Archive for Oktober, 2007

Eigentlich unfassbar, aber tatsächlich wahr: In bisher sechs Ausgaben der Blogschau hab ich noch mit keinem Wort ryuganji erwähnt! Aber immerhin ist dieser exzellente Insider-Blog schon seit eh und je Bestandteil der Blogroll; trotzdem höchste Zeit, ihn etwas ausführlicher vorzustellen. Neben seinen oft sehr pointierten Meinungsäußerungen zu Filmen oder Entwicklungen der japanischen Filmindustrie trumpft ryuganji vor allem immer wieder mit Übersetzungen interessanter, gut recherchierter News aus dem Japanischen auf. Seine Schwerpunkte sind definitiv das zeitgemäße japanische Kino, auch wenn er den großen Meistern sichtbar nachtrauert, sowie der Zustand der japanischen Filmindustrie. Einziges Manko: Er müsste eigentlich viel öfter schreiben!

Ganz frisch bin ich dagegen auf Nippon Cinema gestoßen, der wohl auch nur unregelmäßig postet und sich dann hauptsächlich mit Trailern beschäftigt. Aber neben einer recht umfangreichen Liste von Reviews – ausschließlich zu Filmen der letzten 10 Jahre – hat er auch noch eine hilfreichen Liste mit Links zu bieten. Da kann man auch mal ein Auge drauf haben.

Original: Tenku no shiro Rapyuta (1986), von Hayao Miyazaki

Dies war der erste „offizielle“ Film des 1985 gegründeten, inzwischen weltberühmten Studio Ghibli. Nausicaä aus dem Tal der Winde wurde 1984 noch unter dem Dach von Tokuma Shoten produziert, allerdings vom selben Team das dann auch das Studio Ghibli gründete, weshalb er heute auch zu den Ghibli-Filmen gezählt wird.

Castle in the sky Screenshot1

Das Mädchen Sheeta wird wegen eines Kristalls, den es als Medaillon trägt, sowohl von einer Bande Piraten als auch dem Geheimagenten Mushka gejagt. Auf der Flucht stürzt Sheeta aus einem Flugzeug. Der Kristall sorgt jedoch für eine weiche Landung in einem Bergarbeiterdorf, wo sie auf Pazu trifft, der verständlicherweise von dem schwebenden Mädchen sehr beeindruckt ist. Pazu, der davon träumt, die Existenz der fliegenden Stadt Laputa zu beweisen, hilft Sheeta, ihren Verfolgern zu entkommen, wobei sich die beiden bald näher kommen. Schließlich offenbart sie ihm, dass sie von Bewohnern Laputas abstammt.

Sie können die Verfolger jedoch nicht lange abschütteln und geraten in die Gefangenschaft Mushkas, der es ebenfalls auf Laputa und die überlegene Technologie der Stadt abgesehen hat. Um Sheeta zur Kooperation zu bewegen, lässt er Pazu frei, der sich der Piratenbande von Mama Dola anschließt, um gemeinsam mit ihnen Sheeta zu befreien, den Kristall zu bergen und Laputa zu finden. In einer halsbrecherischen Befreiungsaktion gelingt ihnen dies auch, doch Mushka behält den Kristall, so dass es zu einem Wettrennen nach Laputa kommt.

Castle in the sky Screenshot5

Das Schloss im Himmel weicht in einer Hinsicht stark von anderen Filmen Miyazakis ab: Es gibt keinen einzelnen Helden, sondern deren zwei. Die beiden Jugendlichen Sheeta und Pazu stehen absolut gleichberechtigt im Zentrum des Films, auch wenn Sheetas Charakter eine stärkere Wandlung durchläuft als Pazu. Ist ihr Auftreten anfangs noch stark durch Reaktion geprägt und ihr Handeln wenig eigenständig, gewinnt sie im Laufe der Ereignisse und besonders am Ende in der Auseinandersetzung mit Mushka an Statur und Reife, was Miyazaki wie auch bei anderen seiner Heldinnen am Ende dadurch zum Ausdruck bringt, dass sich ihre Frisur verändert (sie verliert ihre langen Zöpfe).

