Donald Richies erstmals 1965 erschienenes Buch The Films of Akira Kurosawa ist bis zum heutigen Tag eines der Standardwerke schlechthin zu diesem wohl bekanntesten und einflussreichsten Regisseur der japanischen Kinogeschichte. Es war das erste Buch über japanische Filme überhaupt, das ich gekauft habe, und ich verdanke ihm viele wichtige Anregungen, Informationen und Einblicke in Kurosawas Arbeitsweise. Zudem enthält es eine großartige Sammlung qualitativ hochwertiger, nicht zuletzt dank des übergroßen Formats des Buches sehr beeindruckender Fotos. Aber wie alles auf der Welt ist auch dieses fraglos große Werk nicht perfekt!

Richie beginnt seine Auseinandersetzung mit Kurosawa und seinen Filmen mit einem kurzen biographischen Abriss über dessen Jugend und frühen Lehrjahre bei PCL, der weitgehend auf Kurosawas Autobiographie basiert. Dann steigen wir direkt ein mit seinem ersten eigenen Film, Sanshiro Sugata, worauf in chronologischer Reihenfolge alle weiteren Filme abgehandelt werden.

Bei jedem Film folgt Richie einem regelmäßigen Muster: Zunächst erhält der Leser einen kurzen Einblick in den Hintergrund des Films, etwa was Kurosawa selbst dazu sagte oder schrieb, zur Planung des Projekts, zu (literarischen) Quellen oder wie sich der Film im Verhältnis zu anderen Werken verhält. Als nächstes folgt ein Überblick über die Handlung und wichtige Aspekte, wie etwa die Musik oder die Kameraführung. Unter den Überschriften „Treatment“ und „Production“ folgt dann eine stark interpretative Auseinandersetzung mit den Themen, eingesetzten Stilelementen, schauspielerischen Leistungen, zentralen Szenen und den technischen und organisatorischen Schwierigkeiten während der Realisation des Films.

Den Abschluss des Buchs bildet das Kapitel „Method, Technique and Style“, in dem Richie wichtige Elemente in Kurosawas Arbeitsweise nochmals zusammenfasst und sich anschickt, wiederkehrende Muster in den Filmen zu identifizieren und einzuordnen. Die Zusammenarbeit des Meisterregisseurs mit einem festen Stamm enger Mitarbeiter, der Kurosawa-gumi, ist hier ebenso Thema wie sein bis ins extreme reichender Realismus, sein Umgang mit Schauspielern und sein großartiges Können im Schneideraum. Dabei (wie im ganzen Buch überhaupt) greift Richie häufig auf selbst erlebte Anekdoten und Berichte von Mitarbeitern oder Kurosawa selbst zurück, was den Ausführungen viel Authentizität und Lebendigkeit verleiht. Dementsprechend ist das Buch angenehm und und spannend zu lesen.

Einige der zentralen Erkenntnisse Richies, die sich gesammelt im Schlusskapitel, aber sehr viel ausführlicher in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Filmen finden, wären:

  • Kurosawa geht es hauptsächlich um Charaktere und deren Entwicklung. Darin sieht Richie auch den Grund, warum manche Filme (beispielsweise The Bad sleep well oder Skandal) gewissermaßen außer Kontrolle geraten und der Handlungsrahmen gesprengt oder in den Hintergrund gedrängt wird.
  • Die Verwendung von Wiederholungen bzw. Variationen eines Themas in einem Film.
  • Kurosawas ganz eigene Bildsprache, die sich ergibt aus der häufigen Verwendung von multiplen Kameras, Objektiven mit langer Brennweite, Wipes (Wischblenden) und der großen Aufmerksamkeit für Textur.

Die starke Fokussierung auf die einzelnen Filme ergibt sich jedoch auch eine gewisse Tendenz zur Wiederholung von bei frühen Filmanalysen bereits gesagtem. Somit eignet sich The Films of Akira Kurosawa vor allem als lexikalische Aufsatzsammlung: Wenn man gerade einen der Filme gesehen hat, kann man auf 10 Seiten eine ausführliche und spannende Auseinandersetzung mit dem eben gesehenen nachlesen. Dabei fällt auf, dass Richie häufig komplette Szenen der Filme schildert, inklusive der vollen Texte und Regieanweisungen. Seine Gedankengänge sind so gut nachvollziehbar.

Leider leidet das Buch darunter, dass nach dem ersten Erscheinen 1965 die später folgenden Filme Kurosawas nicht mehr in der Ausführlichkeit in den weiteren, aktualisierten Ausgaben besprochen werden wie die früheren Werke. Bei Dodesukaden und Dersu Uzala macht sich dies noch kaum bemerkbar, aber Ran, einem der zentralsten und wichtigsten Filme in Kurosawas Oeuvre sind lediglich noch 6 Seiten inklusive großformatiger Fotos gewidmet, und sein letzter Film Madadayo wird auf nur 2 Seiten abgehandelt. Gerade weil die Auseinandersetzung mit den früheren Filmen so großartig ist, enttäuscht dieser Mangel umso mehr.

Diesen Wermutstropfen kann man aber problemlos verschmerzen und er ändert nichts daran, dass Donald Richies The Films of Akira Kurosawa auch mehr als 40 Jahre nach seinem ersten Erscheinen immer noch eines der wichtigsten Bücher über Kurosawas Werk ist, das den bekannten Klassikern genauso wie eher weniger bekannten Filmen mit viel Detailwissen und einem scharfen interpretativen Verstand auf den Zahn fühlt und dennoch für den Laien verständlich und nachvollziehbar geschrieben ist. Ein absolutes Muss!