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Original: Tenku no shiro Rapyuta (1986), von Hayao Miyazaki

Dies war der erste „offizielle“ Film des 1985 gegründeten, inzwischen weltberühmten Studio Ghibli. Nausicaä aus dem Tal der Winde wurde 1984 noch unter dem Dach von Tokuma Shoten produziert, allerdings vom selben Team das dann auch das Studio Ghibli gründete, weshalb er heute auch zu den Ghibli-Filmen gezählt wird.

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Das Mädchen Sheeta wird wegen eines Kristalls, den es als Medaillon trägt, sowohl von einer Bande Piraten als auch dem Geheimagenten Mushka gejagt. Auf der Flucht stürzt Sheeta aus einem Flugzeug. Der Kristall sorgt jedoch für eine weiche Landung in einem Bergarbeiterdorf, wo sie auf Pazu trifft, der verständlicherweise von dem schwebenden Mädchen sehr beeindruckt ist. Pazu, der davon träumt, die Existenz der fliegenden Stadt Laputa zu beweisen, hilft Sheeta, ihren Verfolgern zu entkommen, wobei sich die beiden bald näher kommen. Schließlich offenbart sie ihm, dass sie von Bewohnern Laputas abstammt.

Sie können die Verfolger jedoch nicht lange abschütteln und geraten in die Gefangenschaft Mushkas, der es ebenfalls auf Laputa und die überlegene Technologie der Stadt abgesehen hat. Um Sheeta zur Kooperation zu bewegen, lässt er Pazu frei, der sich der Piratenbande von Mama Dola anschließt, um gemeinsam mit ihnen Sheeta zu befreien, den Kristall zu bergen und Laputa zu finden. In einer halsbrecherischen Befreiungsaktion gelingt ihnen dies auch, doch Mushka behält den Kristall, so dass es zu einem Wettrennen nach Laputa kommt.

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Das Schloss im Himmel weicht in einer Hinsicht stark von anderen Filmen Miyazakis ab: Es gibt keinen einzelnen Helden, sondern deren zwei. Die beiden Jugendlichen Sheeta und Pazu stehen absolut gleichberechtigt im Zentrum des Films, auch wenn Sheetas Charakter eine stärkere Wandlung durchläuft als Pazu. Ist ihr Auftreten anfangs noch stark durch Reaktion geprägt und ihr Handeln wenig eigenständig, gewinnt sie im Laufe der Ereignisse und besonders am Ende in der Auseinandersetzung mit Mushka an Statur und Reife, was Miyazaki wie auch bei anderen seiner Heldinnen am Ende dadurch zum Ausdruck bringt, dass sich ihre Frisur verändert (sie verliert ihre langen Zöpfe).

Im Laufe des Films wechselt die Perspektive immer wieder zwischen den beiden Hauptcharakteren, wodurch sich auch der Blick auf die anderen Akteure, besonders die Piraten von Ma Dola, stark verschiebt. Diese erweisen sich nämlich in der zweiten Hälfte des Films, nachdem sie aus Pazus Blickwinkel beleuchtet wurden, als zwar rauhe aber im Kern doch liebenswerte Bande großer Kinder. Insbesondere Ma Dola übernimmt für die beiden Jugendlichen eine Art Mutterrolle.

Auch die Wahrnehmung von Laputa und der damit verbundenen scheinbar allmächtigen Technologie ändert sich mehrmals. Zunächst ein exotisches, in Form des Kristalls Schutz versprechendes Geheimnis, wird durch das Auftauchen eines alles vernichtenden Kampfroboters die mit der Ungewissheit verbundene Bedrohung betont. Nach der Ankunft auf Laputa werden vorübergehend die friedlichen Aspekte der Stadt hervorgehoben, bevor der Missbrauch der Technologie durch den machtbesessenen, größenwahnsinnigen Mushka dann das ganze Gefahrenpotenzial vor Augen führt.

