Originaltitel: Gion no shimai (1936), von Kenji Mizoguchi

Der Film schildert die Geschichte zweier Schwestern, beide Geishas, aber mit sehr verschiedener Einstellung zu ihrem Beruf. Die ältere, Umekichi (Yoko Umemura), legt großen Wert auf Traditionen, Loyalität und ihren guten Ruf und bleibt deshalb mit ihrem Patron Shimbei Furusawa auch dann zusammen, als dieser Bankrott geht und verarmt. Ihre jüngere Schwester Omocha (Isuzu Yamada) dagegen sieht sich als das Opfer männlicher Unterdrückung und Ausbeutung. Loyalität und traditionelle Normen sind für sie lediglich Vehikel zur Ausnutzung von Frauen durch die Männer, weshalb sie sich von möglichst vielen verschiedenen Männern aushalten lassen will.

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Zu diesem Zweck spinnt sie ein Netz aus Lügen und nützt die Gefühle eines Verehrers aus. Auch ihre Schwester, der sie einen neuen Patron aufdrängen will, hintergeht sie und missachtet deren Gefühle. Doch dann stürzt ihr Lügengebäude ein, und als ihr Verehrer dahinter kommt, dass er die ganze Zeit von Omocha nur benutzt und zum Narren gehalten wurde, rächt er sich und sie landet im Krankenhaus.

Während man bis hierher dem Treiben von Omocha ungläubig, fast mit Entsetzen zusieht, sie immer mehr die Rolle einer kaltblütigen, nur auf ihren Vorteil bedachten Femme fatale annimmt und man ihr die Abreibung durch ihren zutiefst in seiner Ehre verletzten Verehrer regelrecht gönnt, verkehrt sich nun schlagartig alles ins Gegenteil: Während Omocha im Krankenhaus liegt, wird nämlich Umekichi, die treu zu ihrem alten Patron Furusawa hielt und diesen sogar mit ihrem kleinen Einkommen unterstützte, von diesem verlassen. Er kehrt zu seiner Frau aufs Land zurück, um eine Stelle anzutreten. Zurück bleiben eine am Boden zerstörte Umekichi und Omocha, die im Krankenbett liegend die Männer und die Abhängigkeit der Frauen von den Männern verflucht.

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Durch diese Wendung in letzter Minute wird Omochas Verhalten, das zuvor als verwerflich erschien, in ein völlig anderes Licht gerückt. Auf einmal wird dem Zuschauer klar, dass sie mit all ihren Ermahnungen an Umekichi und ihrem Misstrauen gegenüber Männern Recht hatte. Dadurch, dass sie auch noch im Krankenbett liegt, erhält ihre Anklage (€žWarum müssen wir so leiden? Warum gibt es Geishas?€œ) eine gesteigerte Eindringlichkeit, die Mizoguchi noch zusätzlich durch eine der ganz wenigen Großaufnahmen des Films unterstreicht. Diese unvergessliche finale Szene des Films ist sozialkritisches Kino par excellence und von allerhöchster emotionaler Intensität.

Mizoguchi kritisiert aber nicht nur die Stellung der Frau und der Geishas im Besonderen. Er thematisiert am Beispiel der beiden unterschiedlichen Schwestern auch die kulturellen und sozialen Gegensätze im Japan der 1930er Jahre, das hin- und her gerissen ist zwischen den alten Traditionen und den modernen, westlichen Einflüssen, die innerhalb weniger Jahrzehnte auf das Land einstürmten und es völlig verwandelten. Er bleibt dabei seiner Linie treu, die Familie als Mikrokosmos der Gesellschaft zu betrachten und Frauen €“ in diesem Fall Geishas €“ in den Mittelpunkt seiner Filme zu stellen.

Wie sehr die beiden, sowohl Omocha mit ihrem Drang nach Unabhängigkeit als auch Umekichi mit ihrer Treue, letztlich Gefangene einer sozialen Ordnung sind, verdeutlicht auch ein den Film stark prägendes visuelles Motiv: Der Einsatz von negativem Raum, der unsere Aufmerksamkeit fokussiert und auf die beiden Protagonistinnen lenkt sowie, dass diese immer wieder von Türen, Fenstern, Gängen umrahmt sind, Symbole des Gefangenseins.

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Zusammen mit dem im selben Jahr produzierten Film Osaka Elegie gilt Die Schwestern von Gion als erstes großes Meisterwerk Mizoguchis, die beide auch den Beginn der langen Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautoren Yoshikata Yoda markieren. Trotz des hohen künstlerischen Werts, der kontroversen Thematik und der Besetzung mit Yoko Umemura, einer etablierten Star-Schauspielerin, die seit Anfang der 1920er – unter anderem mit The Woman who touched the legs – sehr erfolgreich gewesen war, wurde Die Schwestern von Gion kein finanzieller Erfolg, ganz im Gegenteil: Obwohl die Produktion des Films nur wenige Wochen in Anspruch nahm, ging die Produktionsfirma Daiichi Eiga Bankrott. Dies wird vor allem auf Vertragsstreitigkeiten mit der Verleihfirma zurückgeführt, welche in einen Boykott des Films durch den Verleiher mündete.

[Hinweis: Dies ist eine stark erweiterte und überarbeitete Version eines Beitrags, der ursprünglich am 23. September 2006 erschien.]