Archive for September, 2007

Original: Kagirinaki hodo (1934) von Mikio Naruse

Die mir vorliegende Fassung hat leider keine Tonspur, was zwar nicht so furchtbar ist, da es sich um einen Stummfilm handelt. Aber ich fand es doch sehr schade, weil ich überaus gespannt war, welche Musik zum Einsatz kommen würde. Außerdem schien es mir, als fehlte eine Szene gegen Ende des Films, der Übergang war an einer Stelle merkwürdig abrupt. Somit steht die folgende Rezension unter einem gewissen Vorbehalt. Die mir bereits zuvor aufgefallene stilistische Experimentierfreude des jungen Naruse wurde aber eindrucksvoll bestätigt, dazu gleich mehr.

Im Zentrum des Films steht Sugiko (Setsuko Shinobu), Kellnerin in einem kleinen Restaurant in der Ginza. Sie und ihr Geliebter wollen heiraten, obwohl seine Familie für ihn eine Hochzeit arrangiert hat. Auf dem Weg zu einem Treffen wird Sugiko von einem Auto angefahren und vom Besitzer des Wagens, Hiroshi (Hikaru Yamanuchi), ins Krankenhaus gebracht, wo dieser sich in Sugiko verliebt. Ihr Verlobter, der sie in dem Auto mit einem fremden Mann sah, kehrt enttäuscht zu seiner Familie zurück und bläst die Hochzeit ab.

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Dafür wird sie nun von Hiroshi umworben, Sohn einer angesehenen, reichen Familie. Obwohl diese die aus einfachen Verhältnissen stammende Sugiko ablehnt, heiraten die beiden, im Vertrauen darauf, dass ihre Liebe alle Hindernisse überwinden werde. Doch die permanente Spannung zwischen Sugiko und ihrer Schwiegermutter sowie ihrer Schwägerin vergiftet die Ehe. Als Hiroshi zu trinken beginnt und der Konflikt eskaliert, reist Sugiko zu ihrem Bruder. Dort erreicht sie die Nachricht, dass Hiroshi bei einem Autounfall schwer verletzt wurde. Sie macht sich auf, um ihn zu besuchen und seine Familie zu konfrontieren.

Dieser „Showdown“ zwischen der liebenswerten, hochanständigen und aufrechten Sugiko und ihrer hochmütigen, kalten Schwiegermutter sowie der intriganten, hochnäsigen Schwester, denen beiden der Name der Familie über alles geht, besteht aus einer Abfolge absolut bemerkenswerter Schnitte. Während des Gesprächs der drei (das hauptsächlich Sugiko und die Schwiegermutter bestreiten) schneidet Naruse mit fast jeder neuen Einstellung über die Handlungsachse hinweg. Diese massive Verletzung des Continuity Editing führt dazu, dass Personen scheinbar im Raum springen, im Hintergrund plötzlich andere Personen auftauchen (eine Krankenschwester und ein Freund der Familie) und die Hauptakteure mal von vorne, dann wieder von hinten oder aus anderen, verschiedensten Blickwinkeln zu sehen sind.

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Da die Schnitte zudem erstaunlich schnell erfolgen, wirkt die eigentlich statische Gesprächsszene dadurch sehr dynamisch, man muss sich regelrecht konzentrieren, um den Personen über die Schnitte hinweg folgen zu können. Damit erhöht Naruse die Spannung der Szene erheblich und überträgt die emotionale Aufgewühltheit der Charaktere exzellent auf den Zuschauer.

Nur wenig später folgt eine ebenfalls sehr ausdrucksstarke Passage: Sugiko wird zunächst frontal gezeigt, dann im Profil von links und rechts, wobei sie jeweils einen Schritt nach vorn, ins Bild hinein macht. Dabei wirkt sie sehr entschlossen und selbstsicher, als hätte sie eben eine wichtige Entscheidung getroffen, von der sie absolut überzeugt ist. Schließlich läuft sie schnell auf die Kamera zu.

Am Ende des Films ist Hiroshi gestorben und Sugiko in ihr altes Leben als Kellnerin zurückgekehrt. Wir sehen sie gedankenversunken in ihrer Uniform am Straßenrand stehen, der Dinge harrend, die das Schicksal noch für sie bereithält. Durch die zuvor gezeigte Einstellung, in der sie als selbstbewusste, willensstarke und durchsetzungsfähige Frau etabliert wurde, ist aber klar, dass sie ihr Leben so oder so meistern wird.

