Archive for the ‘Shindo Kaneto’ Category

Aus heiterem Himmel kam mal wieder die Info vom Japanischen Kulturinstitut in Köln, dass dort eine Retrospektive mit 17 Filmen von Kaneto Shindo gezeigt wird. Kaneto Shindo starb im Mai letzten Jahres im Alter von 100 Jahren. Er gehörte nicht nur zu den wichtigsten und einflussreichsten japanischen Regisseuren des 20. Jahrhunderts, sondern auch weltweit zu den ältesten aktiven Regisseuren: Seinen letzten Film Ichimai no hagaki drehte er 2010 mit 98 Jahren. Neben seinen knapp 50 Filmen als Regisseur schrieb er die Drehbücher zu mehr als 100 weiteren Filmen. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Meisterwerke wie Onibaba, Die nackte Insel und Die Kinder von Hiroshima, die alle auch Teil der Retro in Köln sind:

  • Die Kinder von Hiroshima (1952)
  • Epitome (1953)
  • The Ditch (1954)
  • Lucky Dragon Number 5 (1959)
  • Die nackte Insel (1960)
  • Mother (1963)
  • Onibaba (1964)
  • Live Today, die Tomorrow (1970)
  • Kenji Mizoguchi – The life of a director (1975)
  • The Life of Chikuzen (1977)
  • Deciduous Tree (1986)
  • Sakuratai 8.6 (1988)
  • The strange story of Oyuki (1992)
  • A last note (1995)
  • The will to live (1998)

Wer sie sehen will, muss sich allerdings beeilen, die Retrospektive startete bereits am Donnerstag, alle Infos zu den Terminen bietet die JKI-Webseite.

Onibaba

Original: Onibaba (1964) von Kaneto Shindo

Im vom Bürgerkrieg zerrissenen und zerstörten Japan sichern sich zwei Frauen, Mutter und Schwiegertochter, ihre Existenz, indem sie verwundeten oder getöteten Samurai ihre Waffen und Kleider abnehmen und diese verhökern. Eines Tages kehrt ihr Nachbar Hachi (Kei Sato) zurück und berichtet vom Tod des Sohnes bzw. Ehemanns. Zunächst machen die drei gemeinsame Sache und töten mehrere Samurai, aber zwischen Hachi und der Schwiegertochter (Jitsuko Yoshimura) entwickelt sich schnell eine starke sexuelle Anziehungskraft.

Diese bedroht die Existenz der Mutter (Nobuko Otowa), denn sollte ihre Schwiegertochter sie zugunsten von Hachi verlassen, wäre sie allein auf sich gestellt und dem Hungertod geweiht. So versucht sie es mit Einschüchterung und Ammenmärchen über Ehebrecher, die in der Hölle landen würden. Dann begegnet ihr ein Samurai mit einer merkwürdigen Maske, dem sie nach seinem Tod die Maske abnimmt, um damit ihre Schwiegertochter von Besuchen bei Hachi abzuhalten. Doch die Maske lässt sich nicht so einfach missbrauchen.

Onibaba Screenshot 1

Der Film konzentriert sich ganz auf diese ungewöhnliche Dreiecksbeziehung, andere Charaktere kommen so gut wie nicht vor. Der obige Screenshot aus einer Szene am Anfang des Films symbolisiert die Situation perfekt (falls dies von Kaneto Shindo so beabsichtigt war, muss er Wunder bewirken können): Die beiden Frauen bilden eine Einheit, doch die eine von ihnen wendet ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der noch ein Außenseiter ist, während die andere dadurch noch mehr gezwungen ist, sich auf sie zu konzentrieren.

Vögel tauchen immer wieder in Onibaba auf, aber der Film ist so voller Symbole und Anspielungen, dass es unmöglich ist, hier auf alles einzugehen und zu interpretieren. Zudem wurde das in den letzten Jahrzehnten bereits ausgiebig getan, und auch Regisseur Shindo hat bereitwillig in Interviews Auskunft gegeben, was er sich bei dem Film gedacht hat. Daher werde ich mich gar nicht weiter mit wilden Interpretationen befassen, sondern mich an das halten, was Shindo selbst zur Einordnung des Films sagte.