Im Laufe des Films wechselt die Perspektive immer wieder zwischen den beiden Hauptcharakteren, wodurch sich auch der Blick auf die anderen Akteure, besonders die Piraten von Ma Dola, stark verschiebt. Diese erweisen sich nämlich in der zweiten Hälfte des Films, nachdem sie aus Pazus Blickwinkel beleuchtet wurden, als zwar rauhe aber im Kern doch liebenswerte Bande großer Kinder. Insbesondere Ma Dola übernimmt für die beiden Jugendlichen eine Art Mutterrolle.

Auch die Wahrnehmung von Laputa und der damit verbundenen scheinbar allmächtigen Technologie ändert sich mehrmals. Zunächst ein exotisches, in Form des Kristalls Schutz versprechendes Geheimnis, wird durch das Auftauchen eines alles vernichtenden Kampfroboters die mit der Ungewissheit verbundene Bedrohung betont. Nach der Ankunft auf Laputa werden vorübergehend die friedlichen Aspekte der Stadt hervorgehoben, bevor der Missbrauch der Technologie durch den machtbesessenen, größenwahnsinnigen Mushka dann das ganze Gefahrenpotenzial vor Augen führt.

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Somit reiht sich Das Schloss im Himmel in dieser Hinsicht nahtlos in die Reihe von Filmen ein, in denen sich Miyazaki kritisch mit Technologie auseinandersetzt. Noch stärker aber als in Prinzessin Mononoke, Nausicaä oder Das wandelnde Schloss weist er hier darauf hin, dass es letztlich der Mensch ist, der durch die Art der Verwendung der Technologie dieser erst einen Wert zuweist, und der kann sowohl positiv wie auch negativ sein. Insbesondere die im Vorspann angedeutete und im Hintergrund stets präsente Geschichte der technologisch so fortgeschrittenen Erbauer Laputas mahnt im Zusammenspiel mit der Problematisierung des Umgangs mit Technik vor der Hybris der Menschheit.

Natürlich ist auch das Motiv des Fliegens wieder einmal allgegenwärtig und Miyazaki ließ seiner Fantasie beim Entwerfen der absonderlichsten Fluggeräte freien Lauf. Allgegenwärtig sind in Das Schloss im Himmel natürlich auch die Wolken, die in vielen Szenen regelrecht ein Eigenleben entwickeln, mal verheißungsvoll, mal bedrohlich wirken und dann wieder Schutz versprechen.

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Die Welt der Bergwerksarbeiter, die in der ersten Hälfte eine so wichtige Rolle spielt, beruht auf mehreren Besuchen Miyazakis in Wales, wo ihn der Widerstand der Kumpel gegen die unter der Thatcher-Regierung erfolgenden Minenschließungen sehr beeindruckte: „I admired the way they battled to save their way of life, just as the coal miners in Japan did. Many people of my generation see the miners as a symbol; a dying breed of fighting men.“

Das Schloss im Himmel ist wie kaum ein anderer Film Miyazakis mit Action vollgepackt und spricht damit, den Mecha-Elementen und den beiden Helden ein breites Publikum an. Zudem ist er – im Gegensatz beispielsweise zu Chihiros Reise ins Zauberland – auch recht leicht zugänglich, verzichtet auf Bezüge zum japanischen Kontext und die Botschaft ist gut verständlich. Also eher nicht das große Meisterwerk, aber ein intelligenter Film, mit dem man eigentlich nichts falsch machen kann. Wie könnte es bei Miyazaki auch anders sein!

