Original: Jōiuchi: Hairyō tsuma shimatsu (1967) von Masaki Kobayashi

Fünf Jahre nach dem grandiosen Harakiri wandte sich Regisseur Kobayashi wieder dem Chambara-Genre zu und machte direkt dort weiter, wo er aufgehört hatte: Wieder eine Geschichte aus der Tokugawa-Zeit, wieder ein Vater der von einem barbarischen System zum Einsatz von Gewalt getrieben wird, wieder spielt Architektur eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der Botschafts des Films. Trotz all dieser Parallelen fügte Kobayashi doch ein zentrales, neues Element hinzu, das Samurai Rebellion eine ganz andere Note gibt als Harakiri: Eine starke Frau.

Screenshot Samurai Rebellion 1

1725, der Fürst Matsudaira verstößt seine Konkubine Ichi (Yoko Tsukasa), die ihm widerwillig einen Sohn geboren hatte, und zwingt sie in eine Ehe mit dem Samurai Yogoro (Go Kato). Dessen Vater Isaburo (Toshiro Mifune) ist zwar Aufseher der Wache und bester Schwertkämpfer des Clans, stand aber sein ganzes Leben unter der Fuchtel seiner Frau und hat nie aufgemuckt. Doch nun fürchtet er, dass seinem Sohn dasselbe Schicksal einer lieblosen Ehe droht und lehnt die Hochzeit ab. Unter dem Druck des Hofes ist es schließlich Yogoro, der in die Hochzeit einwilligt. Tatsächlich erweist sich Ichi als perfekte Ehefrau und zwischen den beiden erwächst eine innige Liebe. Überglücklich überlässt Isaburo die Führung der Familie Yogoro, um sich ganz seiner ersten Enkeltochter zu widmen.

Doch die Freude dauert nicht lange: Der erstgeborene Sohn des Fürsten stirbt, Ichis Sohn aus der Beziehung mit dem Fürsten ist plötzlich legitimer Nachfolger. Da die Mutter des Thronfolgers unmöglich mit einem normalen Samurai verheiratet sein kann, erfordert das Protokoll die Rückkehr Ichis an den Hof und ihre Scheidung von Yogoro. Die beiden weigern sich jedoch, ihr Glück wegen protokollarischer Erfordernisse und dem Dünkel des Fürsten aufzugeben und bekommen von Isaburo volle Rückendeckung. Als Yogoros eigener Bruder seine Schwägerin Ichi mit einem Trick an den Hof und damit in die Gefangenschaft lockt, greift Isaburo zu den Waffen.

Screenshot Samurai Rebellion 2

Ganz wie in Harakiri unterlegt Kobayashi die Opening Titles wieder mit beeindruckenden Ansichten großartiger Architektur, diesmal der Burg des Fürsten. Diese starren, symmetrischen und abweisenden Formen stehen bildhaft für die menschenverachtenden, absoluten Gehorsam einfordernden Machtstrukturen und die Logik des Protokolls, derer sich der Fürst nach Lust und Laune bedient: Zunächst, um die junge Ichi zu seiner Konkubine zu machen und sie dann wieder loszuwerden, als sie nach der Geburt seines Sohnes unbequem wird. Später, um sie als Mutter des Thronfolgers zurück an den Hof zu holen, damit er sein Gesicht wahren kann.

Bei all diesen Parallelen entsteht jedoch eine völlig andere Atmosphäre. Wo Harakiri über weite Strecken ein Duell zweier Männer ist, bei dem erst nach und nach die Grausamkeit des Systems ans Licht kommt und das fast überwiegend mit Worten und erst ganz am Ende mit dem Schwert geführt wird, ist in Samurai Rebellion schnell klar, dass hier drei aufrechte Menschen einen aussichtslosen Kampf gegen ein unmenschliches System führen. Diese Klarheit nutzt Kobayashi, um das traditionelle, tyrannische Wertesystem gnadenlos und bis ins Kleinste zu sezieren. So baut sich mit jedem neuen, skrupellosen Akt der Unterdrückung und der willenlosen, kriecherischen Zustimmung aus den Reihen der Verwandtschaft eine Welle der Empörung auf, die Isaburo schließlich stellvertretend für den Zuschauer in Aktion umwandelt.

