Archive for the ‘Jidaigeki Filme’ Category

Ran

Original: Ran (1985) von Akira Kurosawa

Jahrelang hatte Kurosawa Geld gesammelt, Storyboards und Designstudien entwickelt, um sich auf dieses Projekt vorzubereiten, das die Krönung seines filmischen Schaffens werden sollte. Er ging sogar so weit, seinen vorhergehenden Film Kagemusha, der immerhin die Goldene Palme in Cannes gewann und für den Oscar nominiert war, als bloßen Testlauf für Ran zu bezeichnen. Und hat er erreicht, was ihm vorschwebte, nämlich sein Werk zu krönen? In mancher Hinsicht: ja.

Ran basiert auf Shakespeares Drama König Lear, versetzt die Handlung jedoch ins Japan des 16. Jahrhunderts. Der alternde Fürst Hidetora (Tatsuya Nakadai) beschließt, abzutreten und sein Reich unter seinen drei Söhnen aufzuteilen. Sein jüngster Sohn Saburo (Daisuke Ryu) hält nichts von diesem Plan und spricht seine Zweifel offen aus, weshalb Hidetora ihn verstößt. Doch schon bald erweist sich Saburos Skepsis als wohlbegründet, da die beiden Brüder Taro (Akira Terao) und Jiro (Jinpachi Nezu), getrieben von Ehrgeiz, Neid, Gier und der schönen aber hinterhältigen und skupellosen Lady Kaede (Mieko Harada) sich zuerst gegen Hidetora verbünden, ihn aus seinem Reich vertreiben und sich dann gegenseitig bekämpfen.

Dem Wahnsinn verfallen streift Hidetora durch sein zerfallendes Reich, begleitet und beschützt von einem treuen Vasallen und seinem philosophierenden Hofnarren. Während er von allen seinen Sünden, Schandtaten und dem Blutvergießen der Vergangenheit eingeholt wird, erkennt Hidetora, dass allein Saburo, sein von ihm selbst verstoßener Sohn, ihn wirklich liebte. Als dieser, unterstützt von einem benachbarten Fürsten, zurückkehrt, um seinen Vater zu retten, kommt es endgültig zum blutigen Untergang der Familie.

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Kurosawa baut den Spannungsbogen langsam und gemächlich auf, die erste Hälfte des Films ist geprägt von Gesprächen Hidetoras mit seinen Söhnen und den Ratgebern sowie den von Kaede gesponnenen Intrigen am Hof, die zu Hidetoras Isolation und Rückzug auf eine einsame Burg führen. Wie aus dem Nichts bricht dann über Hidetora das Schicksal in Form eines Angriffs seiner Söhne, und über den Zuschauer eine Schlacht herein, wie es so noch keine gab.

Im Gegensatz zu den realistisch dargestellten Schlachten, die Kurosawa früher in Die Sieben Samurai oder Die verborgene Festung inszenierte, ist diese sehr stark stilisiert. Kurosawa verzichtet auf diegetischen Ton, nur die klagende Musik Toru Takemitsus liegt in der Luft und die Bilder sind fast ganz in Grautönen gehalten, vom Rot des vergossenen Blutes abgesehen. Und das Blut fließt in Strömen! In drastischen, alptraumhaften Bildern zeigt Kurosawa verstümmelte Kämpfer, hingemetzelte Konkubinen, abgehackte Gliedmaßen und brennende Körper. Krieg wird als abartige, barbarische Selbstzerstörung der Menschen thematisiert und die Welt als ein Ort dargestellt, an dem Werte nichts mehr gelten und die Menschheit am Abgrund steht. Besonders eindrücklich zeigt dies die Schlusszene, in der ein Blinder – verlassen vom Glauben und seinen ermordeten Mitmenschen – auf sich allein gestellt am Rand eines Abgrunds taumelt.

