Archive for April, 2009

Mr. Thankyou

Original: Arigatou san (1936) von Hiroshi Shimizu

Der Film, dessen Drehbuch vom späteren Nobelpreisträger Yasunari Kawabata stammt, folgt einer Busfahrt im ländlichen Japan und hat keine eigentliche Handlung aufzuweisen. Vielmehr führt er eine Gruppe von Menschen in dem Bus zusammen, dessen junger Busfahrer (Ken Uehara) alle nur „Arigatou-san“ (Mr. Thankyou) nennen, weil er sich bei jedem Überholmanöver artig bedankt.

Zu den Passagieren gehören ein junges Mädchen, das immer niedergeschlagen dreinblickend ganz hinten im Bus neben seiner Mutter sitzt und schon bald im Zentrum des Interesses steht: In einigen Andeutungen wird klar, dass es in die Prostitution verkauft wird, um seiner Familie das Überleben zu ermöglichen. Eine kokette junge Frau setzt sich direkt hinter Arigatou-san und macht ihm schöne Augen, ein eingebildeter Geschäftsmann streicht seinen falschen Bart und nervt die anderen Passagiere. So entsteht ein Geflecht an Beziehungen innerhalb des Busses, das durch zwischenzeitlich ein- und aussteigende Passagiere und Arigatou-sans Begegnungen mit Passanten, für die er Botendienste und kleine Besorgungen erledigt, aufgelockert und ergänzt wird.

Die Charaktere des Films sind sehr lebendig gezeichnet und die sich rasch herausbildenden Eigenheiten sorgen für reichlich Reibungspunkte, die voller Situationskomik stecken. So macht der Film einfach Spaß! Wie aber bereits die Geschichte des jungen Mädchens andeutet, steckt Mr. Thankyou auch voller menschlicher Schicksale: Die arbeitslosen Schausteller, die sich das Busticket nicht leisten können; junge Frauen, die in der Hoffnung auf Arbeit nach Tokyo fahren; der Arzt, der zu spät zu einer Geburt kommt; so entsteht nach und nach das Porträt einer Gesellschaft mitten in der Weltwirtschaftskrise, einer Gesellschaft im Umbruch.

Dass Shimizu dabei auch vor kontroversen Themen nicht zurückschreckt, belegt eine Episode, in der Arigatou-san sich mit einer jungen Koreanerin unterhält, die mit ihrer Familie am Bau der Straße arbeitet, auf welcher sich der Bus durch die Berge windet. Sie beklagt, dass sie immer von einer Baustelle zur nächsten weiterziehen müssen, und keine Chance auf ein richtiges Leben und ein Zuhause haben. Vor dem Hintergrund, dass Korea damals von Japan besetzt war und viele Koreaner in Japan unter unwürdigen Bedingungen niedere Arbeiten verrichten mussten, ist dies eine erstaunliche Kritik an der Politik Japans.

Aber der Film liefert nicht nur ein Porträt von Menschen und der größeren Gesellschaft, in der sie leben. Die Fahrt des Busses führt auch durch die ländlichen Gegenden der Halbinsel Izu, die einerseits vom Meer, glitzernden Sandstränden und in der Sonne schaukelnden Fischerbooten, andererseits von steilen Bergen und engen Tälern geprägt ist. Und Shimizus Kamera zeigt uns immer wieder den Blick der Passagiere aus den Fenstern des Busses auf die vorbei huschende Landschaft, die heute wahrscheinlich längst unter Autobahnen verschwunden ist. So dokumentiert Mr. Thankyou auch das ländliche Japan, wie es zum Anfang des 20. Jahrhunderts, an der Schwelle zur Moderne, aussah.

Alles in allem ein ganz wunderbarer Film voll liebenswerter Charaktere, der zum Nachdenken und zum Lachen gleichermaßen anregt und mit einem überraschenden Ende aufwartet, der erstaunliche Tiefe bietet und einen Blick auf ein Japan, das es schon lange nicht mehr gibt. Absolut zu empfehlen!

Statt einer Buchrezension heute mal zwei Tipps für demnächst anstehende, interessante Buchveröffentlichungen.

