31 Aug
Original: Shinboru (2009) von Hitoshi Matsumoto
Leider hab ich es dieses Jahr auf dem Fantasy Filmfest nur zu einem Film geschafft, aber der war ein Volltreffer! Mit Symbol legt Hitoshi Matsumoto eine noch absurdere, irrwitzigere Komödie vor als es sein Der große Japaner schon war.
Ein Mann (Hitoshi Matsumoto) wacht eines Morgens in einem blaugrauen, leeren Raum auf, aus dessen Wänden die Familienjuwelen von unendlich vielen Putten hervorragen. Wie nicht anders zu erwarten, erwecken diese vielen kleinen Pimmel seine Neugier und er stellt fest, dass jedesmal, wenn er einen davon drückt, etwas in seinem Raum passiert: Mal fängt es an zu regnen, mal bekommt er Sushi, mal eine Vase. In einem parallel verlaufenden Strang wird uns unterdessen die Geschichte eines mexikanischen Wrestlers erzählt, die irgendwann aus heiterem Himmel massiv von dem Mann mit den Pimmeln beeinflusst wird – wie auch das Schicksal der ganzen Welt!
Im Prinzip stellt Symbol so etwas wie den gegenläufigen Ansatz zum Großen Japaner dar: Wurde damals ein Superheld in unglaublich normalen und langweiligen Situationen gezeigt, wird nun ein ganz normaler Mann in eine völlig unglaubliche Situation geworfen. Allein deshalb liegt der Schluss nahe, dass Symbol einen größeren, offensichtlicheren Unterhaltungswert hat. Hm, das könnte die Untertreibung des Jahres sein, der Film ist nämlich gespickt mit urkomischen, völlig überraschenden Situationen und macht verdammt viel Spaß!
Er regt aber auch zum Nachdenken an und kann durchaus auch sehr pessimistisch-negativ interpretiert werden. Aber da jegliche Form von Interpretation an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt massive Spoiler enthalten würde, verkneife ich mir das jetzt, in der Hoffnung, dass der Film bald auch auf DVD erscheint (go, rem, go!)
Der Mann, auf dessen Mist dieser ganze Wahnsinn wuchs, ist Hitoshi Matsumoto, in Japan ein Star-Comedian, der unter dem Namen „Mat-chan“ zusammen mit Masatoshi Hamada das Duo Downtown bildet. 1982 traten die beiden erstmals gemeinsam im Fernsehen auf, durchgestartet sind sie aber erst Ende der 80er Jahre. Diese etwas längere Anlaufphase hat wohl nicht zuletzt an ihrem ungewöhnlichen Stil gelegen, mit dem sie die Welt der Standup-Comedy in Japan (Manzai) revolutionierten.
Mit diesem Hintergrund und seinen beiden bisherigen Filmen ist Matsumoto auf dem besten Wege, die Nachfolge von Takeshi Kitano anzutreten, der seine Karriere ebenfalls als Teil eine Manzai-Duos begann und nicht zuletzt mit Filmen voll abstruser Situationen Kritiker und Publikum gleichermaßen überzeugte. Ich kann Symbol jedenfalls jedem nur wärmstens ans Herz legen und bin schon sehr gespannt, was sich Matsumoto als nächstes einfallen lässt.
25 Aug
Der japanische Film hat einen seiner wichtigsten, kreativsten und innovativsten Regisseure verloren – Satoshi Kon starb gestern im Alter von nur 46 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Als ich die Nachricht heute morgen las, war ich schlicht fassungslos, konnte und wollte es nicht glauben. So wird es uns allen gegangen sein, die wir seine der Zahl nach geringen, dafür aber umso bewundernswerteren Werke schätzten, verehrten, liebten. Für ihre psychologische Tiefgründigkeit, ihre überbordende Fantasie und ihren Detailreichtum, ihre atemberaubenden Perspektivenwechsel, ihren trockenen und feinsinnigen Humor, ihre technische Perfektion und ihre tiefe Menschlichkeit.