Kinder, fangt schon mal an zu sparen, in den nächsten Monaten kommen eine Reihe von DVDs auf den Markt, die allesamt ein Muss sind:

Wie gerade gelesen bringt Criterion eine 5-DVD-Box mit frühen Filmen Akira Kurosawas raus. Enthalten sind: Der Idiot, Ein wunderschöner Sonntag, Skandal, Bilanz eines Lebens und der ganz großartige Kein Bedauern für meine Jugend. Der Preis liegt im Criterion-Shop bei 55,96 US-$, was beim gegenwärtigen Umrechnungskurs noch nicht mal 40 Euro sind! Allerdings sollte man zu diesem Spottpreis nicht den sonst üblichen Criterion-Standard erwarten. Update: Geplanter Erscheinungstermin für die Box ist der 15. Januar 2008, als Weihnachtsgeschenk ist sie also nicht mehr tauglich.

Dann hat mich Marcel freundlicherweise darauf hingewiesen, dass demnächst (genauer: am 26. November 2007) eine neue Naruse-Box von BFI erscheint, die mit Floating Clouds, When a woman ascends the stairs und Late Chrysanthemums drei seiner bekanntesten Filme enthält. Dazu gehört dann auch allerlei Bonus-Material wie Audiokommentare und ein illustriertes Booklet. Bei MovieMail liegt der Preis bei 33,99 Pfund, umgerechnet etwa 48 Euro. Im Amazon-Katalog ist die Box auch schon enthalten, dort allerdings für stolze 70 Euro.

Und zu guter Letzt hat Eureka eine ganze Reihe von Veröffentlichungen aus Kenji Mizoguchis Kanon angekündigt, bei der immer zwei Filme in einem Bundle zusammengehören. Den Anfang macht im November der Doppelpack aus Sansho the Bailiff und Gion festival music, dessen Ausstattung (neue, hochwertige Kopie, Kommentare, ein 80-seitiges Buch) vom allerfeinsten ist. Preise sind mir bisher nicht bekannt. Der weitere Fahrplan sieht dann im Februar Eine Erzählung nach Chikamatsu und The crucified woman vor, für März sind Ugetsu und Miss Oyu geplant und für April Empress Yang Kwei Fei und Street of Shame.

So, ich muss jetzt erstmal den ganzen Sabber von der Tastatur wischen… 😉

Mark Le Fanus 2005 erschienenes Buch Mizoguchi and Japan über Kenji Mizoguchi und dessen filmisches Schaffen ist das einzige ausschließlich Mizoguchi gewidmete, englischsprachige Buch, das derzeit auf dem Markt ist. Klar, dass ich daran nicht vorbeikam.

Umso enttäuschter war ich, als mir nach dem Lesen der ersten Seiten klar wurde, was das Buch nicht ist: Eine gut strukturierte, analysierende und nach Erkenntnisgewinn strebende Auseinandersetzung mit Mizoguchis Filmen. Mit gerade einmal knapp 200 Seiten ist es dafür auch fast schon zu dünn geraten. Jetzt könnte man meinen, dass es dann wohl eher eine Einführung ist, die einen knappen Überblick vermittelt, aber dafür nicht in die Tiefe geht. Aber auch das trifft es nicht. Ich hatte beim Lesen eher den Eindruck, dass Mizoguchi and Japan statt dessen einer Sammlung von Essays und Gedanken gleicht, die sich größtenteils mit Mizoguchis Filmen und daneben noch etwas mit der japanischen Kulturgeschichte befassen.

Le Fanu setzt bei seinen Auseinandersetzungen mit den Filmen vieles voraus, sowohl was den kulturellen Hintergrund betrifft als auch die Filme selbst. Wenn man diese selbst schon gesehen hat, liefert er reichlich Denkanstöße und Interpretationen, an denen man sich mit den eigenen Gedanken wunderbar reiben kann. So ging es mir beispielsweise bei seinen Besprechungen von Die Dame von Musashino oder Ugetsu. Ist dies nicht der der Fall, lässt das Buch den Leser ziemlich allein im Regen stehen.

