Archive for Oktober, 2011

Wenn es um Veröffentlichungen japanischer Filme und Anime geht, ging mein Blick bisher meist westwärts über den Teich, nach UK und Amerika. Dabei habe ich offensichtlich lange Zeit eine echte Perle übersehen, nämlich das australische Label Madman. Zwar sind die Aussies von ihrem Anspruch, sowohl was die cineastische Qualität der Filme als auch die Ausstattung der DVDs angeht, nicht mit Criterion oder Masters of Cinema vergleichbar. Dafür sind sie aber viel breiter aufgestellt: Mit etwa 150 Spielfilmen wird ein weites Spektrum von Klassikern á la Mizoguchi über Godzilla-Filme bis hin zu modernem Trash wie Big Tits Zombie abgedeckt und Anime stellen sogar einen eigenen Channel innerhalb des Portfolios.

Mein Eindruck nach dem ersten Testkauf war durchweg positiv: Die DVDs sind schön gestaltet, bieten gute Qualität und teilweise auch sehr ordentliche Extras, ohne wie gesagt allerdings mit den Platzhirschen mithalten zu können. Richtig begeistert war ich vom Versand: Nur gut eine Woche nach der Bestellung hatte ich die Lieferung im Briefkasten, und zwar zollfrei! Einziges Manko sind die etwas happigen Preise, mit etwa 20-25 Euro pro DVD muss man rechnen.

Wer damit kein Problem hat, und die Bereitschaft (bzw. den passenden Player) mitbringt, seine Sammlung um einen weiteren Regionalcode zu erweitern, der sollte sich Madman auf jeden Fall genau ansehen. Es könnte sich lohnen!

Original: Hachigatsu no kyoshikyoku (1991) von Akira Kurosawa

Vier Kinder verbringen den Sommer bei ihrer Großmutter Kane (Sachiko Murase) in Nagasaki, während ihre Eltern einen lange vergessenen Bruder Kanes in Hawaii besuchen, der es inzwischen zu Reichtum gebracht hat. Durch die Erzählungen der Großmutter und Ausflüge nach Nagasaki und in die Umgebung tauchen sie ein in die Geschichte ihrer Familie und des Atombombenabwurfs auf die Stadt, bei dem auch ihr Großvater ums Leben kam.

Als die Verwandten in Amerika davon erfahren, reist der Neffe Clark (Richard Gere) zum bevorstehenden Todestag des Großvaters am 9. August an und versetzt damit die Familie in Alarmstimmung. Völlig umsonst, wie sich herausstellt, denn anstatt durch die Bedeutung der Atombombe in der Familiengeschichte abgeschreckt zu sein, nimmt Clark aufrichtig Anteil an Kanes Trauer. Für die alte Dame werden die Erinnerungen jedoch immer realer – bis sie ganz in die Vergangenheit eintaucht.

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Rhapsodie im August wurde teils als oberlehrerhaft, teils als anti-amerikanisch kritisiert. Doch diese Kritik betrachtet den Film sehr oberflächlich und übersieht damit zum einen, dass der Abwurf der Atombombe keineswegs den Amerikanern vorgeworfen wird. Vielmehr wird sie und das Leid, das sie über die Menschen gebracht hat, als Bestandteil des Krieges gesehen und der Krieg in seiner Gesamtheit verurteilt. Zudem wird die Person von Clark – und damit stellvertretend auch Amerika – sehr positiv und sympathisch dargestellt.

Zum anderen geht es Kurosawa in seinen Filmen immer um die Menschen und wie sie selbst im Angesicht dramatischer Beschwernis Sinn und Glück finden. Dafür steht sinnbildlich auch das lange Leben von Kane, die trotz ihrer grausamen Erfahrungen letztlich ein zufriedenes Leben geführt hat und sich nun im hohen Alter an ihren Enkeln, leckeren Bohnen und der Schönheit des Mondscheins erfreut.

Kritisiert werden vielmehr die Erwachsenen, die ihrer amerikanischen Verwandtschaft genau die Probleme im Umgang mit der Atombombe und den Überlebenden unterstellen, die es in Japan gibt. Als Clark dann jedoch aufrichtig mit den Trauernden mitfühlt und keinerlei Berührungsängste hat, fallen sie aus allen Wolken.

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Während ich diese Kritik an Kurosawas vorletztem Film also nicht gelten lasse, hat er dafür andere Schwächen. Die größte ist zweifellos, dass nach etwas mehr als der Hälfte ein völliger Bruch durch Rhapsodie im August geht. Standen in den ersten ca. 50 Minuten ganz Kane und die vier Kinder und ihre gemeinsame Reise in die Geschichte der Familie im Zentrum, wird mit dem Auftauchen zuerst der Erwachsenen und dann von Clark all das völlig beiseite gewischt und die Perspektive gewechselt. Was bei den Kindern eine sympathisch-unbedarfte Herangehensweise an die Vergangenheit war, wirkt nun streckenweise aufgesetzt, bemüht und hölzern.