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Somit reiht sich Das Schloss im Himmel in dieser Hinsicht nahtlos in die Reihe von Filmen ein, in denen sich Miyazaki kritisch mit Technologie auseinandersetzt. Noch stärker aber als in Prinzessin Mononoke, Nausicaä oder Das wandelnde Schloss weist er hier darauf hin, dass es letztlich der Mensch ist, der durch die Art der Verwendung der Technologie dieser erst einen Wert zuweist, und der kann sowohl positiv wie auch negativ sein. Insbesondere die im Vorspann angedeutete und im Hintergrund stets präsente Geschichte der technologisch so fortgeschrittenen Erbauer Laputas mahnt im Zusammenspiel mit der Problematisierung des Umgangs mit Technik vor der Hybris der Menschheit.

Natürlich ist auch das Motiv des Fliegens wieder einmal allgegenwärtig und Miyazaki ließ seiner Fantasie beim Entwerfen der absonderlichsten Fluggeräte freien Lauf. Allgegenwärtig sind in Das Schloss im Himmel natürlich auch die Wolken, die in vielen Szenen regelrecht ein Eigenleben entwickeln, mal verheißungsvoll, mal bedrohlich wirken und dann wieder Schutz versprechen.

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Die Welt der Bergwerksarbeiter, die in der ersten Hälfte eine so wichtige Rolle spielt, beruht auf mehreren Besuchen Miyazakis in Wales, wo ihn der Widerstand der Kumpel gegen die unter der Thatcher-Regierung erfolgenden Minenschließungen sehr beeindruckte: „I admired the way they battled to save their way of life, just as the coal miners in Japan did. Many people of my generation see the miners as a symbol; a dying breed of fighting men.“

Das Schloss im Himmel ist wie kaum ein anderer Film Miyazakis mit Action vollgepackt und spricht damit, den Mecha-Elementen und den beiden Helden ein breites Publikum an. Zudem ist er – im Gegensatz beispielsweise zu Chihiros Reise ins Zauberland – auch recht leicht zugänglich, verzichtet auf Bezüge zum japanischen Kontext und die Botschaft ist gut verständlich. Also eher nicht das große Meisterwerk, aber ein intelligenter Film, mit dem man eigentlich nichts falsch machen kann. Wie könnte es bei Miyazaki auch anders sein!

Porco Rosso

Original: Kurenai no buta (1992), von Hayao Miyazaki

Porco Rosso ist – erschienen und gewissermaßen eingeklemmt zwischen Kikis kleiner Lieferservice und dem Riesenhit Prinzessin Mononoke – einer der weniger bekannten Miyazaki-Streifen. Die Geschichte um ein fliegendes Schwein klingt zunächst auch nicht so sehr verlockend und ist in mancher Hinsicht wirklich eher untypisch für Miyazaki, wird aber zu Unrecht unterschätzt.

Auf dem im Ersten Weltkrieg durch seine großartigen Flugkünste berühmt gewordenen Porco Rosso lastet ein Fluch, der ihn in ein Schwein verwandelte. Jetzt, Ende der 1920er Jahre, schlägt er sich mit Gelegenheitsaufträgen wie etwa der Bekämpfung von Luftpiraten über der Adria durch. Eines Tages fordert ihn der amerikanische Draufgänger Curtis zum Luftkampf, in dem Rossos altersschwache Maschine schwer beschädigt wird und anschließend repariert werden muss. Dies übernimmt die 17-Jährige Fio, die sich bald wie Rossos Jugendfreundin Gina in den Piloten verliebt und dessen Leben kräftig durcheinander wirbelt.

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Auf den ersten Blick eine leichte Actionkomödie, offenbart Porco Rosso bei genauerem Hinsehen doch einen erstaunlichen Tiefgang und einen ausgeprägten Anti-Kriegs-Subtext, schon fast ein Standard von Miyazaki. Anders als in der fast plakativen Darstellung in Howl’s Moving Castle ist dieser hier aber sehr subtil mit Rossos Fluch verbunden. Wie wir Zuschauer nämlich gegen Ende des Films erfahren, überlebte Rosso im Ersten Weltkrieg als einziger seines Geschwaders einen Luftkampf, bei dem auch sein bester Freund getötet wurde.

