Archive for the ‘Jidaigeki Filme’ Category

Original: Saikaku ichidai onna, (1952) von Kenji Mizoguchi

Am Ende ihres Lebens blickt Oharu (Kinuyo Tanaka) auf ihre Jugend als Hofdame in Edo zurück, wie sie sich in Katsunosuke (Toshiro Mifune) verliebte, der jedoch einem niederen Stand angehörte, wie sie und ihre Familie wegen dieser Affäre in die Verbannung geschickt wurden und sie daraufhin ein lebenslanges Martyrium aus Ausbeutung, Erniedrigung und Missbrauch durchstehen musste. Als Konkubine eines mächtigen Fürsten sollte sie diesem einen Erben schenken, doch als der geboren ist, wird sie vom Hof vertrieben. Ihr permanent in Selbstmitleid schwelgender Vater verkauft sie in die Prostitution, sie wird als Dienerin eines reichen Händlers von dessen Frau misshandelt und von ihm missbraucht.

Screenshot Life of Oharu 2

Als sie endlich einen Mann findet, der sie aufrichtig liebt und für den ihre Vergangenheit keine Rolle spielt, währt das Glück – wie könnte es anders sein – nicht lange: Er wird wegen ein bisschen Geld ermordert, der Besitz fällt an seine Familie und Oharu zieht sich verzweifelt zu den Nonnen in einen Tempel zurück. Doch ihre Vergangenheit holt sie ein, erneut wird sie ausgestoßen und landet als Bettlerin und Prostituierte auf der Straße.

Mizoguchis Das Leben der Frau Oharu basiert auf dem 1686 von Ihara Saikaku verfassten Roman Kōshoku Ichidai Onna (Das Leben einer amourösen Frau). Saikaku war besonders für komödiantisch-erotische Geschichten aus dem Leben der aufstrebenden Händlerschicht bekannt, und auch dieses Werk ist Mark Le Fanu zufolge eine Aneinanderreihung erotischer Abenteuer der Heldin. Insofern stellt Mizoguchis tragische Herangehensweise an den Stoff eine atemberaubende 180-Grad-Wendung dar: Er stellt den Charakter der Geschichte komplett auf den Kopf, ohne aber am Plot selbst wesentliche Änderungen vorzunehmen. Man kann sich das etwa so vorstellen als würde jemand die Buddenbrooks als Komödie verfilmen.

Screenshot Life of Oharu 1

Wie gelingt Mizoguchi und seinem Drehbuchautor Yoshikata Yoda dieses Kunststück? Indem er den Auslöser für Oharus langsamen aber unaufhaltbaren Niedergang in eine aufrichtige, tiefe Liebesgeschichte verwandelt und die Heldin, deren Liebe gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt, mit Würde, Stolz und der ganzen Sympathie des Zuschauers ausstattet. Ihre thematische Verknüpfung mit wahrer Liebe wird noch verstärkt, als sie dem Fürsten einen Thronfolger gebärt und nun ihre Mutterliebe zu ihrer stärksten Triebfeder wird.

Die Liebe zu dem ihr entrissenen Sohn – die Mizoguchi in zwei kurzen, verzweifelten Begegnungen verdeutlicht, in denen Oharu den Thronfolger nur aus der Distanz sehen darf, siehe Screenshot unten – und die Erinnerung an die große, wahre Liebe ihres Lebens lassen sie dann all das Leiden, die Enttäuschungen und das allein auf ihren Körper begrenzte Begehren der Männer sowie die daraus folgenden Erniedrigungen ertragen. Grandios gespielt natürlich von Kinuyo Tanaka, einer der vielseitigsten und überzeugendsten Schauspielerinnen ihrer Generation.

Screenshot Life of Oharu 4

Doch nicht nur die Männer bekommen ihr Fett weg, Mizoguchi prangert eine ganze Gesellschaftsordnung an, die voller Scheinheiligkeit Werte propagiert und deren Einhaltung fordert, dann aber eine aufrichtige und aufrechte Frau wie Oharu ausbeutet, verstößt und erniedrigt. Seien es der Vater, der seine Tochter für ihre Liebe zu einem einfachen Mann verprügelt, sie dann aber zunächst zur Konkubine und schließlich zur Prostituierten macht. Oder der Händler, der aus Geiz und Stolz nie in ein Bordell gehen würde, es dann aber schamlos ausnutzt, als er Oharu umsonst haben kann. Und nicht zu vergessen die Nonne, die Frau des Händlers und natürlich all die Höflinge, denen die Familie und ihr Fortbestand so viel Wert ist, dann aber in Oharu nur eine Gebärmaschine sehen, obwohl sie es ist, die den Fortbestand des Familienclans sichert.

Bemerkenswert bei all dem Leid und der Tragik ist, dass es Mizoguchi dennoch gelungen ist, einige komische Szenen zu bewahren. Zu nennen wäre etwa die Erinnerung gleich zu Beginn, als Oharu in einer Buddhastatue das Gesicht ihres geliebten Katsunosuke erkennt, das Casting zur Suche nach der Super-Konkubine oder wie Oharu sich an der Frau des Händlers rächt, indem sie eine dressierte Katze ihr die Perücke vom Kopf reißen lässt und sie so der Lächerlichkeit preisgibt.

Komplett aus dem Film verschwunden ist aber der amouröse Charakterzug Oharus, auch wenn Le Fanu dies anders sieht. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie Le Fanu in der Szene, in welcher der Händler Oharu im Kloster aufsucht weil diese ihm noch Tücher schuldet und Oharu sich die in einen Kimono genähten Tücher vom Leib reisst, ein sexuelles Begehren ihrerseits erkennen will. Natürlich ist ihr klar, dass sie die Tücher mit Sex bezahlen muss, aber daraus abzuleiten, dass sie mit ihm schlafen wolle, widerspricht der gesamten Charakterisierung der Heldin. Vielmehr entledigt sie sich aus Abscheu und Empörung der vom Händler stammenden Kleider.

