Archive for Februar, 2010

Noch später als im letzten Jahr werfe ich einen Blick zurück und ziehe dazu die von der Motion Picture Association of Japan veröffentlichten Zahlen heran. Wobei ich das Gefühl nicht loswerde, dass an diesen Statistiken etwas nicht stimmt.

Es findet sich nämlich kein Einspielergebnis von Departures, der allen Presseberichten zufolge ca. 6 Mio Zuschauer in die Kinos gezogen hatte und es damit auf jeden Fall unter die Top10 hätte schaffen müssen. Das weltweite Einspielergebnis von Departures liegt bei 68 Mio US-$, davon dürften 90% in Japan generiert worden sein, was umgerechnet mehr als 6 Mrd Yen wären. Eigentlich müsste der Film damit 2009 wie schon 2008 knapp außerhalb der Top10 der heimischen Produktionen gelandet sein – nur lässt sich in der Statistik nichts darüber finden. Strange… Damit sind die nun folgenden Zahlen erstmal unter Vorbehalt zu genießen.

Die 10 erfolgreichsten Filme des Jahres 2009 in Japan waren:

  • Rookies (Toho)
  • Harry Potter und der Halbblut-Prinz (Warner)
  • Red Cliff 2 (Toho-Towa)
  • This is it! (Sony)
  • Pokemon (Toho)
  • 20th Century Boys Chapter 3 (Toho)
  • Evangelion 2.0 – You can (not) advance (Klockworx)
  • Wall-E (Disney)
  • 2012 (Sony)
  • Amalfi (Toho)

Damit sind ausländische Produktionen deutlich stärker unter den Top-Filmen vertreten als noch 2008. Diese Bild tritt aber nur an der Spitze auf, denn in der Breite waren japanische Produktionen deutlich erfolgreicher: 34 einheimische Filme schafften es über die magische Milliarden-Yen-Umsatzgrenze, gegenüber 28 im Vorjahr und nur 22 importierten Filmen. Auch die Gesamtzahl der importierten Filme ging stark zurück, von 388 auf 314 – der niedrigste Wert seit 10 Jahren. Die Zahl der japanischen Filme ist gegenüber dem Rekordjahr 2008 dagegen nochmals kräftig gestiegen, auf stolze 448!

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die japanischen Filme ihre Vorherrschaft auf dem Heimatmarkt verteidigen konnten. 56, 9 Prozent aller Kinoumsätze haben sie eingespielt, ausländische Produktionen mussten sich mit 43,1 Prozent zufrieden geben. Die Besucherzahl machte einen erfreulichen Sprung und stieg um fast 10 Mio auf 169,3 Mio, dem höchsten Wert seit 2004, womit auch die Umsätze stiegen und das Rekordjahr 2004 nur knapp verfehlten.

Das ist ein sehr erfreuliches Signal und dürfte zusammen mit der nur ganz leicht gestiegenen Zahl an Kinoleinwänden für eine etwas bessere Auslastung gesorgt haben. Vielleicht ist das geringe Wachstum an Leinwänden aber auch das erste Anzeichen für ein beginnendes Kinosterben – man wird sehen, was die Zukunft bringt!

Wer sich noch weiter in die Zahlen vertiefen will, findet sie wie üblich bei der eiren.

Aus aktuellem Anlass (eine Nachfrage per Mail) stelle ich heute mal einen (sehr) knappen Überblick über wichtige Filmfeste – mit Schwerpunkt auf Deutschland – zusammen, wie üblich natürlich vorzugsweise solche, die sich stark mit japanischen Filmen befassen.

