Archive for the ‘Naruse Mikio’ Category

Yearning

Original: Midareru, (1964) von Mikio Naruse

Der Film beginnt mit einer großartigen Szene, in der Naruse gleichermaßen den Rahmen für die Handlung setzt und die Veränderungen im Japan der 60er Jahre thematisiert: Ein Werbewagen fährt durch eine Kleinstadt und kündigt Sonderangebote eines neuen Supermarkts an. Dabei fährt er auch am Lebensmittelladen von Reiko (Hideko Takamine) vorbei, wo die Geschäfte immer schlechter laufen. Reiko lebt bei der Familie ihres verstorbenen Ehemanns, dessen Mutter und Schwestern sie überreden wollen, wieder zu heiraten. Aber sie fühlt sich ihrem Mann, dessen Familie und dem kleinen Laden, den sie nach dem Krieg aufgebaut hat, tief verbunden.

Die Situation wird zusätzlich belastet, als ihr ihr Schwager Koji (Yuzo Kayama), vorgeblich ein Taugenichts und Glücksspieler, seine Liebe beichtet. Es wird offensichtlich, dass sein früheres Verhalten Versuche der Ablenkung waren. Nachdem die Wahrheit heraus ist, beginnt er im Laden mitzuhelfen (was aber immer wieder zu peinlichen Situationen mit Reiko führt) und ändert seinen Lebenswandel vollständig. Er plant sogar, den kleinen Laden abzureißen und einen Supermarkt zu eröffnen, den er gemeinsam mit Reiko führen will. Seine Familie lehnt Reikos Beteiligung aus finanziellen Erwägungen aber ab. Koji betrachtet den Laden jedoch als Reikos Lebensinhalt und will diesen auf keinen Fall zerstören. Als Reiko erfährt, dass sie einer Verbesserung der Situation der Familie im Wege steht, kündigt sie überraschend an, in ihre Heimat zurückzukehren und zu heiraten. Koji glaubt ihr nicht und begleitet sie auf der Fahrt nach Norden, bei der sich die beiden langsam näher kommen. Sie unterbrechen die Reise und Reiko dankt Koji für seine Liebe und Zuneigung, teilt ihm aber mit, dass sie sich an ihren Ehemann gebunden fühlt. Sie bittet ihn, am nächsten Morgen abzureisen, worauf Koji davon stürmt, sich betrinkt und in eine Schlucht stürzt.

Naruse greift in Yearning bereits bekannte Themen auf: Die eheliche Bindung, die Abhängigkeit der Ehefrau – besonders der Witwe – von der Familie ihres Ehemanns, unerfüllbare Liebe und finanzielle Nöte (deren Ursachen dieses Mal aber mit den rapiden Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft klar benannt werden). Er geht dabei allerdings noch einen Schritt weiter als in den früheren Filmen. Die Bindung Reikos an ihren Ehemann bestimmt sogar noch lange nach dessen Tod ihr Schicksal und grenzt sie in ihrer individuellen Freiheit ein, hat damit letztlich Konsequenzen über die unmittelbar Betroffenen hinaus und verursacht indirekt sogar den Tod Kojis.

Betrachtet man die Liebe Kojis als Reikos Chance auf ein neues Leben, bekommt die Schlussszene, in der Reiko völlig außer sich hinter der Bahre mit Kojis Leiche, die sich aber immer weiter entfernt, herläuft, eine zusätzliche Bedeutung: Denn Reiko vergießt keine Tränen, in ihrem Gesicht spiegeln sich nicht nur Bestürzung und Trauer, sondern auch ein bisschen Erleichterung darüber, dass ihre Treue zu ihrem Ehemann nicht weiter getestet wird. Damit sind die Grenzen für Reikos Glück letztlich auch von ihr selbst errichtet.

Die grausamste Szene des Films bleibt für mich aber, als Reiko ihrer angeheirateten Familie gegenübersitzt und den Lebensmittelladen, ihr Zuhause, alles, wofür sie gelebt und gearbeitet hat, ihren gesamten Lebensinhalt, ohne mit der Wimper zu zucken aufgibt. Und das, um Menschen zu helfen, die sich kaum für ihr Schicksal interessieren. Ein Moment, in dem Naruse seine Heldin sehr nah an Kenji Mizoguchis sich selbst aufopfernde, tragisch leidende Frauenschicksale heranrückt.

