Archive for April, 2010

Dreams

Original: Yume (1990) von Akira Kurosawa

Wenn über das Werk Kurosawas geschrieben wird, dann werden dabei gern bestimmte Lebens- und Schaffensphasen unterschieden. Bei den Dreharbeiten von Dreams war der große Regisseur 80 Jahre alt, aber nicht nur deshalb ist der Film als Beginn seines Alterswerks zu sehen.

Dreams Screenshot 1

Dreams besitzt keine fortlaufende Handlung sondern setzt sich aus acht „Träumen“ zusammen die Kurosawa angeblich selbst einmal geträumt hat, alles Episoden mit teilweise sehr unterschiedlichem Charakter. Manche ranken sich um Mythen der japanischen Folklore, andere haben klare Bezüge auf unsere Welt der Gegenwart. Und doch merkt man schnell, dass hier nicht einfach nur wahllos Kurzgeschichten aneinander gereiht wurden: Zum einen ist da das immer wiederkehrende Thema Umgang mit der Natur, die Wertschätzung ihrer Schönheit, der Respekt, den sie uns abnötigt und die Bedeutung eines Lebens im Einklang mit der Natur.

Zum anderen tauchen in jeder Episode Bezüge auf bestimmte Stationen im Lauf eines Lebens auf, die wie ein Bogen die einzelnen Träume überspannen und gewissermaßen zu einem Lebenslauf verbinden. In den ersten beiden Episoden sind das Ereignisse aus der Kindheit wie das Hina-matsuri. Dann folgen einen Menschen prägende Extremsituationen wie Kriegsdienst oder die gefährliche Bergexpedition in der dritten Episode. Anschließend wird die beeindruckende Schaffenskraft und unerschöpfliche Kreativität eines Menschen gefeiert, der seine Bestimmung gefunden hat, bevor dann die dunkleren, selbstzerstörerischen Seiten des Menschseins von Egoismus über Gier bis hin zum Kannibalismus thematisiert werden. Am Ende stehen schließlich ein versöhnlicher Entwurf einer alternativen, genügsamen und sich an den kleinen Dingen erfreuenden Lebensweise sowie ein gelassener Umgang mit dem Tod.

Dreams Screenshot 5

Wer als Zuschauer ein kleines bisschen mit Person und Leben Kurosawas vertraut ist, dem drängen sich beim Sehen des Films gleich mehrfach Hinweise auf eine ausgeprägte autobiographische Komponente auf. Jede Episode, jeder „Traum“ wird aus der Sicht einer Person geschildert, die in den ersten beiden noch ein Kind ist und danach von Akira Terao verkörpert wird, der mit seinem Schlapphut in vielen Szenen ganz offensichtlich an Kurosawa selbst erinnern soll. Auch dass er mehrfach mit einer Zeichenmappe unterwegs ist, deutet auf Kurosawas Liebe zur Malerei hin.

Kurosawa lässt also sein Alter ego den Zuschauer auf eine kleine Reise zu verschiedenen Stationen eines (seines?) Lebens mitnehmen und verbindet die Stationen – mal mehr, mal weniger offensichtlich – mit klaren Botschaften: Da blickt offenbar ein alt gewordener Mann, der viel von der Welt gesehen und viel erlebt hat, zurück auf sein Leben und will seine gewonnen Weisheiten und seine Weltanschauung mit anderen teilen. Diese Versuche der Belehrung sind teilweise verblüffend direkt und simpel, um nicht zu sagen plump, wie etwa in „Mount Fuji in Red“, in der explodierende Atomkraftwerke den Untergang der Menschheit einleiten. Oder wie in der letzten Episode, in welcher der 86jährige Chishu Ryu vom einfachen Leben im Einklang mit der Natur schwärmt und Dinge wie Elektrizität als überflüssigen Schnickschnack entlarvt, der uns nur davon abhält, das Leben in all seiner Schönheit zu genießen.

