Original: Haru to no tabi (2010) von Masahiro Kobayashi

Das Filmfest Hamburg ist ja sehr verlässlich: Japanische Filme spielen nie eine große Rolle, aber dafür haben sie immer den neuesten Film von Masahiro Kobayashi im Programm. Dieses Jahr lief Haru’s Journey und der hat voll und ganz für die sonstige Abwesenheit von Werken aus dem zweitgrößten Filmmarkt der Welt entschädigt, nicht zuletzt dank Altstar Tatsuya Nakadai.

Der spielt den alten Fischer Tadao, der eines Tages Hals über Kopf zusammen mit seiner Enkelin Haru (Eri Tokunaga) sein kleines Fischerdorf verlässt und sich aufmacht, seine Geschwister zu besuchen. In den Gesprächen mit seinen Geschwistern wird klar, dass Tadao ein neues Zuhause sucht, weil Haru nicht mehr mit ihm in dem kleinen Dorf leben möchte und er sich nicht allein versorgen kann. Doch niemand will ihn aufnehmen, zu schwer wiegen Streit und Fehler der Vergangenheit, die Tadao der Reihe nach von seinen Geschwistern aufs Brot geschmiert werden. Aber auch Haru wird durch die Reise klar, dass sie noch offene Wunden mit sich trägt – und dass sie Tadao eigentlich gerne bis zu seinem Tod begleiten möchte.

Wie man es von Kobayashi kennt, lässt er sich viel, viel Zeit mit der Entwicklung der Charaktere. Der Film folgt einem sehr langsamen Rhythmus, Kamerabewegungen und Schnitte werden sehr sparsam eingesetzt. Eine Szene, in der Tadao seinen ältesten Bruder besucht und sich mit ihm vor der Veranda sitzend unterhält, erinnert regelrecht an Mizoguchi mit ihrer Kombination aus Distanz und Verlagerung der Aufmerksamkeit durch Kamerabewegung statt Schnitte.

Der Auftakt zum Film ist jedoch ein Paukenschlag: Die Tür eines Holzhauses fliegt auf und heraus stürmt ein bärtiger, humpelnder, in einen wehenden schwarzen Mantel gekleideter Tatsuya Nakadai, der wutentbrannt seinen Spazierstock von sich schleudert. Ich fühlte mich unweigerlich an so manche Szene in Ran erinnert und hatte einen Moment lang einen Kloß im Hals.

Mit seinen 77 Jahren hat dieser Mann immer noch eine fantastische Präsenz auf der Leinwand, auch in einem eigentlich so ruhigen Film wie diesem. Was er allein mit seiner Stimme an Emotion und Dynamik freisetzen kann! Bei ihm spürt man ständig, wie es unter Tadaos Oberfläche brodelt und kann sich ohne weiteres vorstellen, wie dieser Sturkopf in einem Wutanfall seine Geschwister schwer verletzt und für immer entfremdet haben mag. Gleichzeitig ist er aber auch verletzlich und macht sich rührende Sorgen um seine Enkelin Haru, ist für sie sogar bereit, das größte Opfer zu bringen: Den Kotau vor seinen Geschwistern zu machen und einzugestehen, dass er Fehler gemacht hat.

Haru steht lange im Schatten des alten Mannes, bevor der Film sich dann gegen Ende schlagartig ganz um sie und ihre Probleme zu drehen beginnt und klar wird, dass diese Reise beide mit ihren Familien und sich selbst versöhnen soll. Diesen Bogen bekommt Kobayashi aber ganz wunderbar hin, auch wenn gegen Schluss vielleicht ein bisschen viel Tränen fließen. Was aber auf mich nicht aufgesetzt gewirkt hat. Ein sehr empfehlenswerter Film über Familienbande, mit dem Masahiro Kobayashi daran erinnert, dass er zu den großen und viel zu unbekannten Regisseuren seines Landes zählt.