28 Feb
Original: Batoru rowaiaru (2000), von Kinji Fukasaku
Zum Ende seiner Karriere setzte der 2003 (während der Dreharbeiten zum Sequel) verstorbene Kinji Fukasaku, der in den 1970ern mit der Battles without Honor and Humanity-Reihe bekannt geworden war, nochmal ein kräftiges Ausrufezeichen: Battle Royale.
In einer nicht allzu fernen Zukunft steht die japanische Gesellschaft vor dem Abgrund: ein Heer an Arbeitslosen, Perspektivlosigkeit, die Jugend lebt ihren Frust in Gewalt aus und gerät außer Kontrolle. Eine Schulklasse wird ausgelost und statt auf die Abschlussfahrt auf eine einsame Insel verfrachtet, wo die Jugendlichen sich unter Aufsicht des Militärs und ihres ehemaligen Lehrers Kitano (Takeshi Kitano) gegenseitig umbringen müssen. Nur der letzte Überlebende darf die Insel verlassen.
Battle Royale ist aber keiner der üblichen Splatter-Filme, auch wenn natürlich reichlich Blut fließt und junge hübsche Mädchen im Dutzend niedergemetzelt werden. Es gibt nämlich keinen äußeren Feind, der die Gruppe nach und nach dezimiert (auch wenn Takeshi Kitano als sadistischer Lehrer einen herrlichen Schurken abgibt). Vielmehr sind es die Schüler selbst, die gegeneinander aufgehetzt ihre eigenen Klassenkameraden bis aufs Blut bekämpfen.
So wird der Film zu einer bitteren, ins groteske übersteigerten Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen Japans um die Jahrtausendwende. Über allem wird der extreme Konkurrenzdruck, dem Schüler bereits von Kindheit an ausgesetzt sind und der sich nahtlos in der späteren Arbeitswelt fortsetzt, thematisiert. Dieser Druck führt dazu, dass Klassenkameraden, die sich eigentlich gegenseitig helfen und Vertrauen ineinander haben sollten, sich gegenseitig verraten, vergiften und hinterrücks erschießen.
Natürlich kristallisieren sich schnell bestimmte Typen unter den Schülern heraus: Die berechnende Egoistin, die auch Sex als Waffe nutzt, der Psycho, der aus purer Freude tötet, die mit Gift spielende Eifersüchtige, eine kleine Gruppe von Nerds, die in bester A-Team-Manier Sprengstoff selbst mischen und die Technik des Militärs unterwandern und natürlich das aufrechte Liebespaar, das sich dem Töten verweigert. Was sie alle verbindet (und Anlass zu wunderbaren Diskussionen über Spieltheorie bietet) ist der Mangel an Vertrauen den anderen gegenüber, und nur dadurch kann das „Spiel“ funktionieren.
Aber auch andere Aspekte des Alltags bekommen ihr Fett weg, allen voran die Medien: Der Film eröffnet mit einer Sequenz, in der die Vorjahres-„Siegerin“, ein blutbespritztes, wirr lächelndes Mädchen, von einem Pulk abgehetzter Journalisten empfangen wird. Und die Regeln des Spiels werden den Schülern mittels eines Videoclips vermittelt, in der eine dralle, hyperaktive Moderatorin in Hot Pants und Patronengürtel in bester Dschungelcamp-Manier die Jugendlichen auffordert, beim gegenseitigen Gemetzel ihr Bestes zu geben.
In Form des Lehrers Kitano, der zunächst als rechtschaffenes Opfer der gewalttätigen Schüler eingeführt wird, nimmt Regisseur Fukasaku auch das Establishment aufs Korn. Nicht nur dass er mittels einiger kurzer Telefonate zwischen Kitano und dessen Familie auch dessen verpfuschtes Privatleben beleuchtet, das ihm keinerlei Halt mehr gibt und ihn als leer und vereinsamt porträtiert.
