Archive for Juli, 2008

Erst ein paar Wochen im Netz, aber imho schon auf dem besten Weg zu einem Highlight unter den deutschen Asienfilmbloggern: Schneeland. Keine Ahnung, was der Titel wohl sagen soll (Michael, magst du uns mal aufklären?) aber mit dem Willkommensgruß Japanische Filme. Weil sie die besten sind hatte der Blog sowieso gleich mein Herz erobert! Und die bisherigen Inhalte – unter anderem eine sehr schöne Besprechung von Ugetsu monogatari – nach gut zwei Monaten lassen noch großes erhoffen. Aktuell ist gerade eine Yasuzo Masumura Retrospektive in der Mache, vier Reviews sind schon fertig.

Mensch, überall wird über diesen Masumura geschrieben, muss mich wirklich mal dahinter klemmen! Wenn der Tag nur mehr als 24 Stunden hätte…

Ein Blog, bei dem der Titel schon eher Rückschlüsse auf die Themen zulässt wäre Outcast Cinema. Unter der Tagline For the love of disreputable movies gehts hier um Yakuza, Kung Fu, Action, und das bereits seit fast zwei Jahren. Allerdings ist die Posting-Frequenz nicht besonders hoch, mehr als 2 bis 3 Beiträg pro Monat sind eher selten, und die Schrift ist verdammt schwer zu lesen. Dafür wartet er mit großartigen Bildern auf… woher kriegt man bloß diese hohen Auflösungen?

Original: Saikaku ichidai onna, (1952) von Kenji Mizoguchi

Am Ende ihres Lebens blickt Oharu (Kinuyo Tanaka) auf ihre Jugend als Hofdame in Edo zurück, wie sie sich in Katsunosuke (Toshiro Mifune) verliebte, der jedoch einem niederen Stand angehörte, wie sie und ihre Familie wegen dieser Affäre in die Verbannung geschickt wurden und sie daraufhin ein lebenslanges Martyrium aus Ausbeutung, Erniedrigung und Missbrauch durchstehen musste. Als Konkubine eines mächtigen Fürsten sollte sie diesem einen Erben schenken, doch als der geboren ist, wird sie vom Hof vertrieben. Ihr permanent in Selbstmitleid schwelgender Vater verkauft sie in die Prostitution, sie wird als Dienerin eines reichen Händlers von dessen Frau misshandelt und von ihm missbraucht.

Screenshot Life of Oharu 2

Als sie endlich einen Mann findet, der sie aufrichtig liebt und für den ihre Vergangenheit keine Rolle spielt, währt das Glück – wie könnte es anders sein – nicht lange: Er wird wegen ein bisschen Geld ermordert, der Besitz fällt an seine Familie und Oharu zieht sich verzweifelt zu den Nonnen in einen Tempel zurück. Doch ihre Vergangenheit holt sie ein, erneut wird sie ausgestoßen und landet als Bettlerin und Prostituierte auf der Straße.

Mizoguchis Das Leben der Frau Oharu basiert auf dem 1686 von Ihara Saikaku verfassten Roman Kōshoku Ichidai Onna (Das Leben einer amourösen Frau). Saikaku war besonders für komödiantisch-erotische Geschichten aus dem Leben der aufstrebenden Händlerschicht bekannt, und auch dieses Werk ist Mark Le Fanu zufolge eine Aneinanderreihung erotischer Abenteuer der Heldin. Insofern stellt Mizoguchis tragische Herangehensweise an den Stoff eine atemberaubende 180-Grad-Wendung dar: Er stellt den Charakter der Geschichte komplett auf den Kopf, ohne aber am Plot selbst wesentliche Änderungen vorzunehmen. Man kann sich das etwa so vorstellen als würde jemand die Buddenbrooks als Komödie verfilmen.

Screenshot Life of Oharu 1

Wie gelingt Mizoguchi und seinem Drehbuchautor Yoshikata Yoda dieses Kunststück? Indem er den Auslöser für Oharus langsamen aber unaufhaltbaren Niedergang in eine aufrichtige, tiefe Liebesgeschichte verwandelt und die Heldin, deren Liebe gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt, mit Würde, Stolz und der ganzen Sympathie des Zuschauers ausstattet. Ihre thematische Verknüpfung mit wahrer Liebe wird noch verstärkt, als sie dem Fürsten einen Thronfolger gebärt und nun ihre Mutterliebe zu ihrer stärksten Triebfeder wird.