Was seinen Tod so tragisch, so unbegreiflich macht, sind nicht nur sein noch junges Alter und der Gedanke an die vielen genialen Momente, die er Filmliebhabern auf der ganzen Welt noch hätte bescheren können. Es ist auch das Wissen, dass er ein so einzigartiger, kompletter Künstler war, dass er unersetzbar ist. Niemand sonst könnte Filme machen, wie er sie gemacht hat. Satoshi Kon war nicht nur ein begnadeter Animationskünstler, oder ein intelligenter Drehbuchautor – er hatte die Fähigkeit, mit jedem seiner Werke eine geschlossene, durchdachte und neue Wege beschreitende Vision zu verwirklichen. Er war ein verdammtes Genie! Sein Tod ist ein dramatischer Verlust für die Animewelt und alle Liebhaber anspruchsvoller Filme.
Einem von ihm verfassten Abschiedsbrief, der heute auf seiner persönlichen Webseite veröffentlicht wurde, können wir entnehmen, dass er offenbar erst vor wenigen Monaten von den Ärzten die erschütternde Botschaft bekam, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat. Trotzdem sorgte er sich offenbar um die Fertigstellung seines nächsten, gerade in Arbeit befindlichen Werks – ein Perfektionist und im positiven Sinne vom Filmemachen Besessener.
Eine auszugsweise englische Übersetzung dieses Briefs kann bei ANN nachgelesen werden, aber um die Überschrift zu verstehen, brauche ich keine Hilfe: ã•ã‚ˆã†ãªã‚‰ – sayonara.
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Nachtrag: Eine komplette, exzellente Übersetzung des Abschiedsbriefs ins Englische findet sich bei Makiko Itoh.
24 Aug
Original: Shurayukihime (1973) von Toshiya Fuijta
Im Jahr 1873 führte der Meiji-Kaiser eine dreijährige Wehrpflicht für alle Männer zwischen 17 und 40 Jahren ein, was zu gewalttätigen Protesten im Land führte. In einem kleinen Dorf machten sich vier Schurken die Turbulenzen zunutze und töteten dabei einen Grundschullehrer und seinen Sohn und verschleppten und missbrauchten seine Frau. Bevor diese im Gefängnis stirbt, bringt sie jedoch noch ein Kind zur Welt, dem sie all ihren Hass auf die Täter und ihre Rachelust mitgibt.
20 Jahre später ist ihre im Gefängnis geborene und in der Obhut eines Priesters aufgewachsene Tochter Yuki (Meiko Kaji) eine durchtrainierte, herausragende Schwertkämpferin, deren einziger Lebenszweck darin besteht, das Schicksal ihrer Familie zu rächen. Unterstützt von einer Bettlerorganisation, für die sie als Auftragsmörderin tätig war, macht sie sich auf die Suche nach den Peinigern ihrer Eltern.
Einen gewaltigen Bekanntheitsschub erfuhr dieser auf einem Manga von Kazuo Koike basierende Klassiker des japanischen Kinos vor ein paar Jahren durch Quentin Tarantino, der die Idee und Teile der Story für Kill Bill aufgriff. In vielen Auseinandersetzungen mit Lady Snowblood wird seitdem auf die stilbildende Wirkung des Films und den Vergleich mit Tarantinos Opus abgehoben, doch den Einfluss des Films betrachte ich als gegeben und von einem Vergleich mit Kill Bill nehme ich hier Abstand, denn den habe ich noch nicht gesehen.
Vielmehr möchte ich herausstreichen, wie erstaunlich gesellschafts- und selbstkritisch Lady Snowblood ist. Mit dem ersten Punkt meine ich vor allem den gesellschaftlich-historischen Kontext: Sowohl in der 1873 spielenden Vorgeschichte als auch am Ende des Films werden Bezüge zu politischen Entscheidungen und historischen Entwicklungen hergestellt.
