Original: Okâsan, (1952) von Mikio Naruse

Okâsan schildert den harten Kampf einer Mutter (Kinuyo Tanaka) um den Fortbestand ihrer Familie aus der Sicht ihrer ältesten Tochter Toshiko (Kyoko Kagawa).

Der Film eröffnet mit einem inneren Monolog Toshikos, in dem sie die Mitglieder ihrer Familie vorstellt. Bereits in diesen ersten Szenen war ich völlig begeistert, wie Naruse Direktheit und Eleganz verbindet. Die wenigen Worte, die Toshiko über ihren Vater, ihre Mutter und ihre Geschwister verliert, begleitet er mit so liebevollen, ausdrucksstarken und ehrlichen Bildern, dass sich sofort das Gefühl einstellt, es wäre die eigene Familie mit all ihren liebenswerten Schrulligkeiten:
Die Mutter Masako ist so klein, dass sie einen kurzen Besen zum Kehren benutzt, der kleine Neffe ist ein Bettnässer und für den Vater (den Toshiko vergöttert: €žSeht nur die Muskeln!€œ) liegt alles Glück der Welt in gebackenen Bohnen.

Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht. Naruse webt verschiedene Ereignisse und Szenen in eine Art Handlungsreigen, den Gang der Jahreszeiten verdeutlicht er anhand wechselnder Angebotsschilder eines Kiosk – im Winter Pfannkuchen, dann Eis am Stiel. Off-Screen wird Toshikos kranker Bruder ins Sanatorium eingewiesen, später erfahren wir, dass er gestorben ist. Der Vater wird krank, gerade als die Familie eine Wäscherei eröffnet, woraufhin Kimura, ein Freund der Familie, aushilft. Einige Zeit später stirbt auch der Vater und Toshiko beginnt ebenfalls, in der Wäscherei zu helfen. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht, weshalb ihre jüngere Schwester von einem Onkel adoptiert werden soll.

Toshiko sieht ihre Familie zerbrechen, ist verwirrt und beginnt unter der Situation zu leiden, besonders weil sie glaubt, ihre Mutter würde Kimura heiraten. Sie selbst ist zwischen Kindheit und Erwachsenensein gefangen: einerseits spielt sie noch wie ein Kind mit ihren Geschwistern und singt auf dem Stadtfest, andererseits übernimmt sie Verantwortung, unterstützt die Familie und entdeckt eine erste unschuldige Liebe zum Bäckerssohn Shinjiro (Eiji Okada).

Sie fühlt mit ihrer Mutter und fragt sich, ob diese angesichts all der Härten des Lebens, der Schicksalsschläge, überhaupt glücklich sein könne. Sie stellt sich diese Fragen stellvertretend für den Zuschauer, und Naruse beantwortet diese, indem er im Laufe des Films immer wieder kleine Momente des Glücks einstreut, sowohl auf einzelne Personen bezogen, etwa wenn der Vater in seliger Verzückung seine geliebten Bohnen kaut, oder in Gemeinschaft bei einem Ausflug in den Park.
Besonders in einer Szene, als Toshiko von ihrer Tante Noriko als Brautmodell zurechtgemacht wird und alle ihre Schönheit bewundern, zeigt Naruse mit kurzen Schnitten auf die Mutter deren geradezu mit Händen zu greifende Freude, ihren Stolz und das Glück angesichts der Schönheit ihrer heranwachsenden Tochter: der ganze Mutterstolz und die Mutterliebe werden mit wenigen Einstellungen vor Augen geführt. Das zeigt auch die Schlussszene, in der die Mutter mit dem Neffen herumtollt und sich schließlich zufrieden aber erschöpft die Haare aus dem Gesicht streicht, unterlegt mit der Stimme von Toshiko, die sich fragt, ob ihre Mutter glücklich ist.

Die tragenden Hauptrollen sind großartig gespielt von Kinuyo Tanaka und besonders auch von der jungen Kyoko Kagawa, die hier ihren ersten großen Filmauftritt hatte und eine herzerfrischende Darstellung bietet. Beide Hauptdarstellerinnen formen aus der Trauer angesichts der Todesfälle, Enttäuschung ob der Härte des Lebens und Freude im Alltag und in der Liebe so ungekünstelt und authentisch ihre Charaktere, dass nie so etwas wie Mitleid mit ihnen aufkommt, sondern echtes Mit-Fühlen.

Okâsan ist in meinen Augen eine nahezu perfekte Demonstration von Naruses Fähigkeit, das Leben so wie es ist darzustellen und den Zuschauer mitten hinein zu ziehen. Der Geschmack des Lebens besteht nun mal aus süßen und bitteren Momenten, und Naruse lässt uns beides kosten.