Onibaba Screenshot 2

Onibaba beginnt mit zwei verletzten Samurai, die sich durch die Susuki-Felder kämpfen, wie im klassischen Jidaigeki-Film. Dann verschiebt Shindo den Fokus aber komplett, als die beiden Samurai hinterrücks von den beiden Frauen erstochen werden, um die sich der Film von nun an dreht. Dies ist eindeutig Ausdruck der sozialistischen Weltsicht Shindos und seinem Interesse an den unterprivilegierten, unterdrückten Menschen und solchen, die am Rand der Gesellschaft stehen.

Im Gegensatz zu den anderen Akteuren bleiben die beiden Frauen ohne Namen, sie sollen stellvertretend stehen für alle Menschen und deren unbedingten Willen zu Überleben. In der Tat dreht sich für die drei Protagonisten den ganzen Film über alles ausschließlich um die Befriedigung der absoluten Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Sex. So ist es auch nicht allzu überraschend, dass in Onibaba nicht allzuviel gesprochen wird. Shindo äußerte mehrfach seine Bewunderung für diesen unbändigen Willen der Menschen, entgegen aller Widrigkeiten und selbst unter höllischen Bedingungen weiterzuleben. Dieses Thema findet sich auch in Die nackte Insel wieder, den er vier Jahre zuvor gedreht hatte.

Onibaba Screenshot 3

Das tiefe Loch mitten in dem Nichts aus Wasser und Schilf, in das die Frauen die toten Samurai „entsorgen“, dient als Symbol für den Tod. Mehrfach springen die beiden über das Loch und so symbolisch dem Tod von der Schippe. Mit einer solchen Szene endet auch der Film – die Schwiegertochter springt über das Loch, bei der ihr hinterherlaufenden Mutter bleibt offen, ob sie hineinstürzt. Shindo hat allerdings in einem Interview selbst die Interpretation nahegelegt, dass sie es schafft, weil sie immer noch vom unbedingten Willen zum Leben beflügelt wird und sich auch durch die ihr widerfahrene Bestrafung durch die Maske nicht unterkriegen lässt.

Zwar leben die Frauen in stetiger Angst vor den kriegführenden Samurai, aber auch der zurückgekehrte Hachi ist ein Eindringling, beschwört Konflikte herauf. Die Mutter lässt ihn das unmissverständlich wissen: „Wir sind wir und du bist du.“ Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl, jeder versucht nur, sein eigenes Überleben zu sichern. Als die Tochter dann ihr Verhältnis mit Hachi beginnt, merkt die Mutter wie sich dieses Gemeinschaftsgefühl verschiebt und sie droht, nun selbst zur Außenseiterin zu werden. Um die Schwiegertochter an sich zu binden, schürt sie deren schlechtes Gewissen und berichtet Schauermärchen über die Hölle, in die Ehebrecher nach dem Tode kämen. Dies könnte durchaus auch ein Seitenhieb Shindos auf die Instrumentalisierung sexueller Begierden durch religiöse Bewegungen sein.

Onibaba Screenshot 4

Je weiter sich die Beziehung von Hachi und der Tochter entwickelt, um so mehr verschieben sich die Gewichte in der Beziehung zwischen den beiden Frauen. Ist es anfangs die Mutter, die den Ton angibt, wird die Tochter nach und nach immer aufmüpfiger und unabhängiger. Als sie am Ende entdeckt, dass hinter der Maske kein Dämon sondern ihre Schwiegermutter steckt, kehrt sich die ursprüngliche Abhängigkeit in ihr Gegenteil um, nun hält sie alle Trümpfe in der Hand und die Schwiegermutter ist ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Shindo bringt dieses neue Machtverhältnis auch ganz bildhaft zum Ausdruck.