  • Rotterdam: Das IFFR ging gerade am Sonntag zu Ende, findet normalerweise Ende Januar/Anfang Februar statt und hat traditionell einen ausgeprägten Japan-Schwerpunkt. 2010 waren (wenn ich mich nicht verzählt habe) 52 Filme aus Nippon im Programm, darunter aktuelle ebenso wie Klassiker.
  • Berlin: Die Berlinale startet übermorgen, bis Ende der 70er fand sie noch im Sommer statt, seitdem im Februar. Dieses Jahr sind etwa 20 japanische Filme im Programm, darunter einige besonders spannende Klassiker wie etwa mehrere Filme von Yasujiro Shimazu aus den 30er Jahren,  Filme von Nagisa Oshima sowie Kurosawas Ikiru. Außerdem sind Koji Wakamatsu und Yoji Yamada mit ihren neuen Filmen vertreten (letzterer wird auch für sein Lebenswerk geehrt).
  • Frankfurt: Zur NipponConnection, die immer Mitte April mehr als 100 japanische Filme und Kurzfilme zeigt, muss ich ja wohl kaum große Worte machen.
  • Barcelona: Das Barcelona Asian Filmfest läuft Ende April/Anfang Mai und weist einen starken japanischen Schwerpunkt auf (2009 waren es an die 40 Filme, das Programm für dieses Jahr ist noch nicht bekannt).
  • Udine: Fast zeitgleich mit dem BAFF findet in Udine das Far East Festival statt. Für dieses Jahr sind noch keine Details aus dem Programm bekannt, nur dass 15 noch nie außerhalb Japans gezeigte Filme des 1961 bankrott gegangenen Studios Shintoho geplant sind. Wer Udine nicht kennt: Das ist eine kleine Stadt im Nordosten Italiens, nicht weit von der österreichischen Grenze.
  • Hamburg: Unser kleines aber feines JFFH steht Ende Mai an und bringt so ca. 30-40 Filme aus Japan auf die Leinwand. Dabei legen wir einen ausgeprägten Schwerpunkt auf Nachwuchsfilmemacher und speziell die Region Osaka, die seit Jahren als Zentrum des Independent Film in Japan gilt.
  • München: Zum Jahresende im Oktober/November zeigt das Asia Filmfest eine beachtenswerte Auswahl japanischer Filme.

Weltweit gibt es natürlich noch eine ganze Reihe weiterer spannender Festivals, die ich irgendwann hoffentlich auch mal selbst besuchen kann, z.B. das Japanese Film Festival in Australien, das ähnlich wie das Fantasy Filmfest durch mehrere Städte tourt, das Asian Filmfest in Vancouver, das New York Asian Film Festival, das Los Angeles Asian Pacific Film Festival und natürlich die Filmfeste in Japan selbst, wie PIA und Tokyo FilmEX.

Vielleicht sieht man sich mal im Kino 🙂

Original: Akumu tantei (2006) von Shinya Tsukamoto

Zwei rätselhafte Selbstmorde, bei denen sich die Opfer (Täter?) im Schlaf auf brutalste Weise selbst töteten, beschäftigen die Tokyoter Polizei. Beide Opfer haben unmittelbar vor ihrem Selbstmord mit derselben Person telefoniert, auf ihren Handys finden sich mysteriöse Hilferufe. Für die hochdekorierte Analystin Keiko Kirishima (Hitomi), die frisch von der Polizei- Akademie in den aktiven Dienst gewechselt ist, ist dies ihr erster Fall und sie geht ihn mit dem ihr eigenen Ehrgeiz an.

Dazu geht sie auch ungewöhnliche Wege und nimmt Kontakt mit Koichi Kagenuma (Ryuhei Matsuda) auf, der die Fähigkeit besitzt, in anderer Menschen Träume einzudringen. Koichi will mit der Sache nichts zu tun haben, warnt Keiko aber davor, die Nummer anzurufen. Als jedoch einer von Keikos Kollegen den Anruf macht und sich danach im Schlaf umbringt, will sie der Sache endlich auf den Grund gehen und lässt sich ebenfalls auf die gefährliche Traumwelt ein.

Nightmare Detective Screenshot 2

Ich habe bisher noch keine anderen Filme von Tsukamoto gesehen, der 1989 mit seinem bahnbrechenden Werk Tetsuo the Ironman über Nacht Kultstatus erreichte. Er ist bekannt für alptraumhaft-morbide Filme, die sich teilweise an der Grenze zum Splatter bewegen, mit denen er die dunkle Seite der menschlichen Psyche erkundet. Vergleiche mit Filmemachern wie Cronenberg oder Lynch sind an der Tagesordnung.