Screenshot Life of Oharu 3

Oharu ist für mich die Kristallisation der tragischen, sexuell und materiell ausgebeuteten und von einem gesellschaftlichen Regime unterdrückten Frau in Mizoguchis Werk schlechthin, gewissermaßen die Essenz seines Schaffens. Auch was die Realisation des Filmes angeht ist Das Leben der Frau Oharu Mizoguchi vom Feinsten: Endlos lange Takes, die Vermeidung von Schnitten mittels Kamerabewegung und Arrangement der Charakter und absolute Detailversessenheit, obwohl der Meister für diesen Film nur minimale finanzielle Mittel zur Verfügung hatte. Der Film ist schwer verdauliche Kost, keine Frage, aber wenn man sich darauf einlässt ein wahrhaft erhebendes Erlebnis!

Original: Shichinin no samurai (1954), von Akira Kurosawa

Japan in der Zeit der Bürgerkriege: Die Bewohner eines kleinen, armen Bauerndorfes, das bereits in der Vergangenheit Opfer einer Räuberbande war, erfahren, dass ein erneuter Überfall bevorsteht. In ihrer Verzweiflung entschließen sie sich zum Äußersten und wollen den Angriff abwehren. Doch dazu benötigen sie die Hilfe erfahrener Kämpfer und senden eine kleine Gruppe aus ihrer Mitte in die Stadt, um Samurai für den Kampf gegen die Räuber anzuheuern.

Dort angekommen, werden sie mit der harten Realität konfrontiert: Selbst arme Samurai empfinden für die Bauern nur Verachtung, oder nutzen deren Verzweiflung aus, um eine warme Mahlzeit abzugreifen. Durch einen Zufall werden sie dann Zeugen, wie ein Samurai ein gekidnapptes Baby befreit und nach etwas Überzeugungsarbeit willigt Kambei (Takashi Shimura) dann auch ein, ihnen zu helfen. Dazu versammelt er sechs weitere Samurai um sich: Alte Gefährten, Meister des Schwertkampfs und schräge Charaktere wie Kikuchiyo (Toshiro Mifune).

Screenshot Seven Samurai 4

Gemeinsam machen sich die sieben Kämpfer auf zum Dorf, wo sie zunächst die Vorurteile und Ängste der Bauern bekämpfen müssen, die ihre Frauen und Mädchen sowie ihr Essen vor den Fremden verstecken. Im Zuge der gemeinsamen Arbeit an der Verschanzung des Dorfes und der ersten Scharmützel mit den Banditen entsteht eine eingeschworene Truppe, die es gemeinsam tatsächlich schafft, die Räuber zu besiegen. Doch am Ende zeigt sich, dass die Lebenswelten der Samurai und der Bauern zu weit auseinanderliegen, die Gemeinschaft eine reine Zweckgemeinschaft war und die Samurai mit nichts als der Erinnerung an ihre toten Kampfgefährten weiterziehen müssen. Ein Happy-End gibt es nur für die Bauern.

Kurosawa wollte ursprünglich einen Film drehen, der einen Tag im Leben eines normalen Samurai zeigt. Sein Bestreben war, die eingelaufenen Bahnen der in den 1950er Jahren wie am Fließband produzierten Schwertkampffilme (chanbara) zu durchbrechen und ein realistisches Bild der Samurai zu zeichnen. Er musste jedoch schnell feststellen, dass es kaum historische Quellen dazu gab, wie das Alltagsleben von Samurai aussah. Dabei wurde er jedoch auf Berichte aufmerksam, denen zufolge Samurai manchmal als Wächter für Bauern anheuerten. Die Idee für Die Sieben Samurai war geboren.

Screenshot Seven Samurai 6

Auch wenn er von seiner ursprünglichen Story abrückte, den Anspruch, einen realistischen Film über Samurai zu drehen, hielt Kurosawa aufrecht. Und so ist der Film nicht zuletzt wegen einer Reihe von radikalen Brüchen mit den Traditionen des klassischen Schwertkampffilms richtungsweisend: In diesen Filmen wurden Samurai als unvergleichlich nobel, aufrecht, selbstlos und heldenmütig bis zum Tod dargestellt. Kurosawas Samurai dagegen sind ganz normale Menschen: Sie haben Angst vor dem Feind, retten ihr Leben zur Not auch indem sie sich verstecken oder davonlaufen, sie trinken, lachen, sind mal gutmütig und hilfsbereit und mal zornig und unberechenbar.

Auch bei der Darstellung der Lebensbedingungen und insbesondere der Kampfszenen legte Kurosawa größten Wert auf Realismus. Seine Schwertkämpfe unterscheiden sich völlig von den klassischen, eher an einstudierte Tänze erinnernden chanbara-Kämpfen. Bei Kurosawa besteht ein Kampf oft aus nur einem einzigen Schwerthieb, wenn er von einem erfahrenen Samurai ausgeführt wird, oder aus planlosem Herumrennen und Gefuchtel, wenn die Bauern am Werk sind. Diesen Realismus trieb Kurosawas mit seinem späteren Film Yojimbo noch weiter und krempelte das gesamte Schwertkampfgenre um.

Einzigartiger Höhepunkt dieses Anspruchs, realistische Kämpfe zu zeigen, ist zweifellos die Regenschlacht am Ende des Films. Mittels des für ihn typischen Einsatzes von Teleobjektiven, Wetterphänomenen und seiner virtuosen Schnittkunst erreicht Kurosawa eine unvergleichliche Authenzitität und zieht den Zuschauer magisch ins Kampfgeschehen hinein.

Screenshot Seven Samurai 4

Zu dieser realistischen Herangehensweise gehört in Die Sieben Samurai auch die Thematisierung der Auseinandersetzung des Individuums mit der Klassenstruktur und seiner festgeschriebenen Position in der Gesellschaft – die von vielen Kritikern sogar als der Schlüssel zum Film gesehen wird. Immer wieder betont Kurosawa die Zugehörigkeit seiner Charaktere zu bestimmten sozialen Gruppen sowie die Unterschiede zwischen Bauern und Samurai, streicht das schwere Schicksal der Bauern heraus und betont die Unüberwindbarkeit der gesellschaftlichen Schranken.