Dreams Screenshot 2

Man mag sich über diese Belehrungsversuche wundern – aber Kurosawa hatte schon immer eine Agenda. Nur dass er sich als greiser Mann nun einfach die Freiheit nimmt, ganz unverhohlen und direkt Dinge anzuprangern und seine Sicht der Welt darzulegen. Das erinnert teilweise ein bisschen an den Opa, der vom Schaukelstuhl aus seine Enkel belehrt – und in der Tat entwickelte Kurosawa sich mit seinem letzten Film Madadayo ja noch weiter in diese Richtung.

Nun könnte durch das bisher geschriebene der Eindruck entstehen, Dreams wäre kein besonders sehenswerter Film – diesem Eindruck muss ich energisch entgegentreten! Kurosawa ist ein Meister der Farbe und der Komposition und Dreams enthält einige der visuell beeindruckendsten Ideen und betörendsten Bilder aus Kurosawas Werk. Die Screenshots sollten das unübersehbar zeigen und selten fiel es mir so schwer, mich auf 4 oder 5 Screenshots zu beschränken.

Dreams Screenshot 4

Bereits in den vorangegangenen Filmen hatte sich eine Besinnung des Regisseurs auf seine in der Malerei liegenden Wurzeln angedeutet, hier wird sie offensichtlich. Nicht nur, dass er immer wieder wie gemalt erscheinende Szenen auf die Leinwand bannt, in der wohl berühmtesten Episode „Crows“ begegnet sein alter ego dem von Martin Scorsese gespielten Vincent van Gogh und taucht regelrecht in einige der berühmtesten Bilder des Malers ein.

Um diese Szenen umzusetzen begann Kurosawa noch im hohen Alter, mit Special Effects zu experimentieren. Dabei kamen ihm seine Kontakte nach Amerika zugute, so dass er bei der Umsetzung seiner Ideen mit Industrial Light & Magic zusammenarbeiten konnte, der Effektschmiede seines großen Bewunderers George Lucas. Seine Offenheit für Neues und seine Experimentierfreude auch im hohen Alter sind für mich einer der stärksten Belege dafür, was ein außergewöhnlicher Künstler und großer Visionär Kurosawa doch war.

Dreams Screenshot 6

Dreams ist sicher nicht der erste Film, der einem einfällt wenn man an Kurosawa denkt oder den man als erstes empfehlen würde. Aber er ist sein wohl persönlichster Film und allein schon daher für das Verständnis der Person und des Künstlers von immenser Bedeutung. Zugleich ist der Film ein echtes Statement und einfach wunderschön anzusehen.

Passend zum „Kurosawa Brennpunkt“ empfehle ich heute mal einen alten Bekannten, nämlich Schneeland. Micha hat dort vor ner Weile auf ein neues Design umgesattel (sehr schick ist es geworden) und zieht nun eine Kurosawa-Werkschau durch. Angefangen hat er bisher mit den Frühwerken, Sanshiro Sugata, Die dem Tiger auf den Schwanz treten, und wie sie alle heißen. Wenn Micha chronologisch weiter macht, dürften demnächst die großen Schwergewichte kommen, worauf ich mich schon sehr freue!

In der letzten Blogschau im Januar hatte ich auf den neuen JFFH-Blog verwiesen, jetzt ist die NipponConnection mit ihrem neuen Festivalblog dran, der vor ein paar Wochen an den Start ging. Wie mir NC-Blogger Gary versicherte handelt es sich nicht um eine Copycat, er wollte schon lange für die NipponConnection bloggen und hat erst jetzt die Zeit gefunden. Bisher stellt er im Blog hauptsächlich das Festivalprogramm vor, ich bin schon gespannt, was dann während des Festivals im Blog so zu lesen sein wird.