Ganz unbenommen hat der Film – wie könnte es bei einem Kurosawa auch anders sein – aber auch einige sehr starke Momente. Zu nennen wäre etwa der Blick auf die Ameisen während des Trauergottesdienstes, deren langer Karawane die Kamera bis zu einer wunderschön erblühten Rose folgt. Und natürlich der Schluss, als sich Kane mit ihrem Regenschirm dem Taifun entgegenwirft und Abschied von der Realität nimmt. Eine wunderschön inszenierte Szene, bei sich Kurosawa auch ein bisschen selbst zitiert.

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Alles in allem ist Rhapsodie im August aus meiner Sicht dennoch einer der schwächsten Filme in Kurosawas Opus, aber gegen seine großen Meisterwerke können natürlich 99% aller Filme nicht anstinken, das kann also eigentlich kein vernünftiger Maßstab sein. Der Film hat Licht und Schatten, etwas mehr Stringenz und Konzentration auf die Figur der Kane hätte ihm gut getan, aber er setzt sich mit einem sehr schwierigen und emotionalen Thema auseinander und regt dabei auf interessante und angenehme Weise zum Nachdenken an.

Zum Glück waren nicht alle Blogger die letzten Wochen so auf der faulen Haut gelegen wie ich, so dass ich es mir jetzt leicht machen und direkt auf einige interessante Filmrezensionen verweisen kann, die ich in der letzten Zeit gelesen habe und gerne empfehlen möchte:

  • Groschi hat sich auch mal wieder in das Territorium der schwarz-weiß Klassiker begeben und Kihachi Okamotos schräge Yakuza-Komödie Oh! Bomb gesehen. Dem attestiert er eine unvergessliche erste Hälfte, was dann trotz einer offenbar enttäuschenden zweiten Hälfte dennoch für eine Empfehlung reicht.
  • Jamie beichtet in seinen Criterion Confessions gleich von zwei Filmen: Einmal anlässlich der gerade erschienenen Harakiri-Bluray, den er als nichts weniger als einen perfekten Film bezeichnet. Außerdem nimmt er I am Waiting, das Erstlingswerk von Kureyoshi Kurahara, unter die Lupe und entdeckt einen intelligenten, emotional packenden Kriminalfilm.
  • Cathy hat sich in einer Art Double-Feature mit zwei frühen Werken Kihachiro Kawamotos beschäftigt, der mehrfach für seine Puppen-Animation ausgezeichnet wurde: The Demon von 1972 sowie den vier Jahre später entstandenen Dojoji, beides Kurzfilme. Ein spannender und sehr lehrreicher Einblick in ein Genre, mit dem ich bisher noch überhaupt nicht in Berührung gekommen war.
  • Zu guter Letzt noch ein Beitrag von Marc Saint-Cyr im JFilm-Pow-Wow, der sich The Sea is watching angesehen und für gut befunden hat.

Viel Spaß beim Lesen und hoffentlich auch mit den Filmen 🙂

Original: Yojimbo (1961), von Akira Kurosawa

Im Japan des Jahres 1860 kommt ein Ronin (Toshiro Mifune), der sich selbst nur Sanjuro nennt, in eine Stadt, in der sich die rivalisierende Banden eines Bordellbesitzers und eines Wirts um die Vorherrschaft streiten. Er beginnt, die beiden Banden gegeneinander auszuspielen, in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig auslöschen. Dazu bietet er sich mal dem einen, mal dem anderen als Leibwächter (japanisch: Yojimbo) an und befeuert auf jede nur mögliche Art die Rivalität zwischen den beiden.

In die Quere kommt ihm bei seinen Plänen Unosuke (Tatsuya Nakadai), der misstrauische und verschlagene jüngere Bruder des Wirts, der obendrein auch noch mit der überlegenen Kampfkraft einer Pistole ausgestattet ist. Er ist ein ebenbürtiger Gegner für Sanjuro, durchschaut dessen Streiche und überwältigt ihn. Auch wenn er und seine Sippe schon wie die sicheren Sieger aussehen, Sanjuro gibt sich noch nicht geschlagen.

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Yojimbo enthält viele Elemente des klassischen Westerns, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Kurosawa reichert diese noch mit einem großen Maß an Grausamkeit und moralisch zwiespältigen Gestalten an, allen voran der Yojimbo selbst, sowie einem ständig ins Groteske abdriftenden schwarzen Humor. Diese Mischung machte den Film nicht nur sehr erfolgreich, er leitete damit auch eine grundlegende Wandlung des traditionellen Jidaigeki-Genres ein, das sich seit Ende der 1950er Jahre in einer tiefen Krise befand.

Die offene Darstellung von Gewalt, abgehackten Gliedmaßen und Blutlachen in Yojimbo und der inoffiziellen Fortsetzung Sanjuro zwei Jahre später ließen die traditionellen tanzartigen Chanbara-Schwertkämpfe sehr alt aussehen. So wurden diese innerhalb kürzester Zeit durch die Gemetzel ersetzt, die man heute mit den trashigen Martial-Arts-Filmen in Verbindung bringt. Kurosawa selbst bedauerte diese, durch seine Filme maßgeblich mit angestoßene Entwicklung später ausdrücklich.