Das ist einmal natürlich die Modernisierung der japanischen Armee mit der Einführung der Wehrpflicht, was Voraussetzung für eine aggressive imperialistische und in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führende Politik war. Zum anderen sind es Andeutungen, dass Yukis letzter und gefährlichster Gegner eine gewichtige Rolle bei der Bewaffnung Japans und der Vorbereitung des ersten Chinesisch-Japanischen Kriegs 1894 spielte.
Der finale Showdown zwischen den beiden findet dann auch bezeichnenderweise anlässlich eines Maskenballs statt – der einstige gemeine Mörder und Betrüger ist in der westlich-bürgerlichen Maske groß herausgekommen und unterhält beste Beziehungen zu den oberen Zehntausend aus Wirtschaft und Politik. Als Yuki ihm schließlich den tödlichen Schwertstreich verpasst, stürzt er, sich an einer japanischen Flagge festhaltend, von einer Balustrade und reisst die blutbeschmierte Flagge mit sich hinab.
Für mich zeigt sich darin vor allem Kritik an der engen Verbindung von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, die 10 Jahre zuvor auch schon Akira Kurosawa in Die Bösen schlafen gut thematisiert hatte. Eine Kritik, die angesichts des andauernden Einflusses der Yakuza und zahlreicher Korruptionsaffären bis heute nicht so wirklich verstimmen will.
Darüber hinaus ist Lady Snowblood im Gegensatz zu den vielen anderen Rachefilmen seiner Zeit von Spiel mir das Lied vom Tod bis Ein Mann sieht rot (oder den entsprechenden japanischen Pendants) erstaunlich selbstkritisch. Ohne Scheu wird das Dilemma aufgegriffen, dass selbst die aus noch so nachvollziehbaren Gründen ausgeführte Rache neue Rachegefühle bei anderen Menschen weckt. So dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter und weiter.
Die meisten Fans des Films werden ihn aber nicht wegen dieser Aspekte lieben, sondern weil er einfach so verdammt cool ist, was vor allem an drei Faktoren liegt: Meiko Kaji, den vielfältigen und äußerst effektvollen visuellen Elementen und Meiko Kaji. Als Hauptdarstellerin war sie die Idealbesetzung, sie ist als erbarmungslose Rächerin einfach brillant und dominiert den Film mit ihrer unterkühlten, raubtierhaften Ausstrahlung. Außerdem trug sie als Sängerin noch den bekannten Titelsong bei, der auch von Tarantino wiederverwendet wurde.
Ihr Scherflein zur Unsterblichkeit des Films trugen aber auch Regisseur Fujita und Kameramann Masaaki Tamura bei. Mit außergewöhnlichen Kameraperspektiven, Bildkompositionen und Schnitten gelang es ihnen, Stilelemente des Manga aufzugreifen und so erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, dass der Film eine ganz eigene Atmosphäre erhielt. Typisch sind vor allem die zahlreichen Vogel- und Froschperspektiven und harte Schnitte etwa aus einer Totalen auf eine extreme Großaufnahme. Ein Paradebeispiel dafür findet sich gleich am Anfang des Films, als wir Yuki durch eine Schneelandschaft gehen sehen (siehe erster Screenshot) und dann direkt auf eine Großaufnahme ihres Fußes geschnitten wird.
Die zahlreichen Flashbacks, in denen die Ereignisse vor Yukis Geburt erzählt werden, werden zudem interessanterweise mit unterschiedlichen Mitteln inszeniert, vom branchenüblichen Einsatz eines Erzählers aus dem Off über Schwarzweißfotos bis hin zu manga-ähnlichen Bildern für die Veranschaulichung der historischen Hintergründe.
So hat Lady Snowblood wirklich alles, was zu einem Meisterwerk gehört: Eine zeitlose, intelligent umgesetzte und mitreißende Story, eine charismatische Hauptdarstellerin, einen fähigen Regisseur mit einer Vision und Kreativität sowie dem Mut, beides auszuleben und berauschend-düsteren Bildern. Dass auch noch eine ordentliche Portion blutiger Schwertkämpfe dazu kommt, schadet dem Ganzen nun wahrlich nicht. Ein absolutes Must-see!