Hayao Miyazaki: Starting Point 1979-1996
Jawohl, richtig gelesen! Der Anime-Großmeister höchstselbst hat ein Buch über die entscheidende Phase seiner Karriere verfasst, welches seine ersten eigenen Filmprojekte beginnend mit Castle of Cagliostro beschreibt. Aber das Buch verspricht mit seinen rund 500 Seiten nicht nur einzigartige Einblicke in die Entstehung seiner Meisterwerke, sondern soll auch den Menschen Miyazaki, seine Weltanschauung und Denkweise, aber auch ganz alltägliches aus seinem Leben näherbringen. Zweifellos absolute Pflichtlektüre, die bereits bei Amazon.com vorbestellt werden kann.

Patrick Galloway: Warring Clans, Flashing Blades – A Samurai Film Companion
Beim Stichwort „Samurai Filme“ dreht sich mir regelmäßig der Magen um, und wenn ich ein Buch sehe, das diese missratene Genre-Bezeichnung auch noch im Namen führt, bin ich erstmal nicht gut auf das Werk zu sprechen. Ich kann aber verstehen, dass die Bezeichnung als Verkaufsargument besser zieht als korrektere Bezeichnungen wie „Schwertkampffilme“ oder „Chanbara“, daher drücke ich mal ein Auge zu 😉 Zumal Galloway bereits mit „Stray Dogs & Lone Wolves“ so etwas wie ein populärwissenschaftliches Standardwerk zum Thema verfasst hatte. Jetzt steigt er noch weiter in die Materie ein und stellt weitere 50 Filme des Genres vor. Angesichts des Pre-order-Preises von lächerlichen 13,57 $ bei Amazon kann man da nicht viel falsch machen.

Tokyo Sonata

Original: Tokyo Sonata (2008) von Kiyoshi Kurosawa

Dank einer freundlichen Filmvorführerin, die zuerst sehr verantwortungsvoll sicherstellte, dass alle regulären Karteninhaber in der Vorstellung waren, dann aber doch noch eine kleine Gruppe akkreditierter Besucher in den Saal von Orfeos Erben schleichen ließ, konnte ich mir gestern Abend die Wiederholung von Tokyo Sonata auf der Nippon Connection ansehen. Und ich muss gestehen, dass ich nach all dem Buzz und Hype, der in den letzten Monaten um den Film gemacht wurden, etwas enttäuscht bin. Aber der Reihe nach.

Der leitende Angestellte Ryuhei Sasaki (Teruyuki Kagawa) erfährt, dass seine Abteilung aufgelöst und nach China verlagert wird, um Kosten zu sparen. Unfähig, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen, tut er so, als wäre alles beim Alten und geht weiter jeden Morgen „zur Arbeit“, damit seine Frau Megumi (Kyoko Koizumi) und seine beiden Söhne nichts mitbekommen. Während Ryuhei panisch bemüht ist, durch Rituale des Alltags Normalität vorzugaukeln und seine Autorität als Familienernährer zu wahren, zerfällt diese Autorität angesichts der Suche aller Familienmitglieder nach Sinn im Leben mehr und mehr.

Tokyo Sonata beginnt zunächst als bitterböse Gesellschaftssatire, voll ätzender Kritik an einem kapitalistischen System, für das Menschen nur Ressourcen sind und in dem ein Mann ohne Arbeit irgendwo zwischen „wertlos“ und „aussätzig“ eingestuft wird. Ungläubig und hilflos muss Ryuhei mitansehen, wie eine schneidige junge Chinesin – die aber auch nur instrumentalisiert wird – ihm den Job abknöpft, wie er eiskalt abserviert wird und sich auf einem Arbeitsmarkt wiederfindet, der ihm nur Tagelöhnerdienste zu bieten hat.

Doch dann verschiebt sich der Fokus des Films mehr auf die Familie Sasaki, deren ältester Sohn sich rast- und ziellos die Nächte um die Ohren schlägt, bis er auf die Idee kommt, sich freiwillig für die US-Armee zu melden. Auch der jüngere Sohn sorgt für Ärger, weil er heimlich gegen den Willen seines Vaters Klavierunterricht nimmt. Dazwischen versucht Mutter Megumi, ihre Familie irgendwie zusammenzuhalten und gleichzeitig auch für sich einen Neuanfang zu finden.