Original: Fūfu (1953), von Mikio Naruse

Kikuko (Yoko Sugi) lebt mit ihrem Mann Isaku (Ken Uehara) bei ihren Eltern, wo die beiden aber wegen der bevorstehenden Hochzeit ihres Bruders nicht bleiben können. Nach langer Suche überredet Isaku seinen Kollegen Nakamura (Rentaro Mikuni), dessen Frau kürzlich gestorben ist, ihnen einen unbewohnten Raum seines Hauses zu überlassen. Nakamura, angesichts des Todes seiner Frau ein totales Wrack, beginnt durch Kikukos Gegenwart, die Freude am Leben wieder zu entdecken.

Das gute wechselseitige Verständnis der beiden erweckt Isakus Verdacht, worauf er selbst mit einer Kollegin auszugehen beginnt. Eine Kleinigkeit führt schließlich zum offenen Streit, Kikuko fährt zu ihrer Familie und hinterfragt offen die Ehe. Schließlich kehrt sie aber überraschend gut gelaunt zu Isaku zurück. Die beiden finden kurz darauf eine andere, schönere Wohnung. Doch Kikuko wird schwanger und Isaku fordert von ihr, das Kind abzutreiben, da er mit seinem kleinen Gehalt keine Familie ernähren könne. Gemeinsam gehen sie zur gynäkologischen Klinik, aus der Kikuko sogleich weinend herausstürmt. Sie setzen sich auf eine Parkbank, zwischen ihnen hindurch sind im Hintergrund spielende Kinder zu sehen. Schließlich steht Isaku auf, umarmt Kikuko und sagt €žLass uns nach Hause gehen€œ.

Husband and Wife wird oft in einer Reihe gesehen mit dem sehr viel bekannteren Repast, in dem sich Naruse mit der Unmöglichkeit beiderseitigen Glücks in der Ehe beschäftigt. Gemeinsam ist den beiden Filme in der Tat das Thema der lebenslangen Bindung zweier Menschen aneinander, die gleichsam zu einer Fessel werden kann. Mit der positiv stimmenden Schlussszene deutet Naruse aber auch eine andere, optimistischere Option an, die über das reine Fügen in das eheliche Schicksal hinausgeht: Gegenseitiges Verständnis, Empfindsamkeit und Aufgeschlossenheit für die Bedürfnisse des Partners können verhindern, dass die aus der Bindung eine Last wird.

Dies verdeutlicht auch eine frühere Schlüsselszene, nämlich der Besuch von Kikukos Bruder und dessen Braut bei Isaku und Kikuko, kurz nachdem diese ihren Streit überwunden haben. Das ältere und streiterprobte Paar gibt darin Erfahrungen und Lehren aus sieben Jahren Eheleben weiter und demonstriert großes Verständnis füreinander. Probleme und Konflikte seien im Zusammenleben eben unumgänglich, müssten aber überwunden werden, denn eine Ehe sei wie eine Schere: Sie funktioniert nur, solange beide Klingen zusammen sind. In dieser Szene, in der die beiden Paare Tee trinkend beisammen sitzen und unabänderliche Lebensweisheiten austauschen, habe ich mich fast wie in einem Ozu gefühlt!

Der wunderbarste Moment des Films (neben der Schlussszene) war aber eine ganz kurze Einstellung, in der Naruse seine ganze Brillanz sowohl in der Charakterisierung seiner Figuren als auch im Einfangen von Stimmung demonstriert: Nakamura liegt auf dem Bauch inmitten seines chaotischen Zimmers, gammelt vor sich hin und reißt sich ein Nasenhaar aus! Die Einstellung dauerte vielleicht drei oder vier Sekunden, und hat doch die ganze Langeweile, Trübsal und Aussichtslosigkeit von Nakamuras Leben nach dem Tod seiner Frau eingefangen. Einfach großartig!

Summer Clouds

Original: Iwashigumo (1958), von Mikio Naruse

Die Witwe Yae (Chikage Awashima) berichtet dem Journalisten Okawa (Isao Kimura) vom harten Leben auf dem Land und von ihrem Bruder Wasuke (Ganjiro Nakamura), der bei Brauttauschgeschäften einen Großteil seines Vermögens verlor und nun ein ärmlicher Bauer ist. Seine Kinder aus drei Ehen wenden sich vom Landleben ab: Sein zweiter Sohn hat studiert und arbeitet und lebt in der Stadt, sein dritter Sohn will eine Mechanikerausbildung in Tokyo machen. Dabei plant Wasuke, ihn mit der Tochter eines wohlhabenden Cousins zu verheiraten, um an dessen Land zu kommen. Sein kurz vor der Hochzeit stehender ältester Sohn will als einziger den Hof fortführen.