Wegen dieses Hintergrunds und meiner Begeisterung für den im selben Jahr erschienenen atemberaubenden Anime Paprika, (der sich ebenfalls mit der Verquickung von Traum und Realität und dem Eindringen in Träume beschäftigt), war ich sehr auf Nightmare Detective gespannt und habe mir einiges davon versprochen. Leider wurde ich über weite Strecken enttäuscht.

Nightmare Detective Screenshot 4

Aber beginnen wir mit dem Positiven: Der Film ist überwiegend sehr reduziert und minimalistisch inszeniert, um nicht zu sagen kalt. Viele Szenen sind ganz in blau-grünen Tönen oder sehr dunkel gehalten. Auch werden die Hauptcharaktere sehr isoliert dargestellt. Dadurch entsteht eine bedrückende Stimmung, die gut zum Thema Selbstmord passt.

Im krassen Gegensatz zu dieser allgemein vorherrschenden Atmosphäre stehen die „Jagdszenen“ der Alpträume, in denen der „Traummörder“ über seine Opfer herfällt. Diese beeindruckenden Szenen sind ruckelig, rasant, voller Lichtblitze und begleitet von kakophonischen Soundeffekten – einem Mix aus metallischen und erdig-wässrigen Geräuschen, sehr schwer zu beschreiben. Von diesem handwerklich-ästhetischen Gesichtspunkt aus bietet der Film ein stimmiges, gut umgesetztes Konzept und ist absolut sehenswert.

Nightmare Detective Screenshot 6

Leider war’s das aber auch schon an positiven Aspekten. Denn abgesehen davon funktioniert der Film einfach nicht: Das Duell zwischen dem Mörder und seinen Verfolgern wird viel zu spät aufgebaut und nimmt erst in den letzten 20 Minuten Fahrt auf. Es ist zwar die ganze Zeit irgendwie klar, dass es auf einen Showdown hinauslaufen wird, aber als es dann soweit ist, kommt er völlig aus dem Nichts – und funktioniert auch nicht wirklich, weil vorher  keine Beziehung zwischen dem Mörder auf der einen und Keiko bzw. Koichi auf der anderen Seite entwickelt wurde. Alles bleibt irgendwie unmotiviert.

Ganz besonders leidet der Film aber an seinen Hauptcharakteren. Tsukamoto spielt selbst den Mörder, der aber erst in den letzten 20 Minuten des Films in Erscheinung tritt, und macht dabei mit Abstand die beste Figur. Ryuhei Matsuda, der eigentlich titelgebende Charakter, taucht nach seiner Einführung gleich am Anfang über lange Zeit ab und wirkt auch später wie ein Fremdkörper. Das Popsternchen Hitomi zeigt den ganzen Film hindurch (außer in der Schlusszene) eigentlich nur zwei Gesichtsausdrücke, nämlich „grübeln“ und „angespanntes grübeln“. Wie jemand auf IMDb bemerkte, ist ihre außergewöhnliche Schönheit außerdem irgendwie fehl am Platze und lenkt eher von den psychologischen Aspekten ihres Charakters ab – in meinen Augen eine Fehlbesetzung.

Nightmare Detective Screenshot 3

Alles in allem ist der Film einfach unausgereift: Die Charaktere bleiben seltsam ungreifbar und unbegreifbar, der Plot ist voller Lücken und Ungereimtheiten. Ein gutes Beispiel dafür ist die am Anfang  konstruierte Rivalität zwischen Keiko und einem älteren zynischen Kollegen, der sie immer wieder wegen ihrer Unerfahrenheit und ihrer hochhackigen Schuhe aufzieht – und der nach ca. 60 Minuten einfach auf nimmerwiedersehen aus dem Film verschwindet.

In einigen Kommentaren und Reviews habe ich gelesen, dass dieser Film für Tsukamoto eine Auftragsarbeit gewesen sein soll – das könnte eine Erklärung sein für die Schwächen des Plots und der Charaktere. Nightmare Detective ist kein wirklich schlechter Film und wer sich gern ein bisschen gruselt wird schon seinen Spaß dran haben, aber was mit dem Thema „Träume und Realität werden eins“ alles möglich ist, das sollte man sich besser bei Paprika anschauen.