24 Aug
Original: Shurayukihime (1973) von Toshiya Fuijta
Im Jahr 1873 führte der Meiji-Kaiser eine dreijährige Wehrpflicht für alle Männer zwischen 17 und 40 Jahren ein, was zu gewalttätigen Protesten im Land führte. In einem kleinen Dorf machten sich vier Schurken die Turbulenzen zunutze und töteten dabei einen Grundschullehrer und seinen Sohn und verschleppten und missbrauchten seine Frau. Bevor diese im Gefängnis stirbt, bringt sie jedoch noch ein Kind zur Welt, dem sie all ihren Hass auf die Täter und ihre Rachelust mitgibt.
20 Jahre später ist ihre im Gefängnis geborene und in der Obhut eines Priesters aufgewachsene Tochter Yuki (Meiko Kaji) eine durchtrainierte, herausragende Schwertkämpferin, deren einziger Lebenszweck darin besteht, das Schicksal ihrer Familie zu rächen. Unterstützt von einer Bettlerorganisation, für die sie als Auftragsmörderin tätig war, macht sie sich auf die Suche nach den Peinigern ihrer Eltern.
Einen gewaltigen Bekanntheitsschub erfuhr dieser auf einem Manga von Kazuo Koike basierende Klassiker des japanischen Kinos vor ein paar Jahren durch Quentin Tarantino, der die Idee und Teile der Story für Kill Bill aufgriff. In vielen Auseinandersetzungen mit Lady Snowblood wird seitdem auf die stilbildende Wirkung des Films und den Vergleich mit Tarantinos Opus abgehoben, doch den Einfluss des Films betrachte ich als gegeben und von einem Vergleich mit Kill Bill nehme ich hier Abstand, denn den habe ich noch nicht gesehen.
Vielmehr möchte ich herausstreichen, wie erstaunlich gesellschafts- und selbstkritisch Lady Snowblood ist. Mit dem ersten Punkt meine ich vor allem den gesellschaftlich-historischen Kontext: Sowohl in der 1873 spielenden Vorgeschichte als auch am Ende des Films werden Bezüge zu politischen Entscheidungen und historischen Entwicklungen hergestellt.
Das ist einmal natürlich die Modernisierung der japanischen Armee mit der Einführung der Wehrpflicht, was Voraussetzung für eine aggressive imperialistische und in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führende Politik war. Zum anderen sind es Andeutungen, dass Yukis letzter und gefährlichster Gegner eine gewichtige Rolle bei der Bewaffnung Japans und der Vorbereitung des ersten Chinesisch-Japanischen Kriegs 1894 spielte.
Der finale Showdown zwischen den beiden findet dann auch bezeichnenderweise anlässlich eines Maskenballs statt – der einstige gemeine Mörder und Betrüger ist in der westlich-bürgerlichen Maske groß herausgekommen und unterhält beste Beziehungen zu den oberen Zehntausend aus Wirtschaft und Politik. Als Yuki ihm schließlich den tödlichen Schwertstreich verpasst, stürzt er, sich an einer japanischen Flagge festhaltend, von einer Balustrade und reisst die blutbeschmierte Flagge mit sich hinab.
Für mich zeigt sich darin vor allem Kritik an der engen Verbindung von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, die 10 Jahre zuvor auch schon Akira Kurosawa in Die Bösen schlafen gut thematisiert hatte. Eine Kritik, die angesichts des andauernden Einflusses der Yakuza und zahlreicher Korruptionsaffären bis heute nicht so wirklich verstimmen will.
Darüber hinaus ist Lady Snowblood im Gegensatz zu den vielen anderen Rachefilmen seiner Zeit von Spiel mir das Lied vom Tod bis Ein Mann sieht rot (oder den entsprechenden japanischen Pendants) erstaunlich selbstkritisch. Ohne Scheu wird das Dilemma aufgegriffen, dass selbst die aus noch so nachvollziehbaren Gründen ausgeführte Rache neue Rachegefühle bei anderen Menschen weckt. So dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter und weiter.
Die meisten Fans des Films werden ihn aber nicht wegen dieser Aspekte lieben, sondern weil er einfach so verdammt cool ist, was vor allem an drei Faktoren liegt: Meiko Kaji, den vielfältigen und äußerst effektvollen visuellen Elementen und Meiko Kaji. Als Hauptdarstellerin war sie die Idealbesetzung, sie ist als erbarmungslose Rächerin einfach brillant und dominiert den Film mit ihrer unterkühlten, raubtierhaften Ausstrahlung. Außerdem trug sie als Sängerin noch den bekannten Titelsong bei, der auch von Tarantino wiederverwendet wurde.