Screenshot Samurai Rebellion 3

Dieses Finale hat wenig mit der recht kurzen Eruption der Gewalt am Ende von Harakiri gemein. Wie von Tatewaki (Tatsuya Nakadai), Isaburos einzig ebenbürtigem Gegner und guten Freund angekündigt, veranstaltet der Meisterschwertkämpfer Isaburo ein regelrechtes Massaker unter den Truppen des Fürsten. Über gut 20 Minuten zieht sich das Gemetzel hin, unterbrochen von der Begegnung und dem Duell mit Tatewaki, der aber erkennen muss, dass auch er machtlos ist gegen Isaburos gerechten Zorn.

Dieses Duell auf freiem Feld unter offenem Himmel greift die erste Szene des Films auf, in der die beiden im Auftrag des Fürsten ein Schwert an einer Strohpuppe testen: Ausdruck des Hochmuts und der Selbstüberschätzung der Beamten und ihres Machtapparats. Dieses Duell symbolisiert aber auch das Ausbrechen aus dem Machtgefüge, denn praktisch der gesamte Film zwischen diesen beiden Szenen am Anfang und ganz am Ende spielt in  einengenden, klar strukturierten Räumlichkeiten.

Screenshot Samurai Rebellion 4

Die Gespräche zwischen Vater und Sohn, zwischen Mann und Ehefrau sowie zwischen der Familie und den Abgesandten des Hofes werden in streng komponierten Einstellungen gezeigt, eingerahmt von Wänden  und Schiebetüren. Immer wieder ragen Balken ins Bild oder trennen die Menschen visuell. Der nach schlichten aber strengen geometrischen Prinzipien angelegte, das Haus umgebende Steingarten, verstärkt diesen Eindruck des Gefangenseins in Strukturen noch.

Eine eigentlich unscheinbare, aber sehr aufschlussreiche Szene voller Symbolkraft findet in diesem Steingarten statt: Ichi steht allein im Garten, während die Familie drinnen über den Umgang mit ihrer Weigerung, an den Hof zurückzukehren, debattiert. Dann tritt Isaburo zu ihr hinzu, doch er folgt nicht den vorgegebenen Wegen, er zerstört die mühsam aufgebaute Struktur des Gartens und läuft über den säuberlich hergerichteten Kies. Als Yogoro und Isaburo ihr Haus in Vorbereitung der Kämpfe schließlich in seine Einzelteile zerlegen, ist dies ein symbolischer Akt der Befreiung von den rigiden, ihnen aufgezwungenen Strukturen.

Screenshot Samurai Rebellion 5

In den anschließenden Kämpfen gegen immer größer werdende Scharen von Gegnern steigert sich Isaburos Wut und Siegeswille ins Übermenschliche, nicht einmal Gewehrkugeln scheinen ihn stoppen zu können. Kobayashi deutet in den letzten Minuten von Samurai Rebellion an, in welche Richtung sich Chambara in den folgenden Jahren entwickeln würde: Immer überdrehtere Gewaltexzesse, in denen comichaft verzerrte, unbesiegbare Helden die Grenzen der Realität hinter sich lassen.

Samurai Rebellion wird wohl für immer und ewig im Schatten des berühmteren Harakiri stehen, muss den Vergleich mit seinem Vorgänger aber keineswegs scheuen. Das zentrale Element des familiären Glücks sowie die gegenüber Harakiri weniger verschachtelte und damit leichter nachvollziehbare Struktur des Films machen ihn eingänglicher und für ein größeres Publikum interessant – weshalb ich ihn Einsteigern in die Materie sogar eher empfehlen würde. Jedenfalls wieder mal ganz ganz großes Kino von Masaki Kobayashi!

