Der Oscar für Okuribito war für viele eine Überraschung, nicht zuletzt für die Macher des Films selbst. Nach der Oscar-Verleihung nahmen Kinos überall in Japan den eigentlich bereits im Herbst gelaufenen Film wieder ins Programm, die Menschen strömten in Massen in die Kinos und katapultierten den Film direkt auf Nummer 1 der Kino-Charts.

Chris vom Toronto J-Film Pow-Wow stellt sich nun angesichts der unerwarteten Preisverleihung die Frage, ob Okuribito eine neue „Goldene Ära“ des japanischen Films einläuten könnte. Er vergleicht die gegenwärtige Siutation dabei besonders mit dem Überraschungserfolg von Rashomon bei den Filmfestspielen von Venedig vor knapp 60 Jahren und vermutet bzw. hofft, dass ähnlich wie damals Filmemacher und clevere Geschäftsleute nun versuchen werden, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu reproduzieren:

Personally, I have to hold out hope that what happened in the early 1950s could under the right circumstances somehow happen again. I don’t think any of us could deny that 2008 was a high watermark year for Japanese cinema, but now we just have to see if the flood will continue and if the world will be receptive if it does.

Dabei lässt er außer Acht, dass die Regisseure, von denen die Goldene Ära der 1950er geprägt wurde, entweder bereits seit langem in der Industrie waren und bereits in den 1930ern großartige Filme produziert hatten (Ozu, Mizoguchi, Naruse, Yamamoto, Inagaki) oder Schüler dieser Filmemacher waren (Kurosawa, Honda, Kinoshita, Ichikawa). Insofern hatte die damalige Goldene Ära relativ wenig damit zu tun, dass Rashomon zufällig einen renommierten internationalen Preis gewann. Vielmehr war diese Ära Ergebnis der Verfassung der japanischen Filmindustrie selbst, die damals vor Talenten nur so strotzte und diese dank eines umsatzstarken Heimatmarktes sich austoben lassen konnte.

Und hier sehe ich die eigentliche Parallele im Hintergrund: In den letzten 20, 25 Jahren haben sich in Japan eine Reihe hochtalentierter Filmemacher etabliert, deren Filme sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern Anerkennung fanden. Ich denke da an einen Yoji Yamada, Hirokazu Kore-eda, Takeshi Kitano, Kiyoshi Kurosawa, Shinji Aoyama oder Sion Sono und natürlich die Anime-Künstler Hayao Miyazaki, Isao Takahata oder Mamoru Oshii. Der Oscar für Okuribito ist gewissermaßen die Bestätigung für deren Arbeit.

Insofern liegt die Bedeutung des Oscars eher darin, dass die Werke dieser Filmemacher jetzt stärker wahrgenommen werden und bessere Chancen haben, ein internationales Publikum zu erreichen. Denn auf dem heimischen Markt hat sich die „neue“ Goldene Ära in den letzten Jahren ja bereits in den stark gestiegenen Zuschauerzahlen für japanische Produktionen niedergeschlagen. Natürlich gilt es, diese Chance zu nutzen. Grundsätzlich ist das Fundament für eine solche Ära also zweifellos bereits vorhanden. Davon zeugen auch die verschiedenen japanischen Filmfeste, die in den 90ern überall auf der Welt entstanden sind und sich in den letzten Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit erfreuen.

Die kritische Frage ist für mich vielmehr, ob es gelingt, den zusätzlichen Schwung des Oscar-Gewinns in positive künstlerische Energie umzuwandeln, ob junge Talente nachkommen und eine Chance erhalten, oder ob jetzt möglicherweise unrealistische Erfolgserwartungen geschürt werden, die jegliche Kreativität ersticken. Der Versuch, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu kopieren, könnte bereits ein erster Schritt in eine solche Sackgasse sein.