Die Liebe zu dem ihr entrissenen Sohn – die Mizoguchi in zwei kurzen, verzweifelten Begegnungen verdeutlicht, in denen Oharu den Thronfolger nur aus der Distanz sehen darf, siehe Screenshot unten – und die Erinnerung an die große, wahre Liebe ihres Lebens lassen sie dann all das Leiden, die Enttäuschungen und das allein auf ihren Körper begrenzte Begehren der Männer sowie die daraus folgenden Erniedrigungen ertragen. Grandios gespielt natürlich von Kinuyo Tanaka, einer der vielseitigsten und überzeugendsten Schauspielerinnen ihrer Generation.

Screenshot Life of Oharu 4

Doch nicht nur die Männer bekommen ihr Fett weg, Mizoguchi prangert eine ganze Gesellschaftsordnung an, die voller Scheinheiligkeit Werte propagiert und deren Einhaltung fordert, dann aber eine aufrichtige und aufrechte Frau wie Oharu ausbeutet, verstößt und erniedrigt. Seien es der Vater, der seine Tochter für ihre Liebe zu einem einfachen Mann verprügelt, sie dann aber zunächst zur Konkubine und schließlich zur Prostituierten macht. Oder der Händler, der aus Geiz und Stolz nie in ein Bordell gehen würde, es dann aber schamlos ausnutzt, als er Oharu umsonst haben kann. Und nicht zu vergessen die Nonne, die Frau des Händlers und natürlich all die Höflinge, denen die Familie und ihr Fortbestand so viel Wert ist, dann aber in Oharu nur eine Gebärmaschine sehen, obwohl sie es ist, die den Fortbestand des Familienclans sichert.

Bemerkenswert bei all dem Leid und der Tragik ist, dass es Mizoguchi dennoch gelungen ist, einige komische Szenen zu bewahren. Zu nennen wäre etwa die Erinnerung gleich zu Beginn, als Oharu in einer Buddhastatue das Gesicht ihres geliebten Katsunosuke erkennt, das Casting zur Suche nach der Super-Konkubine oder wie Oharu sich an der Frau des Händlers rächt, indem sie eine dressierte Katze ihr die Perücke vom Kopf reißen lässt und sie so der Lächerlichkeit preisgibt.

Komplett aus dem Film verschwunden ist aber der amouröse Charakterzug Oharus, auch wenn Le Fanu dies anders sieht. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Le Fanu in der Szene, in welcher der Händler Oharu im Kloster aufsucht weil diese ihm noch Tücher schuldet und Oharu sich die in einen Kimono genähten Tücher vom Leib reisst, ein sexuelles Begehren ihrerseits erkennen will. Natürlich ist ihr klar, dass sie die Tücher mit Sex bezahlen muss, aber daraus abzuleiten, dass sie mit ihm schlafen wolle, widerspricht der gesamten Charakterisierung der Heldin. Vielmehr entledigt sie sich aus Abscheu und Empörung der vom Händler stammenden Kleider.

Screenshot Life of Oharu 3

Oharu ist für mich die Kristallisation der tragischen, sexuell und materiell ausgebeuteten und von einem gesellschaftlichen Regime unterdrückten Frau in Mizoguchis Werk schlechthin, gewissermaßen die Essenz seines Schaffens. Auch was die Realisation des Filmes angeht ist Das Leben der Frau Oharu Mizoguchi vom Feinsten: Endlos lange Takes, die Vermeidung von Schnitten mittels Kamerabewegung und Arrangement der Charakter und absolute Detailversessenheit, obwohl der Meister für diesen Film nur minimale finanzielle Mittel zur Verfügung hatte. Der Film ist schwer verdauliche Kost, keine Frage, aber wenn man sich darauf einlässt ein wahrhaft erhebendes Erlebnis!

Newsflash!