Die Blogschau hat in diesem Jahr eher unregelmäßig stattgefunden. Gerade dreimal habe ich bisher die Gelegenheit gefunden, auf andere spannende Blogprojekte hinzuweisen. Dafür waren es in 2010 bisher hauptsächlich deutschsprachige Blogs, während in den früheren Jahren vor allem Englisch dominierte. Das ist natürlich eine sehr erfreuliche Entwicklung, und in diesem Sinne geht es auch heute weiter!

Im Aufgebot ist nämlich Tief in den Wäldern, der rundum empfehlenswerte Blog von Marald, den viele von euch schon seit langem als regelmäßigen, sachkundigen und ebenso scharfsinnigen wie -züngigen Kommentator hier kennen. Ich hatte zudem das große Vergnügen, Marald höchstselbst auf dem JFFH zu begegnen, wir haben uns zusammen Summer Wars angesehen. Im März hatte er sich dann offenbar ein Herz gefasst und begonnen, seine Japanophilie in einem Blog auszuleben. Diese seine Begeisterung für Japan ist wohl deutlich umfassender als meine eigene, jedenfalls schreibt er nicht nur über Filme sondern auch über Literatur oder Musik. Besonders schön finde ich seine Liste mit 22 Filmen für Einsteiger, bei der ich mir einbilde, ein bisschen Pate gestanden zu haben 😉

Nach diesem Highlight erlaube ich mir mal ein bisschen Werbung in eigener Sache, ich führe nämlich seit diesem Sommer noch einen zweiten, persönlichen Blog. Unter dem Motto mind under construction beschäftige ich mich dort mit allerlei Themen, die mich sonst noch so beschäftigen: Das Internet im Allgemeinen und Social Networks im Besonderen, gesellschaftliche und politische Entwicklungen, was man beim Umgang mit Geld beachten sollte und welche Rolle unsere Menschlichkeit (sprich: Psychologie) bei dem allem spielt. Dieses Projekt läuft eher nebenher und steckt noch in den Kinderschuhen, aber gerade deshalb freue ich mich immer über Anregungen oder Kritik und danke dafür schonmal im Voraus!

Onibaba

Original: Onibaba (1964) von Kaneto Shindo

Im vom Bürgerkrieg zerrissenen und zerstörten Japan sichern sich zwei Frauen, Mutter und Schwiegertochter, ihre Existenz, indem sie verwundeten oder getöteten Samurai ihre Waffen und Kleider abnehmen und diese verhökern. Eines Tages kehrt ihr Nachbar Hachi (Kei Sato) zurück und berichtet vom Tod des Sohnes bzw. Ehemanns. Zunächst machen die drei gemeinsame Sache und töten mehrere Samurai, aber zwischen Hachi und der Schwiegertochter (Jitsuko Yoshimura) entwickelt sich schnell eine starke sexuelle Anziehungskraft.

Diese bedroht die Existenz der Mutter (Nobuko Otowa), denn sollte ihre Schwiegertochter sie zugunsten von Hachi verlassen, wäre sie allein auf sich gestellt und dem Hungertod geweiht. So versucht sie es mit Einschüchterung und Ammenmärchen über Ehebrecher, die in der Hölle landen würden. Dann begegnet ihr ein Samurai mit einer merkwürdigen Maske, dem sie nach seinem Tod die Maske abnimmt, um damit ihre Schwiegertochter von Besuchen bei Hachi abzuhalten. Doch die Maske lässt sich nicht so einfach missbrauchen.

Onibaba Screenshot 1

Der Film konzentriert sich ganz auf diese ungewöhnliche Dreiecksbeziehung, andere Charaktere kommen so gut wie nicht vor. Der obige Screenshot aus einer Szene am Anfang des Films symbolisiert die Situation perfekt (falls dies von Kaneto Shindo so beabsichtigt war, muss er Wunder bewirken können): Die beiden Frauen bilden eine Einheit, doch die eine von ihnen wendet ihre Aufmerksamkeit dem Mann zu, der noch ein Außenseiter ist, während die andere dadurch noch mehr gezwungen ist, sich auf sie zu konzentrieren.