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Wie in keinem anderen Film zuvor inszeniert Kurosawa eine alptraumhafte Welt voll surrealer Bilder, die dem Zuschauer die kommentierende, pessimistische Perspektive des Regisseurs regelrecht aufdrängen. Exemplarisch dafür stehen neben der erwähnten Schlacht auch das im Screenshot gezeigte Abgleiten Hidetoras in den Wahnsinn, als er buchstäblich von den Armeen seiner Söhne durch die Hölle geschickt wird. Auch Dialoge sind voll von Verzweiflung und Resignation. Beispiele gefällig? „Der Mensch zieht Trauer der Freude vor, und Leiden dem Frieden.“ Oder: „Der Mensch wird weinend geboren. Wenn er genug geweint hat, stirbt er.“

Mit seiner verzweifelten Stimmung und düsteren Thematik stellt Ran zweifelsohne den Höhepunkt von Kurosawas pessimistischer Phase der 1970er und 80er Jahre dar, in der er sich völlig von seinem in Filmen wie Ikiru oder Yojimbo zum Ausdruck gebrachten Credo, menschliches Handeln und der menschliche Wille könnten alle Hürden überwinden, lossagte. Doch Ran ist nicht nur in dieser Hinsicht ein außergewöhnliches Werk Kurosawas.

Einzigartig ist auch die starke Verfremdung, Schematisierung und Generalisierung der Charaktere. Drei Söhne, denen jeweils eine Farbe fest zugeordnet ist, blau für Saburo, rot für Jiro und gelb für Taro und die idealtypische, konzentrierte Verkörperung menschlicher Eigenschaften und Gefühle durch bestimmte Personen: Ehrgeiz bei Jiro, Selbstlosigkeit und Loyalität bei Kurogane, Grausamkeit und Hinterhältigkeit bei Lady Kaede, Großmut und Güte bei Lady Sue, Aufrichtigkeit bei Saburo. Dies will so gar nicht zu den vielschichtigen, vom Kampf mit sich selbst und dem Ringen von Gut und Böse gekennzeichneten Charakteren früherer Filme passen, die immer auch für die Entwicklung von Persönlichkeit standen. Ran dagegen wird durch diese Abstraktion menschlicher Charakterzüge und ihre Projektion auf einzelne Personen sowie die surreale Atmosphäre zu einer Parabel menschlichen Handelns.

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Mit dieser außergewöhnlichen Abstraktion erreicht Kurosawas Schaffen tatsächlich einen besonderen Höhepunkt. Ganz anders als in früheren Filmen wie etwa Rotbart, in denen die dem Zuschauer vermittelte Lektion immer eine emphatische Komponente hatte, ist Ran nur intellektuell zu erfassen. Es gibt niemanden, mit dem man sich identifizieren, niemanden mit dem man mitfühlen könnte. Der Zuschauer wird immer auf Distanz gehalten während Kurosawa die Abgründe der menschlichen Seele seziert.

Zudem überragt die schiere Bildgewalt von Ran alle anderen Filme Kurosawas: Die grausamen Schlachten, die grandiosen Panoramen, die stilisierten, an das Noh-Theater angelehnten Auftritte von Kaede und das verstörende Ende suchen ihresgleichen. Doch so sehr der Film visuell und intellektuell auch beeindruckt, etwas fehlt. Nämlich eben die in seinen früheren Filmen immer spürbare Begeisterung und Anteilnahme an der Entwicklung seiner Helden sowie der Glaube, etwas bewirken zu können.

Mit Ran erreichte Kurosawa zwar zweifelsohne einen Gipfel seines Schaffens, um seine Botschaft unmissverständlich zu vermitteln opferte er aber Menschlichkeit, Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit. So kann Ran, bei all seiner atemberaubenden Ästhetik und brillanten Abstraktion, niemals dieselbe Faszination und Begeisterung wie Die Sieben Samurai, Ikiru oder Rotbart im Zuschauer wecken.

Original: Ninjo kami fusen (1937) von Sadao Yamanaka

Im Alter von nur 29 Jahren starb Regisseur Sadao Yamanaka an der Front in China, lediglich eine Handvoll Filme hatte er bis dahin gedreht. Humanity and Paper Balloons zeigt eindrucksvoll, welch großer Verlust sein früher Tod für das japanische Kino war.