Original: Kumonosu-jō (1957) von Akira Kurosawa

Nach der heldenhaften Abwehr eines Aufstands kehren die Samurai Washizu (Toshiro Mifune) und Miki (Minoru Chiaki) zum Schloss ihres Fürsten zurück. Unterwegs verirren sie sich im Spinnwebwald und begegnen dort einer Hexe, die ihnen die Zukunft vorhersagt. Washizu und Miki würden noch heute zu Kommandanten von Außenposten ernannt werden, später würde Washizu in der Burg des Fürsten herrschen, Mikis Sohn würde dann allerdings an seine Stelle treten. Beide tun die Prophezeiung zunächst mit einem Lachen ab, bis sie tatsächlich nach ihrer Ankunft in der Burg vom Fürsten wie vorhergesagt befördert werden.

Washizu wird nach der Übernahme des Außenpostens von seiner Frau Asaji (Isuzu Yamada) mit allerlei Verschwörungstheorien so lange bearbeitet, bis er selbst glaubt, Miki würde mit dem Fürsten gemeinsame Sache gegen ihn machen. Als der Fürst zu einem Überraschungsbesuch eintrifft, ermordet Washizu ihn auf Drängen von Asaji und tritt anschließend mit Unterstützung von Miki die Nachfolge des Fürsten an. Doch die Prophezeiung und der feige Mord an seinem Fürsten lasten schwer auf ihm, er steigert sich immer mehr in einen Verfolgungswahn und lässt schließlich seinen getreuen Freund Miki von einem Attentäter köpfen. Nun verbündet sich Mikis Sohn mit anderen Aufständischen und marschiert auf das Schloss im Spinnwebwald.

Screenshot Throne of Blood 3

Vor allem für zwei Dinge ist Das Schloss im Spinnwebwald gemeinhin bekannt: Als Adaption von Macbeth geht Kurosawa hier erstmals den Weg, ein Stück klassische europäische Literatur ins mittelalterliche Japan zu verlegen. In dieser Hinsicht ist der Film direkter Vorläufer zu Ran. Zum anderen ist es die Verbindung mit dem Noh-Theater, die immer wieder hervorgehoben wird. Da ich Macbeth nicht kenne, werde ich auf den Aspekt der Literaturverfilmung nicht weiter eingehen.

Die Elemente des Noh sind besonders in der Figur der Asaji fokussiert, eine interessante Variante wenn man bedenkt, dass Frauen erst wenige Jahrzehnte vor dem Dreh des Films erstmals Rollen in Noh-Aufführungen spielen durften. Auffallend sind besonders Asajis starres, ausdrucksloses Gesicht, das an eine Noh-Maske erinnert sowie ihre manierierten, minimierten Bewegungen. Dazu kommt noch die Inszenierung ihrer Auftritte, die sie fast immer in einem bühnenartigen räumlichen Kontext zeigen. Am konzentriertesten treten alle diese Motive in ihrer finalen Szene auf, in der sie, dem Wahnsinn verfallen, verzweifelt versucht, das Blut und damit ihre Schuld von ihren Händen zu waschen.

An die Bühnenoptik angelehnte Szenen finden sich noch einige mehr und diese tragen einen guten Teil zur düsteren Atmosphäre und der distanziert-mysteriösen Ästhetik des Films bei. Ähnlich wie später auch in Ran will Kurosawa uns auf Distanz zu den Charakteren halten, statt durch eine emotionale Identifikation mit den Figuren soll die Botschaft des Films eher rational erfasst werden. Dies wird auch unterstrichen durch die Einfassung des Films, in der jeweils zu Anfang und Ende ein Chor vor den mörderischen Konsequenzen übersteigerter Ambitionen und Ehrgeizes warnt – die Botschaft des Films ist schon vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung klar.