Exemplarisch für die Bedeutung der Gruppe bei der Definition des Individuums ist eine Szene gleich zu Anfang: Die Bauern des Dorfes versammeln sich und beklagen den bevorstehenden Überfall. Einer aus ihrer Mitte versucht die anderen zu überreden, gegen die Banditen zu kämpfen, steht mit seiner Meinung jedoch allein da. Er zieht sich aus dem Kreis der Bauern zurück und wird so aus der Vogelperspektive vorübergehend zum Außenseiter. Durch einen einzigen Schnitt auf eine ebenerdige Einstellung, in der der Raum zwischen dem Außenseiter und der Gruppe durch den starken Telezoom nicht mehr als Distanz wahrnehmbar ist, macht Kurosawa aber sofort klar, dass der Bauer trotz der Meinungsverschiedenheit nach wie vor Teil seiner sozialen Gruppe ist.

Dass es kein Entkommen vor den gesellschaftlichen Normen gibt, zeigen die Figur des Kikuchiyo, der zwischen seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie und seinem Streben, ein Samurai zu werden, hin- und hergerissen ist, sowie der junge Katsushiro (Isao Kimura), Kambeis Schüler, der sich in die Bauerntochter Shino verliebt. Obwohl sie seine Gefühle erwiedert, ist ihr völlig klar, dass die Liebe auf Grund der sozialen Unterschiede zum Scheitern verurteilt ist. Und auch wenn Kikuchiyo wie ein Samurai auf dem Schlachtfeld stirbt, sein Kampf für eine gerechtere Welt und die Überwindung der Klassengrenzen ist vergeblich.

Screenshot Seven Samurai 5

Den überlebenden Samurai bleibt am Ende nichts außer dem Leben an sich. Die Bauern feiern den Sieg, bepflanzen die Reisfelder und leben trotz der gemeinsam gefochtenen Schlachten in einer anderen Welt als die Samurai, die mit der Erinnerung an ihre toten Kameraden einsam zurückbleiben. Und der Zuschauer erkennt, dass diejenigen, die als die Unterdrückten und Leidenden präsentiert wurden, am Ende die einzigen Sieger sind.

Original: Tora no o wo fumo otokotachi (1945), von Akira Kurosawa

Nach einer Niederlage in der Schlacht ist der Fürst Yoshitsune gezwungen, mit einer Handvoll treuer Anhänger vor den siegreichen Truppen zu fliehen. Unter Führung des berühmten Kriegers Benkei (Denjirō Ôkochi) gibt sich der kleine Trupp als Mönche auf Wanderschaft aus und der Fürst wird als Gepäckträger verkleidet. Zusammen mit einem echten Träger (Kenichi Enomoto) geraten sie schließlich an einem Kontrollposten unter Verdacht.

Benkei versucht mit allen Mitteln, den Offizier Togashi (Susumu Fujita) von der Harmlosigkeit der Flüchtigen zu überzeugen. Ein spannendes Argumentations- und Rededuell zwischen den beiden entspannt sich, während dem das Schicksal der Truppe am seidenen Faden hängt und der Träger, der zwischenzeitlich das Versteckspiel der „Mönche“ durchschaut hatte, tausend Tode stirbt.

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In den letzten Kriegsmonaten 1945 gedreht, sieht man dem Film deutlich an, dass Kurosawa bei der Umsetzung nur einfachste Mittel zur Verfügung standen. Abgesehen von einigen kurzen Szenen, in denen die Wanderung durch die Wälder gezeigt wird, beschränkt sich die Handlung auf zwei, drei bühnenartige Sets, was dem Film dann fast den Charakter eines Bühnenstücks verleiht. Auch die Laufzeit von nur 60 Minuten deutet auf die schwierigen Bedingungen in der Endphase des Krieges hin. Weil im Zentrum des Films traditionelle feudalistische Rollenverhältnisse und historische Ereignisse stehen, wurde Die dem Tiger auf den Schwanz treten von den amerikanischen Zensoren denn auch zunächst verboten.

Trotz dieser problematischen Rahmenbedingungen ist Kurosawas Genie unverkennbar, sei es in der Eingangssequenz (die stark an die späteren Waldszenen in Rashomon erinnern, mit denen er weltberühmt werden sollte), in der Inszenierung des Showdowns zwischen Benkei und Togashi oder den komischen Auftritten von Kenichi „Enoken“ Enomoto, einem der bekanntesten Komiker der Stummfilmzeit, in dessen Perspektive uns der Film versetzt.

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Unbestrittener Höhepunkt des Films ist jedoch der Moment, als die Identität des fliehenden Fürsten aufgedeckt zu werden droht. Geistesgegenwärtig greift Benkei zum Äußerstes und prügelt auf seinen als Träger verkleideten Fürsten ein, angesichts des feudalistischen Ehrenkodex ein ungeheuerlicher Vorgang! Spannenderweise ist es in dieser Szene eben der Träger Enoken, der dies nicht mitansehen kann, dem Fürsten zu Hilfe eilt und Benkei von weiteren Schlägen abhält, während alle anderen wie versteinert sind.

Kurosawa klärt denn auch nicht endgültig, ob Togashi die Truppe schließlich passieren lässt, weil er durch Benkeis Handeln davon überzeugt war, dass es sich tatsächlich nicht um Yoshitsune handeln konnte, oder weil er so großen Respekt vor Benkeis Mut und Unkonventionalität hat. Es gibt aber einige Hinweise, dass die letzte Variante die zutreffende ist, einfach weil sie viel besser in den Gesamtkontext des Films passt, der sich sehr stark mit Rollenverhältnissen beschäftigt.