Der Film beginnt mit einem Selbstmord in einem Armenviertel Edos, dessen Bewohner uns in den ersten Minuten vorgestellt werden. Nach und nach kristallisieren sich zwei Hauptcharaktere heraus: Matajuro, ein verarmter, herrenloser Samurai, sowie dessen Nachbar Shinza, ein Friseur, der sich mit allerlei krummen Geschäften über Wasser hält. Die Schicksale der beiden begegnen sich, als Shinza die Tochter eines reichen Händlers, die gegen ihren Willen mit einem Samurai verheiratet werden soll, mit deren stillschweigender Zustimmung „entführt“ und Matajuro ihm dabei behilflich ist.

Beiden geht es dabei nicht um das Lösegeld, sondern um Genugtuung: Shinza hat mit dem Yakuza, der die Tochter schützen soll, noch eine Rechnung offen; Matajuro wurde vom Vermittler der Hochzeit erniedrigt. Für einen kurzen Moment können die beiden triumphieren, doch der Film endet wie er begann, mit dem einzigen Ausweg, der sich der Unterschicht bietet: Selbstmord und Tod.

An Matajuros und Shinzas Beispielen zeigt Regisseur Yamanaka idealtypisch zwei Arten, mit dem harten Leben am Rande der Gesellschaft umzugehen. Während Matajuro, der ehemalige Samurai, sein Leben als einen Abstieg erfährt und unter der damit einhergehenden Erniedrigung still leidet, seine Niederlagen auf der Suche nach einer Anstellung seiner Frau verschweigt und immer mehr verzweifelt, macht Shinza (wie die meisten Nachbarn) das beste aus dem Augenblick. Er versucht, die wenigen sonnigen Momente zu genießen und seine Selbstachtung zu wahren, organisiert Feste für die Nachbarschaft, sobald er zu etwas Geld gekommen ist, schlägt seinem Vermieter ein Schnippchen nach dem anderen und wagt es sogar, sich mit der Bande des Yakuza-Chefs anzulegen.

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Doch keiner der beiden hat eine Chance, dem Armenviertel zu entkommen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Menschen, die Yamanaka mit wenigen Gesten so warm ausgestaltet, dass man sie schon nach ein paar Minuten ins Herz geschlossen hat, sind nichts als Spielbälle derjenigen, die in der sozialen Rangordnung oben stehen.

Wunderbar zum Ausdruck kommt dies in der Schlussszene, in der einer der von Matajuros Frau gefertigten Papierballons nach deren Tod auf die Straße und dort in einen Kanal geweht wird. In dieser Einstellung greift Yamanaka das im Lauf des Films immer wieder kehrende Motiv der Menschen auf der Straße auf, von Verkäufern, Hausfrauen und Kindern, gefangen zwischen den die Straße eng begrenzenden Hauswänden und konstruiert einen unübersehbaren Parallelismus.

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Mit großem Einfühlungsvermögen, das zu keiner Zeit auf billiges Mitleid abzielt oder es auf unsere Tränendrüsen abgesehen hat, schildert Humanity and Paper Balloons das harte, von Ungerechtigkeiten, Entbehrungen und Erniedrigungen durch die Reichen und Mächtigen gezeichnete Leben der Unterprivilegierten. Dazu gehört durchaus auch die Tochter aus reichem Hause, die ihre Gefühle zugunsten von Standesdenken und dem strategischen Kalkül der Männer opfern muss.

Yamanakas Kritik an einer von Männern dominierten Gesellschaft, welche mittels Macht, Geld und notfalls auch Einsatz von Gewalt ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen und dabei das Leid und die Verzweiflung der Schwachen billigend in Kauf nehmen, ist eine der Sternstunden des Jidaigeki-Genres. Es bleibt zu hoffen, dass noch weitere Filme aus dem viel zu kleinen Werk dieses hochtalentierten Regisseurs in ähnlicher Qualität zugänglich gemacht werden.