Yae und Okawa reisen als Hochzeitsvermittler zur Familie der Braut, verbringen so einige Tage zusammen und verlieben sich ineinander. Yae blüht auf, verfolgt moderne Ideen und unterstützt die Kinder ihres Bruders bei deren Versuchen, Unabhängigkeit zu erlangen und das Landleben hinter sich zu lassen. Gemeinsam erreichen sie, dass Wasuke einwilligt, einen Teil seines Landes zu verkaufen um seinen Söhnen das erträumte Leben zu ermöglichen. Doch als Okawa nach Tokyo versetzt wird, muss Yae erkennen, dass ihrem eigenen Glück enge Grenzen gesetzt sind: Hart arbeitend bleibt sie auf ihren Feldern zurück.

Thema des Films ist die Modernisierung der Japanischen Gesellschaft nach dem Krieg, das Auseinanderdriften der Generationen: Auf der einen Seite die Elterngeneration, die in alten Denkweisen und Wertvorstellungen gefangen ist und deren Lebensinhalte von diesen abhängen, auf der anderen Seite die junge Generation, die vor allem die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben sieht und diese ergreifen möchte. Dabei bringt Naruse beiden Seiten großes Verständnis und Wärme entgegen und zeichnet die Charaktere mit großer Zuwendung und Liebe zum Detail.

Der Film kritisiert an Yaes Beispiel vor allem das traditionelle Familiensystem, insbesondere die Abhängigkeit einer Frau von der Familie des Ehemanns. Dies verdeutlicht vor allem Yaes Schwiegermutter, die selbstverständlich erwartet, von Yae versorgt zu werden, aber selbst nicht bereit ist, Yae oder deren Sohn zu unterstützen. Immer wieder verweist Yae in den Gesprächen mit Okawa auf die Erbschaftsregeln, die Frauen zu einer untergeordneten Rolle verdammen und ihnen keine Eigenständigkeit erlauben.

Trotz all der Kritik an überkommenen Traditionen und Yaes hartem Schicksal besticht der Film aber auch durch Szenen großen Glücks und großer Freude, etwa wenn Yae und Okawa zusammen verreisen oder als die Familie den Grundstein für das Haus der Brautleute legt, alle begeistert bei der Arbeit sind und Lieder singen.

Großartig verwebt Naruse die Handlungsstränge der verschiedenen Charaktere (drei Liebespaare, Wasuke und seine Frau sowie der jüngste Sohn) zu einem großen Ganzen. Dabei kommen auch assoziative Schnitte zum Einsatz: Als sich Yae und eine Freundin über die jugendlichen Verliebten unterhalten, schneidet Naruse aus der Konversation direkt zum Liebespaar geschnitten und anschließend wieder zurück zur Ausgangsszene, wo die Konversation unmittelbar wieder aufgegriffen wird. Das Timing ist exzellent und die Geschichte wirkt trotz der verschlungenen Familienbeziehungen zu keinem Zeitpunkt konstruiert sondern direkt aus dem Leben gegriffen.

Dabei werden Wasuke und Yae als konträre Beispiele einer dem Untergang geweihten Lebensart dargestellt: Yae würde gern einige der sich einer modernen Frau bietenden Chancen ergreifen, ist letztlich aber in der konsequenter in ihrem Traditionalismus als ihr Bruder Wasuke. Der reagiert zwar auf die Bitten seiner Familie, Felder zu verkaufen um die Mechaniker-Ausbildung seines Sohnes zu bezahlen, zunächst ablehnend (€žDas Land ist alles, was ein Bauer hat€œ). Schließlich gibt er aber nach und bleibt gebrochen zurück, während Yae ihre Bindung an das Land als die Essenz ihres Lebens sieht, und nicht bereit ist, diese aufzugeben.

In der großartigen Schlussszene beackert sie wild entschlossen und zugleich erzweifelt ihr Reisfeld mit denen sie untrennbar verbunden ist. Allein bleibt sie zurück, in den sich bis zum Horizont dehnenden Reisfeldern unter einem dräuenden Wolkenhimmel.

Die Mutter

Original: Okâsan, (1952) von Mikio Naruse

Okâsan schildert den harten Kampf einer Mutter (Kinuyo Tanaka) um den Fortbestand ihrer Familie aus der Sicht ihrer ältesten Tochter Toshiko (Kyoko Kagawa).