Dieses Erlebnis machte ihn zu einem verschlossenen, zurückgezogen auf einer Insel lebenden, sich selbst hassenden Misanthropen – äußerlich durch die Verwandlung in ein Schwein symbolisiert. Die Liebe der schönen aber melancholischen, an denselben Kriegswunden wie Rosso leidenden Gina ignoriert er. Erst der jungen Fio mit ihrer unbändigen Energie, ihrer Begeisterung für Flugzeuge, ihrer unbekümmerten Freude am Leben und ihrer Zuneigung zu dem grantigen Piloten gelingt es, den Fluch zu lösen.

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Untypisch für Miyazaki ist neben der Einbindung der Handlung in einen realistischen, historisch und geographisch genau verorteten Rahmen insbesondere die Verwendung eines erwachsenen, männlichen Helden, der sich mit den Lasten seiner eigenen Vergangenheit herumschlägt. Sehr typisch dagegen sind die unterschwellige Verurteilung von Krieg und das Motiv des Fliegens, das wohl in keinem anderen Film Miyazakis so im Zentrum steht.

Die Freude an den vielen Flugszenen ist denn auch kaum zu übersehen, mit den rasanten Luftkämpfen von Porco Rosso dürfte die handgemachte Animation ihren Höhepunkt erreicht haben. Die Kamerafahrten und umeinanderwirbelnden Flugzeuge sind extrem beeindruckend: In einer Szene wird Rosso von Curtis unter Beschuss genommen, woraufhin sein Motor explodiert und hunderte von Bruchstücken durch die Gegend fliegen, alles ohne CGI! Zugleich wird in anderen Szenen aber auch deutlich, wo die Grenzen handgemalter Animation liegen, etwa wenn Rosso durch einen Kanal fliegt und der vorbeihuschende Hintergrund plötzlich nur noch aus verwaschenen Flächen besteht.

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Die bewunderswerte Animation, die sympathischen und liebevoll gestalteten Charaktere (es gibt auch ein Wiedersehen mit den aus Das Schloss im Himmel bekannten Luftpiraten, die Miyazaki fast exakt mit all ihren witzigen Macken aus dem früheren Film übernahm) und der durchaus zu Diskussionen Anlass gebende Hintergrund rund um den Fluch machen Porco Rosso zu einem wirklich sehenswerten Film.

Interessant zu sehen ist zudem, dass er wohl auch als Inspiration insbesondere für Miyazakis jüngere Werke diente: Sowohl zu Howl’s Moving Castle als auch zu Chihiros Reise ins Zauberland lassen sich zahlreiche inhaltliche und gestalterische Parallelen finden.

Original: Majo no takkyubin (1989) von Hayao Miyazaki

Seufz! Ach, was ein schöner Film! Berauschend schöne Landschaften, wo man nur hinsieht unfassbar viele liebevolle Details und immer wieder fast expressionistische Einstellungen, die der Charakterentwicklung Kikis Ausdruck verleihen. Miyazakis Perfektionismus erreichte mit diesem Film einen ersten Höhepunkt, und das nicht nur, weil er sich zur Vorbereitung des Films einen ganzen Tag an einem belebten Platz auf eine Parkbank setzte, um die Bewegungen von Röcken und Kleidern zu studieren!

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Der Plot ist schnell zusammengefasst: Die 13jährige Hexe Kiki macht sich zusammen mit ihrem Kater Jiji auf in die große Stadt, um ihr Lehrjahr zu absolvieren. Anfängliche Schwierigkeiten überwindet sie dank der Hilfe einer Bäckersfamilie, bei der sie eine Unterkunft findet und die ihr hilft, einen kleinen Lieferservice aufzubauen.

Doch diese Erfolge können nur kurz darüber hinwegtäuschen, dass Kiki einfach anders als andere Mädchen ist und es ihr deshalb schwer fällt, auf Menschen zuzugehen und Anschluss zu finden. Sie rutscht in eine tiefe Krise, verliert sogar ihre Zauberkräfte. Erst als ihr einziger Freund, der Junge Tombo, in Gefahr gerät, besinnt sie sich auf die tief in ihr schlummernden Fähigkeiten.