Rotbart

Original: Akahige (1965) von Akira Kurosawa

Es gibt diese ganz seltenen Filme, die dem Zuschauer mit aller Brutalität die Grausamkeit und Unerträglichkeit des Lebens vor Augen führen und gleichzeitig dessen einzigartige Schönheit zelebrieren und klar machen, warum das Leben trotz aller Beschwernis in jeder Sekunde lebenswert ist. So ein Juwel ist Rotbart.

Der junge Arzt Yasumoto (Yuzo Kayama) tritt nach dem Ende seines Studiums eine Stelle in einem ländlichen Armen-Hospital an. Obwohl völlig unerfahren, tritt er hochnäsig und eingebildet auf und weigert sich zunächst, seinen Pflichten nachzukommen und sich den strikten Regeln des „Rotbart“ genannten Chefarztes Niide (Toshiro Mifune) zu unterwerfen. Für diesen stehen immer die Patienten an erster Stelle, zudem hat er ganz eigene Ansichten über das Leben und die Heilung der physischen und psychischen Wunden, die es den Menschen zufügt.

Je mehr Yasumoto jedoch erlebt, wie selbstlos Niide Gutes tut und sich für seine Patienten einsetzt und je mehr er selbst über das Leben und die Arbeit eines Arztes erfährt, um so mehr beginnt er, Niide zu achten. Als er dann seinen ersten eigenen Patienten, das junge, in einem Bordell misshandelte Mädchen Otoyo, zugewiesen bekommt, beginnt er, in Niides Fußstapfen zu treten und dessen Lektionen selbst zu leben und an Otoyo weiterzugeben.

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Symbol der Güte, der Hilfsbereitschaft und der Erkenntnis des Guten selbst wird in Rotbart das Licht einer einzelnen Kerze. In fast allen für die Entwicklung der „Schüler“ Yasumoto und später Otoyo wichtigen Szenen brennt eine Kerze: In den Gesprächen zwischen Niide und Yasumoto, während Yasumoto die junge Otoyo pflegt und schließlich, als das Mädchen beginnt, seine traumatische Vergangenheit zu überwinden und das Gute zunächst in Yasumoto und dann auch in sich selbst zu erkennen und diese Güte zurück- und weiterzugeben.

So wie Niide anfangs Yasumoto zum Schüler nahm und ihn die Erkenntnis des Guten lehrte, so nimmt sich Yasumoto die junge Otoyo zur Schülerin, und diese wiederum einen kleinen Jungen. Kurosawa entzündet gewissermaßen eine Kerze für das Gute und zeigt uns, wie sich diese kleine Flamme in einer Art Lichterkette von Mensch zu Mensch ausbreitet.

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Dass Rotbart trotz dieser scheinbar banalen humanistischen Botschaft niemals in Banalitäten abgleitet, liegt zum einen daran, dass der Weg zur Erkenntnis des Guten steinig ist. Wie so oft demonstriert Kurosawa dies mittels des Verhältnisses von Schüler und Meister.

Niide bietet mit seiner nach außern hin abweisenden, zynischen Art reichlich Reibungsfläche für den jungen Yasumoto, der aber bald erkennt, dass unter der rauen Haut Niides ein unermüdlicher Kämpfer für das Gute steckt. Die anhand der furchtbaren Schicksale der Patienten (Vergewaltigungen, Misshandlungen, zerrissene Familien, Selbstmorde) demonstrierte unerträgliche Realität ignoriert Niide mit unendlicher Sturheit und Geduld. Nichts kann ihn davon abbringen, Menschen zu helfen und ihnen Gutes zu tun.

Zum anderen zeigt Kurosawa aber auch die Schattenseiten von Niides Kampf für das Gute: Dieser legt nicht nur sich selbst und seinen Ärzten ein asketisches Leben auf sondern greift auch zu Lügen und Erpressung und prügelt zur Not auch ein paar Schurken krankenhausreif. Er ist sich der Zwiespältigkeit seines Tuns bewusst und es ist für ihn nicht immer leicht, damit umzugehen. Doch er hat für sich entschieden, was „das Gute“ ist, handelt entsprechend und verleiht dadurch seinem Leben Sinn. Yasumotos schwere Aufgabe besteht darin, ihm auf diesem Weg zu folgen.