Der Film eröffnet mit einem inneren Monolog Toshikos, in dem sie die Mitglieder ihrer Familie vorstellt. Bereits in diesen ersten Szenen war ich völlig begeistert, wie Naruse Direktheit und Eleganz verbindet. Die wenigen Worte, die Toshiko über ihren Vater, ihre Mutter und ihre Geschwister verliert, begleitet er mit so liebevollen, ausdrucksstarken und ehrlichen Bildern, dass sich sofort das Gefühl einstellt, es wäre die eigene Familie mit all ihren liebenswerten Schrulligkeiten:
Die Mutter Masako ist so klein, dass sie einen kurzen Besen zum Kehren benutzt, der kleine Neffe ist ein Bettnässer und für den Vater (den Toshiko vergöttert: €žSeht nur die Muskeln!€œ) liegt alles Glück der Welt in gebackenen Bohnen.

Eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht. Naruse webt verschiedene Ereignisse und Szenen in eine Art Handlungsreigen, den Gang der Jahreszeiten verdeutlicht er anhand wechselnder Angebotsschilder eines Kiosk – im Winter Pfannkuchen, dann Eis am Stiel. Off-Screen wird Toshikos kranker Bruder ins Sanatorium eingewiesen, später erfahren wir, dass er gestorben ist. Der Vater wird krank, gerade als die Familie eine Wäscherei eröffnet, woraufhin Kimura, ein Freund der Familie, aushilft. Einige Zeit später stirbt auch der Vater und Toshiko beginnt ebenfalls, in der Wäscherei zu helfen. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht, weshalb ihre jüngere Schwester von einem Onkel adoptiert werden soll.

Toshiko sieht ihre Familie zerbrechen, ist verwirrt und beginnt unter der Situation zu leiden, besonders weil sie glaubt, ihre Mutter würde Kimura heiraten. Sie selbst ist zwischen Kindheit und Erwachsenensein gefangen: einerseits spielt sie noch wie ein Kind mit ihren Geschwistern und singt auf dem Stadtfest, andererseits übernimmt sie Verantwortung, unterstützt die Familie und entdeckt eine erste unschuldige Liebe zum Bäckerssohn Shinjiro (Eiji Okada).

Sie fühlt mit ihrer Mutter und fragt sich, ob diese angesichts all der Härten des Lebens, der Schicksalsschläge, überhaupt glücklich sein könne. Sie stellt sich diese Fragen stellvertretend für den Zuschauer, und Naruse beantwortet diese, indem er im Laufe des Films immer wieder kleine Momente des Glücks einstreut, sowohl auf einzelne Personen bezogen, etwa wenn der Vater in seliger Verzückung seine geliebten Bohnen kaut, oder in Gemeinschaft bei einem Ausflug in den Park.
Besonders in einer Szene, als Toshiko von ihrer Tante Noriko als Brautmodell zurechtgemacht wird und alle ihre Schönheit bewundern, zeigt Naruse mit kurzen Schnitten auf die Mutter deren geradezu mit Händen zu greifende Freude, ihren Stolz und das Glück angesichts der Schönheit ihrer heranwachsenden Tochter: der ganze Mutterstolz und die Mutterliebe werden mit wenigen Einstellungen vor Augen geführt. Das zeigt auch die Schlussszene, in der die Mutter mit dem Neffen herumtollt und sich schließlich zufrieden aber erschöpft die Haare aus dem Gesicht streicht, unterlegt mit der Stimme von Toshiko, die sich fragt, ob ihre Mutter glücklich ist.

Die tragenden Hauptrollen sind großartig gespielt von Kinuyo Tanaka und besonders auch von der jungen Kyoko Kagawa, die hier ihren ersten großen Filmauftritt hatte und eine herzerfrischende Darstellung bietet. Beide Hauptdarstellerinnen formen aus der Trauer angesichts der Todesfälle, Enttäuschung ob der Härte des Lebens und Freude im Alltag und in der Liebe so ungekünstelt und authentisch ihre Charaktere, dass nie so etwas wie Mitleid mit ihnen aufkommt, sondern echtes Mit-Fühlen.

Okâsan ist in meinen Augen eine nahezu perfekte Demonstration von Naruses Fähigkeit, das Leben so wie es ist darzustellen und den Zuschauer mitten hinein zu ziehen. Der Geschmack des Lebens besteht nun mal aus süßen und bitteren Momenten, und Naruse lässt uns beides kosten.

Wie keinem anderen gelingt es Mikio Naruse (1905-1969) in seinen Filmen das Leben mit all seinen Sorgen, Nöten und enttäuschten Hoffnungen, aber auch mit all den kleinen und großen Freuden des Alltags ehrlich, ungeschminkt und mit ganz viel Liebe zum Detail einzufangen.

