Original: Mind Game (2004) von Masaaki Yuasa

Oh Mann, keine Ahnung was die Jungs von Studio 4°C während der Arbeit an diesem Film geraucht haben, aber ich will auch von dem Zeug! Einen so durchgeknallten, vor Kreativität sprühenden, anspruchsvollen und stilistisch Neuland betretenden Film sieht man wirklich nicht alle Tage. Aber worum geht es?

Nishi, Mangazeichner Anfang 20, sitzt nichts ahnend in der U-Bahn, als plötzlich seine große Jugendliebe Myon zur Tür hereinstürtzt. Er hilft ihr, den lädierten Knöchel zu verarzten und bringt sie nach Hause. Kaum sind sie in der kleinen Kneipe angekommen, die Myon und ihre Schwester Yang betreiben, tauchen zwei Yakuza auf, die Myon in der U-Bahn verfolgt hatten. Es kommt zum Streit und Nishi wird erschossen.

Mind Game Screenshot 7

Er findet sich in einer Kammer wieder, in der ihm zunächst sein Tod in Zeitlupe und aus allen denkbaren Perspektiven gezeigt wird. Rotz und Wasser heulend begegnet er dann Gott, der permanent die abstrusesten Gestalten annimmt und ihm ziemlich drastisch aufzeigt, was für ein erbärmlicher Versager und Feigling Nishi doch war. Dem dämmert so langsam, dass sein Leben komplett für den Arsch war, weil er nie die Initiative übernommen hat und sich nie etwas zutraute. Als Nishi von Gott zum Verschwinden in der Unendlichkeit geschickt wird, will er sich damit nicht abfinden und rennt dagegen so fanatisch an, dass ER beeindruckt ist und Nishi eine zweite Chance gibt.

Er landet wieder in der Kneipe, Sekunden vor seinem Tod, entreißt dem Yakuza die Pistole, erschießt ihn und flüchtet mit Myon und Yang. Die anschließende Verfolgungsjagd endet abrupt, als die drei samt ihres Autos von einer Brücke stürzen und von einem gigantischen Wal verschluckt werden. Im Bauch des Wals begegnen sie einem alten Mann, der dort schon seit 30 Jahren gefangen ist und sich mit seinem Schicksal abgefunden hat. Doch als sich die Zeichen häufen, dass der Wal im Sterben liegt, können ihn die drei überzeugen, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen.

In der Zusammenfassung klingt das jetzt vielleicht nicht so verrückt, wie es beim Sehen des Films wirkt. Denn die oben skizzierte Handlung wird durch verschiedene Flashbacksequenzen und Nishis Träumereien ergänzt und unterbrochen. Eine dieser Flashbacksequenzen ist denn auch der Schlüssel zum ganzen Film, da sie einmal am Anfang läuft und nochmals ganz am Schluss. Aber dazu später mehr.

Mind Game Screenshot 2

Außerdem kommen so ziemlich alle denkbaren stilistischen Mittel und Animationstechniken zum Einsatz, mit denen Perspektivenwechsel und charakterdefinierende Momente hervorgehoben werden, was es zugleich aber erschwert, dem Film zu folgen. Der Look von Mind Game ist ohnehin schon sehr gewöhnungsbedürftig, mit den fast an von Kindern gemalte Strichmännchen erinnernden Charakteren und der Melange aus CGI und zweidimensionalen Handzeichnungen. Dieser Stil wurde von Studio 4°C später auch bei Tekkonkinkreet verwendet, aber in einer leichter verdaulichen Version.

Zusätzlich werden in bestimmten Szenen die gezeichneten Figuren mit Fotos realer Personen zu einer expressionistischen Collage verarbeitet, was einerseits die Individualität der Charaktere erhöht, andererseits aber für Brüche im Film sorgt, so dass es noch schwerer wird, der Handlung zu folgen. In der zweiten Hälfte, die im Bauch des Wals spielt, kommen auch noch Einschübe mit psychedelischen Farb- und Formspielen hinzu, etwa als Nishi und Myon dann endlich Sex haben. Auch in einigen musicalhaften Szenen lassen die Macher ihrer Fantasie freien Lauf und toben sich richtig aus.