Überhaupt, die Bilder! Wie kaum ein anderer Film brennt sich Onibaba unauslöschlich ins Gedächtnis ein mit seiner unvergesslichen Bildsprache. Kein anderer japanischer Film ist in den letzten Jahren so oft von Lesern meines Blogs angefragt worden, und alle Mails lauteten etwa „ich habe da mal einen Film gesehen, in dem überall Schilf ist, vielleicht wissen Sie, welcher das sein könnte?“ und dann weiß ich schon, dass sie nur Onibaba meinen können. Das Schilf soll übrigens laut Shindo ebenfalls ein Symbol sein, für das bewegte, vom Sturm gepeitschte Leben der Menschen und deren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Onibaba Screenshot 5

Nicht nur das Schilf prägt den Film, es sind vor allem auch die Kontraste. Der ständige Gegensatz von hell und dunkel, der sich im Schattenwurf des Schilfs findet, wird in vielen Szenen aufgegriffen, in denen die Protagonisten sich durch Tupfen von Licht kämpfen. Ruhige und lange Einstellungen wechseln mit dynamisch geschnittenen Szenen, auf Landschaftsbilder folgen Nahaufnahmen. Das setzt sich auch klanglich fort: Momente absoluter Stille werden plötzlich von dröhnenden Paukenschlägen unterbrochen.

Die Dreharbeiten müssen für alle Beteiligten die Hölle gewesen sein. Praktisch einen ganzen Sommer, von Juli bis September, verbrachte das Team rund um die Uhr in einem Sumpf. Auf Grund des niedrigen Budgets waren die Unterkünfte sehr einfach gehalten und wurden bei Taifunen mehrfach überschwemmt. Shindos Regieassistenten verbrachten Tage damit, bis zur Hüfte im Schlamm stehend das tiefe Loch zu graben oder hölzerne Planken zu verlegen, auf denen die Schauspieler dann ihre spektakulären Läufe durch die Schilflandschaft durchführen konnten. Die emotionale und atmosphärische Dichte des Films dürfte zu einem guten Teil auf diese extremen Arbeitsbedingungen, die das Team zusammenschweißten, zurückzuführen sein.

Onibaba Screenshot 7

Onibaba ist zweifelsohne eines der herausragendsten Werke der japanischen New Wave Ära und bis heute einer der international bekanntesten japanischen Filme überhaupt – und das völlig zu Recht! Regisseur und Drehbuchautor Kaneto Shindo verwandelte ein altertümliches japanisches Schauermärchen in eine Parabel voller psychologischer Anspielungen und zeitlos-universeller Themen und fing diese in berauschend schönen, ausdrucksstarken schwarz-weiss Bildern ein. So ist Onibaba ein gleichermaßen intelligenter wie schön anzusehender, unterhaltsamer wie zutiefst verstörender Film.

Kaneto Shindo

Aus Anlass des Todes von Kon Ichikawa habe ich diesen neulich als den letzten großen Regisseur aus der goldenen Nachkriegsära des japanischen Films bezeichnet. Für die allererste Garde ist das sicher zutreffend, aber es gibt da noch einen nicht ganz so bekannten Regisseur, der noch immer am Leben und sogar noch älter ist: Kaneto Shindo.

Geboren am 28. April 1912 kam Shindo Mitte der 1930er zum Film, zu einer Zeit also, als in Japan noch überwiegend Stummfilme gedreht wurden! Zunächst war er als Drehbuchautor tätig (in seiner langen Karriere kann er auf etwa 200 Drehbücher zurückblicken), und arbeitete als solcher mehrfach mit Kenji Mizoguchi zusammen, der zu seinem großen Vorbild wurde. Aus dieser Zusammenarbeit gingen in den Nachkriegsjahren mit My Love has been burning und The Victory of Women zwei Filme mit hohem sozialkritischem Anspruch hervor. Überhaupt wird Shindo als dem sozialistisch-kommunistischen Lager zugehörig beschrieben, nicht zuletzt von Donald Richie.