In dieser Phase nimmt der Film mehr den Charakter eines Familiendramas an, das zunächst mit leisen Tönen und feinen Beobachtungen beginnt und mit der Eskalation der persönlichen Konflikte Tempo aufnimmt. Dann jedoch passieren merkwürdige Dinge: Eine Entführung, ein mysteriöses Geldpaket in einer Kaufhaustoilette, ein Autounfall, eine Nacht im Gefängnis wegen Schwarzfahrens – der Film, der zuvor bereits den Umschwung von der Gesellschaftssatire zum Familiendrama verkraften musste, gerät nun aus den Fugen.

Tokyo Sonata ist sicherlich ein guter Film voller wunderbarer Ideen, der sich vieler Themen unserer Zeit kritisch annimmt und von enorm starken Darstellern (allen voran Kyoko Koizumi) getragen wird. Aber ihm fehlt die rote Linie, der Rahmen, der alles zusammenfasst und an seinen rechten Platz setzt. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Regisseur Kurosawa, der mit intelligenten Horrorfilmen berühmt geworden ist, sich für seinen ersten großen „ernsten“ Film zu viel auf einmal vorgenommen hat. Das große Meisterwerk, als das der Film immer mal wieder bezeichnet wird, ist er noch nicht. Aber das Potenzial ist da. Ich bin schon auf das nächste Projekt von Kiyoshi Kurosawa gespannt!

Original: Gion Bayashi (1953) von Kenji Mizoguchi

Nach dem Tod ihrer Mutter sucht die 16jährige Eiko (Ayako Wakao) Zuflucht in dem Geisha-Haus, in dem ihre Mutter einst arbeitete. Dort nimmt die respektierte und etwas traditionelle Miyoharu (Michiyo Kogure) sie unter ihre Fittiche und ermöglicht ihr die teure Ausbildung zur Geisha, die Eiko in Rekordzeit ablegt.

Bei ihrem Debut begegnen Miyoharu und Eiko (nun unter ihrem Künstlernamen Miyoei) dem Geschäftsmann Kusuda, einem wichtigen Stammkunden. Kusuda (Seizaburo Kawazu) versucht gerade, einen Regierungsauftrag an Land zu ziehen und beglückt dazu den zuständigen Beamten mit allerlei schönen Dingen €“ unter anderem Geisha-Darbietungen. Kusuda entgeht nicht, dass der Beamte ein Auge auf Miyoharu geworfen hat, und lädt sie und Miyoei zu einem Besuch in Tokyo ein. Nicht ahnend, dass Kusuda seinem Kunden eine Nacht mit Miyoharu versprochen hat, nehmen die beiden die Einladung an. Als der Plan jedoch auffliegt ist die Empörung groß, und als sich Miyoei auch noch den Annäherungsversuchen Kusudas gewaltsam erwehrt, kommt es schließlich zum Eklat.

Zum Auftakt von Gion Bayashi, während Eiko in den verschiedensten Künsten vom Blumenstecken über Tanz bis zum Shamisen-Spiel unterrichtet wird, wird das traditionelle Bild der Geisha als Künstlerin zelebriert. In einer Szene spricht eine Lehrerin sogar ausdrücklich davon, dass Geishas neben dem Fujiyama das Sinnbild Japans und japanischer Kultur schlechthin seien. Nachdem Mizoguchi dieses Bild sorgsam aufgebaut hat, macht er sich im weiteren Verlauf des Films daran, es Stück für Stück zu zertrümmern und dem Zuschauer vor Augen zu führen, wie sehr Geishas als Ware und Verhandlungsmasse instrumentalisiert und dabei auf ihren Körper reduziert werden.

Diesen Gegensatz aus Anspruch und Realität verstärkt Mizoguchi besonders dadurch, dass er dem ersten Drittel des Films mit Eikos Aufnahme im Geisha-Haus, der Suche nach einem Bürgen, ihrer Ausbildung inklusive frühem Aufstehen und schließlich ihrer Einführung in die „Gesellschaft“, viele kleine Details mitgibt und so einen schon fast halbdokumentarischen Charakter verleiht. So gewinnt der Film eine große Authentizität und Glaubwürdigkeit, welche sich dann auch auf die Darstellung der Schattenseiten überträgt.