Mind Game Screenshot 4

So ist Mind Game einerseits ein visuell mitreißender, atemberaubender und neue Möglichkeiten austestender und erschließender Film, was ihn aber auch schwer nachvollziehbar macht. Andererseits hat er aber auch eine Botschaft, die gleich in einer der ersten Szenen kommuniziert wird, dann aber durch die vielen verrückten Wendungen und grafischen Spielereien des Films etwas in den Hintergrund gerät, nur um ganz am Schluss durch ein zweites Statement relativiert zu werden: Als Myon durch die Tür der U-Bahn hechtet, ist Nishi gerade dabei, eine SMS zu tippen mit den Worten €žYour life is the result of your own decisions€œ. Zu dieser Botschaft passen dann die Standpauke von Gott, Nishis neu entdeckte Lebensfreude nachdem er die zweite Chance bekam und der Kampf gegen den scheinbar unabwendbaren Tod im Bauch des Wals.

Doch der Film endet, nachdem die vier in einer übermenschlichen Willensanstrengung das Unmögliche möglich gemacht haben, mit einer alternativen, glücklicheren Version der Begegnung in der U-Bahn. Diesmal verletzt sich Myon nicht und die Yakuza verlieren sie aus den Augen. Ist es letztlich doch der Zufall, der unser Leben bestimmt und nicht unser eigener Wille? Ist letztlich alles nur ein Spiel, ein €žMind Game€œ? Wollten die Filmemacher einfach nur ein bisschen mit den Zuschauern und ihren Erwartungen spielen?

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Hier gibt nun die oben erwähnte Flashbacksequenz einen wichtigen Hinweis. Sie zeigt Ausschnitte aus dem Leben aller im Film vorkommenden Charaktere und ist in ihrer ersten Version zu Beginn des Films ganz in grau gehalten und mit einem düsteren Synthesizer-Soundtrack unterlegt. Am Ende läuft die Sequenz in fast identischer Form nochmal, nur ist sie diesmal bunt, voller Farben und Lebensfreude und von fröhlichem Gesang begleitet.

Aus meiner Sicht bedeutet das ganze folgendes: Zuerst mal ist der eingangs geschilderte aberwitzige Plot für den Kern des Films völlig bedeutungslos. Er stellt nur den Weg von der ersten Version des Flashbacks zur zweiten dar, und dieser Weg ist nichts anderes als die Arbeit der Charaktere – allen voran Nishi – an der eigenen Einstellung gegenüber dem Leben. Denn letztlich spielt es keine Rolle, ob das Leben durch den Zufall oder durch eigene Entscheidungen vorangetrieben und geprägt wird (die Wahrheit liegt sowieso irgendwo dazwischen), solange man das Leben nur als lebenswert betrachtet und bis zum letzten Tropfen auskosten möchte. Alles ist eine Frage der Perspektive, der persönlichen Einstellung. Alles läuft in unserem Kopf ab, und dort können wir auch festlegen, ob das Leben für uns grau oder doch schrill und bunt ist. Das Leben als Mind Game.

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Diese Botschaft sorgt dann auch dafür, dass Mind Game einem nicht nur ordentlich den Gehirnkasten durchbläst, sondern bei all der Verwirrung einfach ein positives, freudiges Gefühl zurücklässt, auch wenn man das alles gar nicht so durchdenken mag.

Und bei all dem kreativen Wirbel, der in diesem Film entfacht wird, bedient er sich doch einer Reihe von Vorbildern und ist gespickt mit Zitaten. Vornweg natürlich American Beauty mit dem Tod des Helden der eigentlich ein Anti-Held ist (sowie der Flugszene ganz am Ende, die in American Beauty am Anfang steht), Lola rennt und die verschiedenen Varianten desselben Lebens (und natürlich das zentrale Motiv des Rennens) oder The Hudsucker Proxy von den Coen-Brüdern mit dem Anhalten der Zeit. Alle diese Filme stellen auch die Frage „Was wäre wenn“, nur Mind Game sagt dann eben „Das ist egal“. Man muss nur im Kopf die richtige Einstellung haben.

Tja, was soll ich noch groß sagen? Der Film ist sicher einer der besten Anime die ich je gesehen habe, auf jeden Fall aber der abgefahrenste. Er hatte nur einen sehr kleinen Release und ist wohl auch relativ unbekannt, völlig zu Unrecht. Ein Film, den man gesehen haben muss und der jedem halbwegs intelligenten und aufgeschlossenen Menschen sehr viel Freude bereiten wird… und einiges Kopfzerbrechen!