Was das Lesen zudem erschwert, ist die mangelhafte Strukturierung. Zunächst werden wir kurz – all zu kurz, die japanische Filmindustrie etwa wird auf einer Seite abgehandelt – in den japanischen Kontext eingeführt, dann in die Arbeitsweise Mizoguchis. Hier wird es langsam interessant, es kommt unter anderem die lange Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Yoshikata Yoda zur Sprache, Mizoguchis Detailbesessenheit und sein kühles Verhältnis zu seinen Schauspielern. Doch auch diesen Teil wünscht man sich deutlich ausführlicher.

So weit so sinnvoll, doch nun beginnt Le Fanu die Auseinandersetzung mit den Filmen Mizoguchis direkt mit den „Großen Drei“, Das Leben der Frau Oharu, Ugetsu und Sansho Dayu. Anstatt also dem Leser aufzuzeigen, welche Entwicklung Mizoguchi und seine Filme nahmen, die letztlich zu diesem Dreigestirn seiner bekanntesten Werke führte, ihn darauf vorzubereiten, werden wir direkt mit der Nase darauf gestoßen. In vier weiteren daran anschließenden Kapiteln werden jeweils einige thematisch verwandte Filme zusammen besprochen:

  • Geisha, Prostitution and the street: Innerhalb dieses Kapitels werden sowohl die beiden bekanntesten Werke der 1930er, Die Schwestern von Gion und Osaka Elegy, wie auch die späten Werke besprochen.
  • Visions of History: Im längsten Kapitel des Buchs werden einige der großen jidaigeki vorgestellt, darunter Eine Erzählung nach Chikamatsu und Die 47 Samurai sowie Mizoguchis erste Farbfilme Empress Yang Kwei Fei und Tales of the Taira Clan. Die thematische Überschneidung mit dem Kapitel zu den „Großen Drei“ liegt auf der Hand.
  • Respectable Women: Hier handelt Le Fanu auf 20 Seiten ein halbes Dutzend der weniger bekannten Filme Mizoguchis aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen 1946 und 1951 ab.

Diese sprunghafte, keinem klar erkennbaren Ordnungsschema oder einer übergeordneten Fragestellung folgende Beschäftigung mit den Filmen macht das Buch nicht nur schwer lesbar, sondern lässt auch kaum ein Bild vom großen Ganzen im Kopf des Lesers entstehen. In meinen Augen ist Mizoguchi and Japan eine vertane Chance.

Denn der Autor hat offenbar interessante Gedanken mitzuteilen und das über einen der ganz großen Filmemacher, über den bisher kaum publiziert wurde (jedenfalls außerhalb Japans). Hier hätte Le Fanu mit etwas mehr Struktur und Ausführlichkeit eine Marktlücke füllen und ein echtes Standardwerk schaffen können. Darauf muss der geschätzte Mizoguchi-Verehrer nun weiter warten und sich unterdessen damit trösten, dass trotz allem doch viel Gutes (auch wenn sich das in dieser Kritik anders anhören mag) in diesem Buch steckt.

Originaltitel: Ikiru (1952), von Akira Kurosawa

Von all den großartigen, mitreißenden, beeindruckenden und gedankenanstoßenden Filmen Kurosawas ist Einmal wirklich leben mir der Liebste. Kein anderes Werk konzentriert sich so auf einen Charakter, verzichtet so konsequent auf handlungsinduzierte Spannung und bringt doch so sehr auf den Punkt, worum es Kurosawa in der ersten Hälfte seiner Regiekarriere ging.

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Kanji Watanabe (Takashi Shimura), Abteilungsleiter einer städtischen Beschwerdestelle, steht kurz vor der Pensionierung als er erfährt, dass er an Magenkrebs leidet und nur noch wenige Monate zu leben hat. Nach dem ersten – großartig inszenierten – Entsetzen klammert er sich an die Dinge seines Lebens, die ihm Halt geben sollen.

Doch seine Enttäuschung ist schmerzhaft und allumfassend: Seine Auszeichnungen von der Behörde erscheinen ihm beedeutunglos, ja wie Hohn. Ihm wird schmerzhaft bewusst, dass er all die Jahre als machtloses Rädchen in der Bürokratie verschwendet hat. Sein über alles geliebter Sohn kümmert sich nicht um ihn und ist nur um sein Erbe sorgt. Arbeit und Familie, die Eckpfeiler des Lebens, erweisen sich als bloße Fassade, die nun, da Watanabe auf sie angewiesen wäre, in Trümmern gehen.