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Doch Kurosawa beschäftigt sich nicht nur mit seinem Dauerthema Schüler-Lehrer, er berichtet auch konsequent und mit verschiedenen Mitteln (Erzählungen aus erster oder zweiter Hand, ausgedehnte Flashbacks) von den Schicksalen der Patienten. So etwa das einer Frau, die in ihrer Kindheit wiederholt vergewaltigt wurde und in der Folge mehrere Männer nach dem Geschlechtsakt ermordete.

Im Kontrast dazu stehen einige Szenen, die wenig Bedeutung für die Entwicklung der Geschichte oder der Charaktere haben, deren pure Schönheit aber zum Sinnbild für die Möglichkeit eines erfüllten, glücklichen und sinnspendenden Lebens werden.

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Bei der Bildkomposition auffallend ist die selbst für Kurosawa exzessive Verwendung von Ojektiven mit extrem langer Brennweite. In zahlreichen Szenen verschmelzen Vorder- und Hintergrund zu einer Ebene und der dargestellte Raum wird extrem komprimiert, was vereinzelt zu Desorientierung des Zuschauers führen kann, etwa wenn in einer Einstellung Yasumoto direkt vor der Tür zu sitzen scheint und in der nächsten, aus anderer Perspektive gezeigten Einstellung plötzlich klar wird, dass er sich in Wirklichkeit mitten im Raum befindet.

Besonderen Gebrauch macht Kurosawa in Rotbart von Sound und Musik. Das wird bereits während des Vorspanns deutlich, in dem in Großaufnahme die Dächer der Klinik und der Stadt gezeigt werden. Die darüber gelegte Titelmusik bricht jedoch immer wieder ab und Geräusche aus Stadt und Natur werden hörbar. Solche immer wieder eingestreuten Hintergrundgeräusche machen die Welt des Films auch akustisch greifbar. Die zauberhaft leichte, geradezu beschwingte Musik von Masaru Sato kommt nur in seltenen Momenten zum Einsatz, benötigt dann aber nur wenige Akkorde, um ihre ganze Emotionalität zu entfalten und unterstützt die Wirkung der Bilder hervorragend.

Das Zusammenspiel der brillanten Bilder mit der berührenden Musik und den akustischen Effekten schafft immer wieder Momente von exquisiter Schönheit. Den entstehenden Konflikt mit den dargestellten deprimierenden Einzelschicksalen löst Kurosawa durch die Rotbart und vielen anderen seiner Filme zu Grunde liegende Botschaft auf: Selbsterkenntnis, Hingabe an ein höheres Ziel und Einsatz für die Verbesserung gesellschaftlicher Umstände machen das Leben trotz aller Beschwernis lebenswert und ermöglichen es, seine Schönheit zu erfahren.

Original: Genroku chushingura (1941), Kenji Mizoguchi

Wie angekündigt ein paar Worte zu einem weiteren Film von Mizoguchi, dem ältesten den ich bisher gesehen habe. Klarstellung vorneweg: Dieser Film entspricht in keiner Weise dem, was westliche Zuschauer gewöhnlich unter einem „Samurai-Film“ verstehen, Schwertämpfe spielen hier keine Rolle. Es geht vielmehr um Werte wie Ehre, Loyalität und Standhaftigkeit, die alle durch Dialoge und Rituale statt durch Handeln zum Ausdruck gebracht werden.

