Original: Shurayukihime (1973) von Toshiya Fuijta

Im Jahr 1873 führte der Meiji-Kaiser eine dreijährige Wehrpflicht für alle Männer zwischen 17 und 40 Jahren ein, was zu gewalttätigen Protesten im Land führte. In einem kleinen Dorf machten sich vier Schurken die Turbulenzen zunutze und töteten dabei einen Grundschullehrer und seinen Sohn und verschleppten und missbrauchten seine Frau. Bevor diese im Gefängnis stirbt, bringt sie jedoch noch ein Kind zur Welt, dem sie all ihren Hass auf die Täter und ihre Rachelust mitgibt.

20 Jahre später ist ihre im Gefängnis geborene und in der Obhut eines Priesters aufgewachsene Tochter Yuki (Meiko Kaji) eine durchtrainierte, herausragende Schwertkämpferin, deren einziger Lebenszweck darin besteht, das Schicksal ihrer Familie zu rächen. Unterstützt von einer Bettlerorganisation, für die sie als Auftragsmörderin tätig war, macht sie sich auf die Suche nach den Peinigern ihrer Eltern.

Lady Snowblood Screenshot 5

Einen gewaltigen Bekanntheitsschub erfuhr dieser auf einem Manga von Kazuo Koike basierende Klassiker des japanischen Kinos vor ein paar Jahren durch Quentin Tarantino, der die Idee und Teile der Story für Kill Bill aufgriff. In vielen Auseinandersetzungen mit Lady Snowblood wird seitdem auf die stilbildende Wirkung des Films und den Vergleich mit Tarantinos Opus abgehoben, doch den Einfluss des Films betrachte ich als gegeben und von einem Vergleich mit Kill Bill nehme ich hier Abstand, denn den habe ich noch nicht gesehen.

Vielmehr möchte ich herausstreichen, wie erstaunlich gesellschafts- und selbstkritisch Lady Snowblood ist. Mit dem ersten Punkt meine ich vor allem den gesellschaftlich-historischen Kontext: Sowohl in der 1873 spielenden Vorgeschichte als auch am Ende des Films werden Bezüge zu politischen Entscheidungen und historischen Entwicklungen hergestellt.

Lady Snowblood Screenshot 3

Das ist einmal natürlich die Modernisierung der japanischen Armee mit der Einführung der Wehrpflicht, was Voraussetzung für eine aggressive imperialistische und in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führende Politik war. Zum anderen sind es Andeutungen, dass Yukis letzter und gefährlichster Gegner eine gewichtige Rolle bei der Bewaffnung Japans und der Vorbereitung des ersten Chinesisch-Japanischen Kriegs 1894 spielte.

Der finale Showdown zwischen den beiden findet dann auch bezeichnenderweise anlässlich eines Maskenballs statt – der einstige gemeine Mörder und Betrüger ist in der westlich-bürgerlichen Maske groß herausgekommen und unterhält beste Beziehungen zu den oberen Zehntausend aus Wirtschaft und Politik. Als Yuki ihm schließlich den tödlichen Schwertstreich verpasst, stürzt er, sich an einer japanischen Flagge festhaltend, von einer Balustrade und reisst die blutbeschmierte Flagge mit sich hinab.

Lady Snowblood Screenshot 4

Für mich zeigt sich darin vor allem Kritik an der engen Verbindung von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, die 10 Jahre zuvor auch schon Akira Kurosawa in Die Bösen schlafen gut thematisiert hatte. Eine Kritik, die angesichts des andauernden Einflusses der Yakuza und zahlreicher Korruptionsaffären bis heute nicht so wirklich verstimmen will.

Darüber hinaus ist Lady Snowblood im Gegensatz zu den vielen anderen Rachefilmen seiner Zeit von Spiel mir das Lied vom Tod bis Ein Mann sieht rot (oder den entsprechenden japanischen Pendants) erstaunlich selbstkritisch. Ohne Scheu wird das Dilemma aufgegriffen, dass selbst die aus noch so nachvollziehbaren Gründen ausgeführte Rache neue Rachegefühle bei anderen Menschen weckt. So dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter und weiter.

Die meisten Fans des Films werden ihn aber nicht wegen dieser Aspekte lieben, sondern weil er einfach so verdammt cool ist, was vor allem an drei Faktoren liegt: Meiko Kaji, den vielfältigen und äußerst effektvollen visuellen Elementen  und Meiko Kaji. Als Hauptdarstellerin war sie die Idealbesetzung, sie ist als erbarmungslose Rächerin einfach brillant und dominiert den Film mit ihrer unterkühlten, raubtierhaften Ausstrahlung. Außerdem trug sie als Sängerin noch den bekannten Titelsong bei, der auch von Tarantino wiederverwendet wurde.

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Ihr Scherflein zur Unsterblichkeit des Films trugen aber auch Regisseur Fujita und Kameramann Masaaki Tamura bei. Mit außergewöhnlichen Kameraperspektiven, Bildkompositionen und Schnitten gelang es ihnen, Stilelemente des Manga aufzugreifen und so erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, dass der Film eine ganz eigene Atmosphäre erhielt. Typisch sind vor allem die zahlreichen Vogel- und Froschperspektiven und harte Schnitte etwa aus einer Totalen auf eine extreme Großaufnahme. Ein Paradebeispiel dafür findet sich gleich am Anfang des Films, als wir Yuki durch eine Schneelandschaft gehen sehen (siehe erster Screenshot) und dann direkt auf eine Großaufnahme ihres Fußes geschnitten wird.

Die zahlreichen Flashbacks, in denen die Ereignisse vor Yukis Geburt erzählt werden, werden zudem interessanterweise mit unterschiedlichen Mitteln inszeniert, vom branchenüblichen Einsatz eines Erzählers aus dem Off über Schwarzweißfotos bis hin zu manga-ähnlichen Bildern für die Veranschaulichung der historischen Hintergründe.

Lady Snowblood Screenshot 7

So hat Lady Snowblood wirklich alles, was zu einem Meisterwerk gehört: Eine zeitlose, intelligent umgesetzte und mitreißende Story, eine charismatische Hauptdarstellerin, einen fähigen Regisseur mit einer Vision und Kreativität sowie dem Mut, beides auszuleben und berauschend-düsteren Bildern. Dass auch noch eine ordentliche Portion blutiger Schwertkämpfe dazu kommt, schadet dem Ganzen nun wahrlich nicht. Ein absolutes Must-see!