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Doch Kurosawa wurde nicht nur durch den amerikanischen Western inspiriert, sein Film wurde schnell selbst zu einer zentralen Inspirationsquelle für Hollywood und erlangte große Bedeutung. Die karikierende, überzogene Darstellung der Charaktere und die Demontage des Helden fanden schon kurz darauf Eingang in das im Entstehen begriffene Genre der Italo-Western. Sergio Leone griff für sein Remake Für eine Handvoll Dollar den allgegenwärtigen Zynismus, die Gewalt und den undurchsichtigen Rächer auf und stellte damit den US-Western auf den Kopf.

Eigentlich handelte es sich dabei allerdings weniger um ein Remake als ein Plagiat, da die italienische Produktionsfirma weder von Toho noch von Kurosawa die Rechte dazu erhalten hatte. Szenen wie der obige Screenshot mit mehreren verschachtelten Bildebenen, von denen eine visuell dominiert und die anderen in den Hintergrund drängt, gehörten später zu den Markenzeichen Leones. Nach langjährigem Rechtsstreit (der unter anderem dazu führte, dass Für eine Handvoll Dollar erst mit mehrjähriger Verspätung in die US-Kinos kam) wurde Kurosawa schließlich eine Beteiligung am Einspielergebnis zugesprochen. Kurosawa selbst wiederum soll durch den Roman „Red Harvest“ von Dashiell Hammett zu seinem Film inspiriert worden sein, was er selbst jedoch in Interviews bestritt.

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Auffallend ist besonders Kurosawas Umgang mit seiner Heldenfigur. Bereits in der Eingangssequenz wird der Mythos des aufrechten Helden im wahrsten Sinne des Wortes angekratzt: Die Kamera zeigt in Großaufnahme den Rücken des ziellos durch die Lande ziehenden und sich – vermutlich wegen Flöhen – immerzu kratzenden Sanjuro. Im Verlauf der Handlung werden dann die guten Seiten des Ronin wie Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeitsempfinden immer wieder mit seinen negativen (Zynismus, Gewaltbereitschaft) kontrastiert.

So massakriert er mal eben ein paar Menschen, um die Banden gegeneinander aufzuhetzen, und lehnt sich dann vergnügt zurück um mit großem Spaß die Kämpfe der Banditen untereinander zu verfolgen. In diesen Szenen erinnert er an einen kleinen Jungen, der einem hilflosen Insekt die Flügel ausreißt: Man ist angewidert, aber zugleich kann man dem Rabauken nicht böse sein und ist irgendwie auch von der naiven Blutrünstigkeit fasziniert. Damit stellt er den idealen „Helden“ für eine aus den Fugen geratene Welt dar, in der der Mensch zum Tier wird. Für diese Weltsicht steht besonders auch eine Szene, in der Sanjuro am Anfang des Films aus dem Dorf ein Hund entgegen kommt, eine abgehackte menschliche Hand im Maul. Zusammen mit der begleitenden Musik stellt diese Szene einen Höhepunkt des Grotesken dar und gilt bis heute als eine der Ikonen in Kurosawas Werk.

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Überhaupt ist Yojimbo schon fast so etwas wie ein destilliertes Extrakt aus Kurosawas Werk, mit allem was typischerweise dazu gehört, und davon reichlich. Zum einen ließ er hier erstmals Mifune und Nakadai aufeinander treffen, deren Duell die zweite Hälfte des Films bestimmt und die danach noch in Sanjuro und Zwischen Himmel und Hölle gemeinsam für Kurosawa vor der Kamera standen – und die jeweils stellvertretend für Kurosawas Frühwerk (Mifune) bzw. Spätwerk (Nakadai) stehen.

Zum anderen enthält der Film so ziemlich alle typischen Stilelemente des Regisseurs, seien es die stimmungsprägenden Wetterphänomene, die den Raum komprimierenden Aufnahmen mit extrem langen Brennweiten oder die besonders in den Innenszenen ständig wiederkehrende Strukturierung des Raums. Nur wenige seiner Filme warten mit einer vergleichbaren Dosis und Bandbreite auf, weshalb Yojimbo in meinen Augen zusammen mit Rashomon der Vorzeige-Kurosawa schlechthin ist.

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Klassische Westernelemente und innovative Ansätze; eine geradezu archetypische Story mit einem Duell zweier ungleicher und doch wesensverwandter Männer; ein undurchsichtiger, widersprüchlicher Anti-Held; fantastische Bildkompositionen und ein kongenialer Soundtrack –  Yojimbo ist ohne Zweifel und völlig zu Recht eines der bekanntesten und einflussreichsten Werke Kurosawas. Wer diesen herausragenden Film noch nicht gesehen hat, sollte dies schnellstens nachholen!

[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und überarbeitete Fassung eines ursprünglich am 23. September 2006 veröffentlichten Posts.]