Handlung

Der Film basiert auf einer Legende, die in Japan einen ähnlichen Stellenwert genießt wie etwa die Ritter der Tafelrunde in Europa und die unzählige Male verfilmt wurde. Im Jahr 1701 wird Fürst Asano (Yoshizaburo Arashi) mit der Durchführung von Feierlichkeiten am Hof des Shoguns betraut und soll dabei von dem in Hofetikette erfahrenen Kira (Mantoyo Mimasu) unterstützt werden. Doch Kira versagt dem Neuling Asano wichtige Hinweise, worauf dieser sich am Hofe blamiert und einen Anschlag auf Kira verübt.
Weil er das Friedensgebot am Hof verletzt hat, wird Asano zum Tode verurteilt und sein Clan aufgelöst, was alle seine Vasallen und Samurai zu Ronin, herrenlosen Kämpfern, macht. Unter Führung von Oishi Kuanosuke (Chojuro Kawarasaki) schließen sich 47 von ihnen zusammen, um ihren Herrn zu rächen. Nach einer Zeit voll bangen Wartens und Entbehrungen ergreifen sie eine günstige Gelegenheit, überfallen Kiras Residenz und töten ihn. Anschließend stellen sie sich der Justiz und folgen ihrem Herrn in den Tod.

Kritik
Zwei Dinge machen Chushingura so außergewöhnlich:

  • Die vier Stunden Lauflänge des (ursprünglich zweiteiligen Films) werden vollständig mit Dialogen und Ritualen gefüllt, €žAction€œ im klassischen Sinne kommt praktisch nicht vor. Trotzdem ist der Film nie langweilig, was nicht zuletzt an Punkt 2 liegt:
  • Mizoguchis visueller Stil. Noch viel stärker als bei seinen Filmen aus den 50er Jahren, die ich bisher gesehen habe, zeigt sich hier seine filmische, erzählerische und ästhetische Brillanz.

Die Ästhetik des Films besticht durch eine außergewöhnliche Ruhe, Langsamkeit und Distanziertheit. Bereits in der Eröffnungssequenz wird der Zuschauer auf diese kontemplative Atmosphäre vorbereitet:
Die Kamera fährt – so langsam, dass es für heutige Zuschauer eigentlich nur in FastForward erträglich ist – entlang eines Innenhofs, der im Stil der berühmten Zen-Gärten gestaltet ist. Die Kamera schwenkt dann auf Kira und zeigt den Angriff Asanos. Drei Minuten, alles ohne Cut!

Brillant auch eine spätere Szene, in der Asano zum Gericht geführt wird. Vor dem Tor wartet einer seiner Samurai, von dem er sich verabschiedet, ehe er im Innenhof verschwindet. Die Kamera fährt nach oben, so dass zwei Handlungsebenen im Bild erkennbar werden: Im unteren Teil des Bildes der vor der Mauer kauernde Samurai, im oberen Asano selbst, wie er seinen Richtern gegenübertritt. Durch den Dachfirst der Hofmauer wird das Bild entsprechend der beiden Handlungsebenen auch visuell in zwei Hälften geteilt €“ wahrscheinlich die erste Anwendung des Split-Screen.

Das – bei einem jidai-geki – überraschende Fehlen von Action hängt damit zusammen, dass es Mizoguchi vor allem darum geht, die persönlichen Konflikte zu schildern, die sich für alle Charaktere aus Asanos Verurteilung ergeben. Die zentrale Frage, der sich die Samurai gegenüber sehen, ist die nach dem ethisch-moralisch angemessenen Handeln. Sobald diese Frage entschieden ist, wird die Ausführung der Handlung zur Banalität, die sich off-screen ereignet – nach Hollywood-Konventionen undenkbar!

Wegen dieser inhaltlichen und ästhetischen Konsequenz frage ich mich, ob Noel Burch vielleicht doch Recht hat mit seiner Behauptung, die frühen Mizoguchi-Filme seien sehr viel visionärer als die im Westen bekannten Spätwerke wie Ugetsu. Bisher konnte ich mir das gar nicht vorstellen, aber nachdem ich Chushingura gesehen habe…

Ein interessantes Detail: Der Film wurde von den Zensurbehörden im Krieg stark gefördert (man muss sich nur die unglaublich aufwändigen Bauten ansehen). Einerseits ist das nachvollziehbar, lässt Mizoguchi doch den Ehrenkodex der Samurai hochleben. Andererseits wird vor allem im ersten Teil die Ungerechtigkeit der Regierung und die Pflicht, sich solcher Ungerechtigkeit zu widersetzen, thematisiert. Eigentlich erstaunlich, dass diese Teile nicht der Zensur zum Opfer gefallen sind.