Beim Durchstöbern des Feed Readers sind mir folgende interessanten Neuigkeiten entgegengepurzelt:

Kouji Hoshino, seines Zeichens Präsident des Studio Ghibli, erwähnte in einem Interview, dass ein neuer Film von Altmeister Isao Takahata in Vorbereitung ist: „The preparations for director Takahata’s new film advance. I cannot yet speak about the contents, but it became considerably more concrete since a year ago. Because director Takahata is very cheerful, please expect his new film.“

Das wäre ja was! Ich bin großer Fan Takahatas, der gemeinsam mit Hayao Miyazaki das Studio Ghibli gründete und seit fast 10 Jahren nicht mehr aktiv war. Sein letzter Film My Neighbours the Yamadas datiert aus dem Jahr 1999 und ich hatte mich schon damit abgefunden, dass es sein letzter sein würde. Da sind das wirklich großartige Neuigkeiten! (Via Toronto J-Film Pow Wow)

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Das diesjährige Filmfestival von San Sebastian (18.-27. September) hat eine Japan-Retrospektive im Programm: Japan in Black. Nicht weniger als 43 (!!) Filme werden gezeigt, darunter so ziemlich alles was Rang und Namen hat, von den Klassikern Akira Kurosawa, Shohei Imamura, Yasujiro Ozu über New-Wave Talente wie Nagisa Oshima, Seijun Suzuki, Masahiro Shinoda, Koji Wakamatsu bis zu aktuellen Größen um Takeshi Kitano, Takashi Miike oder Kyoshi Kurosawa.

Wieder einmal macht sich San Sebastian somit auf herausragende Art und Weise um das japanische Kino und seine Bekanntheit im Westen verdient. Vor zehn Jahren hatte eine große Naruse-Retrospektive diesen fast vergessenen Meisterregisseur Kritikern und Cineasten wieder ins Gedächtnis gerufen. Wer also noch ein bisschen Urlaub über hat, Nordspanien ist im September bestimmt nicht zu verachten…

Zuerst ein Update in der Kino-Frage, denn das Metropolis-Kino wird es nächstes Jahr ja nicht mehr geben, das ist ja ins Savoy umgezogen: Wir werden diesen Schritt mitgehen, die Filme können nächstes Jahr auf einer der größten Leinwände Hamburgs (20 auf 8 Meter wenn ich mich nicht irre) bestaunt werden!

Wie ich bereits in meinem Fazit schrieb ist das aber nicht die einzige Veränderung, auch das Festival-Team befand sich ziemlich im Umbruch. Eine Reihe neuer Mitarbeiter kam dazu (so wie ich selbst), manche Erfahrenen übernahmen neue Aufgaben und altgediente Mitstreiter verließen uns (viele Grüße an Markus in Tokyo!). So liefen manche Dinge ein bisschen sehr chaotisch, niemand wusste Bescheid wer was macht, wen man fragen kann und wer vielleicht Hilfe braucht.

Weil diese Mängel ziemlich offensichtlich waren – jedenfalls für die Teammitglieder, hoffentlich nicht die Besucher –  haben wir eine ganz schön lange Liste an internen Verbesserungen zusammengestellt. Aufgaben klarer formulieren und zuweisen, Teamstrukturen ausbilden, effizientere Kommunikation etc pp. Das befindet sich gerade in der Umsetzung, u.a. mit technischen und strukturellen Verbesserungen in der Planung.

Aber wir wollen auch um das Festival herum viele Steine ins Rollen bringen. Ein paar Dinge davon werdet ihr in den kommenden Wochen schon merken: Die Festivalwebsite wird auf eine andere Domain umziehen, die alte Domain wird zukünftig Heimat der neuen Website des Vereins Nihon Media, der das Festival organisiert.

Der neue Spielort im ehemaligen Savoy-Kino stellt das ganze Festival aber auch vor völlig neue Herausforderungen, schließlich ist der Saal mehr als doppelt so groß wie das Metropolis. Den zu füllen wird eine Herausforderung, der wir uns gern stellen und zu deren Bewältigung wir uns auch viel vorgenommen haben, allem voran eine Verdoppelung der Besucherzahlen. Dazu gehört natürlich ein sehr ambitioniertes Programm, schließlich ist es ja auch unser 10. Jubiläum! Daher wollen wir ganz klar einige große Namen nach Hamburg holen, wofür sich unser Film-Orga-Team richtig den Allerwertesten aufreißen wird.

Voraussetzung dafür ist wiederum eine bessere finanzielle Ausstattung des Festivals, daher suchen wir nach Sponsoren und werden auch andere alternative Möglichkeiten, Gelder aufzubringen, angehen.

Nicht zuletzt haben wir große Pläne für das Rahmenprogramm, das dieses Jahr leider komplett ins Wasser fiel weil wir durch das Personalkarussel niemanden hatten, der sich darum kümmern konnte. Gerne würden wir z.B. mit der Uni Hamburg zusammenarbeiten, etwa um Vorträge von Filmwissenschaftlern oder Japanologen auf die Beine zu stellen oder Diskussionsrunden mit unseren Gästen. Dann soll es auf jeden Fall wieder eine große Party geben und auch den Klassiker Filmfrühstück möchten wir wiederbeleben. Und ein bisschen Bespaßung zwischen den Filmen wäre auch super.

Wir überlegen derzeit sogar, Praktika auszuschreiben! Wenn du also schon immer mal bei der Organisation eines Filmfestes mitmachen wolltest, gut organisieren kannst und so ungefähr von März bis Juni Zeit hast, dann melde dich!

So, ich hoffe ich habe den Mund jetzt nicht zu voll genommen… jedenfalls hab ich wirklich ein sehr gutes Gefühl für nächstes Jahr, da ist total viel Euphorie und Begeisterung im Team und ganz viele Ideen schwirren in der Luft herum. Wenn wir nur einen Teil davon tatsächlich umgesetzt bekommen, wird das definitiv das beste Japanische Filmfest, das Hamburg je gesehen hat!

Das Jidaigeki-Genre, im Westen meist fälschlicherweise als „Samurai-Film“ bezeichnet, begann sich Anfang der 1920er Jahre herauszubilden. Die etablierte Erklärung für den anschließenden großen Erfolg des Genres ist, dass diese im feudalen Japan vor der Meiji-Restauration von 1867 spielenden Filme oft der Auseinandersetzung mit der Gegenwart dienten. Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, welche die Modernisierung Japans mit sich brachte, hätten sich in den historischen Stoffen wiedergespiegelt und so Künstlern und Publikum eine versteckte Auseinandersetzung mit der Gegenwart möglich gemacht.

Eine interessante, stärker am Zuschauer orientierte Variante dieser Theorie von Mitsuhiro Yoshimoto, die ich kürzlich gelesen habe, geht so:

When filmmakers turned their attention to contempary Japan, what they saw was not a fully modernized society but strains and contradictions caused by the ongoing process of modernization. As their daily lives were increasingly transformed by the modernizing forces of monopoly capitalism, the audiences demanded more speed and spectacle; yet because of the incomplete state of modernization, that demand could not always be satisfied by showing contemporary Japanese life.

Sprich: Es entstand ein Paradoxon, weil die Modernisierung dazu führte, dass das Publikum mehr Äktschn wollte, die in der gegenwärtigen Gesellschaft auf Grund der unvollständigen Modernisierung aber nicht abgebildet werden konnte, so dass die Nachfrage nach historischen Filmen stieg.

Besonders faszinierend an dieser Erklärung finde ich, dass sich damit der Zusammenbruch der Jidaigeki in den 1960ern wunderbar erklären lässt. Die Modernisierung war nämlich an einem Punkt angekommen, an dem sie die Gesellschaft so weit durchdrungen hatte, dass die Nachfrage nach „speed and spectacle“ nun nicht mehr mit historischen Stoffen befriedigt werden musste. Der Alltag der modernen Gesellschaft Japans bot nun genug eigene Stoffe, allen voran die Yakuzafilme, die eine Übertragung der Kämpfe, Rituale und Codices der Samurai in die Moderne möglich machten (man betrachte nur die zahlreichen Parallelen von der Clan-Struktur bis hin zum rituellen Selbstmord zur Aufrechterhaltung der Ehre) und somit konsequenterweise die Jidaigeki nahezu komplett verdrängten.