Screenshot Throne of Blood 1

Dennoch gibt es den einen oder anderen Gänsehautmoment, etwa als Washizu aus Asajis Händen den Speer ergreift und mit sich und seinem Ehrenkodex ringt. Er zögert zunächst, blickt wie nach einem Ausweg suchend um sich und stiert dann seine Frau an. In diesem Moment leuchten Mifunes Augen geradezu dämonisch auf – vermutlich ein genialer Beleuchtungseffekt – und dann stürmt er aus dem Raum, um seinen Fürsten hinterrücks zu ermorden. Diese vor Intensität förmlich vibrierende Szene, in der keine Worte nötig sind, um Washizus Kampf mit sich selbst zu verdeutlichen und an deren Ende er alles verrät, an das er bisher geglaubt und für das er gelebt und gekämpft hat, ist es allein schon wert, den Film zu sehen!

Weiteres beherrschendes visuelles Motiv des Films ist – wie könnte es bei Kurosawa anders sein – ein Wetterphänomen, nämlich der Nebel. Schon im Vorspann mit dem Chor ziehen dicke Nebelschwaden über die Trümmer des Schlosses. Immer wieder sehen wir später die Charaktere ziel- und orientierungslos durch den Nebel reiten, in einer Szene ganze 12 Mal hintereinander! Genauso, wie Washizu im Nebel die Orientierung verliert, so sind es sein Streben nach Macht und Ruhm, die seinen moralischen Kompass durcheinander bringen und ihn hilflos auf sein Ende zutaumeln lassen.

Screenshot Throne of Blood 2

Visuell und konzeptionell ist Das Schloss im Spinnwebwald ein durch und durch beeindruckendes Werk. Im Vergleich zu anderen Filmen Kurosawas aus den 50er Jahren sind mir die Charaktere aber zu schablonenhaft und stereotyp gezeichnet, die Vielschichtigkeit vermisse ich gerade angesichts des Umstands, dass es hier eigentlich nur drei Hauptcharaktere gibt. Gut möglich, dass das Teil der engen Anlehnung an Noh ist und mir einfach der Zugang dazu fehlt. Darüber hinaus ist mir aber auch die Art, wie uns die Botschaft des Films eingehämmert wird, zu plakativ.

Das Schloss im Spinnwebwald ist ein wirklich sehenswerter Film, als Adaption von Macbeth mag er sogar einzigartig und herausragend sein (das kann ich nicht beurteilen), im Vergleich mit anderen Werken Kurosawas rangiert er für mich alles in allem aber nur im Mittelfeld. Vielleicht bin ich in meiner Beurteilung allerdings auch dadurch geprägt, dass ich nicht an so was wie Schicksal glaube.

Jobbedingt hab ich mich seit letztem Sommer immer mehr zu einem Statistik-Fanatiker entwickelt und als ich dann eben mal ein bisschen in mein Webtracking geschaut habe, hat’s mir die Schuhe ausgezogen: Im März hat jeder Besuch auf Japankino im Durchschnitt fast 11 Minuten gedauert! Heiliger Bimbam!!

OK, in den letzten dreieinhalb Jahren sind ne Menge Artikel und Filmrezensionen zusammengekommen und noch viel mehr Kommentare, aber 11 Minuten? So lange hab ich früher gebraucht, um nach dem Frühstück die Lokalzeitung meiner Eltern einmal durchzulesen! Und das ist ja nur der Durchschnittswert, viele Besucher müssen also deutlich länger hier unterwegs sein. Was zum Teufel macht ihr hier? 😉

Besonders krass ist diese Zahl im Vergleich zu der Verweildauer vor einem Jahr: Im März 2009 waren es nur 2:25 Minuten, die Besuchsdauer hat sich also vervierfacht! Überhaupt haben sich die relevanten Zahlen sehr erfreulich entwickelt:

Japankino-Statistik: März 2010 im Vergleich mit März 2009

Besonders freue ich mich dabei über die Aktivitätskennziffern „Seiten pro Besucher“ und „Verweildauer pro Besucher“. Anscheinend sind die hier veröffentlichten Auswüchse meiner Hirnwindungen also doch halbwegs interessant.