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Nun wendet er sich den weltlichen Freuden zu, stürzt sich ins Nachtleben, trinkt, spielt und tanzt und kann dadurch seine Einsamkeit doch nicht abschütteln. Er beginnt auch eine kurze Freundschaft mit einer früheren Mitarbeiterin, doch sie weiss nicht so recht, was sie mit dem alten Mann anfangen soll und ihm wird klar, dass er das was er sucht, nämlich eine Bestätigung für den Sinn seines Lebens, nicht durch sie finden kann.

Bei einer Begegnung der beiden in einem Cafe, in dem gerade eine Geburtstagsfeier stattfindet, erinnert sich Watanabe an einige Frauen aus einem armen Stadtviertel, die für ihre Kinder einen Spielplatz bei seiner Behörde beantragt hatten. Er beschließt, diesen Spielplatz wahr werden zu lassen und kämpft ohne Unterlass, ohne Rücksicht auf seine eigene Person und seinen Ruf gegen die Widerstände der Bürokratie, um seinem Leben doch noch einen Sinn zu geben.

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An dieser Stelle bricht Kurosawa den Film in zwei Teile, die Handlung springt in die Zukunft, Watanabe ist tot. Bei seiner Beerdigung streiten die Politiker und Beamten sich darum, wem die Ehren für den Bau des Spielplatzes zustehen, die Bürokratie hat sich nicht verändert und ignoriert weiterhin die Bedürfnisse der Menschen. Aber für ein paar spielende Kinder hat Watanabe die Welt verändert. Und was das wichtigste ist, er hat durch das was er getan hat zu sich selbst und damit zum Glücklichsein gefunden. Richard Brown bezeichnete Ikiru als beispielhaften cineastischen Existenzialismus:

What it says in starkly lucid terms is that ‚life‘ is meaningless when everything is said and done; at the same time one man’s life can acquire meaning when he undertakes to perform some task which to him is meaningful. What everyone else thinks about that man’s life is utterly beside the point, even ludicrous. The meaning of life is what he commits the meaning of his life to be.

Dieser Schnitt Kurosawas war sehr gewagt und wirkt auf den Zuschauer zunächst frustrierend: Genau in dem Moment, als der Anti-Held endlich zum Helden wird, werden wir von ihm weggerissen und zu seiner Beerdigung versetzt. Doch Kurosawas waghalsiges Manöver geht auf. Nachdem wir im ersten Teil des Films die Wahrheit über Watanabe erfahren haben, ihn und seine Motivation kennengelernt haben, sehen wir ihn nun durch die Perspektive seiner Mitmenschen, seiner Kollegen und Verwandten. Sie versuchen, hinter den Grund seiner plötzlichen Verwandlung zu kommen, interpretieren und spekulieren und nähern sich nach und nach der uns bereits bekannten Wahrheit an, die dadurch nochmals bekräftigt wird.

Zugleich kommt Kurosawa damit wieder auf die bereits zu Beginn des Films vorgebrachte heftige Kritik an der Politik, den Behörden und großen Organisationen ganz generell zurück. Damit berührt er eine zweite, globale Thematik, nämlich die Kritik an der industriellen Gesellschaft, die den Menschen einer seelenlosen Bürokratie unterwirft und ihn zu bedeutungslosen Tätigkeiten verdammt.

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Einmal wirklich leben ist voller unvergesslicher Szenen, brillanter Szenen. Zur Eröffnung zeigt uns Kurosawa eine Röntgenaufnahme von Watanabes Magen, zu der ein Erzähler aus dem Off unmissverständlich klar macht, dass Watanabe nur noch wenige Monate zu leben hat. Dann sehen wir Watanabe selbst, zusammengekauert hinter seinem Schreibtisch, mechanisch Papiere wälzend, und hören den Erzähler sagen, dass Watanabe eigentlich bereits seit 20 Jahren tot ist.

