Archive for August, 2013

Mal wieder legt das Japanische Kulturinstitut in Köln eine interessante Filmreihe auf, dieses mal stehen die „Kaidan“ genannten Geistergeschichten im Zentrum. Diese waren im 17. und 18. Jahrhundert sehr beliebt und so entstanden eine ganze Reihe von Klassikern, die speziell in den Nachkriegsjahrzehnten gerne verfilmt wurden. Dabei entstanden auch einige Meisterwerke, die z.T. auch zu sehen sein werden, wie etwa Masaki Kobayashis Kaidan.

Wie üblich beim JKI kommt die Info über die Filmreihe auf den allerletzten Drücker, die erste Vorstellung läuft bereits am Montag. Bis 30.09. werden zu sehen sein:

Viel Spaß beim Gruseln 😉

Ich will ja niemanden nerven, aber: Mein Buch „Zwischen Samurai und Helden des Alltags: Leben und Werk des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa“ gibt es inzwischen auch als Taschenbuch!

Für 19,99 Euro erhaltet ihr auf knapp 200 Seiten eine Biographie Kurosawas, Rezensionen zu allen seiner 30 Filme, Infos zu Wegbegleitern und wichtigen kulturellen und historischen Hintergründen der Filme sowie Tipps für weiterführende Literatur und den Kauf der Filme. Das Buch gibt es beispielsweise auf Amazon oder auch direkt beim Verlag zu bestellen, Versand ist natürlich kostenlos.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und freue mich über Feedback! 🙂

Original: Tsigoineruwaizen (1980) von Seijun Suzuki

Irgendwann in den 1920er Jahren begegnet der Deutschprofessor Aochi (Toshiya Fujita) in einem Küstenort seinem alten Freund Nakasago (Yoshio Harada), der beschuldigt wird, eine Frau getötet zu haben. Nachdem Aochi den Vorwurf entkräften konnte, verbringen die beiden einige Tage in der Gegend und sammeln dabei die Geisha Koine (Naoko Otani) auf. Nakasago, der die meiste Zeit in den Tag hinein lebt und es gewohnt ist, seine Begierden auszuleben, ist von Koine fasziniert und es entwickelt sich eine Affäre zwischen den beiden, bevor sich die Wege der drei wieder trennen.

Einige Monate vergehen, dann erfährt Aochi, dass sich Nakasago niedergelassen und geheiratet hat. Bei einem Besuch ist Aochi schockiert, dass Nakasagos Ehefrau Sono (Naoko Otani in einer Doppelrolle) der Geisha Koine frappierend ähnlich sieht und von Nakasago obendrein ziemlich herablassend behandelt wird, obwohl sie ein Kind von ihm erwartet. Es dauert nicht lange, und der rastlose Nakasago macht sich auf die Wanderschaft. Es entwickeln sich Affären zwischen Sono und Aochi, und später auch zwischen Nakasago und Aochis Ehefrau.

Wer die früheren Genre-Filme Suzukis voller Yakuza, Auftragskiller und Schießereien kennt, wird seinen Augen kaum trauen. Nach dem Rausschmiss bei Nikkatsu drehte Suzuki hier einen Film, der einen ständig im Unklaren lässt, der in voller Absicht mit seiner eigenen Künstlichkeit spielt, der sich mehr und mehr von einer linearen Handlung verabschiedet, den Zuschauer vor den Kopf stößt, und schließlich völlig abrupt endet. Selten bin ich mit so vielen Fragezeichen auf der Stirn aus einer Vorführung herausgekommen – und habe mich dabei doch vorzüglich unterhalten gefühlt.

Das dürfte zu einem guten Teil an der erstaunlichen Kreativität liegen, mit der Suzuki Handlungsfragmente zu einem bizarren Ganzen zusammenfügt, assoziativ zwischen Fragmenten springt und mit Stilelementen und Techniken überrascht. Auf der emotionalen Ebene werden permanent Treuebrüche, Eskapaden, Gewissensbisse, Misstrauen und Vertrautheit zwischen den Charakteren angedeutet und sofort wieder hinterfragt. Nichts ist verlässlich, nichts ist wie es scheint.

Zudem ist der Film von einem ständigen Hauch der Dekadenz durchzogen: Nakasago, der scheinbar ohne irgendwelche materiellen Abhängigkeiten durch die Lande streift und dabei einerseits alle seine Sinne zu befriedigen sucht, zugleich aber auch mit der Schwelle des Todes kokettiert und eine gewisse Morbidität ausstrahlt. Aochi, der mit seiner reichen Frau in luxuriösen Strandhäusern residiert. Die erotisch aufgeladenen Momente zwischen den beiden Ehepaaren tragen ebenfalls zu der besonderen Atmosphäre bei.