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Ganz ähnlich wie in Mein Nachbar Totoro geht es in Kikis kleiner Lieferservice nicht um äußere Bedrohungen und Konflikte zwischen Gut und Böse wie in den meisten Disney-Filmen, sondern um Kikis Entwicklung als Persönlichkeit angesichts der Herausforderungen des Lebens. Sie verlässt ihr Zuhause, ihre Freundinnen und ihre Familie und beginnt ein neues Leben in einer völlig anderen Umgebung, in der sie einen Platz für sich selbst finden, sich beweisen und selbst definieren muss.

Auf der Suche nach diesem Platz für sich wäre Kiki gerne genauso modisch schick gekleidet wie die Mädchen aus der Stadt und in einer Szene bestaunt sie wehmütig die schönen aber für sie viel zu teuren Kleider in einem Schaufenster. Zugleich ist sie aber auch stolz darauf, sie selbst und damit anders zu sein, will sich dies nicht nehmen lassen und schwimmt bewusst gegen den Strom. Und am Ende wird sie für ihr Durchhaltevermögen und ihre Treue zu sich selbst belohnt.

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Kiki ist ein wunderbarer Film über das Erwachsenwerden, über den Kampf um eine eigene Identität und einen Platz im Leben. Er ist dabei frappierend ehrlich und verharmlost nicht, wie schwer dieser Kampf sein kann. Er zeigt aber auch, dass man sich dabei auf die Hilfe anderer verlassen kann und dass es sich lohnt, selbst anderen zu helfen. Außerdem bietet er natürlich auch ein Happy-End, das, wie oft bei Miyazaki, im Abspann die weiteren Erlebnisse Kikis andeutet.

Hier sehen wir auch nochmal Kiki, wie sie sich am selben Schaufenster wieder die Nase plattdrückt, bis ihr ein vorbeilaufendes, genau wie sie gekleidetes Mädchen (inklusive kleinem Besen!) auffällt: Aus der Außenseiterin wurde ein Vorbild für andere.

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Und noch in einer anderen Hinsicht greift das Ende den Anfang des Films auf: In einer Sequenz, die eine ganze Reihe von Bildern der Eröffnungssequenz wiederspiegelt, sehen wir Kikis Eltern, die einen Brief von ihr erhalten und dabei genau so aufgeregt sind wie Kiki selbst vor ihrem Aufbruch. In diesem Brief schildert sie ihnen, dass sie jetzt in der Stadt ein neues Zuhause gefunden hat und glücklich ist.

Miyazakis erklärtes Ziel war es, einen Film als Ansporn und Ermutigung für junge Frauen, sich selbst in der Gesellschaft zu behaupten, zu machen (auch heute noch ein großes Thema, nicht nur in Japan). Das gelang ihm auf so bewundernswerte Weise, dass der Film jungen Menschen generell viel über das Leben vermittelt.

Jedes Kind sollte Kikis kleiner Lieferservice gesehen haben, und Erwachsene ebenso!

Original: Rupan Sansei: Kariosutoro no shiro, (1979) von Hayao Miyazaki

Hayao Miyazakis erster Spielfilm basiert auf der TV-Serie Lupin III, bei der er bereits in mehrere Episoden Regie geführt hatte. Serie und Film greifen wiederum auf die Bücher Maurice LeBlancs zurück, der Anfang des letzten Jahrhunderts die Figur des Meisterdiebs Arsène Lupin erfand und um dessen „Enkel“ sich Serie und Film drehen.

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Meisterdieb Lupin und sein Kompagnon Jigen bemerken nach dem Überfall auf ein Casino, dass sie gelinkt wurden und die Geldsäcke nur Blüten enthalten. Um herauszufinden, wer hinter den Fälschungen steckt, machen sie sich auf nach Cagliostro, einem europäischen Zwergenstaat. Dort herrscht ein böser Graf, der Clarisse, die letzte Nachfahrin des alten Geschlechts der Erzherzöge, gefangen hält. Lupin und Jigen entdecken, dass der Graf Urheber der Blüten ist und durch eine erzwungene Hochzeit mit Clarisse einen alten Schatz heben will. Mit viel Geschick, Ideenreichtum und Kampfkraft durchkreuzen sie seine Pläne.