Ihr Scherflein zur Unsterblichkeit des Films trugen aber auch Regisseur Fujita und Kameramann Masaaki Tamura bei. Mit außergewöhnlichen Kameraperspektiven, Bildkompositionen und Schnitten gelang es ihnen, Stilelemente des Manga aufzugreifen und so erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, dass der Film eine ganz eigene Atmosphäre erhielt. Typisch sind vor allem die zahlreichen Vogel- und Froschperspektiven und harte Schnitte etwa aus einer Totalen auf eine extreme Großaufnahme. Ein Paradebeispiel dafür findet sich gleich am Anfang des Films, als wir Yuki durch eine Schneelandschaft gehen sehen (siehe erster Screenshot) und dann direkt auf eine Großaufnahme ihres Fußes geschnitten wird.
Die zahlreichen Flashbacks, in denen die Ereignisse vor Yukis Geburt erzählt werden, werden zudem interessanterweise mit unterschiedlichen Mitteln inszeniert, vom branchenüblichen Einsatz eines Erzählers aus dem Off über Schwarzweißfotos bis hin zu manga-ähnlichen Bildern für die Veranschaulichung der historischen Hintergründe.
So hat Lady Snowblood wirklich alles, was zu einem Meisterwerk gehört: Eine zeitlose, intelligent umgesetzte und mitreißende Story, eine charismatische Hauptdarstellerin, einen fähigen Regisseur mit einer Vision und Kreativität sowie dem Mut, beides auszuleben und berauschend-düsteren Bildern. Dass auch noch eine ordentliche Portion blutiger Schwertkämpfe dazu kommt, schadet dem Ganzen nun wahrlich nicht. Ein absolutes Must-see!
9 Kommentare for "Lady Snowblood"
Was die überragende Stilistik des Filmes und die Präsens Meiko Kajis angeht, gebe ich dir natürlich zu 100% recht, ein einziges visuelles Fest.
Die Handlung selbst bot jedoch nur Ansatzweise neues auf dem Markt der damals dem linken Zeitgeist geschuldeten „politischen“ Exploitation- und Rachefilme. Gerade das Vorbild des Anfangs der Siebziger schon in ihren letzten Zügen verendenden Italowestern ist überdeutlich erkennbar. Zahlreiche Regisseure (wie z.B. Solimas, Corbucci und nicht zuletzt Leone) verarbeiteten gesellschaftskritische Themen. Vor allem die Revolutionswestern dieser Zeit (bekanntestes Beispiel ist hier wohl A FISTFULL OF DYNAMITE von Leone) versuchten das an sich thematisch triviale Genre des Italo-Western mit Bedeutung zu unterfüttern.
Interessant ist natürlich, dass der zehn Jahre zuvor durch den japanischen Chambara-Film aus der Taufe gehobene Italowestern, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre deutlichen Einfluss auf die japanische Filmindustrie gewann. Der letztens erst von mir konsumierte KILL von Okamoto ist hierfür ein deutliches stilistisches Beispiel.
Den politischen Subtext des Chambara-/Rache-/Exploitationfilms LADY SNOWBLOOD halte ich also nicht für besonders ungewöhnlich, lediglich die Art der gesellschaftskritischen Themen wurde hier den japanischen Begebenheiten angepasst. Ähnliches gilt etwa für die Exploitationklassiker der SASORI-Reihe, die ja ebenfalls erst durch Meiko Kajis Charisma zu den Kultfilmen wurden die sie heute sind.
Selbst die Tatsache, dass eine Frau als Racheengel fungiert, ist lediglich für den Chambara-Film neu. Im Westen sorgte z.B. schon 1968 der Erfolg von François Truffauts DIE BRAUT TRUG SCHWARZ zur Bildung des Subgenres des Frauen-Rache-Films (z.B. I SPIT ON YOR GRAVE, HANNIE CAULDER, u.s.w.), das in Japan durch den ersten Sasori-Film schon ein Jahr vor LADY SNOWBLOOD für volle Kinokassen sorgte.
Zusammenfassend halte ich LADY SNOWBLOOD für einen gelungenen, visuell atemberaubenden Film, der einen der letzten Triumphe des „alten“ Chambara-Kinos darstellt. Seine Qualitäten liegen aber eindeutig in der beeindruckenden Stilistik und nicht in der dem Zeitgeist geschuldeten Story, die aber zumindest derart effektvoll inszeniert wurde, dass sie keine Beleidigung für den anspruchsvolleren Filmfreund darstellt.