1951 gab er dann mit Story of a beloved wife sein Debut als Regisseur, mit seiner Ehefrau Nobuko Otowa in der Hauptrolle, die auch bei seinen weiteren Filmen mitwirkte. Größere Bekanntheit als Regisseur erlangte er dann 1952 mit Die Kinder von Hiroshima und vor allem ab 1960 mit Filmen wie Die nackte Insel, der den Großen Preis des Moskauer Filmfestes gewann, und seinem wohl bekanntesten Werk überhaupt, Onibaba. Letzterer läutete eine thematische Wende hin zu Themen der Sexualität ein.

Mizoguchis Einfluss auf Shindos Filme ist kaum zu übersehen: Lange Einstellungen, viele ausladende Kamerafahrten, sehr harmonische Bildkomposition und viel Liebe und Zuwendung zum Detail. Zudem stehen auch bei Shindo meist Frauen und ihr hartes Schicksal im Zentrum der Filme. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Shindo 1975 eine zweieinhalbstündige Dokumentation über Leben und Werk seines großen Vorbilds drehte.

Sein neuester Film Hanawa Chiredomo ist übrigens für ein Release in diesem Jahr vorgesehen, was ihn mit bald 96 Jahren zum ältesten zweitältesten aktiven Regisseur der Welt macht. Wahrlich ein lebendes Stück Filmgeschichte!

Wichtige Filme Kaneto Shindos:

1951 – Story of a beloved wife
1952 – Children of Hiroshima
1955 – Okami
1960 – Die nackte Insel
1963 – Mother
1964 – Onibaba
1968 – Kuroneko
1975 – Kenji Mizoguchi: The Life of a Film Director
1981 – Hokusai manga
1992 – The Strange story of Oyuki
2003 – Fukurō

Original: Gembaku no ko (1952), von Kaneto Shindo

Jahre sind vergangen seit die Kindergärtnerin Takako (Nobuko Otowa) das letzte Mal in ihrer Heimatstadt Hiroshima war. Nun kehrt sie für ein paar Tage zurück, um alte Freunde und die Kinder zu besuchen, die sie vor dem Abwurf der Atombombe betreut hatte. Bei der Ankunft in der Stadt und dem Besuch des durch die Bombe zerstörten Hauses ihrer Familie, leben zunächst ihre eigenen Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag wieder auf, bevor sie nach und nach mit jeder Person der sie begegnet mit den Folgen für die Überlebenden konfrontiert wird.

Da ist ihre Freundin und frühere Kollegin, die gerade mit ihrem Mann ein Kind adoptieren will, weil sie selbst steril wurde. Ein Mädchen, das plötzlich an den Spätfolgen der Strahlung stirbt. Eine Frau, die unter ihrem eigenen, einstürzenden Haus begraben und zum Krüppel wurde. Und natürlich die Kinder, von denen viele zu Waisen wurden, die nun in Heimen aufwachsen.

children of hiroshima screenshot 1

Shindo verlagert dann den Schwerpunkt des Films langsam von der Auseinandersetzung mit dem Leid der Vergangenheit und der Gegenwart aber auf den Kampf um die Zukunft. Symbolisiert wird diese durch den Enkel eines ehemaligen Angestellten von Takakos Familie, der durch den Blitz der Bombe erblindete, nun als Bettler dahinvegetiert und das Kind daher in ein Heim geben musste. Takako bietet ihm an, sich um den Jungen zu kümmern und ihn zu ihrer Verwandtschaft mitzunehmen, wo er in sicheren Verhältnissen aufwachsen würde und ihm die Zukunft offenstünde.