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Neben den bereits beschriebenen Achsensprüngen überraschte mich Naruse noch mit anderen Stilmitteln, die mir aus seinen späteren Filmen nicht bekannt waren. Dazu gehören insbesondere zahlreiche sehr schnell geschnittene Szenen (Sugikos Unfall, Hiroshis Unfall, Szenen aus Ginza am Ende) sowie Reißschwenks. Die Innovationsfreude des jungen Naruse, die sich bereits in Wife! Be like a rose! angedeutet hatte, wird durch Street without End also eindrucksvoll bestätigt und wirft ein ganz neues Licht auf den Regisseur.

Davon abgesehen ist Street without End in vieler Hinsicht ein direkter Vorgänger späterer Filme wie Summer Clouds, When a Woman ascends the Stairs oder Yearning, in denen er die Suche von Frauen nach Erfüllung und Glück thematisiert, die schließlich an Konventionen, Traditionen, sozialen Gegensätzen, familiären Zwängen und schwachen Männern scheitern. Dass der Film von seiner Thematik her so eng mit den späten Filmen verwandt ist, aber stilistisch ganz andere Wege geht, macht ihn für mich zum vielleicht interessantesten Film Naruses, den ich bisher gesehen habe. Dafür fehlt ihm die Brillanz, mit der in den späteren Werken verschiedene Handlungsstränge miteinander verwoben und zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden, sowie die Vielschichtigkeit und Balance der Charaktere.

Die Kinocharts in Japan haben zwar einen neuen Spitzenreiter, aber Evangelion 1.0 hält sich an Position 2. Nach 1,8 Mio Euro erlöste der Film in der zweiten Woche nun rund 2,7 Mio Euro mit nach wie vor nur 85 Kopien und konnte damit sein durchschnittliches Ergebnis pro Kopie sogar von 21.400 Euro pro Kopie auf nun 32.000 Euro pro Kopie steigern!

Es fällt besonders auf, dass Eva1.0 unter den Top10-Filmen mit Abstand die wenigsten Kopien am Start hat. Während die großen Hollywoodproduktionen wie Harry Potter, Ocean’s Thirteen, Ratatouille, Transformers oder Tohos neuer Smash-Hit Hero mit mehreren hundert Kopien laufen, ist Eva1.0 mit seinen läppischen 85 Kopien der einzige, der nicht im dreistelligen Bereich ist.

Trotzdem scheint es, als ginge die Vermarktungsstrategie auf! Ich bleibe am Ball…

Die gerade zu Ende gegangene Biennale hatte ihren Überraschungsieger: Nachdem Ang Lee bereits vor zwei Jahren mit Brokeback Mountain den goldenen Löwen gewonnen hatte, konnte er diesen Erfolg nun mit seinem – vor allem wegen seiner hart an der Grenze zur Pornographie liegenden Sexszenen – debattierten Spionagedrama Lust, Caution wiederholen.

Weniger erfolgreich, aber für Japancineasten umso interessanter, war die Aufführung von Takashi Miikes neuestem Streich Sukiyaki Western Django. Björn hat jetzt als meines Wissens erster Blogger eine deutsche Review online gestellt. [Ja, ich bin mir bewusst, dass ich für eine deutsche Filmbesprechung einen Anglizismus verwende, und auch, dass das einer gewissen Ironie nicht entbehrt.] Großartigerweise hat er auch gleich noch das Echo in der Presse zusammengetragen, das wohl nicht zuletzt wegen des Mitwirkens von Quentin Tarantino für einen japanischen Film erstaunlich umfangreich ausfiel.

Original: Tsuma yo bara no yo ni (1935) von Mikio Naruse

Nicht nur, dass Wife! Be like a rose! der erste von insgesamt fünf (!) Filmen war, die der junge Naruse im Jahr 1935 drehte, er war auch der erste japanische Film überhaupt, der in den USA aufgeführt wurde. Naruse und seine Hauptdarstellerin Sachiko Chiba wurden später übrigens auch privat ein Paar.