21 Aug
Im Dezember haben wir hier die Besetzung des Regiestuhls beim neuen Ghibli-Film Karigurashi no Arrietty mit dem noch ziemlich jungen Hiromasa Yonebayashi diskutiert. Vom Look und Feel des Films konnten wir uns inzwischen anhand des einen oder anderen Trailers einen Eindruck machen. Inzwischen läuft der Film seit 18. Juli, also gut vier Wochen, in den japanischen Kinos, Zeit um mal einen Blick auf die Zahlen zu werfen.
Leider sind die Zahlen der verschiedenen Quellen nicht so wirklich deckungsgleich, aber das Einspielergebnis des Startwochenendes lag wohl leicht unter dem von Ponyo, was Verleiher Toho positiv stimmt und Gesamterlöse von mindestens 10 Billionen Yen (etwa 120 Mio $) erwarten lässt. Jetzt, nach vier Wochen, werden von Boxoffice Mojo für Karigurashi no Arrietty 74 Mio US-$ vermerkt, damit hat er bereits deutlich mehr eingespielt als Gedo Senki, das Spielfilmdebut von Hayao Miyazakis Sohn Goro.
Yonebayashi scheint bei seinem Debut also den Nerv des Publikums schonmal deutlich besser getroffen zu haben, das stimmt weiter positiv und lässt auch für die Zukunft auf schöne Ghibli-Filme hoffen! 🙂
Normalerweise greife ich nicht in die Leser-Kommentare ein (der Spam wird sowieso automatisch rausgefiltert), aber einmal war klar, dass ich einen Kommentar editieren musste. Das war vor einem halben Jahr, als in einem Kommentar zur Diskussion um den möglichen Kinostart von Ponyo jemand einen Link auf eine Seite setzte, die nur einem Zweck dient: Illegal Filme und Serien anzusehen. Zur Werbung für solche Seiten mag ich meinen Blog nicht hergeben!
Ich bin wahrhaftig kein Freund des sperrigen, vor Jahrhunderten entstandenen Urheberrechts, das heute freie Kreativität behindert und vor allem die Interessen einiger Konzerne schützt und dadurch auch die Verbreitung sehenswerter Werke unterbindet. Und ich bin schon gar kein Freund der Methoden, mit denen die Rechteinhaber teilweise ihre Rechte auszuweiten zu versuchen. Ich will hier aber keine Diskussion über Sinn und Unsinn des Urheberrechts führen, das passiert schon an anderer Stelle (für einen Einstieg empfehle ich netzwertig). Mir geht es auch nicht darum, Leute zu verteufeln; ich habe mich vor Jahren schließlich selbst über Pirate Bay-Downloads an japanische Filme herangetastet. Damals sah ich keine anderen Möglichkeiten, heute weiß ich, dass das falsch war.
Aber bei den meisten Streaming- und Download-Angeboten geht es nicht um idealistischen, selbstlosen Austausch seltener, schwer beschaffbarer Filme. Vielmehr wollen die Betreiber schlicht und ergreifend Geld verdienen, und das tun sie auch, und zwar nicht schlecht! Der Schaden, der durch solche illegalen Seiten entsteht, ist beträchtlich, und zwar nicht nur für die Rechteinhaber (sprich: Filmstudios) sondern letztlich auch für jeden Filmliebhaber. Denn solche illegalen Angebote führen dazu, dass legale Anbieter sich schwerer tun, auf den Markt zu kommen.
Das ist fatal, denn eigentlich liegt in der digitalen Distribution von Filmen über das Internet die Zukunft: Filme können so in Form eines virtuellen Gutes viel schneller, direkter und günstiger an den Kunden ausgeliefert werden als bisher in Datenträgerform, und zwar global. Hat man einen solchen Dienst erst einmal etabliert, entstehen durch das Hinzufügen weiterer Filme zum Angebot kaum noch Kosten, so dass es endlich möglich wäre, die große Masse an „Ladenhütern“ zugänglich zu machen. Davon wiederum würden wir Filmfans selbst am meisten profitieren: Anstatt ein paar Dutzend Filmen, die jährlich den Weg aus Japan auf eine deutsche oder englische DVD finden, könnten hunderte, ja sogar tausende Filme in relativ kurzer Zeit verfügbar gemacht werden, und das in guter Qualität!