Vögel tauchen immer wieder in Onibaba auf, aber der Film ist so voller Symbole und Anspielungen, dass es unmöglich ist, hier auf alles einzugehen und zu interpretieren. Zudem wurde das in den letzten Jahrzehnten bereits ausgiebig getan, und auch Regisseur Shindo hat bereitwillig in Interviews Auskunft gegeben, was er sich bei dem Film gedacht hat. Daher werde ich mich gar nicht weiter mit wilden Interpretationen befassen, sondern mich an das halten, was Shindo selbst zur Einordnung des Films sagte.

Onibaba Screenshot 2

Onibaba beginnt mit zwei verletzten Samurai, die sich durch die Susuki-Felder kämpfen, wie im klassischen Jidaigeki-Film. Dann verschiebt Shindo den Fokus aber komplett, als die beiden Samurai hinterrücks von den beiden Frauen erstochen werden, um die sich der Film von nun an dreht. Dies ist eindeutig Ausdruck der sozialistischen Weltsicht Shindos und seinem Interesse an den unterprivilegierten, unterdrückten Menschen und solchen, die am Rand der Gesellschaft stehen.

Im Gegensatz zu den anderen Akteuren bleiben die beiden Frauen ohne Namen, sie sollen stellvertretend stehen für alle Menschen und deren unbedingten Willen zu Überleben. In der Tat dreht sich für die drei Protagonisten den ganzen Film über alles ausschließlich um die Befriedigung der absoluten Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Sex. So ist es auch nicht allzu überraschend, dass in Onibaba nicht allzuviel gesprochen wird. Shindo äußerte mehrfach seine Bewunderung für diesen unbändigen Willen der Menschen, entgegen aller Widrigkeiten und selbst unter höllischen Bedingungen weiterzuleben. Dieses Thema findet sich auch in Die nackte Insel wieder, den er vier Jahre zuvor gedreht hatte.

Onibaba Screenshot 3

Das tiefe Loch mitten in dem Nichts aus Wasser und Schilf, in das die Frauen die toten Samurai „entsorgen“, dient als Symbol für den Tod. Mehrfach springen die beiden über das Loch und so symbolisch dem Tod von der Schippe. Mit einer solchen Szene endet auch der Film – die Schwiegertochter springt über das Loch, bei der ihr hinterherlaufenden Mutter bleibt offen, ob sie hineinstürzt. Shindo hat allerdings in einem Interview selbst die Interpretation nahegelegt, dass sie es schafft, weil sie immer noch vom unbedingten Willen zum Leben beflügelt wird und sich auch durch die ihr widerfahrene Bestrafung durch die Maske nicht unterkriegen lässt.

Zwar leben die Frauen in stetiger Angst vor den kriegführenden Samurai, aber auch der zurückgekehrte Hachi ist ein Eindringling, beschwört Konflikte herauf. Die Mutter lässt ihn das unmissverständlich wissen: „Wir sind wir und du bist du.“ Es gibt kein Gemeinschaftsgefühl, jeder versucht nur, sein eigenes Überleben zu sichern. Als die Tochter dann ihr Verhältnis mit Hachi beginnt, merkt die Mutter wie sich dieses Gemeinschaftsgefühl verschiebt und sie droht, nun selbst zur Außenseiterin zu werden. Um die Schwiegertochter an sich zu binden, schürt sie deren schlechtes Gewissen und berichtet Schauermärchen über die Hölle, in die Ehebrecher nach dem Tode kämen. Dies könnte durchaus auch ein Seitenhieb Shindos auf die Instrumentalisierung sexueller Begierden durch religiöse Bewegungen sein.

