1 Aug
Original: Okami kodomo no ame to yuki (2012) von Mamoru Hosoda
Die Studentin Hana verliebt sich in einen mysteriösen Kommilitonen – der sich als Wolfsmann, also ein Wolf in Menschengestalt, herausstellt. Dennoch werden die beiden zusammen glücklich und bekommen zwei Kinder – das Mädchen Yuki und und den Jungen Ame. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes zieht Hana die beiden allein groß, immer in der Furcht, dass Nachbarn oder andere Mitmenschen bemerken könnten, dass sich ihre Kinder manchmal spontan in kleine Wölfe verwandeln. Als sich auch noch das Jugendamt einschaltet, weil die beiden noch nie beim Arzt waren, flüchtet Hana aufs Land, in die Heimat ihres Wolfsmannes.
Die kleine Familie bezieht ein altes heruntergekommenes Haus, das Hana wieder auf Vordermann bringt. Zwar scheitern erste Versuche, selbst Gemüse anzupflanzen, aber bald bekommt sie Unterstützung von Leuten aus dem Dorf, allen voran von einem alten mürrischer Kauz, der die junge, selbstbewusste Frau offenbar in sein Herz geschlossen hat. Doch auch wenn sich Hana in ihrem neuen Leben immer besser zurecht findet, die heranwachsenden Kinder spüren immer mehr die Bürde ihrer Herkunft. Die aufgeweckte und lebendige Yuki sucht die Nähe zu ihren Schulfreundinnen, integriert sich und lernt eifrig, während Ame sehr in sich gekehrt ist und mit der Welt der Menschen wenig anfangen kann.
Der Verlauf der Zeit war bereits in Mamoru Hosodas Debut Das Mädchen, das durch die Zeit sprang ein zentrales Element. In Ame & Yuki war die Herausforderung nun eine völlig andere, hier geht es nicht darum dramatische Zeitsprünge darzustellen, sondern um die langsam dahinfließenden Jahre. Entsprechend hat er großen Wert darauf gelegt, den Verlauf der Zeit sehr realistisch in den Charakterdesign und die Stimmung des Films zu integrieren. Man kann der kleinen Familie ganz gemächlich beim älter werden zusehen, bildhaft auf den Punkt gebracht unter anderem durch die jährlichen Markierungen der Größe der Kinder an einem Balken, und den Wandel der Jahreszeiten.
Überhaupt spielt das Verhältnis zur und der Umgang mit der Natur eine wichtige Rolle im Film. Das beginnt mit Hanas kläglichen Versuchen, sich im Gartenbau zu betätigen, die erst mit Unterstützung der erfahrenen Bauern aus der Umgebung Früchte tragen. Besonders in der zweiten Hälfte, die sich immer stärker den beiden Kindern und ihren unterschiedlichen Wegen widmet, steht die Nähe zur Natur aber auch für die Andersartigkeit von Ame und Yuki. In einer wunderschönen Montage verschreckt Yuki mehrmals die anderen Mädchen mit ihrer Sammlung aus Tierknochen oder indem sie – statt Blumen zu pflücken und daraus Schmuck zu basteln – eine Schlange als Armreif nimmt.
Auch wenn Art Director Hiroshi Ohno diese Rolle auch bereits bei Kikis kleiner Lieferservice innehatte, mit den grandiosen Panoramen des Studio Ghibli kann Ame & Yuki nicht mithalten. Umso beeindruckender sind dafür die dynamischen Szenen, etwa spielerische Verfolgungsjagden im Schnee oder die rasanten Erkundungstouren von Ame durch die dichten Wälder.
An Hosodas ersten beiden Filmen begeisterte mich vor allem, wie er eine clevere Story auf spannende, hochgradig unterhaltsame Weise erzählt, und dabei durchaus ernste Themen wie den Umgang mit Tod und Verlust einband. Sein dritter Film ist deutlich ruhiger und kommt fast ganz ohne Action aus, ist dafür aber wirklich vollgepackt mit starken Botschaften und einer außergewöhnlichen Heldin.
Selten habe ich in einem Film eine so starke und selbstbewusste, dabei aber zugleich normale Frauenrolle gesehen. Hana kämpft nicht gegen irgendwelche Schurken, wird nicht von dramatischen Schicksalsschlägen ereilt (wenn man mal vom Tod ihres Mannes absieht) oder muss sich in Katastrophensituationen bewähren. Sie ist einfach eine junge Mutter, die allein zwei Kinder großzieht und für ihre Kinder das Beste will. Um das zu erreichen entscheidet sie sich bewusst, ihr ganzes bisheriges Leben aufzugeben und in einer fremden Umgebung nochmal neu anzufangen und etwas aufzubauen. Und sie zieht das durch, eisern sich selbst gegenüber aber immer offen für andere Menschen und die – in diesem Fall etwas besonderen – Bedürfnisse ihrer Kinder. Hana ist gewissermaßen die Verkörperung der „can do“-Einstellung.
Zwar wollte Hosoda vor allem einen Film über die Entwicklung einer jungen Frau zur verantwortungsbewussten Mutter drehen, aber Ame und Yuki repräsentieren zudem die Menschen unter uns, die vielleicht auf Grund ihrer Herkunft, Denkweise, sexuellen Orientierung oder einer Behinderung nicht in das übliche Schema passen. Der Umgang mit solchen Menschen und welche Konflikte sie selbst mit sich und ihrem Umfeld austragen müssen, rückt besonders in der zweiten Hälfte immer mehr in den Mittelpunkt des Films. Yuki leidet unter Akzeptanzproblemen und versucht verzweifelt, sich möglichst anzupassen bis zu dem Punkt, dass sie kein Wolf mehr sein will. Ame auf der anderen Seite tut sich schwer, einen Platz in der Welt der Menschen zu finden und fühlt sich immer stärker zu seiner wölfischen Seite hingezogen. So müssen die beiden für sich ihren eigenen Weg finden und der Film schildert ihre Erfahrungen dabei sehr einfühlsam.
Mit Ame & Yuki – Die Wolfskinder hat Mamoru Hosoda nun schon den dritten exzellenten Film in Folge vorgelegt, der durch eine intelligente, mitreißende Story, authentische und zugleich doch inspirierende Charaktere und wunderschöne Animation besticht. Kein Wunder, dass er letztes Jahr zu den erfolgreichsten Filmen in den japanischen Kinos zählte. Dass der Film so schnell den Weg zu uns gefunden hat und nun als DVD und BD erhältlich ist, ist ein weiteres deutliches Zeichen für die große Wertschätzung und die Fangemeinde, die der Mittvierziger sich innerhalb weniger Jahr national und international erarbeitet hat. Ich freue mich jetzt schon auf seinen nächsten Film!
2 Kommentare for "Ame & Yuki – Die Wolfskinder"
Habe mir aufgrund der Rezension hier den Film gestern einmal angesehen – spätestens als der Name Hosada fiel war mir klar, dass ich den Film sehen muss. „Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“ und „Summer Wars“ haben mir sehr gut gefallen. Die eigentliche Geschichte seiner Filme ist für mich selten der Anreiz. Ich bin mehr begeistert davon, wie er sie erzählt.
Meiner Meinung nach ist er der Nachfolger von Miyazaki – wenngleich nicht im Stil, sondern im verdienten (internationalen) Erfolg.
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