The Castle of Cagliostro ist eine Achterbahnfahrt voller Verfolgungsjagden, Explosionen, Abenteuer und Komik. Es fehlt jedoch der Tiefgang sowohl der Charaktere als auch der Handlung, der Miyazakis folgende Filme zu echten Meisterwerken macht. Weder Lupin noch Clarisse und schon gar nicht der schurkische Graf (der erste einseitig böse Wiedersacher, der mir in einem Film Miyazakis begegnet ist) müssen sich mit inneren Konflikten auseinandersetzen oder entwickeln sich weiter. Damit ist der Film zwar sehr unterhaltsam und – für damalige Verhältnisse – exzellent gezeichnet, aber letztlich doch weitgehend oberflächliches Popcornkino.

Was aber auch daran liegen mag, dass Miyazaki unter unglaublichem Zeitdruck arbeitete: Für die Produktion des Films waren nur vier Monate eingeplant (für Miyazakis derzeit in Produktion befindlichen neuesten Film sind fast zwei Jahre veranschlagt!), weshalb er auch nicht das von ihm ursprünglich vorgesehene Ende realisieren konnte. Bis heute hat er nicht verraten, wie The Castle of Cagliostro eigentlich hätte ausgehen sollen. Vielleicht hätte er seinem Erstling gerne mehr Tiefgang verliehen, hatte dazu aber schlicht keine Zeit.

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Einige Markenzeichen Miyazakis kommen aber bereits vor: Der Graf besitzt einen merkwürdigen Flugapparat ähnlich einem Hubschrauber, im Schloß gibt es überall Falltüren und Schächte durch die immer wieder Charaktere in die Tiefe fallen, Lupin und Jigen verschlingen unglaubliche Mengen beim Essen und zeichnen sich dabei nicht gerade durch Tischmanieren aus. Daneben finden sich auch hier bereits ansatzweise die berauschend schönen Landschaftsbilder.

Auch seine Detailversessenheit und sein Perfektionismus sind trotz der – verglichen mit seinen späteren Werken – einfachen Gestaltung des Films bereits offensichtlich: Die Autos beruhen alle auf realen Modellen wie etwa dem Fiat 500, den Lupin fährt, oder der 2CV von Clarisse (Miyazakis erstes Auto war ein 2CV). Ebenso sind alle gezeigten Waffen von Fujikos Uzi bis zu den Handgranaten nach realen Vorbildern gezeichnet.

Trotz seiner Schwächen ist The Castle of Cagliostro ein sehenswerter, sehr unterhaltsamer Film, der gewissermaßen einen Zwischenschritt Miyazakis beim Übergang von der Arbeit an TV-Serien hin zu seinen grandiosen Spielfilmen markiert. Als solcher ist er definitiv ein Meilenstein und für das Verständnis des Gesamtwerks und der Entwicklung des Künstlers Hayao Miyazaki bedeutsam.

Original: Kaze no tani no Naushika, (1984) von Hayao Miyazaki

In einer post-apokalyptischen Welt sind die überlebenden Menschen von einem Wald giftiger Pflanzen bedroht, der von gigantischen Insekten, den Ohmu, beschützt wird. Die Prinzessin Nausicaä entdeckt das Geheimnis des Waldes: Er reinigt den verseuchten Boden und versorgt die Menschen mit sauberem Wasser. Sie will eine friedliche Koexistenz von Menschen und Insekten erreichen, stößt damit aber auf Unverständnis und gerät mit ihrem Volk sogar zwischen die Fronten zweier sich bekriegender Königreiche, die mittels eines wiederbelebten Kriegstitans den Wald und die Insekten zerstören wollen, die daraufhin einen Großangriff auf die Menschen starten.