Absolut genial auch, wie Kurosawa die Beziehung Watanabes zu seinem Sohn und die ganze Geschichte dieser Beziehung in wenigen Minuten zusammenfasst und die Bedeutung der Liebe Watanabes zu seinem Sohn herausstreicht. Als sein Sohn nach ihm ruft, huscht ein Glanz über sein Gesicht, er springt freudig auf und wird dann doch nur ermahnt, die Tür abzuschließen. Mitanzusehen, wie Watanabe von seinem Sohn, für den er sich jahrzehntelang aufopferte, dann in einer einzigen Sekunde in die Bedeutungslosigkeit gestoßen wird, das ist ein Moment von so schlichter und doch überwältigender Emotionalität wie es ihn kaum in einem andern Film Kurosawas gibt.

Ganz wunderbar auch die Sterbeszene Watanabes, der im Schneegestöber auf einer Schaukel „seines“ Parks sitzend, leise traurige Lieder vor sich hin singt und dabei endlich glücklich ist. Der Friede der eingeschneiten Natur wird hier zum Seelenfrieden.

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Ich könnte noch seitenweise eine brillante Szene nach der anderen aufzählen, aber diesen Film muss man einfach selbst gesehen haben. Vor allem muss man auch die fantastische Leistung Takashi Shimuras herausstreichen und bewundern, der mit seiner Interpretation der Rolle des Kanji Watanabe (die stark von den ursprünglichen Vorstellungen Kurosawas abwich) eine Ikone des Weltkinos schuf. Ein ganz großer Klassiker!

[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und ergänzte Version eines ursprünglich am 24. September 2006 veröffentlichten Beitrags.]

So langsam wird es langweilig, denn seit sechs Wochen steht Hero ununterbrochen an der Spitze der japanischen Kino-Charts! Dabei hat der auf einer sehr erfolgreichen TV-Serie basierende Film nun auch die Marke von 60 Mio US-$ durchbrochen. Zum Vergleich: Ocean’s Thirteen hatte zum selben Zeitpunkt etwa 25 Mio US-$ eingespielt, Harry Potter and the Order of the Phoenix etwas über 70 Mio.

Auch Eva: 1.0 hält sich weiterhin tapfer in den Top10, und das in der nunmehr siebten Woche. Das Einspielergebnis liegt inzwischen bei 14,5 Mio US-$ und dürfte noch weiter steigen, denn die Auslastung der nach wie vor nur 95 Kopien ist weiter hoch: Nach Hero erzielt Eva: 1.0 immer noch die höchsten Erträge je Kopie in den Top10, auch wenn diese von den fantastischen fast 30.000 US-$ der ersten Wochen auf nunmehr 7.777 US-$ gesunken sind.

Auf dem Fantasy Filmfest habe ich ihn verpasst, auf dem Japanischen Filmfest hier in Hamburg lief er nicht, aber wie sich das gehört sind auch in diesem Fall aller guten Dinge drei: Am 8. November kommt Gedo Senki unter dem deutschen Titel Die Chroniken von Erdsee hierzulande in die Kinos. Als großer Miyazaki-Fan bin ich natürlich sehr auf das Debut von Goro Miyazaki gespannt und habe mit großem Interesse Trailer und das Pressematerial in Augenschein genommen.

[flash]http://youtube.com/watch?v=QddrfraSKsY[/flash]

Die Herkunft aus dem Ghibli-Studio ist unübersehbar, nicht umsonst waren viele wichtige Künstler bereits an früheren Ghibli-Erfolgen von Mein Nachbar Totoro bis hin zu Das wandelnde Schloss beteiligt. Und auch einige Elemente der Geschichte klingen sehr nach dem typischen Kanon von Miyazaki-Senior. Doch bei genauerem Nachlesen wirkt die Story zunehmend verwirrend, als ob sie sich in zuvielen Strängen verlieren würde, was natürlich daran liegen mag, dass der Film auf einer mehrbändigen Romangeschichte basiert, ähnlich wie Herr der Ringe. Und auch die Bildsprache, mag sie noch so sehr durch die Ghibli-eigene Brillanz geprägt sein, wirkt – so weit sich das anhand des Trailers und einiger Pressefotos beurteilen lässt – irgendwie konventionell.