Original: Shichinin no samurai (1954), von Akira Kurosawa

Japan in der Zeit der Bürgerkriege: Die Bewohner eines kleinen, armen Bauerndorfes, das bereits in der Vergangenheit Opfer einer Räuberbande war, erfahren, dass ein erneuter Überfall bevorsteht. In ihrer Verzweiflung entschließen sie sich zum Äußersten und wollen den Angriff abwehren. Doch dazu benötigen sie die Hilfe erfahrener Kämpfer und senden eine kleine Gruppe aus ihrer Mitte in die Stadt, um Samurai für den Kampf gegen die Räuber anzuheuern.

Dort angekommen, werden sie mit der harten Realität konfrontiert: Selbst arme Samurai empfinden für die Bauern nur Verachtung, oder nutzen deren Verzweiflung aus, um eine warme Mahlzeit abzugreifen. Durch einen Zufall werden sie dann Zeugen, wie ein Samurai ein gekidnapptes Baby befreit und nach etwas Überzeugungsarbeit willigt Kambei (Takashi Shimura) dann auch ein, ihnen zu helfen. Dazu versammelt er sechs weitere Samurai um sich: Alte Gefährten, Meister des Schwertkampfs und schräge Charaktere wie Kikuchiyo (Toshiro Mifune).

Screenshot Seven Samurai 4

Gemeinsam machen sich die sieben Kämpfer auf zum Dorf, wo sie zunächst die Vorurteile und Ängste der Bauern bekämpfen müssen, die ihre Frauen und Mädchen sowie ihr Essen vor den Fremden verstecken. Im Zuge der gemeinsamen Arbeit an der Verschanzung des Dorfes und der ersten Scharmützel mit den Banditen entsteht eine eingeschworene Truppe, die es gemeinsam tatsächlich schafft, die Räuber zu besiegen. Doch am Ende zeigt sich, dass die Lebenswelten der Samurai und der Bauern zu weit auseinanderliegen, die Gemeinschaft eine reine Zweckgemeinschaft war und die Samurai mit nichts als der Erinnerung an ihre toten Kampfgefährten weiterziehen müssen. Ein Happy-End gibt es nur für die Bauern.

Kurosawa wollte ursprünglich einen Film drehen, der einen Tag im Leben eines normalen Samurai zeigt. Sein Bestreben war, die eingelaufenen Bahnen der in den 1950er Jahren wie am Fließband produzierten Schwertkampffilme (chanbara) zu durchbrechen und ein realistisches Bild der Samurai zu zeichnen. Er musste jedoch schnell feststellen, dass es kaum historische Quellen dazu gab, wie das Alltagsleben von Samurai aussah. Dabei wurde er jedoch auf Berichte aufmerksam, denen zufolge Samurai manchmal als Wächter für Bauern anheuerten. Die Idee für Die Sieben Samurai war geboren.

Screenshot Seven Samurai 6

Auch wenn er von seiner ursprünglichen Story abrückte, den Anspruch, einen realistischen Film über Samurai zu drehen, hielt Kurosawa aufrecht. Und so ist der Film nicht zuletzt wegen einer Reihe von radikalen Brüchen mit den Traditionen des klassischen Schwertkampffilms richtungsweisend: In diesen Filmen wurden Samurai als unvergleichlich nobel, aufrecht, selbstlos und heldenmütig bis zum Tod dargestellt. Kurosawas Samurai dagegen sind ganz normale Menschen: Sie haben Angst vor dem Feind, retten ihr Leben zur Not auch indem sie sich verstecken oder davonlaufen, sie trinken, lachen, sind mal gutmütig und hilfsbereit und mal zornig und unberechenbar.

Auch bei der Darstellung der Lebensbedingungen und insbesondere der Kampfszenen legte Kurosawa größten Wert auf Realismus. Seine Schwertkämpfe unterscheiden sich völlig von den klassischen, eher an einstudierte Tänze erinnernden chanbara-Kämpfen. Bei Kurosawa besteht ein Kampf oft aus nur einem einzigen Schwerthieb, wenn er von einem erfahrenen Samurai ausgeführt wird, oder aus planlosem Herumrennen und Gefuchtel, wenn die Bauern am Werk sind. Diesen Realismus trieb Kurosawas mit seinem späteren Film Yojimbo noch weiter und krempelte das gesamte Schwertkampfgenre um.

