6 Jul
Original: Shichinin no samurai (1954), von Akira Kurosawa
Japan in der Zeit der Bürgerkriege: Die Bewohner eines kleinen, armen Bauerndorfes, das bereits in der Vergangenheit Opfer einer Räuberbande war, erfahren, dass ein erneuter Überfall bevorsteht. In ihrer Verzweiflung entschließen sie sich zum Äußersten und wollen den Angriff abwehren. Doch dazu benötigen sie die Hilfe erfahrener Kämpfer und senden eine kleine Gruppe aus ihrer Mitte in die Stadt, um Samurai für den Kampf gegen die Räuber anzuheuern.
Dort angekommen, werden sie mit der harten Realität konfrontiert: Selbst arme Samurai empfinden für die Bauern nur Verachtung, oder nutzen deren Verzweiflung aus, um eine warme Mahlzeit abzugreifen. Durch einen Zufall werden sie dann Zeugen, wie ein Samurai ein gekidnapptes Baby befreit und nach etwas Überzeugungsarbeit willigt Kambei (Takashi Shimura) dann auch ein, ihnen zu helfen. Dazu versammelt er sechs weitere Samurai um sich: Alte Gefährten, Meister des Schwertkampfs und schräge Charaktere wie Kikuchiyo (Toshiro Mifune).
Gemeinsam machen sich die sieben Kämpfer auf zum Dorf, wo sie zunächst die Vorurteile und Ängste der Bauern bekämpfen müssen, die ihre Frauen und Mädchen sowie ihr Essen vor den Fremden verstecken. Im Zuge der gemeinsamen Arbeit an der Verschanzung des Dorfes und der ersten Scharmützel mit den Banditen entsteht eine eingeschworene Truppe, die es gemeinsam tatsächlich schafft, die Räuber zu besiegen. Doch am Ende zeigt sich, dass die Lebenswelten der Samurai und der Bauern zu weit auseinanderliegen, die Gemeinschaft eine reine Zweckgemeinschaft war und die Samurai mit nichts als der Erinnerung an ihre toten Kampfgefährten weiterziehen müssen. Ein Happy-End gibt es nur für die Bauern.
Kurosawa wollte ursprünglich einen Film drehen, der einen Tag im Leben eines normalen Samurai zeigt. Sein Bestreben war, die eingelaufenen Bahnen der in den 1950er Jahren wie am Fließband produzierten Schwertkampffilme (chanbara) zu durchbrechen und ein realistisches Bild der Samurai zu zeichnen. Er musste jedoch schnell feststellen, dass es kaum historische Quellen dazu gab, wie das Alltagsleben von Samurai aussah. Dabei wurde er jedoch auf Berichte aufmerksam, denen zufolge Samurai manchmal als Wächter für Bauern anheuerten. Die Idee für Die Sieben Samurai war geboren.
Auch wenn er von seiner ursprünglichen Story abrückte, den Anspruch, einen realistischen Film über Samurai zu drehen, hielt Kurosawa aufrecht. Und so ist der Film nicht zuletzt wegen einer Reihe von radikalen Brüchen mit den Traditionen des klassischen Schwertkampffilms richtungsweisend: In diesen Filmen wurden Samurai als unvergleichlich nobel, aufrecht, selbstlos und heldenmütig bis zum Tod dargestellt. Kurosawas Samurai dagegen sind ganz normale Menschen: Sie haben Angst vor dem Feind, retten ihr Leben zur Not auch indem sie sich verstecken oder davonlaufen, sie trinken, lachen, sind mal gutmütig und hilfsbereit und mal zornig und unberechenbar.
Auch bei der Darstellung der Lebensbedingungen und insbesondere der Kampfszenen legte Kurosawa größten Wert auf Realismus. Seine Schwertkämpfe unterscheiden sich völlig von den klassischen, eher an einstudierte Tänze erinnernden chanbara-Kämpfen. Bei Kurosawa besteht ein Kampf oft aus nur einem einzigen Schwerthieb, wenn er von einem erfahrenen Samurai ausgeführt wird, oder aus planlosem Herumrennen und Gefuchtel, wenn die Bauern am Werk sind. Diesen Realismus trieb Kurosawas mit seinem späteren Film Yojimbo noch weiter und krempelte das gesamte Schwertkampfgenre um.
Einzigartiger Höhepunkt dieses Anspruchs, realistische Kämpfe zu zeigen, ist zweifellos die Regenschlacht am Ende des Films. Mittels des für ihn typischen Einsatzes von Teleobjektiven, Wetterphänomenen und seiner virtuosen Schnittkunst erreicht Kurosawa eine unvergleichliche Authenzitität und zieht den Zuschauer magisch ins Kampfgeschehen hinein.
Zu dieser realistischen Herangehensweise gehört in Die Sieben Samurai auch die Thematisierung der Auseinandersetzung des Individuums mit der Klassenstruktur und seiner festgeschriebenen Position in der Gesellschaft – die von vielen Kritikern sogar als der Schlüssel zum Film gesehen wird. Immer wieder betont Kurosawa die Zugehörigkeit seiner Charaktere zu bestimmten sozialen Gruppen sowie die Unterschiede zwischen Bauern und Samurai, streicht das schwere Schicksal der Bauern heraus und betont die Unüberwindbarkeit der gesellschaftlichen Schranken.