Onibaba Screenshot 4

Je weiter sich die Beziehung von Hachi und der Tochter entwickelt, um so mehr verschieben sich die Gewichte in der Beziehung zwischen den beiden Frauen. Ist es anfangs die Mutter, die den Ton angibt, wird die Tochter nach und nach immer aufmüpfiger und unabhängiger. Als sie am Ende entdeckt, dass hinter der Maske kein Dämon sondern ihre Schwiegermutter steckt, kehrt sich die ursprüngliche Abhängigkeit in ihr Gegenteil um, nun hält sie alle Trümpfe in der Hand und die Schwiegermutter ist ganz auf ihre Hilfe angewiesen. Shindo bringt dieses neue Machtverhältnis auch ganz bildhaft zum Ausdruck.

Überhaupt, die Bilder! Wie kaum ein anderer Film brennt sich Onibaba unauslöschlich ins Gedächtnis ein mit seiner unvergesslichen Bildsprache. Kein anderer japanischer Film ist in den letzten Jahren so oft von Lesern meines Blogs angefragt worden, und alle Mails lauteten etwa „ich habe da mal einen Film gesehen, in dem überall Schilf ist, vielleicht wissen Sie, welcher das sein könnte?“ und dann weiß ich schon, dass sie nur Onibaba meinen können. Das Schilf soll übrigens laut Shindo ebenfalls ein Symbol sein, für das bewegte, vom Sturm gepeitschte Leben der Menschen und deren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Onibaba Screenshot 5

Nicht nur das Schilf prägt den Film, es sind vor allem auch die Kontraste. Der ständige Gegensatz von hell und dunkel, der sich im Schattenwurf des Schilfs findet, wird in vielen Szenen aufgegriffen, in denen die Protagonisten sich durch Tupfen von Licht kämpfen. Ruhige und lange Einstellungen wechseln mit dynamisch geschnittenen Szenen, auf Landschaftsbilder folgen Nahaufnahmen. Das setzt sich auch klanglich fort: Momente absoluter Stille werden plötzlich von dröhnenden Paukenschlägen unterbrochen.

Die Dreharbeiten müssen für alle Beteiligten die Hölle gewesen sein. Praktisch einen ganzen Sommer, von Juli bis September, verbrachte das Team rund um die Uhr in einem Sumpf. Auf Grund des niedrigen Budgets waren die Unterkünfte sehr einfach gehalten und wurden bei Taifunen mehrfach überschwemmt. Shindos Regieassistenten verbrachten Tage damit, bis zur Hüfte im Schlamm stehend das tiefe Loch zu graben oder hölzerne Planken zu verlegen, auf denen die Schauspieler dann ihre spektakulären Läufe durch die Schilflandschaft durchführen konnten. Die emotionale und atmosphärische Dichte des Films dürfte zu einem guten Teil auf diese extremen Arbeitsbedingungen, die das Team zusammenschweißten, zurückzuführen sein.

Onibaba Screenshot 7

Onibaba ist zweifelsohne eines der herausragendsten Werke der japanischen New Wave Ära und bis heute einer der international bekanntesten japanischen Filme überhaupt – und das völlig zu Recht! Regisseur und Drehbuchautor Kaneto Shindo verwandelte ein altertümliches japanisches Schauermärchen in eine Parabel voller psychologischer Anspielungen und zeitlos-universeller Themen und fing diese in berauschend schönen, ausdrucksstarken schwarz-weiss Bildern ein. So ist Onibaba ein gleichermaßen intelligenter wie schön anzusehender, unterhaltsamer wie zutiefst verstörender Film.

Ein gutes Jahr ist es her, dass ich erstmals von den Plänen zu einer umfangreichen DVD-Reihe Japanische Meisterregisseure des österreichischen Labels polyvideo erfuhr, damals über einen Eintrag in einem Filmforum. Da mir die Pläne damals geradezu unglaublich ambitioniert klangen (die Reihe sollte 22 DVDs umfassen, darunter zahlreiche bisher in Europa nicht erhältliche Filme von Yasujiro Ozu) und keine Bestätigung seitens des Labels zu erhalten war – weder auf der Webseite noch auf Nachfrage – habe ich aber zunächst auf Berichte verzichtet.

