Original: Ochazuke no aji (1952) von Yasujiro Ozu

Zwischen den „Großen Drei“ seiner Noriko-Trilogie, deren dominierendes Thema die Abkopplung der Kinder von den Eltern ist, drehte Ozu zwei Filme, die sich mit den Problemen von Ehepaaren beschäftigen. Der erste, The Munekata Sisters, ist wohl eines der am wenigsten bekannten Werke Ozus, ob zu Recht kann ich nicht beurteilen. Den zweiten, unmittelbar vor Tokyo Story gedrehten, will ich heute vorstellen.

Taeko (Michiyo Kogure) ist wohlhabend, reichlich versnobt und mit ihrer Ehe unzufrieden. Ihren Mann Mokichi (Shin Sabure) verspottet sie vor ihren Freundinnen, gibt ihm lächerliche Spitznamen und vergleicht ihn mit einem trägen, dümmlichen Karpfen. Mokichi, dem der Zustand seiner Ehe durchaus bewusst ist, ist aber viel zu gutmütig, um sie in die Schranken zu verweisen. Auch gegenüber seiner Nichte Setsuko (Keiko Tsushima) ist er sehr nachgiebig und erlaubt ihr, ihn zum Fahrradrennen zu begleiten, obwohl sie eigentlich einen potenziellen Bräutigam treffen sollte.

Flavor of green tea Screenshot 1

Für Setsuko ist die Ehe von Taeko und Mokichi ein abschreckendes Beispiel, sie will auf keinen Fall einen Mann heiraten, den ihre Familie für sie aussucht, sondern einen den sie wirklich liebt. Mit ihrem aufsässigen Verhalten sorgt sie jedoch unbewusst für eine weitere Zuspitzung in der Ehekrise der beiden, in der es schließlich wegen einer alltäglichen Kleinigkeit zum offenen Konflikt kommt: Taeko verreist für einige Tage.

Genau zu diesem Zeitpunkt erfährt Mokichi von seiner umgehenden Versetzung nach Uruguay. Taeko kehrt erst nach seinem Abflug zurück und wie sie allein in dem großen Haus sitzt, wird ihr klar, wie sehr Mokichi ihr fehlt. Da steht er plötzlich in der Tür – das Flugzeug musste wegen technischer Probleme umkehren – und die beiden essen gemeinsamen mitten in der Nacht eine schnell improvisierte Portion Reis mit grünem Tee und Taeko verliebt sich nach all den Jahren Ehe endlich in ihren Mann.

Flavor of green tea Screenshot 2

Ozu verlagert den Schwerpunkt immer wieder geschickt zwischen den beiden zentralen Konflikten des Films, der Ehekrise auf der einen und Setsukos Streben nach Selbstbestimmung auf der anderen Seite. So werden beide Varianten, die traditionelle, arrangierte Ehe und die unkonventionelle Liebesheirat beleuchtet. Lange sind dabei die Sympathien klar verteilt, bis sich Mokichi und Taeko überraschend versöhnen und in der letzten Szene mit Setsuko und ihrem „Auserwählten“ Noboru vorsichtig angedeutet wird, dass auch Liebesehen nicht vor Krisen und Streit gefeit sind.

Damit hätte Flavor of Green Tea over Rice über weite Strecken auch gut von einem Mikio Naruse sein können (wenn dieser wohl auch eher Taeko statt Mokichi in die „Opferrolle“ gesteckt hätte), aber das versöhnliche Ende und die Rehabilitation der traditionellen, arrangierten Ehe ist dann doch ganz Ozu. Besonders wie dieses inszeniert ist, ist typisch für den Meister: Zuerst sehen wir Taeko allein in dem Zimmer, in dem ihr Mokichi wenige Tage zuvor noch zu erklären versucht hatte, warum er manche Dinge ganz anders sieht als sie. So entsteht eine ausgeprägte Parallele, die ihre völlig unterschiedlichen Gemütsauffassungen und die daraus folgende Erkenntnis betonen. Im oberen Screenshot ist sie ganz die eingebildete, sture und von ihrer Überlegenheit überzeugte Frau, später fühlt sie sich einsam, allein und verunsichert.

Flavor of green tea Screenshot 3

Dass die eigentliche Versöhnung dann über einem Nachtmahl mit dem aus Tee und Reis bestehenden Armeleute-Essen Ochazuke erfolgt, das mit seinen Basiszutaten Reis und grünem Tee wie kaum ein anderes symbolhaft für die japanische Kultur und Tradition steht, betont natürlich die Sympathie, die trotz allem der traditionellen Ehe entgegengebracht wird. Zudem hatte Ozu bereits in Später Frühling sehr stark mit Symbolen gearbeitet (Noh, Teezeremonie, shintoistische Hochzeit), und damit einen Kontrapunkt zur rasanten Modernisierung nach dem Krieg gesetzt.

Man kann die symbolhafte Verwendung von Ochazuke aber auch anders deuten: Dass Ozu es nämlich auf die Parallele zum Eheleben abgesehen hat, das genauso fad und eintönig sei wie Reis mit grünem Tee, eine Aussage, die sich in ähnlicher Form immer wieder in seinen Filmen findet. Was besonders vor dem Hintergrund, dass Ozu nie verheiratet war, besonders interessant ist. Also durch und durch ein typischer Ozu, dessen Happy End aber vielleicht ein bisschen zu harmonisch und optimistisch geraten ist.