Bei der Ausleuchtung dieser Schattenseiten ist besonders erschütternd, dass keineswegs nur die Geschäftsmänner, die Sex zur Durchsetzung ihrer Deals nutzen, die Integrität der Geishas unterminieren. Vielmehr werden die größeren Strukturen, in denen die Geishas ihrer Arbeit nachgehen, offengelegt: Seniorität, finanzielle Abhängigkeiten, Intransparenzen, Machtkalkül und kaltes Profitdenken regieren hier wie anderswo auch. Letztlich wird Miyoharus Widerstand von einer wohlhabenden und einflussreichen ehemalige Geisha und Förderin mittels massivem Druckes gebrochen: Um finanziell zu überleben und Eikos Zukunft nicht zu runieren, gibt Miyoharu ihre Würde und Integrität auf und willigt letztlich in Kusudas Plan ein.

Dabei unterstreicht Mizoguchi die vielfältigen Abhängigkeiten, das Ausgeliefertsein der Geishas, mittels eindringlicher Bilder. Immer wieder zeigt er Miyoharu und Eiko allein oder gemeinsam durch einen engen, dunklen Tunnel gehen oder von ihren Kunden durch Vorhänge oder Stellwände visuell getrennt.

Jenseits dieser kritischen Betrachtung der Welt der Geishas besticht der Film aber auch mit zwei großartigen Hauptdarstellerinnen, die wunderbar harmonieren. Ayako Wakao gibt ihrem Charakter eine herrliche jugendliche Naivität, Aufgewecktheit und Liebenswürdigkeit mit, während Michiyo Kogure ihre Rolle bei aller Erfahrenheit und Abgeklärtheit mit großer Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, aber auch mit spürbarer Verzeiflung und innerer Zerrissenheit angesichts der Bedrohung ihrer Integrität und ihres Selbstverständnisses ausstattet. Wie diese beiden unterschiedlichen Frauen zu Freundinnen werden, und – vergeblich – versuchen, dem Druck standzuhalten, gibt dem sozialkritischen Gion Bayashi ein sehr menschliches Antlitz.

Die Nippon Connection in Frankfurt sucht noch dringend freiwillige Helfer und Leute, die eine Unterkunft für Gäste bereitstellen können. Besonders groß scheint der Bedarf an Gästebetreuern zu sein:

Am begehrtesten sind Leute, die unsere japanischen Gäste durch die Gegend fahren, die dafür sorgen, dass unsere Gäste was zu essen bekommen, die die Videokunst-Ausstellung im Mousonturm betreuen und sich als „Mädchen“ für alles zur Verfügung stellen.

Helfer werden mit allem Notwendigen versorgt und können kostenlos die Filme ansehen! Aus meiner eigenen Erfahrung vom JFFH kann ich jedem, der in der Frankfurter Region wohnt und Zeit hat nur dringend empfehlen, mitzumachen! Speziell Gästebetreuung macht einen Riesenspaß, diese Gelegenheit solltet ihr euch nicht entgehen lassen!

Wer bereit ist, meldet sich einfach unter helfer[at]nipponconnection.com, und wer noch ein Zimmer frei hat für Gäste des Festivals schreibt an info[at]nipponconnection.com!

So, noch ein Arbeitstag dann beginnt der Osterurlaub und das heisst dieses Jahr auch: Der Besuch auf der Nippon Connection steht kurz bevor! Das wird das erste Mal, dass ich auf dem größten japanischen Filmfest (der Welt? Europas? Deutschlands?) vorbeischaue, und ich bin schon sehr sehr gespannt, naturlich auf die Filme aber ebenso darauf, was die Organisatoren dort so alles auf die Beine stellen, wie die Dinge dort laufen und was neben den Filmen noch alles geboten wird.

Ich werde zwei Tage in Frankfurt sein, und zwar Donnerstag und Freitag, und habe mir folgende Filme vorgenommen:

Donnerstag:
16:00 Tokyo Zokei University Special
19:45 Still Walking (Kore-eda)
22:15 Tokyo Sonata (Kurosawa)

Freitag:
14:00 Osaka Hamlet (Mitsuishi)
17:00 The Kiss (Manda)

Chris MaGee vom Toronto J-Film Pow-Wow ist auch dabei (wenn er seine Erkältung noch auskuriert bekommt)! Wer noch? Jemand Lust auf ein Bierchen oder Yakitori? 🙂