Lady Snowblood war der Film, der vor einigen Jahren meine Begeisterung für Japsenkino begründete. Und ich muss zugeben, dass es tatsächlich die Kill Bill-Referenzen waren, die mich drauf aufmerksam machten.
Was die politischen und gesellschaftskritischen Seitenhiebe angeht finde ich, daß diese sich schon sehr lange wie ein roter Faden sowohl durch die klassischen Samuraiepen der 50er und 60er als auch die exploitationlastigeren 70er-Chambarastreifen ziehen, aber in dieser Ära halt besonders prominent und reißerisch präsentiert wurden. Aber das ist ja auch ein typisches Trademark alter Exploitationreißer (und nicht nur in Japan): Aufmerksamkeit erregen um jeden Preis.
Was mich an dieser speziellen Ära aber besonders reizt ist die Ambivalenz zwischen häufig überschäumender Kreativität und Bildgestaltung auf der einen, und rauher B-Movie-Ästhetik auf der anderen Seite. Fast allen dieser Streifen sieht man ihr knappes Budget (das japanische Kino befand sich ja gerade mitten in der Krise) und die schnelle, fließbandartige Produktionsweise an: Ruckelige Kamerafahrten und -schwenks, Fokus- und Beleuchtungsprobleme sind einige der häufigsten Artefakte davon. Auch ausstattungstechnisch, was Kostüme und Setgestaltung angeht, können sie mit Klassikern der Goldenen Ära nicht wirklich mithalten. Genau deshalb verflüfft aber die visuelle Kreativität, mit der Streifen wie Lady Snowblood alle diese technischen beschränkungen vergessen machen.
Mönsch Marald, musst du mir denn immer in die Suppe spucken??
😉
Inwieweit „Lady Snowblood“ vom Italowestern beeinflusst ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich finde Western zwar generell sehr interessant als Abbild der Entwicklung der westlichen (amerikanischen) Gesellschaft, an Italowestern kenn ich aber nur eine sehr kleine Handvoll. Und bei denen die ich kenne scheint mir der politische Kontext nicht besonders ausgeprägt.
Der einzige wirklich selbstkritische Western, den ich kenne, ist John Hustons unvergleichlicher „The Searchers“, wobei sich die Selbstkritik hier aber eher darauf konzentriert, was die Rachegelüste aus dem Rächer selbst machen. In „Lady Snowblood“ wird ja eher angerissen, dass erfolgreich vollstreckte Rache ja immer wieder neue Rache gebiert und die Erkenntnis, dass Verzicht auf Rache das eigentlich mutige, aufrechte Verhalten wäre.
Vielleicht haben die Passagen zum politisch-historischen Kontext auch ein bisschen darum abgelenkt, worum es mir in meiner Kritik ging: Dass „Lady Snowblood“ ein rundum kompletter, stimmiger Film ist und insofern in meinen Augen einen – wenn nicht den – Höhepunkt des Genres darstellt. Auch wenn er vielleicht nicht das Rad neu erfunden hat, so perfekt hat sonst niemand alle Teile zusammengefügt. Das ist glaube ich auch der Aspekt, den Groschi meinte und der ihn so beeindruckt hat. Ne?
Wo ich dir allerdings überhaupt nicht folgen kann, Marald, ist die Abwertung des Films unter Bezugnahme auf den „linken Zeitgeist“. Wenn ein Film, allein weil er gegebene gesellschaftliche Debatten und Entwicklungen aufgreift, an Originalität verliert, dann wären auch „Uhrwerk Orange“ oder die Filme von Nagisa Oshima, nichts anderes als „Zugeständnisse an den Zeitgeist“. Noch schlimmer, wir könnten diese Logik auch umdrehen und damit etwa Leni Riefenstahls Nazi-Huldigungen entschuldigen, denn sie wollte mit ihren Filmen ja kein Zeichen setzen sondern hat sich „nur“ am vorherrschenden Zeitgeist orientiert.
Na, na, stell mich hier nicht in die „rechte“ Ecke… 😉
Ich verstehe im Zusammenhang mit „Lady Snowblood“ den Hinweis auf den „Zeitgeist“ nicht abwertend, sondern als Tatsache, dass die Einflechtung politischen Subtextes eine damals übliche Sache war und deshalb als solches noch kein Zeichen für Originalität sein kann.
Und, bei aller Liebe, „Lady Snowblood“ ist, was den „politischen“ Film angeht, kein herausragendes Beispiel seiner Zeit, sondern einfach „nur“ handwerklich brilliante Genrekost.
Im Ãœbrigen bin ich durchaus der Meinung, dass ein kritischer Blick auf den „Zeitgeist“ vergangener Filmepochen erlaubt sein darf, in manchen Fällen sogar zwingend erforderlich wird, wie das Beispiel des NS-Propagandafilms oder des Stalinismus überdeutlich macht.
Ergänzung:
Gegen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, war in weiten Teilen der Filmindustrie (abgesehen von den großen Hollywoodstudios) der „linke Zeitgeist“ derart dominierend, dass unpolitische Filmsujets als reaktionär oder rückständig galten, so dass selbst eigentlich von ihrer Genese her reine Unterhaltungsgenre, wie der Italowestern, sich gezwungen sahen gesellschaftskritische Themen aufzugreifen.
Hochpolitische Regisseure, wie der frühe Nagisa Oshima, schufen in Japan teils herausragende Beispiele des gesellschaftskritischen Films, bevor in den siebziger Jahren der Niedergang der Filmindustrie, selbst kritische Filmemacher zwang ihre Anspruchshaltung zugunsten des reinen Unterhaltungswertes ihrer Filme zurückzuschrauben, so dass die Gesellschaftskritik oftmals zu einem Feigenblatt verkam, nicht mehr als linke Pose, wo es eigentlich nur noch um möglichst spektakuläre „skandalöse“ Schauwerte ging. „Lady Snowblood“ zähle ich jetzt aber ausdrücklich nicht zu dieser Kategorie.
Das mit der rechten Ecke ist doch hoffentlich nicht so rübergekommen? Denn so war es ganz und gar nicht gemeint.
Aber meinst du nicht, dass du ein etwas einseitiges Bild zeichnest? Hochpolitische Filme wie die von Oshima waren auch in den 60ern die Ausnahmeerscheinung, es gab jedes Jahr hunderte andere Filme, die keinen politischen Bezug hatten, siehe beispielsweise die ganzen Krimis, Yakuza und Actionfilme. Die große Masse der Kinogänger dürfte kaum durch den politischen Zeitgeist beeinflusst gewesen sein.
Keine Angst, kam natürlich nicht so rüber… 😉
Natürlich habe ich hier die Filmepoche ein wenig zugespitzt dargestellt. Der Output an Unterhaltungsfilmen stellte letztendlich auch damals den weitaus größten Anteil der japanischen Filmindustrie dar. Aber zumindest in den Zirkeln der anspruchsvolleren intellektuellen Filmemacher dominierten politische und gesellschaftskritische Sujets die öffentliche Diskussion, dies aber in Europa noch in weitaus größerem Maße als in Japan.
Du gibst zu, dass politische und gesellschaftskritische Themen hauptsächlich in anspruchsvolleren Filmen aufgegriffen wurden! Yess, hab ich dich!!
Damit ist dann auch Lady Snowblood mehr als nur handwerklich-stilistisch gut gemachtes Unterhaltungskino 😀
Momentchen, nicht so schnell… 🙂
Ja, LADY SNOWBLOOD behandelt am Rande auch gesellschaftskritische Themen, wie es dem Zeitgeist entsprach!
Gehört der Film deswegen automatisch in die Kategorie „politisch/gesellschaftskritisch anspruchsvoller Film“?
Hier ein klares NEIN!
Um mich selbst zu zitieren:
„Gegen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, war in weiten Teilen der Filmindustrie … der “linke Zeitgeist†derart dominierend, dass unpolitische Filmsujets als reaktionär oder rückständig galten, so dass selbst eigentlich von ihrer Genese her reine Unterhaltungsgenre, wie der Italowestern (oder hier Chambara-Streifen), sich gezwungen sahen gesellschaftskritische Themen aufzugreifen.“
Das „gezwungen“ ist hier vielleicht der falsche Ausdruck, es handelt sich vielmehr um das kommerzialisierte Aufspringen auf den Zeitgeistexpress (es war sozusagen „in Mode“).
Die Verquickung anspruchsvollerer Themen mit dem Exploitation-Kino hat so einige großartige Meisterwerke hervorgebracht, etwa der erst am Wochenende von mir entdeckte „RED ANGEL“ von Yasuzo Masumura. LADY SNOWBLOOD überzeugt (mich) hingegen, im direkten Vergleich in erster Linie als „handwerklich-stilistisch gut gemachtes Unterhaltungskino“, das den Zuschauer nicht für dumm verkauft.
Ätsch… :-p
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