Original: Tokyo koshinkyoku (1929) von Kenji Mizoguchi

Nur 20 Minuten (von 80 bzw. 102 Minuten, je nach Quelle) sind noch von diesem Film erhalten – der angeblich der erste Tonfilm Japans werden sollte, was dann aber wegen technischen Problemen nicht umzusetzen war – was die Wiedergabe der Story etwas erschwert. So sind beispielsweise alle Szenen, in denen die von Takako Irie gespielte Sayuriko auftritt, verloren. Heute ist von dem Film noch die folgende Handlung nachvollziehbar.

Screenshot Tokyo March 1

Im hektischen Tokyo schlägt sich Michiyo (Shizue Natsukawa) grade so durch – sie lebt bei ihrem Onkel,  ihre Mutter verstarb als Michiyo noch ein Kind war. Noch am Sterbebett hatte die Geisha ihre Tochter gewarnt, sich zu verlieben und nahm das Geheimnis um Michiyos Vater mit ins Grab. Eines Tages wird Yoshiki (Koji Shima), Sohn aus gutem Hause, auf Michiyo aufmerksam, verliebt sich vom Fleck weg in sie und schwört sich, sie aus ihrem harten Leben zu befreien. Doch er findet Michiyo nicht mehr, sie wurde als Geisha verkauft und trägt nun den Namen Orie.

Erst Monate später begegnet sie ihm erneut, als Orie unterhält sie Gäste auf einer Party. Die beiden sehen sich wieder und verlieben sich ineinander. Doch nicht nur Yoshiki fällt Orie auf, auch sein Kollege Sakuma interessiert sich für die Schönheit – und sein eigener Vater. Dieser ist nämlich zugleich der Vater Michiyos, dessen Identität ihre Mutter so gut verborgen hatte. So heiratet Michiyo schließlich Sakuma, während Yoshiki sich von den beiden Richtung Amerika verabschiedet.

Screenshot Tokyo March 2

Der Literatur zufolge spielten in Tokyo March ursprünglich Kritik an Standesunterschieden und den Lebensverhältnissen von Reich und Arm eine wichtige Rolle, davon ist in den heute noch erhaltenen Fragmenten wenig übrig geblieben. Allein zu Beginn des Films, als Michiyos ärmliche Verhältnisse geschildert und dem reichen, Tennis spielenden Yoshiki gegenübergestellt werden, ist diese Thematik präsent. Da mit Takako Irie eine weitere weibliche Hauptrolle existierte, die offenbar eine piekfeine Dame spielte, kann ich mir aber sehr gut vorstellen, dass Mizoguchi zwischen diesem Charakter und der verarmten, als Geisha verkauften Michiyo einen starken Kontrast aufgebaut und damit Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen inszeniert haben könnte.

Die heute verbliebenen Fragmente zeigen hauptsächlich eine tragische Liebesgeschichte, eingerahmt von Bildern  Tokyos aus den 1920er Jahren. Von den berühmten langen Einstellungen und Kamerafahrten aus Mizoguchis späteren Werken ist hier noch wenig zu sehen, kein Wunder, mussten in dem Stummfilm ja die Zwischentitel untergebracht werden, so dass ständige Schnitte notwendig waren. Auch die große Distanz, die Mizoguchi später zu den Darstellern halten würde, fehlt hier ganz, Nahaufnahmen werden häufig genutzt. Dafür wartet der Film mit einigen intelligenten Effekten und Perspektiven auf. Die oben bereits geschilderte erste Begegnung Michiyos mit dem Tennis spielenden Yoshiki wäre ein Beispiel dafür ebenso wie die Sterbeszene von Michiyos Mutter, mit dem Schatten der jungen Michiyo im Hintergrund.

Screenshot Tokyo March 3

Gerade sechs Jahre nach dem Beginn seiner Regiekarriere hatte Mizoguchi bereits mehr als 40 Filme geschaffen, Tokyo March ist der zweitälteste, von dem noch Fragmente erhalten sind. Wegen dieses fragmentarischen Charakters fällt es mir zwar schwer, den Film einzuordnen. Aber allein das schiere Alter und der allgegenwärtige Vergleich mit den späteren Meisterwerken Mizoguchis machen Tokyo March doch zu einem interessanten und faszinierenden Seherlebnis.