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Original: Omoide poro poro (1991) von Isao Takahata

Neben Hayao Miyazaki wird Isao Takahata als Mitbegründer des Studio Ghibli gerne mal vergessen, und seine Filme sind – mit Ausnahme vielleicht von Die letzten Glühwürmchen – auch sehr viel weniger bekannt. Aber Takahata ist nicht nur einer der besten Freunde und engsten Mitarbeiter Miyazakis, er ist ihm auch künstlerisch absolut ebenbürtig. Memories of Yesterday ist dafür eindrucksvoller Beleg.

Die Tokyoter Angestellte Taeko bereitet sich auf ihren jährlichen Besuch bei einer befreundeten Familie auf dem Land vor. Zum Unverständnis aller fährt sie dorthin, um tatsächlich der Landarbeit nachzugehen: Sie freut sich darauf, Kühe zu melken, Reis zu pflanzen und Diesteln zu pflücken. Unterwegs auf der Zugfahrt drängen sich ihr dann eine Reihe Kindheitserinnerungen auf, so dass sie auf der Reise regelrecht von ihrem 10-jährigen Ich begleitet wird.

Bei der Ankunft wird sie von Toshio, einem jungen Öko-Bauern und guten Freund ihrer Gastfamilie abgeholt. Sofort ist Taeko von der Freude Toshios an der Arbeit mit der Natur und seiner Entschlossenheit und klaren Ansichten über den Umgang mit der Natur und das Leben ganz allgemein fasziniert. Doch so sehr sie die Arbeit auf dem Feld und die Ausflüge mit Toshio auch genießt, immer mehr Erinnerungen an ihre Kindheit – Hänseleien in der Schule, das erste Verliebtsein, Streitereien mit ihren Schwestern – holen sie ein und lassen sie zunehmend an sich zweifeln. Sie teilt viele ihrer Erinnerungen mit Toshio, neben dem sie sich einerseits zwar geborgen fühlt, andererseits aber verglichen mit ihm auch unreif, und das obwohl sie älter ist als er. Als sie am Abend vor ihrer Abreise plötzlich von ihrer Gastfamilie gefragt wird, ob sie nicht bleiben und Toshio heiraten möchte, brechen ihre inneren Konflikte hervor und sie muss sich endlich entscheiden, wie sie ihr Leben leben will.

Nun kommt aber erst der eigentliche Geniestreich Takahatas und wer den Film noch sehen und ganz genießen will sollte hier erstmal nicht weiterlesen und diesen und den nächsten Absatz besser überspringen: Er lässt Taeko nämlich am nächsten Morgen sich zunächst verabschieden und die Rückreise nach Tokyo antreten. Während die Abspanntitel zu laufen beginnen, denken wir, der Film ist zu Ende, sind verblüfft angesichts dieses unerwarteten und unbefriedigenden Ausgangs. Doch wie Taeko im Zug nach Tokyo sitzt und grübelnd vor sich hin starrt, kommt durch das offene Fenster plötzlich ein Schmetterling herein und mit ihm wieder einmal alle Erinnerungen. Beim nächsten Halt des Zuges steigt Taeko dann aus, kehrt um und bleibt bei Toshio.

Was hat es mit diesem hochgradig ungewöhnlichen und sehr emotionalen Ende des Films auf sich? Takahata will damit meiner Meinung nach zum Ausdruck bringen, dass es nie zu spät ist, das Richtige zu tun und sich für ein Leben zu entscheiden, das einem Erfüllung bietet.

Am Anfang des Films ist Taeko eine gewöhnliche, alleinstehende Mittzwanzigerin mit einem Job, der sie nur ernährt, ihr aber nichts bedeutet und deren Mutter sich langsam Sorgen macht, ob sie noch unter die Haube kommt. Sie lebt ziel- und haltlos vor sich hin und merkt es nicht einmal. Die über den ganzen Film verteilten Erinnerungen an ihre nicht immer ganz einfache aber letztlich völlig normale Kindheit, mit denen sich die allermeisten Nachkriegsjapaner sofort identifizieren dürften, bestätigen sie als symbolhafte Vertreterin einer ganzen Generation. Einer Generation, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um zu merken, dass sie stagniert und es versäumt hat, einen Platz im Leben und wahre Erfüllung zu finden.

Der Schlüssel für den Film ist dabei der Schmetterling. Das Bild des Schmetterlings taucht bereits relativ früh in einer Szene auf, in der die junge Taeko und ihre Mitschülerinnen in Sexualkunde und über die Entwicklung ihres Körpers in der Pubertät aufgeklärt werden. Während zwei Schmetterlinge gen Himmel flattern, sinniert die kleine Taeko darüber, wie sie jetzt vielleicht aus einer Raupe zu einem Schmetterling wird.

Und während dieses körperliche Erblühen ganz von selbst und ohne ihr Zutun erfolgt, bleibt ein vergleichbarer charakterlicher Quantensprung aus, sie versäumt es, sich mit ihren Erfahrungen, Träumen, Sehnsüchten auseinander zu setzen und daraus die eigentlich offensichtlichen Konsequenzen für ihr Leben zu ziehen. Bis zu diesem Moment auf der Rückfahrt nach Tokyo, als wieder der Schmetterling symbolhaft für den Beginn einer neuen Phase ihres Lebens steht.

Takahata wird öfters vorgeworfen, mit Memories of Yesterday das Leben auf dem Land in Harmonie mit der Natur zu idealisieren und unkritisch als erstrebenswerte alternative Lebensform zu unserer modernen Industriegesellschaft zu propagieren. Ich kann verstehen, dass angesichts der traumhaft schönen Bilder von Taeko und ihren Freunden in der freien Natur dieser Eindruck entstehen kann.

Doch zum einen ist dies ein Stilmittel, um einen möglichst klaren Gegensatz zwischen den in schlichten Pastellfarben gehaltenen Erinnerungen Taekos auf der einen und ihrem normalen Leben zu etablieren. Zum anderen wird mehrfach klar, dass es weniger das Leben auf dem Land als solches ist, was Taeko fasziniert und magisch anzieht, sondern vielmehr der Umstand, dass dieses Leben ihr und Toshio Erfüllung gibt. Dies ist der entscheidende Punkt, und nicht, welcher Lebensstil es ist, aus dem man diese Erfüllung zieht.

Was jenseits der Message des Films und der atemberaubenden Bilder an Memories of Yesterday fasziniert ist seine Darstellung von und Verankerung in der Realität. Die Charaktere und ihre Beziehungen sind zu einem Grad menschlich und authentisch, wie es selten in irgendeinem Film ist, geschweige denn in einem Anime. Dadurch berührt Takahatas Film den Zuschauer auf einer persönlich-emotionalen Ebene, welche die Filme von Miyazaki mit ihren Fantasiewelten und zumeist außergewöhnlichen Charakteren niemals erreichen könnten.

In dieser Hinsicht bewegt sich Takahata eher auf einer Linie mit den alten Meistern wie Mikio Naruse und vor allem Yasujiro Ozu. Speziell an Ozus Filme erinnert Memories of Yesterday nicht nur wegen der Darstellung des Familienlebens in der Wirtschaftswunderzeit, sondern auch weil Takahata dessen Opening Titles ebenfalls mit Sackleinen unterlegt. Takahata hat hier ein absolutes Meisterwerk geschaffen, das leider viel zu oft übersehen wird.

Original: Hōhokekyo tonari no Yamada-kun (1999) von Isao Takahata

Mit diesem Film begann im Studio Ghibli das digitale Zeitalter, es ist der erste des berühmten Animationsstudios, der komplett ohne die analog bemalten Cels auskam. Doch wer jetzt eine überschwängliche 3D-Welt erwartet, wird komplett enttäuscht: My Neighbors the Yamadas ist im Stil einfacher Wasserfarben- Skizzen gehalten und erinnert fast ein bisschen an ein Storyboard.

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Zu Beginn werden uns die Mitglieder der Familie Yamada vorgestellt, mit deren Leben und Zusammenleben sich der Film in einer Reihe von Episoden beschäftigt: Die Eltern Matsuko und Takashi, die Tochter Nonoko und der Sohn Noboru sowie Oma Shige. Eine durchgehende Handlung ist nicht vorhanden, vielmehr werden in einzelnen Szenen aus dem Alltag die Tücken des Ehe- und Familienlebens aber auch seine schönen Seiten thematisiert.

Die meisten der Episoden sind herrlich komisch, etwa wenn Matsuko und Takashi in einem „Fechtkampf“ mit Fernbedienung und Zeitung austragen, wer das Fernsehprogramm bestimmt, oder wenn Shige und ihr Sohn über Haus und Grundstück streiten und plötzlich Enkel Noboru ein „Was streitet ihr euch, am Ende gehört sowieso alles mir“ dazwischenwirft. Viele der Szenen dienen aber auch dazu, die Charaktere zu beleuchten, hintergründige Alltagsweisheiten zu vermitteln oder zum Nachdenken anzuregen. In diesen Fällen steht am Ende der Episode ab und an ein Haiku von großen Meistern wie Basho oder Buson und eine leichte Melancholie liegt in der Luft.

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Das wunderbare an My Neighbors the Yamadas sind die liebenswert chaotischen, schrägen Personen, in denen sich jeder ein Stück weit wiedererkennt und mit denen die Identifikation deshalb sehr leicht fällt, sowie seine Allgemeingültigkeit. Abgesehen von ganz wenigen Szenen, in denen spezifisch japanische Traditionen im Mittelpunkt stehen (aus dem Stehgreif fällt mir da jetzt nur ein, wie Takashi einen neuen Rekord im Verteilen der Neujahrskarten aufstellt), ist jeder Zuschauer mit den Situationen vertraut. Sei es aus seiner eigenen Jugend wie im Falle Noborus (Schulstress, erste Liebe), dem Arbeitsleben Takashis oder der eigenen Familie: Die kleinen, alltäglichen Reibereien im Zusammenleben von Mann und Frau, Eltern und Kindern. Diese werden immer originell und ohne Partei zu beziehen dargestellt.

Regisseur Takahata, Schöpfer des unvergesslichen Hotaru no haka, zelebriert hier regelrecht die Freuden aber auch Merkwürdigkeiten des Familienlebens und geht damit auf die Familienmüdigkeit vieler – gerade junger – Menschen ein und führt ihnen gleichzeitig eine andere Perspektive auf die Familie vor Augen. Mit dieser Thematik und der ungewöhnlichen Ästhetik des Films stellt er eindrucksvoll seine außergewöhnliche Vielseitigkeit unter Beweis. Ein wunderschöner, unterhaltsamer Film voller kleiner Wahrheiten, wahrhaftig ein Film für die ganze Familie, der seine ganzen Magie aber wohl nur in der japanischen Originalversion entfalten kann.