Einzigartiger Höhepunkt dieses Anspruchs, realistische Kämpfe zu zeigen, ist zweifellos die Regenschlacht am Ende des Films. Mittels des für ihn typischen Einsatzes von Teleobjektiven, Wetterphänomenen und seiner virtuosen Schnittkunst erreicht Kurosawa eine unvergleichliche Authenzitität und zieht den Zuschauer magisch ins Kampfgeschehen hinein.

Screenshot Seven Samurai 4

Zu dieser realistischen Herangehensweise gehört in Die Sieben Samurai auch die Thematisierung der Auseinandersetzung des Individuums mit der Klassenstruktur und seiner festgeschriebenen Position in der Gesellschaft – die von vielen Kritikern sogar als der Schlüssel zum Film gesehen wird. Immer wieder betont Kurosawa die Zugehörigkeit seiner Charaktere zu bestimmten sozialen Gruppen sowie die Unterschiede zwischen Bauern und Samurai, streicht das schwere Schicksal der Bauern heraus und betont die Unüberwindbarkeit der gesellschaftlichen Schranken.

Exemplarisch für die Bedeutung der Gruppe bei der Definition des Individuums ist eine Szene gleich zu Anfang: Die Bauern des Dorfes versammeln sich und beklagen den bevorstehenden Überfall. Einer aus ihrer Mitte versucht die anderen zu überreden, gegen die Banditen zu kämpfen, steht mit seiner Meinung jedoch allein da. Er zieht sich aus dem Kreis der Bauern zurück und wird so aus der Vogelperspektive vorübergehend zum Außenseiter. Durch einen einzigen Schnitt auf eine ebenerdige Einstellung, in der der Raum zwischen dem Außenseiter und der Gruppe durch den starken Telezoom nicht mehr als Distanz wahrnehmbar ist, macht Kurosawa aber sofort klar, dass der Bauer trotz der Meinungsverschiedenheit nach wie vor Teil seiner sozialen Gruppe ist.

Dass es kein Entkommen vor den gesellschaftlichen Normen gibt, zeigen die Figur des Kikuchiyo, der zwischen seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie und seinem Streben, ein Samurai zu werden, hin- und hergerissen ist, sowie der junge Katsushiro (Isao Kimura), Kambeis Schüler, der sich in die Bauerntochter Shino verliebt. Obwohl sie seine Gefühle erwiedert, ist ihr völlig klar, dass die Liebe auf Grund der sozialen Unterschiede zum Scheitern verurteilt ist. Und auch wenn Kikuchiyo wie ein Samurai auf dem Schlachtfeld stirbt, sein Kampf für eine gerechtere Welt und die Überwindung der Klassengrenzen ist vergeblich.

Screenshot Seven Samurai 5

Den überlebenden Samurai bleibt am Ende nichts außer dem Leben an sich. Die Bauern feiern den Sieg, bepflanzen die Reisfelder und leben trotz der gemeinsam gefochtenen Schlachten in einer anderen Welt als die Samurai, die mit der Erinnerung an ihre toten Kameraden einsam zurückbleiben. Und der Zuschauer erkennt, dass diejenigen, die als die Unterdrückten und Leidenden präsentiert wurden, am Ende die einzigen Sieger sind.

Interviews!!

Muss ich zu Tatsuya Nakadai noch irgend was sagen? Dann lassen wir ihn selbst zu Wort kommen, im Interview mit Leonard Lopate. Das knapp 20-minütige Gespräch kam zustande im Rahmen einer derzeit im New Yorker Film Forum laufenden Retrospektive. Er berichtet unter anderem von seiner jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Kurosawa, die mit einer kleinen Nebenrolle in Die Sieben Samurai begann, wie er dann von Masaki Kobayashi entdeckt wurde, wie er sich im Studiosystem seine Unabhängigkeit bewahrte, dann Theaterrollen übernahm und vom stundenlangen Make-Up für seine Rolle in Ran.

Zweites Interview: Blake von Cinema is Dope hat einen fünfteiligen Mitschnitt eines auf der Berlinale geführten Interviews mit Koji Wakamatsu zusammengestellt. Er schreibt, dass er noch Übersetzer für englische Untertitel sucht, aber auf mein diesbezügliches Angebot kam bisher keine Reaktion. Was euch aber nicht hindern soll. 😉

Edit: Gefunden bei Akira Kurosawa News and Info sowie Jason Gray