Für den alten Mann ist sein Enkel jedoch der einzige Halt in diesem von der Bombe zerstörten Leben. Er lehnt das Angebot zuerst ab, gerät dadurch aber in einen schweren Gewissenskonflikt, den er schließlich nur durch Selbstmord zu lösen im Stande ist. So kann Takako am Ende doch den kleinen Jungen aufnehmen und ihm den Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft öffnen, angedeutet in der letzten Szene des Films: Hand in Hand machen sich die beiden an Bord eines Schiffes auf zu neuen Ufern, Hiroshima und die Vergangenheit hinter sich lassend.

children of hiroshima screenshot 3

Dass die Wunden des Erlebten nicht ganz so einfach heilen, macht Shindo vorher aber noch sehr nachdrücklich deutlich: Als Takako sich am Hafen von ihrer Freundin verabschiedet, ist das Motorengeräusch eines einzelnen Flugzeugs in der Ferne zu hören. Unwillkürlich blicken beide besorgt und verängstigt gen Himmel und werden erst durch den Jungen, der ganz unbedarft – fast begeistert – auf das Flugzeug reagiert, in die Gegenwart zurückgeholt.

Die Kinder von Hiroshima war meines Wissens der erste Film, der sich mit dem Atombombenabwurf beschäftigte. Die Ereignisse des 6. August 1945 selbst spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle und werden nur kurz mittels einiger Flashbacks aus Takakos Sicht beleuchtet.

Regisseur Kaneto Shindo nahm nur ganz wenige, kurz aufblitzende schockierende Bilder zu Hilfe, was auch dem fast dokumentarischen Charakter des Films entspricht. Dieser ist zum einen geprägt von der Trauer um die Toten und Takakos Mitgefühl für das Leiden der Überlebenden, ohne dabei aber allzu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Zum anderen geht es um die Überwindung des Traumas und um einen Neuanfang für die nachkommenden Generationen, was dem Film am Ende einen fast hoffnungsvollen Touch verleiht.

children of hiroshima screenshot 2

Somit geht es dem Film weniger darum, die Grausamkeit der Bombe (und damit die Amerikaner) anzuklagen, als vielmehr, das Leid der Betroffenen zu beklagen, aber dieses letztlich auch zu überwinden. Mit diesem Ansatz enttäuschte Shindo zwar nicht das Publikum, aber wohl seinen Auftraggeber, die Lehrergewerkschaft.

Diese wollte sich des Films als Mittel im Streit um die politisch-historische Wertung des Bombenabwurfs bedienen und die japanische Opferrolle untermauern (die Verharmlosung japanischer Kriegsverbrechen setzt sich nahtlos bis in die Gegenwart fort). Vermutlich hatte man sich von Shindo, der aus dem sozialistischen Lager kam, eine anti-amerikanische Haltung versprochen, wurde darin aber enttäuscht. Er nutzte die Gelegenheit statt dessen, um einen durch und durch unpolitischen und humanistischen, zeitlosen Film zu machen, der dadurch bis heute sehenswert und in seinem reifen Umgang mit der schwierigen Materie beeindruckend ist.

Original: Hadaka no shima (1960) von Kaneto Shindo

Regisseur Shindo und sein (kleines) Team unabhängiger Filmemacher wollten von Anfang an einen außergewöhnlichen Film schaffen, und das ist ihnen gelungen. Die nackte Insel kommt völlig ohne Dialoge aus und lässt statt dessen die großartigen Bilder sowie die einfühlsame Musik Hikaru Hayashis sprechen.

Der Film schildert in drei Akten das harte Leben einer vierköpfigen Familie auf einer winzigen Insel, die so unwirtlich ist, dass sogar das Süßwasser aufwändig von der nächstgrößeren Insel per Boot herangeschafft werden muss. Und so besteht der typische Tagesablauf, den wir im ersten Akt gezeigt bekommen, fast ausschließlich aus dem Transport von Wasser: Das Füllen der Eimer an der Quelle, das Tragen der Eimer zum Boot, die Überfahrt zur Insel, das Tragen der Eimer hinauf auf die steilen Felder und das Bewässern der Pflanzen werden in langen Einstellungen immer wieder gezeigt.

