Original: Kōkaku kidōtai (1995), von Mamoru Oshii

Die Zukunft. Synthetische Cyborg-Implantate, Computergehirne und ganze Cyborg-Körper, in die nur noch das menschliche Bewusstsein („Ghost“) implantiert wird, ermöglichen den Menschen unvorstellbare Fähigkeiten. Motoko Kusanagi, Major einer Spezialeinheit, besitzt einen solchen Cyborg-Körper und so sehr sie die damit verbundenen Annehmlichkeiten auch schätzt (etwa die beneidenswerte Fähigkeit, Alkohol in Sekundenschnelle abzubauen), hinterfragt sie doch ihre Identität und ihr „Menschsein“.

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Ghost in the Shell besteht aus zwei Akten, deren erster die Charaktere, allen voran Kusanagi sowie ihren freundschaftlich verbundenen Kollegen Batou, einführt und uns mit der Identitätskrise Kusanagis vertraut macht sowie die Rahmenhandlung vorgibt. Diese besteht aus der Jagd auf einen übermächtigen Hacker, den Puppetmaster, der Ghosts manipuliert indem er Erinnerungen löscht und neue, virtuelle Erinnerungen in seinen Opfern abspeichert.

Im zweiten Akt nimmt der Puppetmaster selbst menschliche Gestalt an: Sein „Ghost“ wird von Kusanagis Einheit in einem auf mysteriöse Weise produzierten Cyborg-Körper entdeckt. Bei der Übergabe an das Außenministerium, das für die Jagd auf den Hacker verantwortlich ist, erwacht dieser Körper plötzlich zum Leben und der Puppetmaster gibt sich als von Menschen geschaffenes Computerprogramm zu erkennen, das sich seiner selbst bewusst wurde und nun als intelligente, eigenständige Lebensform anerkannt werden will. Doch Unbekannte überfallen das Labor und entführen den Puppetmaster. Kusanagi nimmt die Verfolgung auf und hat nur ein Ziel: Sie will diesen rätselhaften „Ghost“ kontaktieren und herausfinden, was es mit ihm auf sich hat.

Als es ihr mit der Hilfe von Batou schließlich gelingt, eine direkte Verbindung mit dem Puppetmaster herzustellen, erlebt sie eine Überraschung: Dieser ist genau wie sie auf der Suche nach Antworten auf seine drängenden Identitäts- und Existenzfragen. Er hat in Kusanagi eine „Seelenverwandte“ entdeckt und nahm nur ihretwegen einen Körper an. Er möchte mit Kusanagis „Ghost“ verschmelzen, um endlich die Eigenschaften, die ihm in seinen Augen zu einer echten Lebensform noch fehlen, annehmen zu können: Variation durch den mit der Fortpflanzung verbundenen Remix von Informationen (Genen) sowie Sterblichkeit.

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OK, soviel in aller Kürze zur Handlung, die noch eine Vielzahl von politischen Ränkespielen, philosophierender Monologe und (für 1995) absolut bahnbrechender Actionsequenzen enthält, eine Fülle von Handlungselementen, die beim ersten Sehen fast unmöglich zu begreifen sind. Dies ist in meinen Augen auch der einzige Schwachpunkt des Films. Bevor ich gleich zu Analyse und Interpretation komme, noch einige Worte zur Ästhetik.

Die Animation ist großartig, die Bewegungen und die Hintergründe sind fast beängstigend real. Absolut beeindruckend. Wirklich grandios ist aber, wie Regisseur Mamoru Oshii es schafft, trotz der dicht gedrängten Handlung dem Film phasenweise einen fast meditativen Charakter zu verleihen, der exzellent zu den universellen Fragestellungen passt. Oshii geht aber noch weiter und nutzt diese Stimmungsgemälde gezielt, um den Erzählfluss zu steuern und dem Zuschauer Pausen zum Nachdenken und Innehalten zu bieten, in denen zugleich die in ihrer Schlichtheit umso mitreißendere Musik Kenji Kawais ihre ganze Wirkung entfalten kann.

Die Stimmung der Stadt, der Panoramen ist sehr düster und klaustrophobisch. Das große Vorbild war unverkennbar Blade Runner, was Oshii bestätigte: Er verehrt den Klassiker selbst als unerreichbaren Meilenstein der Science Fiction. Mittels der besonderen Abstraktionsmöglichkeiten der Anime sowie ungewöhnlicher Perspektiven, Zeitlupeneffekte und der seltsamen Fremdartigkeit der Stadt (Hongkong soll als Vorbild gedient haben) erreicht Ghost in the Shell einen ausgeprägten, ganz eigenen Surrealismus, wie er in einem Realfilm niemals möglich wäre. Kein Wunder, dass sich die Wachowski-Brothers für Matrix hier nicht nur die Titelsequenz mit den grünen Symbolreihen abgeguckt haben.