Dass ich auch seither nicht über die Reihe geschrieben hatte, lag allerdings nicht an gekränkter Eitelkeit, vielmehr wollte ich mir erstmal selbst einen Eindruck von den DVDs machen, bevor ich sie weiterempfehle. Das ist vor ein paar Wochen geschehen, und jetzt wäre ich eigentlich so weit gewesen, die große Werbetrommel zu rühren. Nur ist die Reihe inzwischen eingestellt worden 🙁

Wie der zuständige Mitarbeiter bei polyfilm in einem österreichischen Forum bestätigte, liegt der Grund für die Einstellung in den schlechten Verkaufszahlen, was mich angesichts der eigentlich hochkarätigen Filmreihe und auch der gelungenen Umsetzung (dazu ein andermal mehr) verwunderte. Also hab ich mich direkt an polyfilm gewandt und es ergab sich im Verlauf der letzten Woche ein reger Mail-Austausch mit dem Mitarbeiter, der sehr locker und auskunftsfreudig antwortete.

Offenbar war die ursprüngliche Idee zunächst gewesen, einige Ozu-Filme in den Katalog des Labels aufzunehmen. Im Zuge der Projektplanung entwickelte sich dann die Idee zu der umfangreichen Reihe, zu der neben Ozu noch Filme von Nagisa Oshima, Keisuke Kinoshita und Yoshitaro Nomura gehören sollten und die inzwischen auch erschienen sind. Vor der Fortführung der Reihe mit den Ozu-Filmen traten dann zwar Komplikationen bei den Rechten speziell für zwei der Ozu-Filme auf, wofür sich aber schnell eine Lösung fand, so dass dies kein Hinderungsgrund für die Fortsetzung der Reihe gewesen wäre. Hier kamen vielmehr die wie bereits erwähnt schlecht laufenden Verkäufe ins Spiel, welche das Management alarmierten und schließlich zur Einstellung der Reihe veranlassten. Somit endet diese ausgerechnet mit der 11. DVD, Kinoshitas „Eine japanische Tragödie“, und ohne ihr eigentliches Herzstück, die Ozus.

Nun kann man sich angesichts dieser wahrhaft tragischen Geschichte eines hochambitionierten und bewundernswerten DVD-Projekts die Haare raufen über das Kulturbanausentum der deutschsprachigen Filmkonsumenten und sagen „War ja klar! Was der deutsche Michel nicht kennt, das kauft er nicht“. Aber ich glaube, damit würden wir es uns zu einfach machen. Mein Eindruck aus dem Mail-Austausch war, dass man das auch bei polyvideo so sieht und im Nachhinein das eine oder andere anders entschieden und anders gemacht hätte.

Aber hätte, wäre, wenn, das zählt alles nicht. Und auch wenn ich sehr enttäuscht bin, dass die angekündigten Ozus ausfallen, sehe ich die Sache doch auch positiv: Dank der Reihe sind bereits einige japanische Klassiker in sehr guter Qualität auf den deutschen Markt gekommen, von denen ich das nur in meinen Träumen erhofft hätte! Ich persönlich denke dabei besonders an die fünf Filme Keisuke Kinoshitas, der einige der beliebtesten und erfolgreichsten Filme der japanischen Kinogeschichte schuf und ähnlich wie Mikio Naruse noch in der internationalen Wahrnehmung hinter den großen Drei (Kurosawa, Ozu, Mizoguchi) herhinkt.

