Natürlich kam es anders als geplant: Markus, der den gestrigen Eröffnungsabend des 10. Japanischen Filmfests organisierte und leitete, hatte sich alles so schön zurecht gelegt, und dann dauerte die vor unserem Eröffnungsfilm im Metropolis laufende Vorstellung über eine halbe Stunde länger als gedacht! Die angesetzte Probe mit dem Team, die Vorbereitungen, das Team-Foto, alles fiel aus. Als der Kinosaal dann endlich frei war, begann auch schon gleich der Einlass und dann ging eigentlich alles ganz schnell: Ein paar Ansprachen von Würdenträgern, das Filmfest-Team bekam seinen wohlverdienten Applaus, ein bunter Strauß an Trailern und dann der erste von 37 Filmen dieses JFFH: Cafe Isobe.
Ich wusste von dem Film auch nicht mehr als alle anderen Besucher und hatte etwas Bedenken, dass ich einschlafen könnte. Denn nach den letzten Tagen – in denen ich neben dem normalen Job noch nächtelang an einer kleinen Ausstellung zu 10 Jahren JFFH gearbeitet hatte – war ich stehend ko und wollte nur noch schlafen. Aber Cafe Isobe erwies sich als wunderbar feinsinnige und kurzweilige Familienkomödie (die ausführliche Besprechung folgt später mal), so dass ich keine größeren Probleme hatte, das Sandmännchen abzuwehren.
Nach dem Film drängelten sich alle im Foyer des Metropolis um das Sushi-Buffet und versuchten, ein Gläschen Sekt zu ergattern. Fürs Team dagegen ging die Arbeit natürlich weiter, die einen schenkten aus, die anderen kümmerten sich um unsere Gäste aus Japan oder wichtige Sponsoren und Unterstützer, oder bereiteten den weiteren Ablauf der nächsten Tage vor. Ich zum Beispiel darf mich in etwas über einer Stunde wieder auf den Weg machen, um ein Radio-Interview mit unserem Gast Sadao Nakajima zu betreuen. Und das, obwohl ich letzte Nacht wieder viel zu wenig geschlafen habe… Naja, vielleicht lasse ich die heutige Spätvorstellung von Gelatin Silver Love ausfallen. Andererseits reizt mich der Film schon sehr! Das ewige Filmfest-Dilemma: Schlaf oder Filme, beides geht nicht.
Noch kurz ein paar Worte zum Eröffnungsabend: Angesichts dessen, dass wir einen völlig unbekannten Eröffnungsfilm hatten (ja, das war eine ziemlich riskante Entscheidung!), war klar, dass wir den riesigen Saal des Metropolis mit seinen knapp 500 Plätzen nicht ausverkauft bekommen würden. Ich war mit dem Zuschauerzuspruch aber wirklich zufrieden, der Saal war fast voll, verspätete Zuschauer hatten Probleme, noch Plätze zu finden. Ich hatte auch den Eindruck, dass wirklich viele Japaner unter den Gästen waren, was mich sehr gefreut hat. Fazit: Die Stimmung war super, die Organisation klappte auch ohne die geplante Probe und natürlich waren unsere passend zum Film als Kellnerinnen (mit Häubchen!) verkleideten Platzanweiserinnen der absolute Hingucker. Da konnten meine Ausstellungstafeln zur Geschichte des JFFH nicht gegen anstinken 😉
19 Mai
Original: Perfect Blue (1998) von Satoshi Kon
Mima, Mitglied einer halbwegs erfolgreichen Teenie-Pop-Band, entscheidet sich, die Band zu verlassen und den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen: Eine Nebenrolle in einer Krimi-Serie soll ihr den Einstieg ins Filmbusiness ermöglichen. Wie vielen ihrer Fans fällt auch ihr dieser Rollenwechsel nicht leicht. Doch sie ist wild entschlossen, das zuckersüße Popsternchen-Dasein hinter sich zu lassen und sich weiterzuentwickeln. So nimmt sie für größere Auftritte in der Serie sogar eine provokante Vergewaltigungsszene in Kauf und lässt Nacktfotografien für Magazine anfertigen.
Doch Mimas zunehmender Erfolg wird überschattet von merkwürdigen Vorgängen: Eine Webseite namens „Mimas Room“ gibt minutiös intime Details ihres Lebens wieder. Ein fanatischer Fan folgt ihr auf Schritt und Tritt. Drohbriefe gehen im Fernsehstudio ein. Sie beginnt, eine zweite Mima zu sehen, die behauptet, die „wahre“ Mima zu sein. Unter dem Stress verschwimmen in ihrem Bewusstsein ihre Rolle in der Krimi-Serie und ihr Leben immer mehr. Als plötzlich mehrere Mitglieder des Filmteams grausam ermordet werden, scheint Mima den Verstand zu verlieren… hat sie die Morde selbst begangen?
Abgesehen von der etwas einfach gehaltenen Animation (wohl dem Umstand geschuldet, dass für den Film kein großes Budget zur Verfügung stand) deutet nichts darauf hin, dass es sich hier um den Debutfilm von Satoshi Kon handelt. Die Story nimmt langsam Fahrt auf, reisst uns Zuschauer dann aber wie in einem Mahlstrom mit sich fort und zieht uns ganz in ihren Bann. Mimas Charakter, der zwischen wilder Entschlossenheit und wachsenden Selbstzweifeln hin- und hergerissen ist, ist sehr reif angelegt und glaubwürdig. Die verschiedenen Handlungsfäden und psychologischen Ebenen sind virtuos miteinander verwoben und gehen stellenweise so fließend ineinander über, dass man auch nach mehrfachem Sehen dem Film immer noch auf den Leim geht und sich dem Verwirrspiel nicht entziehen kann.
