Hayao Miyazaki feiert heute seinen 67. Geburtstag, der richtige Zeitpunkt, um Julia Nieders Buch Die Filme von Hayao Miyazaki zu empfehlen. Der Einleitung zufolge handelt es sich dabei um ihre Abschlussarbeit an der Universität Mainz, entsprechend ist das Werk sehr klar und fast etwas rigide strukturiert und auch Wortwahl und Sprachstil orientieren sich an akademischen Gepflogenheiten – dennoch ist es gut lesbar.

Nach einem einleitenden Kapitel zu den Besonderheiten und der Geschichte der Anime sowie einem kurzen biografischen Überblick zu Miyazaki selbst, setzt sich Nieder in chronologischer Reihenfolge mit allen seinen Filmen von Das Schloss des Cagliostro bis zu Das wandelnde Schloss auseinander.

Jedem Film sind dabei ziemlich genau 10 Seiten gewidmet, auf denen alles wichtige zur Handlung, den Charakteren, Ästhetik, Stilelementen und auch zu den Produktionshintergründen abgedeckt wird. In jedem Kapitel verweist Nieder auf Besonderheiten, die in dem gerade analysierten Film hervorstechen, sich aber oft auch in den anderen Werken Miyazakis wiederfinden; etwa die häufige Verwendung weiblicher Protagonisten als Mittel der Verfremdung, welche sie exemplarisch an Nausicaä aus dem Tal der Winde bespricht.

In ihrem abschließenden Schlusswort fasst Nieder die wichtigsten Merkmale der Filme Hayao Miyazakis zusammen. Erwähnung finden unter anderem:

  • Die große Bedeutung, welche dem psychologischen Realismus der Charaktere und der Welt, in der sie leben, beigemessen werden. Mögen in den Filmen fantastische Elemente auch eine wichtige Rolle spielen, so sind diese doch immer schlüssig und logisch in den Gesamtkontext eingebettet und die Motive und Entwicklung der Charaktere glaubwürdig und nachvollziehbar.
  • Die Vermeidung der in den klassisch-amerikanischen Zeichentrickfilmen allgegenwärtigen stereotypen Gegensätze von Gut und Böse, welche mit dem psychologischen Realismus zusammenhängt. In Miyazakis Filmen gibt es meistens keinen klassischen Bösewicht (Ausnahmen wären die frühen Filme wie Das Schloss des Cagliostro oder Das Schloss im Himmel) und auch die Helden weisen ihre dunklen Seiten auf, mit denen sie sich auseinander setzen müssen.
  • Die Vermischung von Elementen sowohl japanischer wie europäisch-amerikanischer Kultur, Geschichte und Legenden.
  • Eine große Skepsis gegenüber Figuren und Institutionen, welche Macht besitzen, zur Machtausübung verwendet werden oder für Macht stehen. Dies zeigt sich vor allem in der immer wieder kehrenden Thematisierung und negativen Konnotation von Gewalt und Krieg.

Sehr schade finde ich, dass die Anfänge Miyazakis, insbesondere seine Mitarbeit an verschiedenen Zeichentrickserien und dass er sich immer wieder auf diese bezieht, nur nebenbei erwähnt werden. Zudem werden die vielen Screenshots in meinen Augen zu wenig für eine systematische Analyse verwendet, etwa um übergreifende Gemeinsamkeiten der Filme herauszustreichen oder Metaphern und Symbole zu diskutieren. Um dies in der angemessenen Ausführlichkeit machen zu können, hätte Die Filme von Hayao Miyazaki aber deutlich umfangreicher als „nur“ 120 Seiten ausfallen müssen, was dann zugegebenermaßen wohl das Konzept gesprengt hätte.

So ist das Buch auf Grund der konzentrierten und klar voneinander abgegrenzten Auseinandersetzung mit den einzelnen Filmen vor allem als eine Art Nachschlagewerk sehr zu empfehlen: Um sich nach – oder zur Not auch vor – dem Sehen eines der Filme mit wichtigen Hintergründen und Interpretationen vertraut zu machen, ist es genau richtig. Angesichts des Preises von nur etwa 15 Euro und da es das bisher einzige deutschsprachige Buch zu Miyazaki ist, kann ich es als Einstiegslektüre wärmstens empfehlen.