Aber es ist ja nicht mehr lange hin, dann kann ich mir endlich eine eigene, fundierte Meinung bilden.

Original: Mogari no mori (2007), von Naomi Kawase

Als Gewinner des Großen Preises in Cannes dieses Jahr war The Mourning Forest wohl einer der am meisten in den Medien diskutierten japanischen Filme der jüngeren Vergangenheit. Besonders die in dem Film geübte Auseinandersetzung mit Tod, Trauer und dem Alter sowie dem Umgang der Gesellschaft mit alten Menschen wurde auch hierzulande gelobt und hervorgehoben.

Die Geschichte des Films ist schnell erzählt: Die junge Mutter Machiko (Machiko Ono) hat ihr Kind verloren. Sie arbeitet in einem Altenpflegeheim und entwickelt dort eine besonders enge Beziehung zu dem Witwer Shigeki (Shigeki Uda), dessen Trauer um seine jung verstorbene, über alles geliebte Frau im Lauf der Jahre manische Züge angenommen hat. Bei einem Ausflug der beiden bleibt ihr Wagen liegen und sie machen sich zu Fuß auf durch den Wald. Das Ziel ihrer Wanderung ist aber nicht die Rückkehr in das Heim, sondern die Aussöhnung mit der Vergangenheit und den Toten.

Die beiden von ihrer Vergangenheit verfolgten Trauernden entwickeln dabei ein ganz eigenes, inniges Verständnis für den jeweils anderen, das zu Beginn des Films im Pflegeheim noch völlig fehlte. Trotz der Gruppenaktivitäten und gemeinsamer Sitzungen mit einem Priester. Doch all die Gespräche können echtes Mitgefühl und Verständnis, das erst durch die geteilte Trauer im Wald entsteht, nicht ersetzen. So wird dem rauhen, Machiko besonders zu Anfang regelrecht schikanierenden Shigeki in einem einzigen Moment klar, dass Machiko eine ebenso schwere, wenn nicht sogar noch größere Bürde trägt als er. Nun baut er echtes Vertrauen zu ihr auf und wechselt sogar selbst in die Rolle des Trostspenders, des Pflegers.

Auch für den Zuschauer ist dieser Moment von großer Bedeutung, denn wenn Machiko bei der Überquerung eines kleinen Baches plötzlich hysterisch schreiend zusammenbricht, wird uns schlagartig klar, wie sie ihr Kind verlor. Naomi Kawase benötigt keine Worte um das in Machiko wiedererwachte Entsetzen und das Gefühl des Verlusts zu vermitteln. Die Kraft des Moments allein, die schauspielerische Leistung Machiko Onos und die etwas verwackelte Unmittelbarkeit der Handycam genügen, um den Zuschauer ganz in den Bann der Emotionen zu ziehen.

Überhaupt ist dem Film Kawases Herkunft aus der Fotografie anzusehen. Gerade in den Auftaktsequenzen finden sich viele lange Einstellungen von Landschaften, die wunderbar ausgewogen und harmonisch komponiert sind und dennoch mit Spannung geladen. Bemerkenswert auch die erste Rolle von Shigeki Uda, ein Amateur, den Kawase erst am Drehort kennengelernt hatte.

The Mourning Forest ist ein in sich ruhender, aus dem Verhältnis seiner beiden Hauptcharaktere große Kraft beziehender Film, man könnte fast sagen ein sehr japanischer Film. Dass dabei auch der Umgang mit alten Menschen stark thematisiert wird, verleiht ihm jedoch für alle Industriegesellschaften große Brisanz, was die Jury von Cannes wohl nicht unbeeindruckt gelassen hat.