Um die Menschheit vor der sicheren Vernichtung zu retten, opfert Nausicaä ihr eigenes Leben. Doch die Ohmu, die wie der Wald selbst über heilende Kräfte verfügen, erkennen den Großmut und die Selbstlosigkeit dieser Tat an, geben ihr das Leben zurück und verschonen die Menschen. Eine neue Zeit des harmonischen Zusammenlebens bricht an.

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Hayao Miyazaki selbst gab Nausicaä nur 65 von 100 Punkten, weil er durch den religiös interpretierbaren Schluss des Films, Nausicaäs Auferstehungsszene, die Überzeugungskraft geschmälert sah. Ein Stück weit mag er damit Recht haben, aber alles in allem ist Nausicaä ein grandioser Film! Mit ihm wurde nicht nur der Grundstein für das Studio Ghibli gelegt, sondern auch für viele spätere Filme Miyazakis.

Das zentrale Thema seiner Filme, das Verhältnis von Mensch und Natur, begegnet uns hier zum ersten Mal, ebenso wie die Erlöser-ähnliche, vermittelnde Heldenfigur der Nausicaä. Auch der visuelle Stil mit seinen opulenten Landschaftsbildern und seiner Liebe zum Detail (wenn auch wegen fehlender Mittel noch bei weitem nicht so ausgeprägt wie in späteren Werken) ist unverkennbar. Und natürlich die sich durch das ganze Werk Miyazakis ziehenden Bezüge zum Fliegen.

Die Figur der Nausicaä ist an eine Prinzessin aus der alten japanischen Sage „Tsutsumi Chunagon Monogatari“ angelehnt, die sehr naturverbunden und tierlieb ist und darüber hinaus allem aufgeschlossen und vorurteilsfrei gegenübertritt. Nausicaäs daraus resultierende Mittlerrolle findet sich später bei Ashitaka in Prinzessin Mononoke wieder. Während Ashitaka aber erst durch die Auseinandersetzung mit dem ihm auferlegten Fluch diese Rolle übernimmt, wurde Nausicaä ihr Schicksal gewissermaßen in die Wiege gelegt: Bereits als kleines Kind hatte sie versucht, eine Ohmu-Larve zu retten.

Die kurzen Flashbacks, in denen diese Naturverbundenheit und Nausicaäs besondere Veranlagung, ihre Auserwähltheit, angedeutet werden, gehören für mich zu den absolut unvergesslichen Szenen der Filmgeschichte! Die von Joe Hisaishis (Miyazakis Hauskomponist) rätselhafter und zugleich ergreifender Musik unterlegte, surreale Szene ist ganz in Gold- und Brauntöne gehalten.

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Man sieht Nausicaä in einem goldenen Feld, wie sie von ihrem Vater gerufen wird. Der zuerst vertrauenerweckende Ruf des Vaters und seine scheinbar helfend ausgestreckte Hand werden jedoch gleich darauf befehlend, ja fordernd.

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Aus der einen Hand des Vaters werden plötzlich viele, das Gefühl der Bedrohung und Verletzlichkeit wird überwältigend, vor allem weil der Zuschauer nicht weiß, dass die Hände nicht nach Nausicaä ausgestreckt sind, sondern nach der jungen Ohmu, das sie vor den Menschen und ihrem eigenen Vater beschützt und versteckt hält.

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Nicht nur diese Szenen, der ganze Film bezieht einen großen Teil seiner Faszination aus der kongenialen Musik Hisaishis, der bis heute die Musik zu allen weiteren Filmen Miyazakis (und auch zu einigen von Takeshi Kitano, etwa Hana-Bi) beitrug.

Um die Geschichte von Nausicaä überhaupt als Film realisieren zu können, zeichnete Miyazaki sie zuerst als mehrbändigen Manga, dessen Erfolg es ihm dann ermöglichte, die Produzenten von der Finanzierung dieses ungewöhnlichen Animes überzeugen zu können. Das Ergebnis ist wahrhaft ein Meilenstein, diesen Film muss man gesehen haben!

Original: Tonari no totoro, (1988) von Hayao Miyazakidustbunny

Mein Nachbar Totoro ist wahrscheinlich der schönste Film – im Sinne von rundum glücklich machendem Wohlfühlkino – den ich je gesehen habe! Auch nach drei Jahren, die ich den Film kenne und in denen ich ihn bestimmt ein halbes Dutzend Mal gesehen habe, weine ich in manchen der anrührenden, liebevollen und atemberaubend schönen Szenen wie ein kleines Kind.

Es geht um zwei junge Schwestern, Satsuki und Mei, die mit ihrem Vater ein Haus auf dem Land beziehen, während ihre Mutter im Krankenhaus ist. Bald entdecken die beiden, dass in dem großen Baum hinter dem Haus der Waldgeist Totoro wohnt, mit dem sie sich anfreunden. Totoro erweist sich als sehr hilfreich, als die kleine Mei ausreißt, und ebenso, als die Schwestern ihre Mutter im Krankenhaus besuchen möchten, denn er kann – wie es sich für einen Geist gehört – fliegen. Außerdem kann er den Katzenbus rufen… einfach ein toller Geist!

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Das Wunderbare an Totoro ist, dass er ohne all die Disney-Klischees auskommt: Es gibt keine Bösewichte, keinen gemeinen Stiefvater, keine Rabenmutter. Satsuki und Mei leben in einer völlig normalen Welt (ok, mit Geistern) ohne all die konstruierten Konflikte und Abenteuer, die sonst die Handlung eines Films tragen, und müssen sich mit den Problemen und Herausforderungen des normalen Lebens herumschlagen.

Besonders Satsuki wird dabei auf eine harte Probe gestellt, muss sie doch in Abwesenheit der Mutter viel Verantwortung im Haushalt und für ihre kleine Schwester Mei übernehmen. Sie bewältigt diese Aufgaben auch mit Bravour, bis sie von einer Verschlechterung des Zustands der Mutter erfahren. In der entstehenden Krisensituation verliert sie erstmals die Nerven und beschimpft Mei, die daraufhin ausreißt. Die Sorge um Mei und das Gefühl, ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein, treibt Satsuki zu einer verzweifelten, dramatischen Suche (Miyazaki kontrastiert die innere Spannung und Verzeiflung Meis in diesem Teil des Films mit bezaubernd schönen Bildern). Als letztes Mittel wendet sie sich schließlich an Totoro, der ihr und Mei aus der Patsche hilft.

Wie in vielen Filmen Miyazakis ist das harmonische Nebeneinander von Mensch und Natur ein zentrales Thema. Im Gegensatz zu anderen Filmen muss hier um diese Harmonie aber nicht hart gekämpft werden, sie stellt sich durch die kindliche Aufgeschlossenheit und Neugier der beiden Mädchen auf ganz natürlich Art und Weise von selbst ein. Damit ist die Botschaft von Totoro etwas anders nuanciert als bei Miyazakis sonstigen Filmen, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur befassen.

Daneben begeistert Mein Nachbar Totoro durch seine originellen, unglaublich fantasiereichen Details. Allein der Katzenbus ist es wert, dass man sich den Film anschaut! Und natürlich ist er der perfekte Film für Kinder, aber auch junggebliebene Erwachsene werden ihre Freude daran haben!

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Was ein Timing! Gerade fange ich an, mich hier im Blog ausführlicher mit Anime im Allgemeinen und – zum Einstieg – mit Hayao Miyazaki im Besonderen zu beschäftigen, da wird offiziell das neue Projekt des Anime-Meisters vorgestellt. Bereits seit vergangenem Oktober laufen die Arbeiten an Gake no ue no Ponyo (Ponyo on a cliff), im Sommer nächsten Jahres soll er dann in die Kinos kommen. Der Film basiert auf einer chinesischen Legende und dreht sich um den fünfjährigen Sosuke und die Goldfischprinzessin Ponyo, die ein Mensch werden möchte.

