Original: Hakuchi (1951) von Akira Kurosawa

Traumatisiert von Erlebnissen während des Krieges kehrt Kameda (Masayuki Mori) von einem Sanatoriumsaufenthalt in seine Heimat auf Hokkaido zurück. Unterwegs lernt er Akama (Toshiro Mifune) kennen, und berichtet ihm von seinen Erlebnissen und seiner „Krankheit“, zu der epileptische Anfälle, Amnesie und generell eine kindliche Offenheit und Ehrlichkeit gehören. Akama ist fasziniert von der ungewöhnlichen Persönlichkeit Kamedas und berichtet ihm von seiner abgöttischen Liebe zu Taeko (Setsuko Hara), die als Kurtisane ihr Dasein fristet. Als Kameda ihr das erste Mal begegnet, erkennt er in ihr sofort eine verzweifelte, malträtierte Seele und ist magisch von ihr angezogen.

Doch Taeko kann sich Akamas Einfluss und ihrer Vergangenheit nicht entziehen und hält Kameda zu dessen eigenem Schutz auf Distanz, der inzwischen eine Romanze mit der launischen Ayako (Yoshiko Kuga) beginnt. Zugleich wird Akama aber mehr und mehr bewusst, dass Taeko ihn nie vorbehaltlos lieben wird, und er beginnt sich mit Mordfantasien für seinen Freund zu tragen.

Der Idiot ist die erste Adaption eines großen literarischen Vorbilds, und dass Kurosawa sich ausgerechnet an diesem Monument der Weltliteratur versuchte, dürfte zum einen natürlich mit seiner Verehrung für Dostojewski zu tun haben. Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte aber auch die im Roman schon stark ausgeprägte Gesellschaftskritik sein, die sich wunderbar in die Agenda seiner frühen Nachkriegswerke und zahlreicher späterer Filme einfügt.

Dass Dostojewksi zu Kurosawas Lieblingsautoren zählte, war zugleich jedoch ein Grund für die großen Probleme bei der Umsetzung der Vorlage: In seinem Bestreben, das große Werk möglichst getreue zu adaptieren, schrieb er das Drehbuch fast im Alleingang und übernahm dabei Charaktere und Handlung zwar komprimiert, aber doch fast komplett. Nur Zeit und Ort wurden in das winterliche Hokkaido der Gegenwart verlegt, das aber mit seinen Schneelandschaften, eingeschneiten Häusern, Eiszapfen und Schneestürmen für die eher subtropisches Klima gewöhnten Japaner ähnlich exotisch wirken dürfte wie ein russischer Winter. Die große Nähe zum Original des Romans ließ den Film in seiner ursprünglichen Fassung auf eine Länge von viereinhalb Stunden anwachsen, für damalige Zeiten eine Monstrosität.

Schockiert angesichts der Länge des Films verlangte das Produktionsstudio Shochiku eine Kürzung und das Drama nahm seinen Lauf: Kurosawa ging nur widerwillig auf das Drängen des Studios ein, schnitt den Film aber dennoch auf etwas über drei Stunden. Diese Fassung wurde jedoch nur einmal gezeigt, nämlich bei der Premiere des Films im Mai 1951. Anschließend ließ Shochiku ohne Kurosawas Mitwirken nochmals eine halbe Stunde schneiden und fügte zahlreiche Zwischentitel und sogar einen Off-Sprecher ein, um dem Publikum die wichtigsten Hintergründe und Handlungsstränge zu vermitteln. Kurosawa war entsetzt, protestierte und schrieb an seinen Mentor Kajiro Yamamoto, dass das Studio den Film genauso gut der Länge nach hätte durchschneiden können.

Zum großen Leidwesen aller Cineasten müssen Kurosawas Ursprungsfassung und auch die von ihm selbst gekürzte Premierenversion als endgültig verloren gelten, was es schwer macht, den Film wirklich zu bewerten. Denn die massiven Schnitte scheinen hauptsächlich in der ersten Hälfte des Films vorgenommen worden zu sein. Dadurch wird die erste Stunde extrem verwirrend, es ist kaum möglich, der Handlung zu folgen und die Beziehungen der Charaktere zu einander zu verstehen. Nicht nur Lücken in der Handlung, auch Brüche in der Kontinuität und seltsame Übergänge zwischen Szenen sorgen ständig für Verwirrung. Erst in der zweiten Hälfte, als sich die Konstellation aus den doppelten, sich überlagernden Dreiecksbeziehungen etabliert hat und sich die Konflikte zuzuspitzen beginnen, macht der Film langsam Sinn und es kommt Spannung auf.

Jeder der Hauptcharaktere steht für bestimmte menschliche Eigenschaften, wobei sich die positiven fast ausschließlich auf Kameda konzentrieren und Eifersucht bei praktisch allen vertreten ist: Ayako symbolisiert Sturheit und Launigkeit, Akama steht für Zorn und Egoismus, Taeko für Arroganz und Selbstzerstörung, Kayama (ein Nebencharakter, der sich für eine fürstliche Bezahlung als Bräutigam für die Kurtisane Taeko anbietet) für Prinzipienlosigkeit und Gier. Darüber hinaus gibt es noch mehrere Nebenfiguren, wie etwa Ayakos intrigante, neidische Schwester oder einen verlogenen Anwalt, die den Reigen der menschlichen Schwächen und Charakterlosigkeiten noch komplettieren.