Zunächst natürlich in Form der Samurai, die in die Rolle von Mönchen schlüpfen, um ihren Feinden zu entkommen. Dann die mit den verschiedenen Gesellschaftsschichten verbundenen Gegensätze zwischen den Samurai und dem Träger. Letztlich die Hochachtung Togashis gegenüber Benkei, der das Dilemma, seinen Herrn nur retten zu können, indem er gegen alle Regeln verstößt und ihn erniedrigt, überwindet, indem er aus seiner Rolle ausbricht und das Undenkbare tut. Der Verstoß gegen den Ehrenkodex wird somit zum Beweis seiner grenzenlosen Loyalität.

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Zu faszinieren weiß auch der Träger, der mit seinen Grimassen, seinem ständigen Gequatsche und seinem quirligen Wesen einen krassen Gegensatz zu den ganz in sich und ihre Mission versunkenen Samurai darstellt. In der Verkörperung durch Enoken wird dessen Herkunft aus dem Stummfilm deutlich, seine Darstellung wirkt für uns heute schon fast grotesk überzogen, was sich aber wunderbar in den erwähnten Gegensatz zu den Samurai einfügt. Ein wirkliches Kleinod aus der ganz frühen Schaffensphase Kurosawas!

Original: Ugetsu monogatari (1953), von Kenji Mizoguchi

Dem Film liegen zwei Erzählungen aus Akinari Uedas „Erzählungen von Mondlicht und Regen“ aus dem späten 18. Jahrhundert zugrunde, die aber sehr viel früher, im 15. bzw. 12. Jahrhundert, spielen. Diese haben Mizoguchi und sein angestammter Drehbuchautor Yoshikata Yoda exzellent miteinander verflochten und zusätzlich um weitere Handlungsstränge ergänzt, so dass ein in sich geschlossenes, die Vorlagen aufgreifendes aber über diese weit hinausgehendes Werk entstanden ist, von dem Mark LeFanu schreibt: „The script is a triumph of bricolage: mixed, mingling, audacious.“

Im vom Krieg zerrissenen Japan wittern die beiden Bauern Genjuro (Masayuki Mori) und Tobei (Eitaro Ozawa) im Handel mit Töpferwaren das große Geschäft und gehen dazu auf der Flucht vor den anrückenden Truppen große Risiken ein. Tobei will mit dem verdienten Geld Waffen kaufen, um endlich die Landarbeit hinter sich zu lassen und Samurai zu werden, doch seine Frau Omaha (Mitsuko Mito) will ihm dies ausreden. Genjuro möchte seiner geliebten Frau Miyagi (Kinuyo Tanaka) und seinem Sohn Genichi ein besseres Leben ermöglichen. Auf der Flucht vor den anrückenden Truppen machen sich Genjuro, Tobei und Omaha auf in die Stadt, um die letzten Waren zu verkaufen, während Miyagi sich mit Genichi in den Bergen versteckt.

Ugetsu Screenshot2

Die Geschäfte mit den Töpferwaren gehen sehr gut, sogar die schöne und mysteriöse Dame Wakasa (Machiko Kyo) wird auf Genjuro aufmerksam und bittet ihn zu einem Besuch auf ihr Anwesen, wo sie den arglosen, vom Reichtum geblendeten Genjuro umschmeichelt und verführt, während seine Frau Miyagi in der Heimat von Soldaten getötet wird. Tobei hat inzwischen Waffen gekauft und sich die Gunst eines Fürsten erworben, darüber aber Omaha vergessen, die vergewaltigt wurde und nun als Prostituierte ihr Dasein fristet. Unterdessen begegnet Genjuro einem Priester, der sofort den bösen Einfluss eines Geistes an ihm feststellt: Wakasa ist in Wirklichkeit schon lange tot, kehrte aber auf der Suche nach Liebe unter die Menschen zurück.

Obwohl die Geschichte überwiegend aus der Sicht der beiden Männer, insbesondere Genjuros, erzählt wird, sind die eigentlichen Hauptfiguren aus meiner Sicht die drei Frauen. Auf meisterliche Art gelingt es Mizoguchi, anhand ihrer Erlebnisse typische Dilemmata von Frauen in der Gesellschaft und ihre auf tragische Weise unerfüllte Sehnsucht nach Liebe darzustellen. Da ist zum einen Wakasa, die schöne, reiche Frau von Welt, die scheinbar alles hat und doch so verzweifelt auf der Suche nach einer dauerhaften Liebe ist. Zum anderen Omaha, deren Mann sie über der Erfüllung seiner eigenen Träume vergisst, die erniedrigt wird und Unvorstellbares erleiden muss. Und letztlich Miyagi, die sich vom Leben nichts wünscht, als mit ihrer Familie ein einfaches Leben zu führen, dafür sich selbst aufopfert und erst durch dieses Opfer ihren vom Ehrgeiz getriebenen Mann zur Vernunft bringt.

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Mizoguchi kontrastiert diese Leidensgeschichten mit Bildern von traumhafter Schönheit: endlose Kamerafahrten, außergewöhnlich ausgewogene Bildkomposition, fließende Üœberblendungen und atemberaubende Landschaften, fotografiert von Kazuo Miyagawa, unbestritten einer der hervorragendsten Kameramänner aller Zeiten. Besonders bemerkenswert sind die Begegnungen von Wakasa und Genjuro, die, obwohl sie nur eine Episode innerhalb des Films darstellen, diesen doch außerordentlich prägen.

Fast unmerklich führt Mizoguchi uns hier aus den Kriegswirren in eine Traumwelt voll überirdischer Schönheit, Tanz, Gesang, Exotik und nicht zuletzt der bildschönen Verführerin Wakasa. Wie diese – verkörpert von der überwältigenden Machiko Kyo – Genjuro mit einem einzigen Tanz verzaubert und ganz in ihren Bann zieht, daran kann sich auch der Zuschauer berauschen. Musik, Bewegung, Beleuchtung, die Kamera gehen in diesen und vielen anderen Szenen eine außergewöhnliche Symbiose ein.