In den USA gibt es mit Diensten wie hulu und Netflix bereits große und erfolgreiche Anbieter für legales Streaming von Filmen und Serien. Die Bibliothek von Netflix beispielsweise umfasst bereits zehntausende von Filmen, auf die man per Knopfdruck Zugriff hat. Vor wenigen Tagen hat Netflix für 1 Milliarde Dollar von mehreren großen US-Studios auf 5 Jahre die Rechte an aktuellen Kinofilmen gekauft und darf diese dann bereits 90 Tage nach dem Kinostart an seine Abonnenten streamen – ein direkter Angriff auf klassisches Fernsehen, Pay-TV und die DVD. Aktuell können die Streams zwar noch nicht mit der Qualität von Blurays mithalten, aber das ist auch nur eine Frage der Zeit. In Europa sind wir von solchen Deals noch meilenweit entfernt, mehr dazu findet sich aktuell auf SPon.
Der europäische Markt ist auf Grund der Sprachbarrieren, der unterschiedlichen rechtlichen Situation und der teilweise sehr kleinen Märkte ohnehin schon schwierig genug. Wenn dazu dann auch noch populäre illegale Angebote kommen, die einen großen Teil des Traffics abgreifen und legalen Anbietern die Margen zerschießen, dann kann man sich an einer Hand ausrechnen, dass wir so schnell nicht in den Genuß umfangreicher Online-Filmarchive kommen werden. Denn im Gegensatz zum legalen Anbieter, der sein Archiv direkt vom Rechteinhaber gefüllt bekommt, ist für einen illegalen Anbieter jeder zusätzliche Film mit Aufwand und Risiko verbunden.
Daher: Machen wir es möglichen Anbietern nicht noch zusätzlich schwierig, indem wir illegale Dienste unterstützen! Lasst die Finger von illegalen Seiten und kauft euch lieber DVDs, die es oft genug auch für kleines Geld gibt! Denn erstens ist es schlicht falsch und zweitens schneiden wir uns langfristig ins eigene Fleisch, wenn wir nur auf unseren kurzfristigen kleinen Vorteil achten und illegal Filme schauen.
Original: Otoko wa tsurai yo (1969) von Yoji Yamada
20 Jahre, nachdem der Tramp Torajiro Kuruma (Kiyoshi Atsumi), genannt Tora, im Streit von zuhause ausriss, kehrt er in seine Heimat Shibamata, einen Arbeitervorort von Tokyo, zurück. Das tränenreiche Wiedersehen mit Onkel und Tante, vor allem aber seiner jüngeren Schwester Sakura (Chieko Baisho), wird jedoch schon bald überschattet von einem heftigen Streit: Auslöser ist Tora selbst, der sich bei einem Ehevermittlungstreffen so katastrophal aufführt, dass die Familie des Bräutigams Sakura entsetzt absagt. So macht Tora sich wieder auf die Reise.
Wenig später treffen ihn jedoch Gozensama (Chishu Ryu), der Priester aus Shibamata, und dessen hübsche Tochter Fuyuko in Kyoto, wo Tora sich als Fremdenführer durchschlägt. Natürlich verliebt der sich vom Fleck weg in Fuyuko und kehrt mit ihr und ihrem Vater nach Shibamata zurück, wo er auf Umwegen auch gleich seinen Fehler wiedergutmacht und die Hochzeit Sakuras mit einem stillen Verehrer aus der Nachbarschaft einfädelt. Ihm selbst bleibt das Liebesglück allerdings versagt.
Dieser Film war der Auftakt zu einer der langlebigsten und vielteiligsten Filmreihen der Geschichte, bis 1995 folgten noch 47 weitere Filme, alle im Großen und Ganzen mit demselben Team und nach demselben Strickmuster: Tora-san kehrt zu seiner Familie zurück, richtet in seiner gutmütig-dämlichen Art mehr oder weniger großes Chaos an (Handlungsstrang 1) und verliebt sich unglücklich in eine Frau, die natürlich ein paar Nummern zu groß für ihn ist (Handlungsstrang 2). Am Ende macht er sich dann wieder auf die Socken.
Ich habe bisher die ersten vier Filme der Reihe gesehen und davon ist der erste eindeutig der beste. Es gibt darin einige Szenen, die zum lustigsten gehören, was mir in japanischen Filmen begegnet ist, vor allem dank des oft völlig abstrus-unangebrachten Verhaltens von Tora. Tränen gelacht habe ich beispielsweise in der Wiedersehensszene mit Sakura, die ihren lange verschollenen Bruder erst nicht erkennt. Als es dann doch bei ihr Klick macht, setzt natürlich die handelsübliche melodramatische Streichermusik ein, alle brechen in Tränen aus, nur Tora meint: „Ich muss jetzt mal Pissen!“
Auch wenn die Nebendarsteller wie Chieko Baisho oder Chishu Ryu ihre Rollen wunderbar ausfüllen, stehen sie doch alle im Schatten des den Film völlig dominierenden Kiyoshi Atsumi als Tora. Ich habe Atsushi vorher nur einmal gesehen, in Home from the sea, ebenfalls von Yoji Yamada. Dort spielt er einen Fischhändler, einen ähnlich wie Tora veranlagten, gutmütig-lustigen, allseits beliebten aber tragischen Typen, der jedoch viel ruhiger und „normaler“ daherkommt.
Mit Tora dagegen schufen Atsumi und Yamada eine Naturgewalt, einen unverwechselbaren Charakter für die Ewigkeit: Geschwätzig, lustig, teilweise extrovertiert bis zur Unerträglichkeit, faul und egozentrisch, gutmütig, tollpatschig, nicht gerade der Hellste, launisch, hilfsbereit und großzügig und sehr sentimental – ein manngewordener kleiner Junge. Dazu passen auch seine hilflosen und von vornherein zum Scheitern verurteilten Liebesavancen an seine jeweils Angebetete, die so unschuldig-schüchtern sind, dass den Frauen oft gar nicht klar ist, dass er in sie verliebt ist.
Ganz vortrefflich eingefangen ist in den Filmen auch das Japan der frühen Wirtschaftswunderjahre, als es auf der einen Seite noch einfache Händler und Arbeiter wie Toras Familie und Freunde gab, die sich mit harter Arbeit und einfachsten Mitteln irgendwie durchschlugen, und auf der anderen eine aufstrebende Mittelschicht, die in französischen Restaurants isst und Hawaii als Reiseziel entdeckt. Toras Welt ist das nicht, und wird es auch nie sein.
Die Serie spiegelt durch ihre lange Laufzeit ja auch ein Stück weit die Nachkriegsgeschichte Japans und die atemberaubende Entwicklung zu einem der reichsten Länder der Welt wider. Daher würde ich gerne noch einige der späteren Tora-san-Filme aus den 80ern und 90ern sehen. Die Figur des Tora muss im supermodernen Japan dieser Jahre eigentlich total deplatziert wirken und es würde mich sehr interessieren, was Yamada und Atsushi mit der Figur in diesem völlig veränderten Umfeld anstellen.
Alle 48 Filme muss ich aber wirklich nicht gesehen haben, dazu folgen sie zu sehr dem oben beschriebenen, immer gleichen Schema F und auch die Gags fangen ab dem dritten, vierten Film an, sich zu wiederholen. Den ersten und zweiten Teil kann ich jedem allerdings wärmstens empfehlen und ich hoffe auch noch auf das Erscheinen weiterer Filme der Reihe, denn ich bin total neugierig, ob Tora auch in den 90ern noch diesen furchtbaren karierten Zweireiher trägt. 😀