Mehr noch wird Kitano als gewissenloser Sadist präsentiert, der nur auf Rache an den Schülern aus ist, die ihm das Leben zur Hölle gemacht haben. Einzig eine von ihm verehrte Schülerin, Noriko (Aki Maeda), gibt ihm noch so etwas wie Hoffnung, alle anderen würde er am liebsten eigenhändig umbringen, wie am Ende ein von ihm gemaltes Bild zeigt. Rache- und Mordphantasien sind eben nicht nur auf computerspielende Kids beschränkt, sondern kommen sehr wohl auch bei Familienvätern und Respektspersonen (Lehrer haben in Japan noch einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland) vor.
Als Film begeistert mich Battle Royale nicht wirklich. Er ist gut und routiniert gemacht, mit vielen, die Stimmung mitprägenden, in kalten Blau- und Grautönen gehaltenen Einstellungen. Die Hemmungslosigkeit, mit der sich die Teenager gegenseitig umbringen, verliert jedoch bald den Reiz des Schockierenden. Echte Spannung kommt kaum auf, weil für eine Identifikation viel zu viele Schüler über die Klinge springen müssen und weil bereits relativ bald absehbar ist, wer am Ende überleben wird.
Als bittere, desillusionierte Anklage einer auf bedingungslosen Wettbewerb ausgerichteten Gesellschaft, in der Gewalt als ein legitimes Problemlösungskonzept dargestellt und propagiert wird und in der elementare menschliche Werte dem individuellen Erfolg nur im Wege stehen, trifft Battle Royale allerdings einen Nerv unserer Zeit. Und stellt uns allen die Frage: Wie konnte es so weit kommen?
2 Kommentare for "Battle Royale"
Ich kann bis heute die Popularität dieses Streifens nicht nachvollziehen – für mich einer der miesesten japanischen Filme – vor allem gemessen an meiner vorherigen Erwartung. Das Thema ist alles andere als neu, wurde schon vorher zigmal besser umgesetzt und der ganze Film ist sowas von grottig (nein – nicht trashig) – als hätte man das Big-Brother-Dorf in Japan ausgesetzt…
Daumen senkrecht runter *kopfschüttel*
Hallo Leute,
ich kann Saschas Einstellung im Prinzip voll bestätigen. Wie man hört hält Tarantino diesen Film aber für den Besten der letzten 20 Jahre.
youtube.com/watch?v=Wz4K-Rxx2Bk
Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den Filmgeschmack des Flickenteppichkönigs des Kinos (siehe Zitat-Hölle Kill Bill).
Meiner Meinung nach ist BR ein übles Machwerk, das vollständig auf den billigen Effekt setzt und den kritischen Diskurs über das Thema Gewalt in der Schule, Gewaltmonopol des Staates, verrohte Gesellschaft und Jugend, nur vorheuchelt. Dies ist nichts als Exploitation, die das ernste Thema für seine kommerziellen Zwecke, den inszenierten Skandal instrumentalisiert. Ich empfinde dies als geradezu ekelhaft.
Handwerklich wird BR durchaus, da hast du mit deiner Kritik recht, mit routinierter effektvoller Lässigkeit vorgetragen, ohne dabei aber neue Maßstäbe setzen zu können. Abgesehen davon zieht sich die Handlung furchtbar zäh und schleppt sich (bis auf wenige Ausnahmen: z.B. Die Leuchtturmszene!) von trashiger Gewaltszene zu Gewaltszene. Zumindest die qualitativ das Gesehene weit überragende klassische Musik bietet einige Höhepunkte für das Ohr.
Vielleicht liegt meine tiefe Enttäuschung über diesen berüchtigten „Kultstreifen“, wiederum ähnlich wie bei Sascha, im Kontrast zwischen dem begeisterten Ruf der BR vorauseilt und dem tatsächlichen individuellen Filmerlebnis das ich dann „genießen“ musste begründet.
Nur damit hier kein falscher Eindruck entsteht, ich habe nichts gegen Exploitation, vor allem wenn sie nicht vorgibt mehr zu sein als pure Unterhaltung (Okami Reihe) oder künstlerisch so gelungen mit dem Arthouse-Kino verschränkt wird wie in den Sasori-Streifen.
Diesbezüglich ist, um auf Tarantino zurückzukommen, Kill Bill weitaus ehrlicher und hat mich folgerichtig weitaus besser unterhalten.
Viele Grüße
Marald
Hier kommt deine Meinung rein: