Teil I zu Anime vor 1960 lesen

Toei Doga, das führende japanische Animationsstudio zu Anfang der 1960er Jahre, musste erkennen, dass seine Adaptionen traditioneller asiatischer Sagen und Legenden international nicht zu vermarkten waren. Deshalb änderte das Studio seine Strategie und griff nun auch auf westliche Erzählungen (Gulliver€™ s Travels beyond the Moon) und Sci-Fi-Mangas zurück: Cyborg 009 von Shotaro Ishinomori wurde 1966 ein riesiger Erfolg, auf den eine Fortsetzung und eine TV-Serie folgten.

Spezialist für TV-Serien war jedoch Mushi Pro, das Studio des „Manga no Kamisama“ Osamu Tezuka, dessen Manga Astro Boy in 193 Episoden für das Fernsehen umgesetzt wurde. Tezuka war seit den früher 1950er Jahren der erfolgreichste Manga-Zeichner überhaupt und revolutionierte durch seinen dynamischen, filmische Elemente aufgreifenden Stil (dramatische Blickwinkel, Wechsel von Totalen und Detailansichten) die bisher hauptsächlich auf statischen Bildern basierende Manga-Welt. Auch die heute für Manga und Anime typischen großen Augen der Charaktere gehen auf Tezuka zurück.

Mit der wachsenden Beliebtheit der TV-Serien Ende der 1960er Jahre begannen sich dann auch erste Genres herauszubilden: Sally the Little Witch war die erste speziell für Mädchen konzipierte Serie, Princess Knight die erste romantische Serie für Mädchen (shojo) und Tomorrow€™s Joe die erste Sportserie für Jungs. 1969 wurde dann die erste Folge von Sazae san ausgestrahlt, einer Comedy-Serie für Hausfrauen, die bis heute ununterbrochen produziert wird! In diesem Umfeld kam auch erstmals der Begriff Anime auf, eine Verkürzung des englischen „animation“.

Während der 70er Jahre waren TV-Serien das dominierende Format, das sich zunehmend nicht nur an Kinder sondern auch an Jugendliche und Erwachsene wandte und sich dazu vor allem Science-Fiction Geschichten bediente, aus denen sich ein neues Genre um gigantische Roboter (mecha) entwickelte. Die erste derartige Serie war Mazinger Z, von der ab 1972 in fünf Jahren 222 Folgen produziert wurden. Ende der 70er Jahre existierten nicht weniger als 40 Mecha-Serien sowie zahlreiche weitere Sci-Fi Abenteuer-Serien wie Space Battleship Yamamoto oder Galaxy Express 999.

Die zu dieser Zeit entstandenen Spielfilme waren überwiegend Spin-Offs der populärsten TV-Serien (Galaxy Express 999 oder die Lupin III-Reihe), die sich in immer neuen Genres ausdifferenzierten. Einige Künstler wie Rintaro, Isao Takahata und insbesondere Hayao Miyazaki, waren nach der Realisierung von Spielfilmen mit der Arbeit an Serien allein aber nicht mehr zufrieden. Sie begannen Anfang der 1980er Jahre, neue Maßstäbe in der Adaption von Mangas für die Kinoleinwand zu setzen.

Der grandiose Erfolg von Miyazakis Nausicaä aus dem Tal der Winde ermöglichte 1985 die Gründung des Studio Ghibli, das sich seitdem unter der Leitung von Miyzaki und Takahata ganz der Produktion von abendfüllenden Spielfilmen widmet. Meilensteine des Studios, das besonders für seine unermüdliche Perfektionierung handgemalter Filme bekannt ist, waren Filme wie Hotaru no haka, Porco Rosso und Mononoke Hime.

Für die gestiegene internationale Bekanntheit der Anime war jedoch der Erfolg eines Films entscheidend: Akira. Dem 1988 gezeigten, unter der Leitung von Katsushiro Otomo auf der Basis seines eigenen Manga entstandenen Film gelang es dank seiner düsteren, sozialkritischen Geschichte und der perfekten Animation erstmals, auch im Westen ein erwachsenes Publikum zu begeistern. Ähnlich einflussreich war der ebenfalls Sci-Fi-Themen aufgreifende Ghost in the Shell von 1995.

Die Weiterentwicklung und zunehmende Reife von Computergrafiken ermöglichte seit den späten 1990er Jahren zwei neue Entwicklungen: Zum einen die Verwendung von computergenerierten 3D-Grafiken in Animes, die ein komplett neues Seherlebnis und eine hyper-realistische Repräsentation, wie etwa in Robotic Angel, ermöglichte. Zum anderen aber auch die Adaption von ursprünglich aus Computerspielen hervorgegangenen Figuren und Geschichten. Prominentestes Beispiel dafür ist die Pokemon-Reihe.

In der jüngeren Vergangenheit gab es eine Tendenz zu kürzeren TV-Serien mit nur etwa 10-20 Folgen, die auf spektakuläre CGI-Bilder und komplexe Erzählkonstruktionen setzten, wie etwa Texhnolyze oder Serial Experiments: Lain. Und auch bei den Spielfilmen werden neue Akzente gesetzt, beispielsweise durch Newcomer Satoshi Kon, Protegé des Akira-Schöpfers Otomo, der mit Filmen wie Tokyo Godfathers und Sennen joyu dazu beitrug, dass sich Anime auch jenseits des Sci-Fi-Genres weiterentwickeln.