Zigeunerweisen basiert auf einem Roman von Hyakken Uchida, dem Autor und Deutschprofessor, dem Akira Kurosawa seinen letzten Film Madadayo gewidmet hatte. Der Filmtitel spielt auf die gleichnamige Komposition für Violine und Orchester des spanischen Komponisten Pablo de Sarasate an. Eine Schallplattenaufnahme dieses Stücks spielt im Film eine zentrale Rolle: Nakasago spielt seinem Freund Aochi die Aufnahme vor und weist ihn darauf hin, dass während der Aufnahme die Musiker einen kurzen Kommentar abgeben, dessen Inhalt die beiden aber nicht verstehen können. Am Ende des Films findet sich die Schallplatte plötzlich in Aochis Haus wieder, ohne dass der davon wusste.

Wie kaum einen anderen Film kann man Zigeunerweisen nach Lust und Laune interpretieren. Man kann an den Beziehungen der Akteure ansetzen, an Zeit und Gesellschaftsumständen des Japans der 1920er Jahre, bei den Elementen klassischer japanischer Geistergeschichten. Für mich ist es eine „Jekyll und Hyde“-Geschichte, die sich überwiegend in der Fantasie Aochis abspielt, der sich mit zunehmendem Verlauf des Films immer mehr in seiner Fantasiewelt verliert, bis er sich dem Rand des Wahnsinns nähert.

Zigeunerweisen wurde von Suzuki völlig unabhängig von einem Studio realisiert und fand zunächst keinen Verleih. Der Produzent Genjiro Arato ließ daraufhin den Film in einem speziell entwickelten mobilen Zelt aufführen – ein Überraschungserfolg. Er wurde 1981 in vier Kategorien mit den japanischen Academy Awards ausgezeichnet, darunter bester Film und beste Regie. Auch bei anderen Festivals und von dem renommierten Filmmagazin Kinema Junpo mit Preisen überschüttet und gilt als einer der besten japanischen Filme der 1980er Jahre. Sicherlich ist der Film nicht jedermanns Sache, aber wer Freude an ungewöhnlichen, anspruchsvollen Filmen hat, wird hier ein wahres Juwel finden. Bleibt nur zu hoffen, dass das Werk irgendwann auch bei uns auf DVD oder Bluray verfügbar wird.

Einen Leckerbissen der ganz besonderen Art hat Berlin am 15.08.2013 zu bieten: Der Filmsalon Charlottenburg zeigt um 20 Uhr  Yasujiro Ozus Komödie Tokyo Chorus aus dem Jahr 1931, eines der ältesten vollständig erhaltenen Werke des großen Meisterregisseurs.

Der Film zeigt, wie der gutmütige Versicherungsmakler Okajima und seine Familie sehnsüchtig dem Zahltag des Jahresbonus entgegenfiebern, schließlich soll Spielzeug für die Kinder her. Doch statt dem Geldregen kommt es zum bösen Erwachen: Okajima wird gefeuert, die Familie muss um ihre Existenz kämpfen.

Tokyo Chorus wird gezeigt in der Sammlung Scharf-Gerstenberg:
19.00 – Kostenlose Kurz-Führung durch die Ausstellung der Sammlung
20.00 – Beginn der Vorstellung mit einer kurzen Einführung
Eintritt 8/4 Euro

Und wer sich jetzt gleich hier in den Kommentaren meldet und dabei seine Email hinterlässt, kann 2 Eintrittskarten gewinnen!

Wäre das doch nur an einem Wochenende, dann würde ich selber hinfahren 🙁

Original: Okami kodomo no ame to yuki (2012) von Mamoru Hosoda

Die Studentin Hana verliebt sich in einen mysteriösen Kommilitonen – der sich als Wolfsmann, also ein Wolf in Menschengestalt, herausstellt. Dennoch werden die beiden zusammen glücklich und bekommen zwei Kinder – das Mädchen Yuki und und den Jungen Ame. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes zieht Hana die beiden allein groß, immer in der Furcht, dass Nachbarn oder andere Mitmenschen bemerken könnten, dass sich ihre Kinder manchmal spontan in kleine Wölfe verwandeln. Als sich auch noch das Jugendamt einschaltet, weil die beiden noch nie beim Arzt waren, flüchtet Hana aufs Land, in die Heimat ihres Wolfsmannes.

Die kleine Familie bezieht ein altes heruntergekommenes Haus, das Hana wieder auf Vordermann bringt. Zwar scheitern erste Versuche, selbst Gemüse anzupflanzen, aber bald bekommt sie Unterstützung von Leuten aus dem Dorf, allen voran von einem alten mürrischer Kauz, der die junge, selbstbewusste Frau offenbar in sein Herz geschlossen hat. Doch auch wenn sich Hana in ihrem neuen Leben immer besser zurecht findet, die heranwachsenden Kinder spüren immer mehr die Bürde ihrer Herkunft. Die aufgeweckte und lebendige Yuki sucht die Nähe zu ihren Schulfreundinnen, integriert sich und lernt eifrig, während Ame sehr in sich gekehrt ist und mit der Welt der Menschen wenig anfangen kann.