Exemplarisch für die Bedeutung der Gruppe bei der Definition des Individuums ist eine Szene gleich zu Anfang: Die Bauern des Dorfes versammeln sich und beklagen den bevorstehenden Überfall. Einer aus ihrer Mitte versucht die anderen zu überreden, gegen die Banditen zu kämpfen, steht mit seiner Meinung jedoch allein da. Er zieht sich aus dem Kreis der Bauern zurück und wird so aus der Vogelperspektive vorübergehend zum Außenseiter. Durch einen einzigen Schnitt auf eine ebenerdige Einstellung, in der der Raum zwischen dem Außenseiter und der Gruppe durch den starken Telezoom nicht mehr als Distanz wahrnehmbar ist, macht Kurosawa aber sofort klar, dass der Bauer trotz der Meinungsverschiedenheit nach wie vor Teil seiner sozialen Gruppe ist.
Dass es kein Entkommen vor den gesellschaftlichen Normen gibt, zeigen die Figur des Kikuchiyo, der zwischen seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie und seinem Streben, ein Samurai zu werden, hin- und hergerissen ist, sowie der junge Katsushiro (Isao Kimura), Kambeis Schüler, der sich in die Bauerntochter Shino verliebt. Obwohl sie seine Gefühle erwiedert, ist ihr völlig klar, dass die Liebe auf Grund der sozialen Unterschiede zum Scheitern verurteilt ist. Und auch wenn Kikuchiyo wie ein Samurai auf dem Schlachtfeld stirbt, sein Kampf für eine gerechtere Welt und die Überwindung der Klassengrenzen ist vergeblich.
Den überlebenden Samurai bleibt am Ende nichts außer dem Leben an sich. Die Bauern feiern den Sieg, bepflanzen die Reisfelder und leben trotz der gemeinsam gefochtenen Schlachten in einer anderen Welt als die Samurai, die mit der Erinnerung an ihre toten Kameraden einsam zurückbleiben. Und der Zuschauer erkennt, dass diejenigen, die als die Unterdrückten und Leidenden präsentiert wurden, am Ende die einzigen Sieger sind.
5 Kommentare for "Die Sieben Samurai"
Hallo Kai!
Eine schöne Besprechung von den 7 Samurai! Da hat man richtig lust, sich diesen Klassiker nochmal anzuschauen.
Stutzig machte mich aber diese Passage:
„Er zieht sich aus dem Kreis der Bauern zurück und wird so aus der Vogelperspektive vorübergehend zum Außenseiter. Durch einen einzigen Schnitt auf eine ebenerdige Einstellung, in der der Raum zwischen dem Außenseiter und der Gruppe durch den starken Telezoom nicht mehr als Distanz wahrnehmbar ist, macht Kurosawa aber sofort klar, dass der Bauer trotz der Meinungsverschiedenheit nach wie vor Teil seiner sozialen Gruppe ist.“
Ich meine, ich kenne das aus dem Monaco-Buch(?). Jedenfalls eine schöne Beobachtung, die die Virtuosität des Kameramannes/Kurosawas zeigt.
Beste Grüße, Michael
Servus Michael!
Kurze Frage: Wer ist Kai? 😉
Habe mir gerade deinen Blog angeguckt und ich bin total begeistert! Endlich mal ein deutscher Blogger, der genauso verrückt auf japanische Filme ist wie ich! Deine Retrospektiven-Projekte klingen sehr ambitioniert, allein 20 Kurosawa-Filme, das wird eine Riesenarbeit! Bin schon sehr gespannt und freue mich drauf.
Zu der von dir zitierten Passage: Kann gut sein, dass ich das irgendwann mal bei der Lektüre oder aus einem Kommentar aufgeschnappt habe. Aber welches Monaco-Buch meinst du? Ist das ein Autor? Sagt mir gar nichts. Zu Kurosawa hab ich v.a. Richie, Yoshimoto und Prince gelesen, aber es gibt natürlich noch viele andere wichtige Autoren.
Hi Klaus,
sorry für die Verwechslung (hatte gerade mit meinem Schwager telephoniert – der eben so heißt); also zu Monaco: ich meinte James Monaco mit seinem bekannten Buch „Film verstehen“. Dort macht er genau diese Beobachtung, wie du sie eben bei 7 Samurai auch machst. Das Richie-Buch interessiert mich auch sehr, ist wahrscheinlich sowas wie Standard für die Kurosawa-Rezeption aus westlicher Sicht. Nun – kannst du das empfehlen?
Außerdem habe ich am Wochenende noch ein paar fehlende Kurosawas geordert – und nun ist in mir der dunkel-wahnsinnige Wunsch gewachsen, ALLE Kurosawas zu besprechen (jetzt hab ich ja auch bald fast alle). Nun, das würde natürlich nicht so profund wie bei dir werden, aber als ersten großen Ãœberblick vielleicht in seiner Summe interessant. Ich verspreche mir davon vor allem Kontinuitäten bezgl. Motive, Kamera, Handlungselemente usw. zu entdecken.
Ich freue mich auf deine nächsten Postings!,
Liebe grüße, Michael
OK, James Monaco habe ich definitiv nicht gelesen, von ihm kann ich das also nicht aufgeschnappt haben. Aber die Szene ist ja auch ein absolutes Lehrstück, wie man mit Schnitten und Kameratechnik die Raumwahrnehmung beeinflussen und damit eine Aussage machen kann. Die wird sicher in vielen Büchern genannt. Den Richie kann ich dir nur wärmstens ans Herz legen, der war mein Einstieg in die ernsthafte Beschäftigung mit Kurosawa und der ist und bleibt eines der großen Standardwerke. Ich hatte das Buch auch schon hier im Blog vorgestellt.
Und wegen der Kurosawa-retrospektive: Leg einfach los, nimm dir nicht zu viel vor, mach einfach einen Schritt nach dem nächsten. Deine bisherigen Postings sind super, wenn du so weitermachst wird das ganz großes Kino! 🙂
2villages
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