Dieses Verflechten verschiedener Realitäten ist inzwischen zu einem regelrechten Markenzeichen Kons geworden (siehe Paprika oder Millennium Actress), und auch wenn er dies in seinen späteren Filmen sehr viel aufwändiger in Szene setzen konnte, ist seine Handschrift hier schon unverkennbar.
Dazu gehört beispielsweise das Spiel mit Technologien, die uns alternative Realitäten vorgaukeln: Die Webseite „Mimas Room“ ebenso wie die TV-Serie. Gerade die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium Film (bzw. TV) ist auch in Millennium Actress und Paprika von zentraler Bedeutung. Dabei verwischt Kon die Übergänge zwischen TV-Serie und Realität mit großer Kreativität: Mal sind diese so fließend, dass erst in der nächsten Szene klar wird, auf welcher Ebene man sich bewegt, mal sind sie bewusst in Szene gesetzt, etwa indem das Geschehen durch die Kamera des Filmteams gezeigt wird.
Ein immer wieder auftauchendes Motiv sind Reflexionen und Spiegelbilder, welche die charakterlichen Brechungen der Hauptakteure – und allen voran Mimas – unterstreichen. Paradebeispiel dafür ist der Höhepunkt der Dreharbeiten an der Vergewaltigungsszene, die eine Schlüsselszene sowohl für Mima selbst (sie bricht damit endgültig mit ihrer Vergangenheit als Popsternchen) als auch für ihren Charakter in der Fernsehserie ist. Aus der Perspektive des Regisseurs sehen wir einen Wust von Monitoren, auf denen die verschiedenen Bilder der eingesetzten Kameras simultan zu sehen sind, mit immer anderen Blickwinkeln auf Mima.
Doch Perfect Blue ist nicht nur ein packender Psycho-Thriller sondern auch ein durchaus kritischer Blick auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie und den harten Weg, den eine junge Frau zurücklegen muss, um sich in der Branche zu etablieren. Von der – teilweise fanatischen – Fanszene über das Klinkenputzen der Agenten bis hin zum kalkulierten Nackt-Shooting ist alles drin. Naive Fans, die ihre Stars vergöttern und darüber den Bezug zur Realität verlieren kriegen ebenso ihr Fett weg wie eiskalte Produzenten, denen es nur um die Quote geht.
So hat eben auch Mima ihre Probleme, sich in diese neue Umgebung und die veränderte Rolle, die sie darin spielt, einzufinden. Einerseits trauert sie noch der idealisierten, unschuldigen Zeit als Teenie-Star nach, andererseits will sie sich ihre Sporen in der rauhen Welt des Films erarbeiten. Und irgendwo dazwischen auch noch sie selbst sein. So ist die Charaktere Mima auch ein Symbol für das Erwachsenwerden, den schmerzhaften Abschied von der sorglosen Jugend, den Kampf mit der eigenen Identität und dem Sich-Etablieren in der Welt der Erwachsenen.
Roger Corman schrieb über Perfect Blue: „If Alfred Hitchcock partnered with Walt Disney they’d make a picture like this.“ An Hitchcock erinnert in diesem spannungsgeladenen psychologischen Verwirrspiel voller überraschender Wendungen in der Tat sehr viel, mit Disneys Werken hat es dagegen eigentlich nur gemein, dass es ebenfalls ein Zeichentrickfilm ist. Und wer immer noch behauptet, Zeichentrick wäre was für Kinder, den wird dieser Psycho-Thriller mit unerwartetem Tiefgang garantiert eines besseren belehren!
Es hat ein bisschen länger gedauert als gedacht (und gewünscht, mehr zu den Gründen erzähle ich demnächst mal hier), aber inzwischen steht das Programm des 10. Japanischen Filmfests Hamburg mit allen Terminen und Vorstellungen auf der runderneuerten Website zur Verfügung! Die ist zwar noch nicht zu 100 Prozent fertig, aber alle wichtigen Informationen zu den Filmen sind da. Im Moment fehlen hauptsächlich noch die japanischen Filmtexte.
Und obwohl ich die letzten Wochen täglich mehrere Stunden mit der Arbeit am Filmfest verbracht habe, hab ich noch kaum einen Überblick über die Filme. Also schauen wir mal rein ins Programm!
Zwei Filme kann ich wärmstens empfehlen, da ich sie bereits gesehen habe (durfte die Texte fürs Programm schreiben):
Absolutes Must:
Über die weiteren Filme weiss ich auch relativ wenig, aber aus dem Team habe ich ein paar Empfehlungen bekommen, daher hier meine Geheimtipps:
Ich werde auf jeden Fall versuchen, mir diese Filme anzusehen. Und wenn dann noch Zeit ist, zusätzlich vielleicht noch Non-ko, Empty Blue und Bluebird. Die klingen auch sehr interessant. Und dann gibts ja noch die beiden Kurzfilm-Specials. Und das Filmfrühstück. Und und und…
Das ist mal eine gute Nachricht, die ich irgendwie total verpennt hab! Asche auf mein Haupt, dank dem Hinweis von Julia kann ich diese den Sonntag verschönernde Neuigkeit jetzt aber sogleich an meine lieben Leser weiterreichen: Miyazakis neuester Streich „Gake no ue no Ponyo“ kommt offenbar am 8. Oktober 2009 unter dem Titel „Ponyo“ in die deutschen Kinos!
Wer das schon lange weiß möge mir verzeihen, ich freu mich einfach! Yiehaaa! 😀
~~~ Update ~~~
Wie in den Kommentaren nachzuverfolgen, hat sich der Oktober-Termin bald als Wunschtraum erwiesen und in Luft aufgelöst. Inzwischen neigt sich der Oktober dem Ende zu, Ponyo lief nicht im Kino und es ist auch kein Kinostart in Sicht. 🙁