Ihnen gegenüber steht Kameda, der „Idiot“, der mit seiner kindlichen Offenheit, seinem naiven Vertrauen, seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, seiner Fürsorge und Selbstlosigkeit, Dankbarkeit und Einfühlungsvermögen einen so strahlenden Kontrast bildet, dass die anderen Charaktere regelrecht geblendet sind. Akama, Taeko und Ayako fasziniert dieser besondere Mensch, die meisten anderen, ganz in ihren Intrigen und ihrem alltäglichen Kleinklein gefangenen Nebencharaktere begegnen ihm schlicht mit Unverständnis, Ablehnung und Hochmut.

Dass Kurosawa uns seine Botschaft mit diesem krassen Gegensatz „Kameda vs. den Rest der Gesellschaft“ einhämmert, und in der finalen Szene von der tränenüberströmten Ayako nochmals explizit auf den Punkt bringen lässt, ist eine der zahlreichen Schwächen dieses Films. Besonders wenn man Dostojewskis Romanvorlage vergleicht, deren vielschichtige, ausgewogene und realistische Charaktergestaltung bis heute als herausragend gilt. Durch diese extreme Zeichnung seiner Charaktere macht Kurosawa es uns Zuschauern nahezu unmöglich, uns mit irgendeinem der Charaktere zu identifizieren, was den ganzen Film sehr oberlehrerhaft macht.

Da zudem die Handlung wegen der vielen Lücken schwer verständlich und obendrein auch noch ausschweifend ist, macht das Fehlen einer echten Identifikationsfigur es noch schwieriger, sich auf den Film einzulassen und ihm zu folgen. Und auch nachdem man die weitgehend unverständliche erste Stunde mit ihren Brüchen und Lücken überstanden hat, dauert es wegen der vielen langen Dialogszenen lange, bis sich die ersten Anzeichen für die Kurosawa sonst eigene Dynamik einstellen.

Bei all den Schwächen und aller Kritik muss zur Ehrenrettung aber auch gesagt werden, dass Der Idiot einige grandiose Szenen und Einstellungen aufzuweisen hat und – jedenfalls in der zweiten Hälfte – eine phasenweise elektrisierende Atmosphäre aufbaut. Die Rivalitäten zwischen Akama und Kameda um Taeko einerseits und zwischen Ayako und Taeko um Kameda andererseits sind immer wieder fantastisch in Szene gesetzt. Brillant ist besonders der Showdown, in dem Ayako und Taeko sich zum ersten Mal begegnen und in dem die Spannung zwischen allen Beteiligten, vor allem aber zwischen den beiden Frauen regelrecht knistert.

Begeistert hat mich in dieser Szene der Moment, in dem die beiden Frauen sich wortlos nebeneinander setzen und man förmlich sehen kann, wie sich in ihnen und zwischen ihnen die Spannung immer weiter steigert. Und genau wenn man als Zuschauer denkt, jetzt müssen sie gleich wie Vulkane explodieren, schneidet Kurosawa auf einen in der Ecke stehenden gusseisernen Ofen, in den gerade der Wind hineinfährt und die Flammen aus allen Ritzen schießen lässt. Ein echter Gänsehaut-Moment!

Ebenfalls großartig ist die Verfolgungs-Sequenz, in der Kameda von – wahren oder eingebildeten – Erscheinungen Akamas durch die verschneiten Straßen getrieben wird, bis er letztlich einen epileptischen Anfall erleidet. Oder natürlich die Szenen beim Eislauf-Karneval, die zunächst heiter beginnen und dann, musikalisch genial untermalt von Mussorgskis „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“, immer dramatischer werden und die Konfrontation zwischen Akama und Kameda andeuten. Hier lässt sich erahnen, welches Potenzial in diesem Film steckte, wäre er nicht so gnadenlos zusammen geschnitten worden.

Diese Szenen leben nicht zuletzt auch von den Darstellern, von denen vor allem Setsuko Hara mit ihrem schwarzen Cape und Toshiro Mifune ihre Charaktere so emotional überzeichnet und voller Manierismen geben, dass sie schon fast wie Karikaturen wirken, was etwa Donald Richie stark kritisiert. Angesichts der charakterlichen Zuschnitte der Personen würde ich aber vermuten, dass dieser Effekt von Kurosawa so absolut beabsichtigt war.

Masayuki Mori hat seine stärksten Szenen ironischerweise ausgerechnet in der verstümmelten ersten Hälfte, in der zweiten wirkt er angesichts der von den anderen drei Protagonisten entfesselten Kräfte oft wie ein hilflos im Sturm hin und her gerissenes Blatt Papier. Am meisten überzeugt hat mich Yoshiko Kugas launische, verzogene Tochter aus gutem Hause, die gerne nach außen Stärke und Erwachsensein demonstriert, angesichts ihrer Jugend aber oft einfach noch unsicher ist. Ayako wirkt am wenigsten übertrieben, ohne dabei aber angesichts von Akama und Taeko so blass zu sein wie phasenweise Kameda.

Wie weiter oben erwähnt fällt es mir sehr schwer, diesen Film zu beurteilen. Kurosawa wagte sich hier an die Verfilmung eines Buches, das er schon fast religiös verehrte und für das er eine große filmische Vision hatte. Leider ist von dieser Vision wegen der massiven Schnitte und Kürzungen wenig erhalten geblieben, so dass Kurosawa bei diesem Projekt ein ähnliches Schicksal erfuhr wie seinem Hauptcharakter und Der Idiot somit eine in doppelter Hinsicht tragische Geschichte erzählt.