diese versehentlich erwähnte, Geld für weitere Auskünfte bietet. Ozu schneidet hier von der den Geldbeutel zückenden Otaka direkt in das Gasthaus, in dem Kihachi mit seinem Sohn Schach spielt und wo gleich darauf Otaka auftaucht.
Allgegenwärtig sind jedoch bereits die überleitenden Schnitte mit Ansichten von Alltagsgegenständen, Gebäudeansichten oder Landschaften, die sehr an Stillleben erinnern und die Ozu regelmäßig nutzt, um zwei Szenen zu verbinden, einen Ortswechsel einzuleiten oder das Vergehen der Zeit anzudeuten. In Story of Floating Weeds nutzt er dazu besonders häufig Shinkichis Fahrrad, das im Lauf des Films regelrecht zu einem Platzhalter für Shinkichis Gegenwart wird.
Letztlich endet der Film, wie er begann: Am Bahnhof, mit einer Zugfahrt, einer Reise. So umrahmt Ozu diese kleine aber feine Familiengeschichte, die voller Parallelen, vieler Details und liebevoll gestalteter Charakter steckt. Die 2004 extra für die Criterion DVD eingespielte, die Handlung wunderbar einfühlsam und lebendig begleitende Klaviermusik tut ihr übriges, um dieses Juwel aus der Findungsphase des großen Meisters voll und ganz zur Geltung kommen zu lassen.
4 Kommentare for "A Story of Floating Weeds"
Ein wunderbarer Film, die Neuverfilmung ist ebenso ein Meisterwerk und steht dem Original in nichts nach. Beide haben ihre Qualitäten.
Der eigentlich Grund meines Kommentars ist aber der, dass bald ein Ozu-Film im dt. TV kommt! Na wenn das keine Seltenheit ist…
Es war einmal ein Vater – MI, 6. Februar – 22.45 Uhr – arte
Wiederholung:
DO, 7. Februar 14.55 Uhr
Wow, vielen Dank für den Tipp! So ohne ihn zu kennen erscheint mir Es war einmal ein Vater allein deshalb sehenswert, weil er und Brothers and Sisters of the Toda family die einzigen Filme sind, die Ozu während des Krieges drehte. Wird interessant sein zu sehen, wie er von den Propagandazwängen beeinflusst wurde.
Jetzt muss ich nur noch jemanden finden, bei dem ich gucken kann, hab ja selbst kein TV 😉
Bemerkenswert an diesem Film für Ozu ist das beschriebene Milieu: sonst verlegte sich Ozu mehr auf städtische Umgebungen, wie z. B. Tokio, in diesem Film beschreibt er eine provinzielle Umwelt.
Wie in nahezu all seinen Filmen ging es Ozu offensichtlich nicht um die Geschichten, sondern mehr um die Charaktere und die Räume, in denen sie sich bewegen, was poetisch und präzise zugleich zu inszenieren wusste.
2century
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