Original: Yume (1990) von Akira Kurosawa

Wenn über das Werk Kurosawas geschrieben wird, dann werden dabei gern bestimmte Lebens- und Schaffensphasen unterschieden. Bei den Dreharbeiten von Dreams war der große Regisseur 80 Jahre alt, aber nicht nur deshalb ist der Film als Beginn seines Alterswerks zu sehen.

Dreams Screenshot 1

Dreams besitzt keine fortlaufende Handlung sondern setzt sich aus acht „Träumen“ zusammen die Kurosawa angeblich selbst einmal geträumt hat, alles Episoden mit teilweise sehr unterschiedlichem Charakter. Manche ranken sich um Mythen der japanischen Folklore, andere haben klare Bezüge auf unsere Welt der Gegenwart. Und doch merkt man schnell, dass hier nicht einfach nur wahllos Kurzgeschichten aneinander gereiht wurden: Zum einen ist da das immer wiederkehrende Thema Umgang mit der Natur, die Wertschätzung ihrer Schönheit, der Respekt, den sie uns abnötigt und die Bedeutung eines Lebens im Einklang mit der Natur.

Zum anderen tauchen in jeder Episode Bezüge auf bestimmte Stationen im Lauf eines Lebens auf, die wie ein Bogen die einzelnen Träume überspannen und gewissermaßen zu einem Lebenslauf verbinden. In den ersten beiden Episoden sind das Ereignisse aus der Kindheit wie das Hina-matsuri. Dann folgen einen Menschen prägende Extremsituationen wie Kriegsdienst oder die gefährliche Bergexpedition in der dritten Episode. Anschließend wird die beeindruckende Schaffenskraft und unerschöpfliche Kreativität eines Menschen gefeiert, der seine Bestimmung gefunden hat, bevor dann die dunkleren, selbstzerstörerischen Seiten des Menschseins von Egoismus über Gier bis hin zum Kannibalismus thematisiert werden. Am Ende stehen schließlich ein versöhnlicher Entwurf einer alternativen, genügsamen und sich an den kleinen Dingen erfreuenden Lebensweise sowie ein gelassener Umgang mit dem Tod.

Dreams Screenshot 5

Wer als Zuschauer ein kleines bisschen mit Person und Leben Kurosawas vertraut ist, dem drängen sich beim Sehen des Films gleich mehrfach Hinweise auf eine ausgeprägte autobiographische Komponente auf. Jede Episode, jeder „Traum“ wird aus der Sicht einer Person geschildert, die in den ersten beiden noch ein Kind ist und danach von Akira Terao verkörpert wird, der mit seinem Schlapphut in vielen Szenen ganz offensichtlich an Kurosawa selbst erinnern soll. Auch dass er mehrfach mit einer Zeichenmappe unterwegs ist, deutet auf Kurosawas Liebe zur Malerei hin.

Kurosawa lässt also sein Alter ego den Zuschauer auf eine kleine Reise zu verschiedenen Stationen eines (seines?) Lebens mitnehmen und verbindet die Stationen – mal mehr, mal weniger offensichtlich – mit klaren Botschaften: Da blickt offenbar ein alt gewordener Mann, der viel von der Welt gesehen und viel erlebt hat, zurück auf sein Leben und will seine gewonnen Weisheiten und seine Weltanschauung mit anderen teilen. Diese Versuche der Belehrung sind teilweise verblüffend direkt und simpel, um nicht zu sagen plump, wie etwa in „Mount Fuji in Red“, in der explodierende Atomkraftwerke den Untergang der Menschheit einleiten. Oder wie in der letzten Episode, in welcher der 86jährige Chishu Ryu vom einfachen Leben im Einklang mit der Natur schwärmt und Dinge wie Elektrizität als überflüssigen Schnickschnack entlarvt, der uns nur davon abhält, das Leben in all seiner Schönheit zu genießen.

Dreams Screenshot 2

Man mag sich über diese Belehrungsversuche wundern – aber Kurosawa hatte schon immer eine Agenda. Nur dass er sich als greiser Mann nun einfach die Freiheit nimmt, ganz unverhohlen und direkt Dinge anzuprangern und seine Sicht der Welt darzulegen. Das erinnert teilweise ein bisschen an den Opa, der vom Schaukelstuhl aus seine Enkel belehrt – und in der Tat entwickelte Kurosawa sich mit seinem letzten Film Madadayo ja noch weiter in diese Richtung.

Nun könnte durch das bisher geschriebene der Eindruck entstehen, Dreams wäre kein besonders sehenswerter Film – diesem Eindruck muss ich energisch entgegentreten! Kurosawa ist ein Meister der Farbe und der Komposition und Dreams enthält einige der visuell beeindruckendsten Ideen und betörendsten Bilder aus Kurosawas Werk. Die Screenshots sollten das unübersehbar zeigen und selten fiel es mir so schwer, mich auf 4 oder 5 Screenshots zu beschränken.

Dreams Screenshot 4

Bereits in den vorangegangenen Filmen hatte sich eine Besinnung des Regisseurs auf seine in der Malerei liegenden Wurzeln angedeutet, hier wird sie offensichtlich. Nicht nur, dass er immer wieder wie gemalt erscheinende Szenen auf die Leinwand bannt, in der wohl berühmtesten Episode „Crows“ begegnet sein alter ego dem von Martin Scorsese gespielten Vincent van Gogh und taucht regelrecht in einige der berühmtesten Bilder des Malers ein.

Um diese Szenen umzusetzen begann Kurosawa noch im hohen Alter, mit Special Effects zu experimentieren. Dabei kamen ihm seine Kontakte nach Amerika zugute, so dass er bei der Umsetzung seiner Ideen mit Industrial Light & Magic zusammenarbeiten konnte, der Effektschmiede seines großen Bewunderers George Lucas. Seine Offenheit für Neues und seine Experimentierfreude auch im hohen Alter sind für mich einer der stärksten Belege dafür, was ein außergewöhnlicher Künstler und großer Visionär Kurosawa doch war.

Dreams Screenshot 6

Dreams ist sicher nicht der erste Film, der einem einfällt wenn man an Kurosawa denkt oder den man als erstes empfehlen würde. Aber er ist sein wohl persönlichster Film und allein schon daher für das Verständnis der Person und des Künstlers von immenser Bedeutung. Zugleich ist der Film ein echtes Statement und einfach wunderschön anzusehen.