Der Verlauf der Zeit war bereits in Mamoru Hosodas Debut Das Mädchen, das durch die Zeit sprang ein zentrales Element. In Ame & Yuki war die Herausforderung nun eine völlig andere, hier geht es nicht darum dramatische Zeitsprünge darzustellen, sondern um die langsam dahinfließenden Jahre. Entsprechend hat er großen Wert darauf gelegt, den Verlauf der Zeit sehr realistisch in den Charakterdesign und die Stimmung des Films zu integrieren. Man kann der kleinen Familie ganz gemächlich beim älter werden zusehen, bildhaft auf den Punkt gebracht unter anderem durch die jährlichen Markierungen der Größe der Kinder an einem Balken, und den Wandel der Jahreszeiten.

Überhaupt spielt das Verhältnis zur und der Umgang mit der Natur eine wichtige Rolle im Film. Das beginnt mit Hanas kläglichen Versuchen, sich im Gartenbau zu betätigen, die erst mit Unterstützung der erfahrenen Bauern aus der Umgebung Früchte tragen. Besonders in der zweiten Hälfte, die sich immer stärker den beiden Kindern und ihren unterschiedlichen Wegen widmet, steht die Nähe zur Natur aber auch für die Andersartigkeit von Ame und Yuki. In einer wunderschönen Montage verschreckt Yuki mehrmals die anderen Mädchen mit ihrer Sammlung aus Tierknochen oder indem sie – statt Blumen zu pflücken und daraus Schmuck zu basteln – eine Schlange als Armreif nimmt.

Auch wenn Art Director Hiroshi Ohno diese Rolle auch bereits bei Kikis kleiner Lieferservice innehatte, mit den grandiosen Panoramen des Studio Ghibli kann Ame & Yuki nicht mithalten. Umso beeindruckender sind dafür die dynamischen Szenen, etwa spielerische Verfolgungsjagden im Schnee oder die rasanten Erkundungstouren von Ame durch die dichten Wälder.

An Hosodas ersten beiden Filmen begeisterte mich vor allem, wie er eine clevere Story auf spannende, hochgradig unterhaltsame Weise erzählt, und dabei durchaus ernste Themen wie den Umgang mit Tod und Verlust einband. Sein dritter Film ist deutlich ruhiger und kommt fast ganz ohne Action aus, ist dafür aber wirklich vollgepackt mit starken Botschaften und einer außergewöhnlichen Heldin.

Selten habe ich in einem Film eine so starke und selbstbewusste, dabei aber zugleich normale Frauenrolle gesehen. Hana kämpft nicht gegen irgendwelche Schurken, wird nicht von dramatischen Schicksalsschlägen ereilt (wenn man mal vom Tod ihres Mannes absieht) oder muss sich in Katastrophensituationen bewähren. Sie ist einfach eine junge Mutter, die allein zwei Kinder großzieht und für ihre Kinder das Beste will. Um das zu erreichen entscheidet sie sich bewusst, ihr ganzes bisheriges Leben aufzugeben und in einer fremden Umgebung nochmal neu anzufangen und etwas aufzubauen. Und sie zieht das durch, eisern sich selbst gegenüber aber immer offen für andere Menschen und die – in diesem Fall etwas besonderen – Bedürfnisse ihrer Kinder. Hana ist gewissermaßen die Verkörperung der „can do“-Einstellung.

Zwar wollte Hosoda vor allem einen Film über die Entwicklung einer jungen Frau zur verantwortungsbewussten Mutter drehen, aber Ame und Yuki repräsentieren zudem die Menschen unter uns, die vielleicht auf Grund ihrer Herkunft, Denkweise, sexuellen Orientierung oder einer Behinderung nicht in das übliche Schema passen. Der Umgang mit solchen Menschen und welche Konflikte sie selbst mit sich und ihrem Umfeld austragen müssen, rückt besonders in der zweiten Hälfte immer mehr in den Mittelpunkt des Films. Yuki leidet unter Akzeptanzproblemen und versucht verzweifelt, sich möglichst anzupassen bis zu dem Punkt, dass sie kein Wolf mehr sein will. Ame auf der anderen Seite tut sich schwer, einen Platz in der Welt der Menschen zu finden und fühlt sich immer stärker zu seiner wölfischen Seite hingezogen. So müssen die beiden für sich ihren eigenen Weg finden und der Film schildert ihre Erfahrungen dabei sehr einfühlsam.

Mit Ame & Yuki – Die Wolfskinder hat Mamoru Hosoda nun schon den dritten exzellenten Film in Folge vorgelegt, der durch eine intelligente, mitreißende Story, authentische und zugleich doch inspirierende Charaktere und wunderschöne Animation besticht. Kein Wunder, dass er letztes Jahr zu den erfolgreichsten Filmen in den japanischen Kinos zählte. Dass der Film so schnell den Weg zu uns gefunden hat und nun als DVD und BD erhältlich ist, ist ein weiteres deutliches Zeichen für die große Wertschätzung und die Fangemeinde, die der Mittvierziger sich innerhalb weniger Jahr national und international erarbeitet hat. Ich freue mich jetzt schon auf seinen nächsten Film!