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Nicht umsonst tummeln sich in Ugetsu Stars vor und hinter der Kamera. Mit Kyo, Mori und Kinuyo Tanaka verfügte Mizoguchi über drei der herausragendsten japanischen Schauspieler ihrer Zeit. Das Drehbuch von Yoda, die Musik von Fumio Hayasaka, und hinter der Kamera der erwähnte Kazuo Miyagawa, der drei Jahre zuvor bereits mit seiner bahnbrechenden Kameraführung in Rashomon für Furore gesorgt hatte. So ist Ugetsu wie kaum ein anderer Film mit Szenen gespickt, deren schiere Brillanz einem den Atem stocken lassen. Der Zuschauer wird ständig hin und her gerissen zwischen der Bewunderung für die von Mizoguchi inszenierte wahrhaftig traumhafte Schönheit der Welt und dem Mitleid für die Frauen und ihrem tragischen Schicksal, das sie in ebendieser Welt ereilt.

Doch diese Welt ist auch geprägt vom Wahnsinn des Krieges, der in Ugetsu allgegenwärtig ist. Anstatt jedoch Schlachten zu inszenieren, werden dem Zuschauer immer wieder die Leiden der einfachen Menschen vor Augen geführt: Dorfbewohner, die in Panik in die Berge flüchten, dabei Hab und Gut verlieren. Arglose Bauern wie Genjuro und Tobei, die plötzlich Gier und Größenwahn verfallen. Frauen wie Ohama, die Opfer willkürlicher Vergewaltigungen werden. Und Miyagi, die in einer vor allem wegen ihrer schieren Absurdität erschreckenden Szene von betrunkenen Soldaten wegen ein paar Reiskuchen erstochen wird, ihren kleinen Sohn auf dem Rücken tragend.

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So ist dieser Film nicht nur ein außergewöhnlich meisterhaft inszeniertes Werk, sondern acht Jahre nach Kriegsende auch eine unübersehbare Mahnung. Für diese filmische Meisterleistung wurde Ugetsu monogatari in Venedig mit dem „Silbernen Löwen“ ausgezeichnet und wird bis heute regelmäßig von Kritikern als einer der besten Filme in der Geschichte des Kinos benannt.

[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und ergänzte Version eines ursprünglich am 23. September 2006 veröffentlichen Artikels.]

Rashomon

Originaltitel: Rashōmon (1950), von Akira Kurosawa

Rashomon war der Film, der das japanische Kino nach den Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs mit einem Paukenschlag wieder ins Bewusstsein des Westens rückte: Völlig überraschend wurde er in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Kurosawa selbst wuste nicht einmal, dass sein Werk auf der Biennale gezeigt wurde!

Der Film basiert auf zwei Kurzgeschichten von Ryunosuke Akutagawa, die Kurosawa zusammenführt und um einige Elemente anreichert. Das daraus hervorgegangene Werk schildert die unterschiedliche Wahrnehmung der Realität durch die Menschen und wie sie Geschehnisse interpretieren, um ihre Selbstwahrnehmung aufrecht erhalten zu können. Thema ist also die unbewusste Lüge, das alltägliche Zurechtdrehen der Realität, was letztlich dazu führt, dass Menschen, die gemeinsam etwas erlebt haben, völlig verschiedener Meinung darüber sind, was eigentlich passiert ist.

Illustriert wird dies anhand eines Überfalls im feudalen Japan, in dessen Zuge ein Samurai stirbt und seine Frau vergewaltigt wird. Dieser Überfall wird aus der Sicht aller dreier Beteiligter, der Frau (Machiko Kyo), des Banditen (Toshiro Mifune) und des Samurais (Masayuki Mori) gezeigt, was zu stark voneinander abweichenden Versionen führt. Allen Versionen gemein ist nur, dass der jeweilige Erzähler sich die Schuld am Tod des Samurai zuschreibt und sich dadurch als ehrenhaft und aufrecht darstellt.

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Dieser Teil der Handlung spielt in einem Wald, ein von Kurosawa häufig verwendetes Symbol für die Undurchdringlichkeit der menschlichen Seele, das Chaos der Gefühle. Die drei Versionen des Verbrechens werden eingerahmt von einer Gerichtsverhandlung, bei der alle Beteiligten ihre Aussagen machen sowie dem Gespräch dreier Männer unter dem mächtigen Rashomon-Tor. Diese unterhalten sich über die Gerichtsverhandlung und die Aussagen und schließen darauf auf die Armseligkeit und Verwerflichkeit des Menschen sowie den erschreckenden Zustand der Welt.

Dass am Ende angesichts der Lügengebäude, auf denen die Menschen ihre Existenz aufbauen, und der Verkommenheit der Welt nicht der Pessimismus obsiegt, sondern ganz im Gegenteil ein Gefühl der Hoffnung im Zuschauer zurückbleibt, ist der aus meiner Sicht eigentliche Geniestreich Kurosawas. Wir haben etwas über unsere eigenen Schwächen und die unserer Mitmenschen gelernt, in den Abgrund geschaut, und haben nun die Möglichkeit, an diesen Schwächen zu arbeiten. Ein für den frühen Kurosawa typischer Gedanke, auf dem viele seiner Filme basieren, der dazu beiträgt, Rashomon zu einer fast erhebenden Erfahrung zu machen.

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Drei Handlungsorte (Wald, Gericht, Tor), an denen jeweils drei Personen zugegen sind, sowie drei Versionen des Verbrechens: Rashomon ist bestimmt durch die Zahl drei. Diese Konsequenz setzt sich bei der visuellen Gestaltung des Films nahtlos fort, indem Kurosawa jedem Handlungsort bestimmte lineare Muster zuweist. Während der Gespräche am Tor (mit denen der Film beginnt) gießt es in Strömen, der herabstürzende Regen, die Pfeiler des Tors und die Maserungen des Holzes sorgen hier für eine Dominanz vertikaler Linien. Ganz im Gegensatz dazu steht der Gerichtshof, wo horizontale Linien – der Schatten eines Daches, die Hofmauer, der First der Mauer) – vorherrschen. Der Wald schließlich ist ein einziges Chaos aus Licht und Schatten.

Dem Film wurde zunächst großes Unverständnis entgegengebracht, allen voran vom produzierenden Studio selbst. So wurde bemängelt, dass keine vernünftige Handlung existiere und niemand den Film verstehen würde. Nur weil Kurosawa zuvor einige in Japan sehr erfolgreiche Filme gedreht hatte, konnte er seinen Willen durchsetzen. Doch Rashomon besticht nicht nur durch eine faszinierende Idee und eine außergewöhnliche Botschaft, sondern auch durch eine enorme atmosphärische Dichte, zu der insbesondere die großartige Musik und die innovative Kameraführung beitragen.

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Berühmt wurde dabei besonders der Gang des Holzfällers (Takashi Shimura) durch den Wald vor der Entdeckung des Verbrechens. Nicht nur, dass Kazuo Miyagawa, einer der genialsten Kameramänner überhaupt, hier zum ersten Mal in der Geschichte direkt in die Sonne filmte, das Zusammenspiel aus wechselnden Perspektiven, Bewegungen, Licht und Schatten sowie der Bolero-Musik von Fumio Hayasaka schafft eine einzigartige Melange, deren Rhythmus der Zuschauer sich unmöglich entziehen kann und die Donald Richie als puren filmischen Impressionismus bezeichnete.

Somit wurde Rashomon Anfang der 1950er Jahre zum ersten japanischen Film, der auch international erfolgreich war. Für Regisseur Kurosawa und die Hauptdarsteller Toshiro Mifune und Machiko Kyo war er der internationale Durchbruch. Kurosawa und Mifune gelang wenig später mit Die Sieben Samurai ein weiteres Meisterwerk, mit dem sie endgültig zu Superstars wurden, Kyo wurde sogar für eine Komödie mit Marlon Brando engagiert.

[Hinweis: Dies ist die stark überarbeitete und erweiterte Version eines ursprünglich am 24. September 2006 veröffentlichten Posts.]

Original: Chikamatsu monogatari (1954) von Kenji Mizoguchi

Auch wenn es sich dem Titel nach um die Adaption eines Stückes von Monzaemon Chikamatsu handelt, haben Mizoguchi und sein Drehbuchautor Yoshikata Yoda einen guten Teil der Geschichte bei Ihara Saikaku entliehen und aus den alten Werken beider Schriftsteller etwas eigenes geschaffen.

Osan (Kyoko Kagawa) ist mit dem reichen aber geizigen Hoflieferanten Ishun (Eitaro Shindo) verheiratet. Als sie ihn bittet, ihre Familie mit einem kleinen Betrag zu unterstützen, lehnt er brüsk ab. So wendet sie sich an seinen Buchhalter Mohei (Kazuo Hasegawa), der Osan heimlich verehrt und ihr verspricht, das Geld zu besorgen. Sein Versuch, das Geld aus der Kasse zu „leihen“ wird jedoch entdeckt und durch unglückliche Umstände entsteht bei seiner Flucht der Eindruck, er und Osan hätten eine Affäre.

Nun muss auch Osan fliehen, denn auf Ehebruch steht die Todesstrafe. Bald sehen die beiden keinen Ausweg mehr und wollen gemeinsam in den Tod gehen, als Mohei seiner Angebeteten endlich seine Gefühle offenbart. Da sie ihn ebenfalls heimlich liebte, ändert sich nun schlagartig alles, der Selbstmord ist vergessen, sie wollen ihre Liebe leben. Doch auch ihre Flucht in die Berge kann das unvermeidliche Schicksal nur hinauszögern.

Screenshot Chikamatsu2

Anfangs trägt die Geschichte noch fast komische Züge mit operettenhaften Verwechslungen, einem ausgedehnten Wer-liebt-wen-Rätsel und Moheis steifen Bemühungen, die angemessene Distanz zu Osan zu wahren. Das ändert sich völlig, als aus dem angestrebten Doppelselbstmord eine romantische Liebesszene wird und beide erkennen, dass es sich lohnt, um ihr gemeinsames Leben zu kämpfen. Als beide am Ende doch dem gemeinsamen Tod durch Kreuzigung entgegen gehen, bemerkt eine frühere Dienerin am Straßenrand, sie habe die beiden nie so glücklich gesehen.

Die altertümlichen Moralvorstellungen, auf denen die zentralen Konflikte des Films basieren, machen ihn aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, fast anstrengend. Aber ich könnte mir denken, dass diese Welt dem japanischen Publikum vor über einem halben Jahrhundert noch sehr viel näher war, hatte man doch gerade ein Regime hinter sich, das traditionelle Werte wie Selbstaufopferung zugunsten der Familie und der Gesellschaft sowie die Ehre als oberstes Gut propagiert hatte.

Davon, sich diesen Erwartungen und Normen zu beugen, sind Osan und Mohei weit entfernt, sie wollen zusammen sein, ihre Liebe auskosten, und scheren sich nicht um den Ruf ihrer dem Ruin verfallenen Familien. Damit porträtiert Mizoguchi ein sehr modernes Paar, dem man als Zuschauer unwillkürlich die Daumen drückt, auch wenn einem klar ist, dass die Liebe tragisch enden muss.

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Als Ishun seiner Frau Osan beim ersten Verdacht der Untreue und ohne ihren Unschuldsbeteuerungen auch nur zuzuhören sofort den Selbstmord aufdrängen will – welcher ihm überaus gelegen käme, hat er doch selbst eine Affäre mit einer Hausangestellten – ignoriert sie ihn völlig. Auch als sie von ihrer Familie bedrängt wird, die sich bietende Chance auf Rückkehr in das alte Leben zu nutzen und die Familienehre zu wahren, lässt sie dies kalt.

