Original: Metoroporisu, (2001) von Rintaro

Beim ersten Sehen fiel es mir sehr schwer, der Handlung zu folgen. Zu fesselnd waren die auf mich einstürmenden Bilder, eine höchst außergewöhnliche Mischung aus 2D-Charakteren und unfassbar detaillierter 3D-Welt sowie der jazzige Soundtrack. Ich kam einfach aus dem Staunen nicht mehr heraus. Erst auf den zweiten Blick habe ich auch einen Zugang zur Geschichte und den vielschichtigen Charakterbeziehungen gewonnen.

Der Film basiert auf einem 1949 erschienenen Manga von Osamu Tezuka, der dazu wiederum durch eine Szene aus Fritz Langs Metropolis inspiriert worden war. Die Anime-Adaption nimmt jedoch zahlreiche Modifikationen an Tezukas Manga vor und die Macher Rintaro und Katsuhiro Otomo geben zu, dass Tezuka sicher versucht hätte, ihre Verfilmung zu verhindern, wäre er noch am Leben gewesen (dieses Eingeständnis allein ist bemerkenswert).

Robotic Angel präsentiert uns eine streng in hierarchische Zonen organisierte Welt, in der die Reichen und Schönen in Wolkenkratzern leben, die Unterprivilegierten dagegen in der Unterwelt. Neben diesem Riss durch die Gesellschaft gibt es noch einen zweiten Konflikt, nämlich den mit einer Armee von omnipräsenten Robotern, die vom Straßenkehrer über den Butler bis zum Polizisten alle denkbaren Funktionen übernehmen.

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Die von mir angesprochene faszinierende Inszenierung dieser Welt beruht auf einem gewagten Mix: Anleihen aus Fritz Langs Metropolis und dem Blade Runner sind offensichtlich und vermischen sich zu einem manchmal düsteren, manchmal technokratisch-kalten, manchmal bezaubernd schönen 3D-Porträt der industriellen Großstadt. Die gezeichneten Figuren mit ihren großen Augen und ihrem Retro-Look (besonders beim Privatdetektiv Ban muss ich immer an Figuren aus Tim und Struppi denken) wollen zuerst so gar nicht in diese 3D-Welt passen, gehen aber letztlich eine fantastische Symbiose mit ihr ein.

Im Zentrum der Handlung steht Tima, ein vollendeter Roboter, von einem genialen Wissenschaftler für Duke Red geschaffen, den Machthaber der Stadt. Er will, dass Tima in Zukunft über die Stadt und damit die Welt herrscht. Doch sein eigener Ziehsohn Rock, der die Roboter hasst, vereitelt seinen Plan und Tima geht vor ihrer Fertigstellung verloren. Gefunden wird sie von Kenichi, der sich um sie kümmert, ihr das Sprechen beibringt und sich in sie verliebt, ohne zu merken, dass sie kein Mensch ist.

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Tima ist dabei immer auf der Suche nach sich selbst, ihrer Identität und ihrem Ursprung und orientiert sich dabei an Kenichi, für den sie große Zuneigung empfindet. Als Duke Red sie letztlich findet, ihre wahre Herkunft offenbart und sie auf den Thron setzt, richtet sich Timas Enttäuschung, nicht wie Kenichi zu sein, gegen die ganze Menschheit: Sie setzt die von Menschen für sie geschaffene Technik nun zur Zerstörung der Menschen ein. Erst im letzten Moment kann Kenichi diese abwenden, doch Tima ist für immer verloren.

Ich könnte nun viel über die politischen und sozialen Hintergründe und die Kritik, die der Film mit seiner Gegenüberstellung verschiedener Gesellschaftsschichten übt, die sich in der Auseinandersetzung zwischen Menschen und Robotern nochmals spiegeln, schreiben. Ich möchte mich aber ganz auf Tima, den künstlichen Engel, und ihr Verhältnis zu Kenichi und Rock konzentrieren.

Rock und Tima verbindet ihre Suche nach Orientierung und Halt, beide haben keine Eltern und projezieren ihre Gefühle auf eine Person, Red Duke respektive Kenichi. Während Rock jedoch von glühender Eifersucht getrieben ist und seine Unsicherheit und Suche nach Zuneigung mit Gewalt und Hass kompensiert, ist Tima durch und durch gütig, geradezu engelsgleich. Als Kröne der Schöpfung ist sie damit die manifestierte Hoffnung auf eine bessere Welt.

Sie sieht in Kenichi all das, was für sie die menschliche Existenz ausmacht: Hilfsbereitschaft, Aufrichtigkeit, Güte und Liebe. Sie erfährt die Welt zunächst durch ihn, lernt mit seiner Hilfe sprechen und schreiben und orientiert sich ganz an seinem Vorbild. In einer wunderbaren Szene versucht Kenichi ihr den Unterschied zwischen „ich“ und „du“ zu erklären, und bringt dann selbst die Identitäten durcheinander.

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Doch als sie von Kenichi getrennt wird, von ihrer wahren Existenz erfährt und von dem Schicksal, das ihr von machtbesessenen Menschen vorherbestimmt wurde, und sie die Schattenseiten des Menschseins erfahren muss, bricht ihr Herz. Sie nimmt die Position als allmächtiges Überwesen an und verwandelt sich dabei in eine Vernichtungsmaschine. Nur Kenichi kann den Untergang der Menschheit abwenden.

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Neben all den angedeuteten sozialen Aspekten ist Robotic Angel für mich in erster Linie eine umwerfende Studie dessen, wozu der Mensch – im Guten wie im Bösen – fähig ist. Durch eine einzigartige Verbindung von modernen CGI-Grafiken, altmodischen Zeichnungen und Filmmusik entwickelt er einen Charme, dem sich wohl kaum jemand entziehen kann. Die vielen Nebenhandlungen und die den Hintergrund abgebenden sozialen und ethisch-moralischen Fragen bieten zudem Gesprächsstoff für so manchen langen Abend! Ein außergewöhnlich guter, aber auch ein sehr fordernder Film, der sich nicht so ohne weiteres erschließt.