Originaltitel: Nijūshi no hitomi (1954), von Keisuke Kinoshita

Einer der großen Klassiker des frühen japanischen Nachkriegskinos: Eine mitreißende, emotionale und todtraurige Chronik einer Lehrerin und ihrer ersten zwölf Schüler in 20 Jahren turbulenter Geschichte. Definitiv nichts für schwache Tränendrüsen!

Handlung

Die junge Lehrerin Hisako Ôishi (Hideko Takamine) beginnt ihr erstes Unterrichtsjahr an einer kleinen Schule eines verschlafenen Dorfs auf der Insel Shodo. Wegen ihrer modernen Erscheinung stößt sie zunächst auf Ablehnung bei vielen Dörflern, doch die zwölf Schüler ihrer ersten Klasse schließen sie schnell ins Herz. Eine enge Verbundenheit zwischen den Kindern und Hisako entsteht, die auch intakt bleibt, als sie an die weiterführende Schule in der Stadt wechselt.

Fünf Jahre später folgen ihr die Kinder dorthin, Schulausflüge und erste Bürden des Erwachsenwerdens schweißen Hisako und ihre Schüler immer enger zusammen. Jedoch beginnen die Ereignisse auf der Weltbühne, die Idylle zu überschatten: Wegen der Weltwirtschaftskrise verarmen manche Familien, die Mädchen müssen zum Unterhalt beitragen und die Jungen wollen zur Armee, die in China einmarschierte. Wegen der immer drastischeren Zensur entscheidet sich Hisako schweren Herzens, den Schuldienst zu verlassen, da sie den Krieg ablehnt und ihre Schüler nicht mit nationalistischen Parolen unterrichten will.

Der dritte Akt ist geprägt durch die Kriegsjahre, Tod und Trauer sind allgegenwärtig, der Alltag der Menschen wurde von den Wogen der Ereignisse fortgerissen. Hisako verliert ihre Mutter, ihren Mann und ihre jüngste Tochter, bedrückende Friedhofsbesuche ersetzen die frühere ländliche Idylle. Nach Kriegsende kehrt Hisako in den Schuldienst zurück. Zu ihren Erstklässlern gehören auch Kinder von einigen der Überlebenden ihrer ersten zwölf Schüler, die sie kurz darauf zu einem Wiedersehenstreffen einladen, bei dem alle in Erinnungen an die unbeschwerte Kindheit schwelgen.

Kritik

Auch wenn der Schluss etwas zu sehr auf die Tränendrüse drückt, „Vierundzwanzig Augen“ ist ein großer Film. Obwohl die Kamera immer auf Distanz bleibt, entsteht sehr schnell eine enge Identifikation mit Hisako und ihren Schülern. So sehr man die anfänglich idyllische Stimmung genießt, so sehr leidet man mit den Kindern und ihren Familien unter den später folgenden Schicksalsschlägen.

Charakteristisch für Bildkomposition und Stimmung des Films ist die Einbeziehung der landschaftlichen Umgebung. Schon die Titelsequenz zeigt Wellen des Meeres, auf denen man sich die Personen der Handlung wie Korken schwimmend vorstellen kann. Stellvertretend für diese symbolträchtige Verwendung von natürlichen Gegebenheiten erscheint mir besonders die Beerdigungsszene von Hisakos Mutter, eine großartig komponierten Einstellung: Die gesamte Breite des Bildes nimmt eine Reihe von Grabsteinen ein, dahinter verschwimmen Meer und Himmel im Nichts. Davor schwanken die Ähren eines Getreidefelds im Wind. Die Trauernden queren vor dem Friedhof und die Furchen des Feldes, die den Blick über die Menschen und den Friedhof zum Fluchtpunkt im Nirgendwo führen. Sensationell!

Neben der Hilflosigkeit einfacher Menschen angesichts des Schicksals und der Geschichte, ist besonders die Sinnlosigkeit des Krieges ein großes Thema des Films. Immer wieder ermahnt Hisako ihre Schüler und ihre Kinder, dass ein einfaches Leben erstrebenswerter ist als ein heldenhafter Tod. So wird „Vierundzwanzig Augen“ auch zu einer Abrechnung mit der militaristischen Vergangenheit Japans. Ein großer Film, der übrigens an Originalschauplätzen mit zwölf Geschwisterpaaren als Darsteller der Kinder gedreht wurde und alltägliche und zugleich doch geschichtsträchtige Geschichten einfacher Menschen erzählt.