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Wie bereits erwähnt besteht der Film aus zwei Akten. Diese weisen zahlreiche Parallelen auf: Einmal stehen die existenziellen Fragen Kusanagis im Zentrum, dann die des Puppetmasters. Beide Akte beginnen zunächst mit der Konstruktion eines Konflikts und führen dann über eine Verfolgungsjagd zu einem finalen Kampf, in dem jeweils Kusanagi allein einem Gegner gegenübersteht, bevor es zu einer Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Definition von Identität kommt. Schließlich enden beide mit Bibelzitaten aus dem 1. Korintherbrief (die allerdings in der englischen Fassung stark abgewandelt und als solche nicht erkennbar sind, ich weiss nicht, wie das in der deutschen Synchro gehandhabt wurde).

Die erste Passage, der Vers 12, wird von einer Stimme zitiert, nachdem Kusanagi in einem eindringlichen Monolog Batou ihre Identitätskrise offenbarte: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Eine häufig zitierte Stelle, die in ihrer englischen Übersetzung „Through a glass, darkly“ Eingang in zahlreiche künstlerische Werke fand. Gemeint ist damit die problembehaftete, schwierige Selbstwahrnehmung, womit dieses Zitat den zuvor geführten Monolog Kusanagis nochmals zusammenfasst und bereits eine Lösung für die Zukunft andeutet.

Am Ende des zweiten Aktes wird dann der vorangehende Vers 11 zitiert, diesmal von Kusanagi selbst, allerdings nach ihrer Verschmelzung mit dem Puppetmaster. Der Satz lautet: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“ Im Kern beider Verse steht also – wie im ganzen Korintherbrief, der Fragen nach dem Selbstverständnis der noch jungen christlichen Kirche beantworten sollte – dieselbe Thematik, mit der sich auch der Film befasst.

Das erste Zitat unterstreicht und betont nochmals die vorgebrachten Fragen Kusanagis nach ihrer Identität und ihrer Menschlichkeit. Denn einen menschlichen, organischen Körper hat sie schon lange nicht mehr. Körper sind ersetzbar und austauschbar geworden und taugen daher nicht mehr als Ansatzpunkt für die Selbstdefinition eines Individuums. Das dunkle Bild, das sie im Spiegel sieht, hat also nichts mit ihrer äußeren Gestalt zu tun, sondern allein mit ihrem „Ghost“, ihrer Intelligenz, ihren Erinnerungen, Erfahrungen, Weltanschauungen und Gedanken.

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Doch auch diese sind verletzlich, was die Hackerangriffe des Puppetmasters beweisen. Daher muss es im ureigensten, vom Selbsterhaltungstrieb eines jeden menschlichen Wesens gespeisten Interesse sein, nicht nur die Informationen über seinen Körper – also die Gene – sondern auch sein Bewusstsein durch die Verschmelzung mit anderen weiterzugeben, um nach dem Tod ein Stück weit in anderen Menschen weiter zu existieren.

Und genau das ist es, was Kusanagi und der Puppetmaster am Ende von Ghost in the Shell durchführen: Eine Form der geistigen Fortpflanzung mittels Verschmelzung ihrer „Ghosts“. Die Loslösung von einer körperlichen Existenz, welche am Anfang des Films in dieser grandiosen Erschaffungssequenz von Kusanagis Cyborg-Körper eingeleitet wird, findet hier ihre letzte Konsequenz.

Dass es sich bei einem der beiden Beteiligten um eine künstliche Intelligenz handelt, muss im Kontext des zweiten Zitats gesehen werden und verleiht der Diskussion noch eine ganz neue Dimension: Die Elemente künstlicher Intelligenz ermöglichen es Kusanagi, einen objektiveren, weniger durch Gefühle, Ängste, Eitelkeit und Zweifel beeinträchtigen Blick auf die eigene Existenz zu werfen. Das zuvor dunkle Spiegelbild wird nun ergänzt durch die unmittelbare Wahrnehmung durch eine neutrale Instanz, und das von Angesicht zu Angesicht.

Die Ergänzung und Optimierung des menschlichen Körpers mittels Technologie findet somit ihre logische Konsequenz in der Einbeziehung von künstlicher Intelligenz in das Bewusstein. Dass dies als regelrecht notwendiger evolutionärer Schritt präsentiert und durch Bibelzitate untermauert wird eröffnet eine ganz neue Dimension der Diskussion, die ich an dieser Stelle erstmal nicht weiter fortführen möchte. Sonst nimmt das hier gar kein Ende mehr!

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Was mich neben dieser faszinierenden Idee und den vielen Fragen nach unserem Selbstverständnis als menschliche Wesen angesichts einer zunehmenden Entmenschlichung mittels Technisierung (und natürlich der großartigen Animation sowie des genialen Soundtracks) an Ghost in the Shell am meisten begeistert, sind die vielen Details und Anspielungen: Die klaustrophobische Stadt mit ihrem asiatisch-kulturellen Crossover; dass Kusanagi fast nie blinzelt; der Stammbaum der Menschheit, welcher von dem Kampfpanzer zerschossen wird; dass Kusanagi zu Beginn des Films ihre Tage hat und dass sie am Ende einem dunklen Spiegelbild von sich gegenübersitzt, genau wie im Korinther-Zitat angesprochen. Brillant, wie Oshii hier die beiden Teile des Films nahtlos zusammenführt, bevor dann das zweite Zitat folgt.

Für mich einer der absolut besten Anime, die ich kenne. Und je mehr ich über Ghost in the Shell nachdenke, umso besser wird er.