Somit steht Chikamatsu monogatari in bester Tradition früherer Mizoguchi-Filme wie Osaka Elegy oder Die Schwestern von Gion, in denen ebenfalls starke Frauenfiguren versuchten, sich gegen sozialen Druck, die Erwartungen der eigenen Familie und ausbeuterische, untreue Männer zu behaupten. Die sich daraus ergebenden Konflikte sind in diesen frühen realistischen und in der Gegenwart spielenden Filmen aber sehr viel nachvollziehbarer und greifbarer als in dem in einer feudalen Vergangenheit spielenden Chikamatsu monogatari.

Das tut dem Film letztlich nur geringen Abbruch, will er doch in erster Linie eine epische Liebesgeschichte erzählen, was ihm auch absolut gelingt. Ungewöhnlich für einen Liebesfilm jeder Zeit ist jedoch die Distanz, welche die Kamera die meiste Zeit hält und die uns kaum einmal einen close-up genehmigt, was aber zentraler Bestandteil von Mizoguchis Stil ist. Die ebenso typischen langen Kamerafahrten und die extrem langen Einstellungen dagegen kommen nur sporadisch zum Einsatz. In mancher Hinsicht ein typischer Mizoguchi, weicht Chikamatsu monogatari dann doch vom üblichen Kanon des Meisters ab.

Assassination

Original: Ansatsu (1964) von Masahiro Shinoda

Der erste Jidaigeki des jungen, 1931 geborenen Regisseurs Shinoda, der zuvor mit dem Yakuza-Film Pale Flower für Furore gesorgt hatte, hat einen überaus komplexen historischen Hintergrund, der beim japanischen Publikum damals sicher gegeben war, der den Film heute (insbesondere für Nicht-Japaner) aber schwer nachvollziehbar macht. Es geht um die gewaltsame Öffnung Japans durch die Kanonenbootpolitik des Commodore Perry und die sich daraus ergebende Auseinandersetzung zwischen Anhängern des Shogunats und des Kaisers, welche unter dem Motto sonno joi die Ausländer vertreiben und die Herrschaft des Kaisers wiederherstellen wollten, wozu es dann im Jahr 1867 auch kam.

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Vor diesem Hintergrund erzählt Assassination die Geschichte von Hachiro Kiyokawa (Tetsuro Tamba, im Screenshot links), Ronin mit außergewöhnlichem Geschick im Schwertkampf und großen Führungsqualitäten, der für den Shogun eine Kampftruppe aus Ronin zusammenstellen soll. Doch Kiyokawa ist als Gegner des Shogunats bekannt, weshalb gleichzeitig der Schwertkampfmeister Sasaki (Isao Kimura, rechts) mit dessen Ermordung beauftragt wird, sollte Kiyokawa außer Kontrolle geraten.

Gleich zu Beginn des Films kommt es zu einer Begegnung der beiden, die in einem Trainingsduell gipfelt, in dem Kiyokawa Sasaki mit Leichtigkeit zweimal schlägt und öffentlich demütigt. Für Sasaki wird die Ermordung Kiyokawas damit zur persönlichen Rache und er macht sich daran, mehr über den mysteriösen Führer der Ronin zu erfahren, um dessen Schwächen zu entdecken. Während Kiyokawa seine politischen Intrigen spinnt, mit seiner Truppe ins Lager des Kaisers überläuft und langsam dem Größenwahn und dem Alkohol verfällt, macht sich Sasaki ein Bild seines Gegners und schlägt schließlich zu.

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Da mir das historische Hintergrundwissen fehlt, um die ganzen politischen Ränkeschmiedereien zu durchschauen, habe ich Assassination vor allem als ein Duell zweier Männer erfahren, in dessen Zuge der Zuschauer immer mehr über den außergewöhnlichen Charakter Kiyokawas erfährt, der von Shinoda als ein Symbol für eine ganze Epoche präsentiert wird. Dabei erschien mir der Film fast wie eine Mischung aus Citizen Kane und Lawrence von Arabien: Aus Gesprächen mit Weggefährten Kiyokawas und dem Tagebuch seiner Geliebten Oren entsteht nach und nach ein immer differenzierteres Bild dieses Mannes, das sich aber mit der fortschreitenden Handlung zugleich dynamisch weiterentwickelt.

Wir erfahren von seiner einfachen Herkunft, wegen der er nicht ernst genommen wurde, seinen politischen Überzeugungen, seinem unsteten Lebenswandel, seinen ersten Erfahrungen mit dem Töten und wie er mehr und mehr in einem Strudel aus Gewalt versinkt, an dessen Ende er schließlich selbst durch das Schwert Sasakis stirbt. Sympathisch lässt ihn dabei lediglich die Liebe Orens erscheinen, die er aus einem Bordell befreite und die sich für ihn zu Tode foltern lässt.

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Assassination ist ein Film voller Gewalt, voller Lügen, Intrigen und verzweifelter Männer, die mit ansehen müssen, wie ihre Ideale wertlos werden und ihre Welt zu Bruch geht – und die sich dennoch krampfhaft daran festklammern. Shinoda lässt diese Zeit gewaltsamen Umbruchs in grandiosen Bildern vor unserem Auge entstehen, zieht dabei alle Register von durchkomponierten und -stilisierten Totalen über Close-ups bis hin zur aus der Hand gefilmten Ich-Perspektive. Kongenial begleitet werden die Bilder übrigens von Toru Takemitsus Musik.

Besonders faszinierend sind die wiederholt eingesetzten Freeze-frames, Kulminationspunkte von Szenen außergewöhnlicher Gewalt, die diese Gewalt festhalten und förmlich auf der Netzhaut einbrennen. So etwa ein Massaker in einer kleinen Gastwirtschaft, eine der brillantesten Szenen überhaupt. Zwischen den sich gegenseitig abschlachtenden Anhängern der beiden widerstreitenden Lager folgt die Kamera den schreiend durcheinander rennenden Zivilisten und verschiebt so für einen Moment komplett die Perspektive, um sogleich zu einem Samurai zurückzukehren, der einen Gegner durch den Körper seines eigenen Kampfgefährten hindurch ersticht. Freeze!