Das war mein Eindruck, nachdem ich alle sechs in Hamburg gezeigten Naruses gesehen habe. Mir ist klar, dass es vermessen wäre, einen Regisseur, der 90 Filme gedreht hat, anhand von sechs Filmen zu beurteilen. Noch dazu, wenn alle diese Filme aus derselben Schaffensphase, nämlich der nach 1951, stammen. Zu gerne hätte ich auch Vorkriegsfilme gesehen, insbesondere Wife! Be like a rose, einer der ersten japanischen Filme, die im Westen aufgeführt wurden, oder vielleicht auch den einen oder anderen aus seiner angeblichen – von Alexander Jacoby bestrittenen – Schaffenskrise von 1936-51.

Dennoch glaube ich, dass die gesehenen Filme und was ich bisher zu Naruse gelesen und gehört haben, einige typische Merkmale seiner Filme deutlich machen. Dazu gehört, dass sich die Geschichte um eine Frau, in vielen Fällen um eine Witwe, dreht. Es gibt keine eigentliche Handlung, keinen Plot im klassischen Sinne, die Geschichte entwickelt sich ganz aus den handelnden Charakteren, ihren Beziehungen zueinander und den (alltäglichen) Problemen, mit denen sie konfrontiert sind. Ein entscheidender Unterschied zu den Filmen Kenji Mizoguchis, zu denen ansonsten viele thematische Parallelen bestehen.

Naruses Frauen (in den späteren Filmen häufig gespielt von Setsuko Hara und seiner Lieblingsdarstellerin Hideko Takamine) sehen sich immer mehreren Konflikten gleichzeitig ausgesetzt. Neben dem Kampf ums Überleben – die Geschichten spielen fast immer in einem ärmlichen Milieu und Geldsorgen sind allgegenwärtig – sind das Verpflichtungen gegenüber der Familie, Erwartungen auf Grund sozialer Normen und immer wieder Beziehungssorgen und unerfüllte Liebe.

Außer im Falle von „Yearning“ fand ich die Filme trotz all der Probleme und unerfüllten Hoffnungen aber nicht pessimistisch oder hoffnungslos, wie oft zu lesen ist. Das lag daran, dass Naruse es in herausragender Weise versteht, verschiedene Handlungsebenen miteinander zu verweben und eine ganze Reihe von Personen (oft verschiedene Familienmitglieder) in die Geschichte einzubeziehen und deren Geschichten mitzuerzählen. Diese zeigen dann oft neue Perspektiven oder Auswege auf, so dass die Hauptfigur vielleicht in einer Sackgasse endet, aber am Beispiel der einen oder anderen Nebenfigur gezeigt wird, dass das Leben mehr bieten kann (etwa in „Summer Clouds“ oder „When a Woman ascends the stairs“).

Dabei gelingt es Naruse immer, direkt ins Leben hineinzugreifen. Das waren für mich oft die schönsten Momente, wenn er mit winzigkleinen Details liebevoll die Persönlichkeit eines Charakters gestaltet und ausformt.

Im Gegensatz zu seinen bekannteren Kollegen Ozu oder Mizoguchi hat Naruse keinen bestimmten visuellen Stil. Aber es gibt bei seinen Filmen eine ganze Reihe von Motiven, die immer wieder an entscheidenden Stellen auftauchen. Die Eröffnungssequenzen beispielsweise zeigen fast immer Straßen, und zwar die verwinkelten engen Gassen des alten Japans sowie die daran angrenzenden kleinen, oft schäbigen Holzhäuser. Die Schlussszenen bestehen häufig aus einer oder zwei Personen, die eine Straße entlanggehen. Überhaupt finden wichtige, richtungsweisende und Beziehungen prägende Gespräche oft unter freiem Himmel statt, auf Brücken oder in Parks, wenn die Charaktere gewissermaßen ihren alltäglichen Sorgen für einen Moment enthoben sind und sich über die wichtigen Dinge im Leben klar werden können.

Von den sechs Filmen die ich gesehen habe, sind „Mother“ und „When a woman ascends the stairs“ meine Favoriten, beides sind großartige Filme die jeder Cineast gesehen haben sollte. Auch die anderen vier waren wirklich gut! Ich bin kein einziges Mal enttäuscht aus dem Kino gekommen und kann jedem, der die Gelegenheit hat, einen Naruse zu sehen, wärmstens empfehlen, diese wahrzunehmen! Ich werde in der nächsten Zeit die sechs gesehenen Filme noch einzeln besprechen.