Via GhibliWorld

Original: Mononoke Hime (1997), von Hayao Miyazaki

Mit Prinzessin Mononoke fing alles an. Knapp fünf Jahre ist es her, dass ich ihn das erste Mal auf Video gesehen habe, und dieses Erlebnis war für mich wie eine Offenbarung! Dieser Film hatte so gar nichts mit den Animationsfilmen gemein, die ich bis dahin gesehen hatte (sprich: Disney und Pixar) und war so viel durchdachter, tiefgehender und menschlicher, dass ich mir wie ein Zweitliga-Kicker vorkam, den es plötzlich in die Nationalmannschaft verschlagen hat.

Wie immer bei Miyazaki ist die Welt des Films eine Mischung aus historischer Realität und dem Reich der Magie: Prinz Ashitaka rettet sein Dorf vor dem Angriff eines Dämons, wird dabei aber mit einem Fluch belegt. Auf der Suche nach dem Ursprung des Dämons stößt er auf eine Stadt, die Erzvorkommen ausbeutet und deren Herrin Eboshi Gewehre herstellt und damit die alten Waldgeister bekämpft. Auf der Seite des Waldes und seiner Tiere kämpft San, von den Menschen Prinzessin Mononoke genannt, in die Ashitaka sich sofort verliebt, wodurch er sich zwischen alle Fronten gerät.

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Die Geschichte ist sehr komplex, definitiv nicht für kleine Kinder geeignet (es fließt reichlich Blut) und unglaublich faszinierend! Auch das kleinste Detail ist wunderschön gezeichnet, die Landschaftsbilder sind atemberaubend und die Charaktere glaubwürdig und im Gegensatz zu US-Filmen nicht in ein schwarz-weiß-Schema von gut gegen böse gepresst. Beispielsweise befreit die scheinbar böse Eboshi Frauen aus der Prostitution, um ihnen ein neues Leben zu ermöglichen, und kümmert sich rührend um Leprakranke. So hat jeder Charakter seine guten, aber auch seine schlechten Seiten.

Miyazaki klagt in Prinzessin Mononoke vor allem den Raubbau an der Natur aus egoistischen Motiven und kurzfristigem Gewinndenken an, sowie die Unfähigkeit der Menschen, in Harmonie untereinander und mit der Natur zu leben. Er plädiert für einen Neubeginn, eine neue Kultur und ein neues Bewusstsein im Umgang mit der Natur aber auch mit den Menschen. Er ist sich im Klaren, dass er sich damit Feinde auf beiden Seiten macht.

Dieses Dilemma verkörpert Ashitaka, der erkennt, dass sowohl die Menschen der Stadt als auch die Tiere und Geister des Waldes ihre Daseinsberechtigung haben. Damit stößt er sowohl bei Eboshi als auch bei San auf Unverständnis, phasenweise gar Hass. Der auf ihm lastende Fluch ist damit nicht nur dämonischer Zorn angesichts von Starrsinn und Zerstörung, sondern auch die schwere Erkenntnis, dass nur in der harmonischen Koexistenz von Mensch und Natur ein Ausweg aus den blutigen Kämpfen liegt. Ashitakas schwierige Aufgabe ist es, diese Erkenntnis zu verbreiten.

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Immer wieder zeigt Miyazaki uns die durch den Fluch verunstaltete Hand des Helden, als wollte er uns auffordern, etwas zu tun, um diesen Fluch abzuwaschen. Erst ganz am – zwar glücklichen aber dennoch sehr nachdenklich stimmenden – Ende des Films, als alle Beteiligten ihre Verfehlungen eingesehen haben und zu einem Neubeginn bereit sind (bzw. dazu gezwungen wurden), verschwindet der Fluch. Ashitaka hat etwas bewirkt, eine Veränderung im Bewusstsein der Menschen angestoßen und den Weg in eine bessere Zukunft aufgezeigt.

Die Kernbotschaft von Mononoke ist damit umrissen; der Film ist jedoch so vielschichtig, dass ich ein ganzes Buch schreiben könnte, aber das schaffe ich heute Abend nicht mehr.