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Allein der Umstand, dass Assassination auch bei nahezu kompletter Unkenntnis des historischen Hintergrunds trotzdem noch ein faszinierender, mitreißender Film ist, sagt eigentlich schon alles über dessen Qualität aus. Wenn ich ihn mir das nächste Mal ansehe, werde ich mich aber dennoch gut vorbereiten, um ihn dann auch als politisch-historischen Thriller würdigen zu können.

Sanjuro

Original: Tsubaki Sanjuro (1962) von Akira Kurosawa

Zum zweiten Mal nach Sanshiro Sugata II versuchte sich Kurosawa an einer Fortsetzung. Diesmal ist es die Geschichte um Sanjuro, den namenlosen Ronin aus dem Vorjahresfilm Yojimbo, die in die zweite Runde geht, und der Kurosawa dabei einen ganz anderen Touch mitgibt als dem Vorgänger.

Wieder gerät Sanjuro (Toshiro Mifune) zwischen die Fronten zweier sich bekämpfender Gruppen in einer Stadt, doch diesmal sind seine Sympathien klar verteilt: Er schließt sich einer kleinen Gruppe junger Samurai an, um die kriminellen Machenschaften des Hofaufsehers Kikui (Masao Shimizu) und dessen rechter Hand Muroto (Tatsuya Nakadai) aufzudecken und um die Samurai vor sich selbst, ihrem Leichtsinn und ihrer Dummheit zu bewahren.

Neben der actionreichen und mit einer ordentlichen Portion – häufig aus der Dummheit der Samurai resultierenden – Komik gewürtzten Handlung gewinnt zunehmend das Verhältnis zwischen Sanjuro und Muroto an Bedeutung. Als Sanjuro in bewährter Manier dem gegnerischen Lager seine Dienste anbietet, zeigt Muroto sich von Sanjuros Kampfkünsten und seiner Intelligenz beeindruckt und fasst schnell Vertrauen zu dem Ronin, in dem er einen Artverwandten erkennt. Umso härter trifft ihn dann Sanjuros Verrat, der im dramatischen Showdown des Films nur mit Blut gesühnt werden kann.

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Die Konfrontation dieser beiden Charaktere ist es dann auch, die den Film letztlich interessant macht und Sanjuros Figur am Ende eine Tiefe gibt, die in der ersten Hälfte des Films fehlt. Denn im Gegensatz zu Yojimbo, als der gewissenlose Ronin sich auf zynische Art und Weise geradezu an den sich gegenseitig massakrierenden Banditen ergötzte, und sein gutes Herz nur in wenigen Szenen vage angedeutet wurde, wandelt er sich in Sanjuro regelrecht zum Gutmenschen. Lediglich seine grantige, ungehobelte Art lässt hier noch den Charakter aus Yojimbo erahnen.

Die düsteren Aspekte Sanjuros kommen dann gegen Ende des Films zum Vorschein. Wenn seine Gegner wie die Fliegen fallen, er sich Murotos Vertrauen erschleicht, dieses Vertrauen ausnutzt und ihn hintergeht, neigen sich die Sympathien fast ein wenig dem Schurken zu. Besonders das von dem in seinem Stolz getroffenen Muroto ersehnte Duell, das Sanjuro in Sekundenbruchteilen mit einem wahren Blutbad für sich entscheidet, zeigt dessen monsterhafte Züge.

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Und so setzt Sanjuro die lange Reihe von Filmen fort, in denen Kurosawa auf die Relativität von Gut und Böse abhebt indem er zwei Kontrahenten in einen Konflikt steuern lässt, an dessen Ende die Unterschiede zwischen ihnen verschwimmen und die Gemeinsamkeiten betont werden. „Er war genau wie ich, ein nacktes Schwert, das nicht in seiner Scheide bleiben konnte.“ Diese letzten Worte Sanjuros über seinen besiegten Gegner könnten es klarer nicht ausdrücken.

Mit diesem bahnbrechenden, blutigen finalen Duell ließ Kurosawa nicht nur eine Vorahnung auf ähnlich drastische Kampfszenen in Rotbart und ganz besonders Ran zu, sondern revolutionierte nebenbei auch das Samurai-Genre. Das setzte von nun an nämlich verstärkt auf drastische Szenen voller Gewalt, und Blutfontänen wurden zu einem allgegenwärtigen Wesensmerkmal billig produzierter Schwertkampffilme.

Einen interessanten Aspekt hebt Donald Richie hervor, nämlich den himmelweiten Unterschied zwischen Sanjuro und Muroto auf der einen und den naiven Samurai auf der anderen. Kurosawa zeige uns mit diesem krassen Gegensatz den Unterschied zwischen dem, was es bedeutet, wirklich ein Krieger zu sein, und der idealisierten, klischeehaften Vorstellung des Samurai. Dass dabei die Ideale verspottet und die realen Krieger als blutrünstig, ungehobelt und zynisch dargestellt werden, und dies auch noch auf so erfolgreiche Art und Weise, sei ein Schlag ins Genick der klassischen Schwertkampffilme gewesen.

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So sehr er damit auch Recht haben mag, mich hat die einseitige Darstellung der Samurai, die Sanjuro nie für voll nimmt und wie kleine Kinder behandelt, doch etwas enttäuscht. Gleiches gilt für die – mit Ausnahme der Schlussphase des Films – fehlende Vielschichtigkeit und Undurchschaubarkeit Sanjuros, die diesen Charakter in Yojimbo noch so spannend und prickelnd gemacht hatte. Dafür bietet Sanjuro eine feine, offene Komik, die Kurosawa erst 30 Jahre später in Madadayo wiederfinden sollte.