Naked Island Screenshot1

Obwohl bestimmt die Hälfte des Films dem Transport des Wassers gewidmet ist, kommt nie Langeweile auf. Denn mittels Perspektivwechseln, Schnitten und Bildkomposition gelingt es Shindo, die harte, sich immer wieder gleich abspielende Arbeit auf eine fesselnde Art und Weise darzustellen: Wenn die Mutter (Nobuko Otowa), schwer beladen mit zwei riesigen Eimern ihrer wertvollen Fracht, den schmalen Trampelpfad hinaufsteigt, dabei jederzeit umzuknicken oder zu stolpern droht, entsteht eine ganz eigene Spannung.

Naked Island Screenshot2

Zwischen die Szenen vom beschwerlichen Transport des Wassers schneidet Shindo außerdem immer wieder Bilder vom Bewässern der Pflanzen auf den Feldern: Mit großer Konzentration und Sorgfalt erhält jede einzelne Pflanze etwas Wasser, das sogleich in der ausgetrockneten Erde versickert. Schnitt zur Mutter, die schweißbedeckt schwankenden Schrittes das Wasser den Berg hinaufträgt. Schnitt zum im Erdboden versickernden Wasser, usw.

Naked Island Screenshot3

Im zweiten Abschnitt werden die Jahreszeiten mit ihren je verschiedenen Arbeiten (bearbeiten des Bodens, säen, ernten) gezeigt und wie die beiden Jungen einen großen Fisch fangen, was zu Szenen der Freude und des Familienglücks einschließlich eines Ausflugs in die nächstgrößere Stadt führt. Die damit verbundene Entspannung und Auflockerung bereitet dann den dramatischen dritten Teil vor, in dem einer der beiden Söhne stirbt, was die Mutter an den Rand der Selbstaufgabe und der Verzweiflung treibt.

Die Bedeutung der Arbeit als sinnstiftendes, spirituelles Element herauszuarbeiten, das der Mensch zum Leben braucht wie die Pflanzen das Wasser, war eines der Ziele Shindos (dies und mehr berichtet er im Audiokommentar der exzellenten Eureka-DVD). Trotz der Mühsal, der scheinbaren Sinnlosigkeit des immer gleichen Tragen des Wassers, das dann in der Erde versickert, entsteht aber nie der Eindruck des Leidens oder der Unzufriedenheit. Da Shindo die unter der Last der Eimer gebeugten oder beim Rudern schwitzenden Körper der Eltern immer wieder gegen den Himmel zeigt, wird die nicht endenwollende Plackerei so um ein Element der Leichtigkeit, ja der Erhabenheit ergänzt.

Naked Island Screenshot4

Zur Stimmung des Films trägt ganz entscheidend Hikaru Hayashis unvergessliche Musik bei. Manchmal melancholisch angehaucht, manchmal fast mediterran-beschwingt, begleitet sie mit an Wellen erinnernden Gitarren- und Klavierakkorden die Personen und ihre Gefühle oder kündigt bedeutungsschwanger die dramatische Zuspitzung am Ende an. Mir fällt kein anderer Film ein, in dem Musik und Bilder eine so ausgewogene, perfekte Symbiose eingehen.

Die Einfachheit, der Verzicht auf jeglichen Dialog, die an Tages- und Jahreszeitenverlauf orientierte Struktur und die Verwendung von schwarzweiß-Film verleihen dem Film einen hohen Grad an Abstraktion und Zeitlosigkeit. Die ganz im Mittelpunkt stehende Arbeit, und zwar die universellste Arbeit schlechthin, nämlich die auf dem Feld, zur Sicherstellung der eigenen Ernährung, und ihre spirituelle Bedeutung wird so unabhängig von Kultur und eigener Lebenswelt greifbar. Wahrhaftig ein Film für die Ewigkeit!