Original: Linda Linda Linda (2005), von Nobuhiro Yamashita

Eine Gruppe Mädchen plant, für ein Festival an ihrer Schule eine Band auf die Beine zu stellen und einige Songs aufzuführen. Dummerweise hat sich die Gitarristin gerade zwei Finger gebrochen, und die Gründerin der Band, Kei (Yu Kashii), hat sich mit einer Freundin, die ebenfalls in der Band mitwirken sollte, zerstritten. Nun springt Kei, die eigentlich kaum Gitarre spielen kann, als Gitarristin ein und als Sängerin wird kurzerhand die koreanische Austauschschülerin Son (Doo-na Bae), die nur gebrochen Japanisch spricht, rekrutiert.

Der Film zeigt, wie die vier Mädchen – außer den beiden genannten noch Schlagzeugerin Kyoko (Aki Maeda) und Bassistin Nozomi (Shiori Sekine) – innerhalb von drei Tagen zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammenwachsen, Freundinnen werden und neben dem Einstudieren der Songs noch mit typischen Problemen des Erwachsenwerdens zu kämpfen haben. Die schüchterne Kyoko beispielsweise verliebt sich in einen Mitschüler, kann sich aber nicht überwinden, ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Kei dagegen muss sich mit dem Streit mit ihrer besten Freundin und einer in die Brüche gegangenen Beziehung auseinandersetzen und ist zu Beginn des Films (verständlicherweise) deprimiert, reizbar und schlecht gelaunt, findet aber dank der Band wieder zu guter Laune und Spaß am Leben zurück.

Screenshot Linda 2

Was an Linda Linda Linda sofort auffällt, ist sein langsamer Rhythmus, der im starken Kontrast zu den Punkrock-Songs der Blue Hearts steht, welche die Mädchen einstudieren (und von denen einer dem Film seinen Namen gab). Regisseur Nobuhiro Yamashita bleibt mit der Kamera immer auf Distanz, vermeidet Kamera-Bewegungen und hält die Einstellungen sehr lange. Damit schafft er jedoch ganz wunderbare Stimmungsgemälde und lässt seine Charaktere in dieser etwas wehmütigen, melancholischen Stimmung aufgehen.

Nachtrag: Ich habe nachgezählt und bin auf 335 Schnitte gekommen, was bei einer Gesamtlaufzeit von 114 Minuten durchschnittlich 3 Schnitte pro Minute sind. Ich habe leider keine Vergleichszahlen zur Hand, aber für einen Film des 21. Jahrhunderts und einen Regisseur der Videoclip-Generation (Yamashita war 2005 gerade mal 29) sind das ist unglaublich lange Einstellungen!

Besonders in der ersten Hälfte, während der Einführung der beiden Hauptpersonen Kei und Son, verdeutlicht diese Distanziertheit die Isolation der beiden: Die Austauschschülerin Son, die sich nur schwer verständigen kann und keine Freunde hat, sehen wir allein vor den Plakatwänden ihres Projekts zum Koreanisch-Japanischen Kulturaustausch. Kei, die gerade mit einer alten Freundin im Streit ist, treibt allein im Pool.

Screenshot Linda 1

Yamashita verzichtet konsequent auf jegliche Stereotypen und die allseits bekannten Klischees von Teenie-Filmen: Kein Gekreische, keine Zickenkriege (wir erfahren nie, warum sich Kei und ihre Freundin zerstritten haben), keine konstruierten Konflikte mit Lehrern, Eltern oder irgendwelchen Schulhof-Mobbern. Er zeigt einfach nur die Geschichte von vier ganz normalen Mädchen, mit ganz normalen Nöten und Problemen, die kurz vor dem Ende ihrer Schulzeit noch eine Band gründen. So entsteht ein sehr glaubwürdiges, realistisches Porträt.

Diese Schlichtheit und der langsame Rhythmus lassen Linda Linda Linda besonders in der ersten Hälfte, während des zaghaften Kennenlernens der vier, für den einen oder anderen vielleicht etwas dröge wirken, aber ich bin mir sicher: Würde Ozu heute einen Teenager-Film drehen, dann sähe das Resultat ungefähr so aus! Die immer wieder eingestreuten Bilder aus dem Schulgebäude, von langen Korridoren, Schließfächern oder Fahrradständern erinnern stark an die typischen Stillleben bei Ozu, auch wenn sie natürlich einem anderen Zweck dienen und in erster Linie die Atmosphäre der Schule aufgreifen, transportieren und im Zuschauer die Erinnerung an die eigene Schulzeit wecken sollen.

Screenshot Linda 3

Trotz der simplen Story und der schlichten Ästhetik wirkt der Film aber keineswegs kalt oder intellektuell-abgehoben. Dazu trägt zum einen gerade in der zweiten Hälfte der großartige Soundtrack mit den von den Mädchen gespielten Songs der Blue Hearts bei. Die Energie, Lockerheit und Lebendigkeit der Musik geben die sich wandelnde Stimmung wieder und passen hervorragend zu dem ausgelassenen Spaß, den die vier trotz aller Schwierigkeiten beim Musizieren haben.

Zum anderen sind es die schauspielerischen Leistungen, die den Film tragen. Besonders Doon-na Bae in der Rolle der Son (im unteren Screenshot links) hält den Film zusammen, wird zum Dreh- und Angelpunkt; dank ihr sehen wir die zunächst zurückhaltende, in der fremden Umgebung etwas chaotisch agierende Son regelrecht aufblühen. Ihre Direktheit und die fehlende Vertrautheit mit Normen und Verhaltensweisen sorgen zudem immer wieder für skurril-komische Momente, etwa wenn sie in einer Karaoke-Bar dem Besitzer so lange auf die Nerven geht, bis der darauf verzichtet, dass sie ein Getränk bestellen muss. Mit ihrer Begeisterung und ihren großen Augen reißt sie die anderen (und den Zuschauer) mit und wird mit ihrem warmen sympathischen Wesen zum emotionalen Mittelpunkt der Band.

Screenshot Linda 5

Ihr ist klar, dass der ganze Spaß den sie mit der Band hat, die Befreiung aus ihrer Isolation in diesem fremden Land und die großartige Erfahrung während ihres Austauschs ihr völlig unverhofft in den Schoß fielen. Sie ergreift einfach die gebotene Gelegenheit, kostet diese ganz aus und ermöglicht dadurch das enge Zusammenwachsen der Band, da sie keinen Ballast mit sich trägt.

Wieder einmal ein kleiner, gelungener und sehr charmanter Film, der einen wehmütig an die eigene Jugend zurückdenken lässt, als das ganze Leben vor einem lag, noch alle Möglichkeiten offenstanden und man noch auf nichts festgelegt war. Zugleich weckt er aber auch die Erinnerung an dieses Gefühl des Abschiednehmens, des Auskostens einer vielleicht einzigartigen (weil letzten?) Gelegenheit, und die Unsicherheit darüber, was vor einem liegt. Aber Achtung, wer sich diesen wunderbaren Film anschaut sollte sich darauf einstellen, neben der DVD auch gleich noch die CDs der Blue Hearts kaufen zu wollen, die Songs haben nämlich definitiv Ohrwurm-Potenzial!