Sie spielt Kimiko, eine junge Büroangestellte, die mit ihrer Mutter, einer Dichterin, zusammen wohnt und gern ihren Freund heiraten möchte. Zur Anbahnung der Hochzeit müsste jedoch Kimikos Vater Shunsaku (Sadao Murayama) die Eltern des Bräutigams treffen. Doch Shunsaku lebt bereits seit langer Zeit mit einer ehemaligen Geisha zusammen auf dem Land, worunter Kimikos Mutter, immerhin seine angetraute Ehefrau, sehr leidet. So entschließt sich Kimiko, ihren Vater zu besuchen und zur Rückkehr nach Tokyo und zu seiner „wahren“ Familie zu überreden.

Vor Ort muss sie jedoch erfahren, dass die Dinge in Wirklichkeit ganz anders sind, als sie aus der Ferne wirkten. Die ehemalige Geisha nutzt keineswegs Shunsakus Großzügigkeit auf Kosten seiner „eigentlichen“ Familie aus. Ganz im Gegenteil, sie arbeitet hart, um den erfolglosen Goldschürfer zu unterstützen und bietet ihm genau das einfache, ursprüngliche Familienleben, das ihm seine intellektuelle, zur Trübsal neigende erste Frau nicht bieten konnte. Dennoch erklärt er sich bereit, Kimiko nach Tokyo zu begleiten, um ihre Hochzeit in die Wege zu leiten. Für eine kurze Zeit scheint es Kimiko, als würde ihr Traum von Familienglück nun wahr werden. Doch sie muss erkennen, dass ihre Eltern einfach nicht zusammenpassen.

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Wie gewohnt zeichnet Naruse seine Charaktere mit viel Liebe zum Detail und schafft es ganz ohne plakative Effekte, den Zwiespalt, in dem sowohl Kimiko als auch ihr Vater gefangen sind, glaubhaft und eindringlich zu inszenieren. Dabei erweist dich die junge Kimiko nicht nur als sehr moderne Frau (wie auch der ganze Film sehr modern wirkt), sondern auch als reife Persönlichkeit, die erkennt und versteht, dass es für ihren Vater kein Zurück mehr gibt.

Die letzte Einstellung zeigt Kimikos allein und verlassen zurückbleibende Mutter, die tragische Figur des Films. Sie ist nunmal wer und was sie ist, und kann allein deshalb Sunsaku nicht das geben, was er zum Glücklichsein braucht. So ist sie zum Leiden verdammt, ohne dass sie oder sonst jemand etwas dafür könnte. Das Leben ist manchmal einfach grausam.

Wife! Be like a rose! ist der erste Vorkriegsfilm Naruses, den ich bisher gesehen habe. Einige typische Elemente seiner späteren Filme sind sofort wiederzuerkennen: Die Szenen mit von Häusern eingefassten Straßenzügen, die Kontrastierung von Stadt und Land, der Enge und der Weite, sowie kurze Großaufnahmen von Objekten, etwa um eine bestimmte Stimmung zu transportieren.

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Als ungewöhnlich fielen mir dagegen zahlreiche Einstellungen auf, in denen der Blick auf die Personen durch Objekte im Vordergrund teilweise verdeckt ist. Ich interpretiere dies als eine Anknüpfung an die Botschaft des Films, nämlich dass man Personen nicht auf Grund von Hörensagen und Vermutungen basierend aus der Ferne beurteilen kann, sondern dass dazu immer das direkte, persönliche Erleben, also quasi der unverstellte Blick, gehören.

Bemerkenswert außerdem die häufig niedrig positionierte Kamera, so dass wir als Zuschauer oft regelrecht an den Personen hinaufschauen müssen. In manchen, in geschlossenen Räumen spielenden Szenen erinnert dies stark an Ozus typischen Stil der sitzenden Perspektive. Doch Naruse verwendet sie auch in einigen anderen Szenen. Am auffallendsten ist dies bei der Begegnung von Kimiko und ihrem Vater. Auf offenem Felde stehend unterhalten sich die beiden, wobei wir sie in einer klassischen shot-reverse-shot Konstellation zu sehen bekommen. Allerdings scheint der Kameramann seine Kamera dabei unter dem Arm gehalten zu haben.

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Dadurch, dass wir zur freudestrahlenden Kimiko und ihrem ebenfalls überglücklichen Vater aufsehen, beide Personen gegen den Himmel gezeigt werden, entsteht ein regelrecht erhebendes Gefühl. Das Wiedersehen von Vater und Tochter, der emotionale Höhepunkt des Films, wird so auch visuell unterstrichen.

Anscheinend war der junge Naruse recht experimentierfreudig und versuchte sich an verschiedenen Stilmitteln. Ob die genannten sowie weitere Mittel in seiner frühen Schaffensphase häufig eingesetzt wurden, werde ich schon bald etwas genauer einschätzen können. Als nächstes steht nämlich Street without end auf meiner Liste, der unmittelbar vor Wife! Be like a rose! entstand.

Am 1. September startete Evangelion 1.0 – You are (not) alone in den japanischen Kinos und übernahm mit einem Einspielergebnis von 280 Mio. Yen (1,8 Mio. Euro) auch gleich die Spitze der Box Office Charts. Und das, obwohl Toho KlockWorx nur 84 Kopien des Films zum Start auflegte, wie Mark Schilling berichtet. Zum Vergleich: Hollywood-Blockbuster starten in den USA gewöhnlich mit mehreren Tausend Kopien, und allein in Tokyo dürfte es mehr als 84 Kinos geben.

Bedenkt man dazu die große Heimlichtuerei, die Toho KlockWorx und das Produktionsstudio Gainax vorher um das Mammutprojekt der Neuauflage des Anime-Klassikers Neon Genesis Evangelion betrieben haben, stellt ich mir die Frage, ob hier eine Strategie der künstlichen Verknappung vorliegt. Ziel könnte es sein, den Hype um den Film dadurch zu steigern, dass das Sehen des Films einerseits ein Muss ist, gleichzeitig aber so wenig Tickets zur Verfügung stehen, dass man sich dafür gedulden muss.

Das wäre eine diametral andere Strategie als die von US-Studios zum Start ihrer Blockbuster angewendete. Diese versuchen üblicherweise, durch eine möglichst große Zahl von Kopien besonders gute Einspielzahlen am ersten Wochenende zu erzielen und den Film so ins Gerede zu bringen und die mediale Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Bin mal gespannt, ob Toho KlockWorx diese Strategie konsequent weiterfährt oder ob die Zahl der Kopien bei anhaltendem Erfolg erhöht wird. Und wieviel der Film am Ende einspielt. Und wie das mit dem internationalen Release dann wird…

Update: Das endgültige Einspielergebnis lag bei 2 Mrd Yen (12,7 Mio Euro), womit er immerhin auf Rang 15 der japanischen Produktionen in diesem Jahr landete und eine Reihe von Blockbustern wie 300 oder Shrek the Third deutlich hinter sich ließ. Bei den Erlösen pro Kopie lag Evangelion 1.0 mit rund 15.000 Euro ganz vorne, die Strategie scheint also aufgegangen zu sein. Nur von einem internationalen Release hat man leider noch nichts gehört…

Repast

Original: Meshi (1951) von Mikio Naruse

Diese Verfilmung einer Vorlage von Fumiko Hayashi, Naruses Lieblings- schriftstellerin, an deren Drehbuch auch der spätere Literaturnobelpreisträger Yasunari Kawabata mitwirkte, war Naruses erster großer Nachkriegserfolg. Garant dafür dürfte nicht zuletzt Hauptdarstellerin Setsuko Hara gewesen sein.

Hara spielt die ursprünglich aus Tokyo stammende Hausfrau Michiyo, die nun mit ihrem Ehemann Hatsunosuke (Ken Uehara), einem unterbezahlten Wertpapierhändler, in Osaka lebt. Eines Tages kommt Hatsunosukes Nichte Satoko (Yukiko Shimazaki) zu Besuch, die von Michiyo zunächst herzlich aufgenommen wird. Das junge, ungebundene Mädchen, das noch nichts über Verantwortung und die Härten des Lebens weiß und das Leben so gut es geht genießt, führt Michiyo jedoch bald die Eintönigkeit ihres Hausfrauendaseins und ihrer Ehe eindrücklich vor Augen.

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Dazu kommt die große Aufmerksamkeit, die ihr Ehemann seiner hübschen Nichte zukommen lässt, so dass Michiyo zunehmend eifersüchtig wird, ihr Leben als unerfüllt und vergeudet wahrnimmt und sich in einer Sackgasse sieht. Schließlich packt Michiyo ihre Sachen und reist nach Tokyo zu ihrer Familie, begleitet von Satoko. Hatsunosuke, der von all dem völlig überrumpelt wird, bleibt verständnislos im schnell im Chaos versinkenden Haus zurück. Michiyo ist unterdessen hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, in Tokyo zu bleiben und dort eine Arbeit zu suchen, oder zu ihrem Mann in ihr altes Leben zurückzukehren.

Schließlich sind es wieder Satoko und ihr zielloses, sprunghaftes Verhalten sowie der daraus erwachsende Ärger mit ihren Eltern, die Michiyo ins Grübeln bringen und eine Entscheidung in ihr reifen lassen. Ihr wird klar, dass sie im Gegensatz zu dem jungen Mädchen ihren Platz im Leben gefunden hat und nicht noch einmal von vorn beginnen will. Wie häufig in Naruses Filmen wird dieser entscheidende Moment unter freiem Himmel in einer offenen Landschaft inszeniert und steht somit im starken Kontrast zum eingeengten Alltag der Protagonistin.

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Als dann auch noch Hatsunosuke nach Tokyo kommt, vorgeblich wegen einer Geschäftsreise, und die beiden sich nach längerer Zeit wieder begegnen, löst sich die angesammelte Spannung zwischen den Eheleuten schnell und sie finden sogar ein Stück des ursprünglichen gemeinsamen Glücks wieder.

Symbolisiert wird dies durch einen gemeinsamen Besuch in einer Bar, bei dem die beiden das erste Mal im Film überhaupt gemeinsam lachend zu sehen sind. Dabei etabliert Naruse eine auffällige Parallele zu einer ganz ähnlichen früheren Szene, in der Michiyo von einem an ihr interessierten entfernten Verwandten zum Essen eingeladen wurde, zu einer Zeit, als sie noch mit dem Gedanken spielte, auf der Suche nach Glück ein neues Leben zu beginnen.

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Überhaupt arbeitet Naruse in Repast sehr häufig mit parallelen Szenen, die durch mehr oder weniger subtile Abweichungen und Änderungen die sich wandelnde Stimmung der Charaktere und ihr Verhältnis zueinander unterstreichen. Sehr typisch dafür wäre etwa die Eröffnungssequenz, in der (ein Markenzeichen Naruses) die engen Straßen und kleinen Häuser des Viertels in Osaka zu sehen sind, die am Anfang sehr sympathisch, freundlich und liebenswert erscheinen. Eine spätere fast exakte Wiederholung transportiert dann aber eine komplett andere Stimmung und trägt damit zur Charakterisierung von Michiyos Leben als eintönig, freudlos und ausweglos bei.

Neben der außergewöhnlichen Fähigkeit Naruses, seinen Filmen durch die besondere Aufmerksamkeit für kleine Details eine sehr dichte Atmosphäre zu verleihen, ist es besonders die großartige Setsuko Hara, die Repast zum Leben erweckt. Indem sie die zweifelnde, am Scheideweg ihres Lebens stehende Hausfrau nicht nur glaubwürdig sondern sehr nuanciert spielt und ihr mittels ihres unnachahmlichen Lächelns in vielen Szenen etwas zutiefst rätselhaftes verleiht, wird der gesamte Film sehr wahrhaftig und unaufgesetzt.

Aus heutiger Sicht mag jedoch die durch den Schluss scheinbar vermittelte Botschaft des Films („Vielleicht liegt das Glück einer Frau ja darin, sich für ihren Mann aufzuopfern“) vielen – und da nehme ich mich nicht aus – übel aufstoßen. Allerdings bin ich mit Naruses Werken vertraut und weiß sehr wohl, dass ihm Frauenschicksale und die Frauen angetane Ungerechtigkeit sehr am Herzen liegen, weshalb ich Repast unter etwas anderen Gesichtspunkten betrachte.

Im Gegensatz zu vielen anderen Protagonistinnen Naruses ist Michiyo nämlich in der glücklichen Lage, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Sie wird nicht wie die Bardame Keiko in When a Woman ascends the stairs oder wie die Witwe Yae in Summer Clouds durch äußeren Druck seitens der Familie, finanzielle Nöte oder gesellschaftliche Zwänge am Ausbrechen aus ihrem festgefahrenen Leben gehindert. Ganz im Gegenteil, Michiyos Familie ist sehr verständnisvoll und geduldig, und dass sie und ihr Mann ein eher karges Leben führen spielt keine Rolle bei ihrer Entscheidung. Sie folgt einfach ihren Gefühlen, tut das was ihr als richtig erscheint und genießt damit eine Freiheit, die fast allen anderen Frauenfiguren Naruses verwehrt blieb.