Machen wir also aus dieser Tragödie das Beste und freuen uns darüber, dass 11 tolle und seltene Filme den Weg nach Deutschland gefunden haben. Und wenn wir uns ordentlich mit diesen Filmen eindecken und sie weiterempfehlen, können wir vielleicht auch ein kleines bisschen dazu beitragen, dass die Reihe doch irgendwann noch fortgesetzt wird.

via Filmtagebuch

Originaltitel: Musashino fujin (1951) von Kenji Mizoguchi

Michiko (Kinuyo Tanaka) und ihr Mann Akiyama (Masayuki Mori) fliehen aus dem zerstörten Tokyo zu Michikos Eltern, die ein Anwesen im ländlichen Vorort Musashino besitzen. Schon kurz nach ihrer Ankunft stirbt Michikos Mutter, und bald darauf auch ihr Vater, dem sie vor seinem Tod noch das Versprechen gibt, die Ehre der altehrwürdigen Familie hochzuhalten. Doch ihre Ehe mit Akiyama ist zerrüttet, ebenso wie die ihres Vetters und Nachbarn Eiji mit der intriganten Tomiko.

Lady Musashino Screenshot 1

Als nach Kriegsende Michikos jüngerer Cousin Tsutomu (Akihiko Katayama) aus der Kriegsgefangenschaft nach Musashino zurückkehrt und bald nicht nur für die schöne Landschaft Musashinos sondern auch für Michiko schwärmt, entsteht für sie ein moralisches Dilemma: Sie erwidert zwar seine Gefühle und verurteilt das Verhalten ihres Mannes, der mehr oder weniger offen auf der Suche nach Affären ist. Dennoch schwört sie sich, ihre moralischen Verpflichtungen zu respektieren und ihrem Ehemann loyal und treu zu bleiben.

Als Eiji Michiko darum bittet, ihm mittels einer Hypothek auf den Familienbesitz aus einer finanziellen Krise zu helfen, spitzt sich die Situation allerdings schlagartig zu: Akiyama droht mit Scheidung, entwendet Besitzurkunden und macht sich mit Tomiko nach Tokyo auf. Völlig verzweifelt fasst Michiko den Entschluss, sich das Leben zu nehmen. Erst an ihrem Sterbebett bereut Akiyama sein Verhalten, und Tsutomu sieht ein, dass er einem utopischen Idealbild einer untergegangenen Epoche nachträumte.

Lady Musashino Screenshot 2

Mit seinem Stamm-Drehbuchautoren Yoshikata Yoda verfilmte Kenji Mizoguchi aufbauend auf einem Roman von Shohei Ôka die tragische Geschichte einer Frau, die in mehreren Konflikten gefangen ist, aus denen es in ihrem moralischen Weltbild keinen Ausweg gibt. Gleichzeitig wird die Auflösung dieser Moralvorstellungen und die Modernisierung der japanischen Gesellschaft nach dem Krieg thematisiert.

Mizoguchi stellt besonders bei der Inszenierung des Idylls Musashino sein ganzes Können unter Beweis: Wunderschön komponierte Bilder und lange Kamerafahrten durch Wälder, entlang von Bächen und Feldwegen bringen die Ruhe, Unschuld und Harmonie zum Ausdruck, für die Michiko und ihre Weltanschauung stehen. Das ländliche Musashino wird dabei zum Symbol für hehre, traditionelle Normen und das moderne Tokyo für die Unterordnung dieser Moral unter die hemmungslose Selbstverwirklichung des Individuums.

Zwar wird Michiko teilweise schon fast wie eine Heilige dargestellt. Andererseits erweist sich das Idyll Musashino am Ende des Films aber als Trugbild und die letzte Kameraeinstellung, ein Schwenk über das prosperierende, moderne Tokyo, entlässt den Zuschauer mit einer durchweg positiven Stimmung (siehe Screenshot oben). Das zeigt, dass Mizoguchi die Modernisierung nicht grundsätzlich ablehnt. Ihm geht es darum, die sich aus den im Umbruch befindenden Moralvorstellungen ergebenden Konflikte als solche zu thematisieren sowie die Konsequenzen für die Menschen, die sich in dieser Umbruchsituation zurechtfinden müssen.

Lady Musashino Screenshot 3

Vor allem das Dreieck aus Michiko, Tsutomu und Akiyama symbolisiert das Ringen mit dieser Umbruchsituation. Der Literaturprofessor Akiyama gefällt sich in der Rolle des intellektuellen Provokateurs und produziert sich vor seinen jungen Student(innen) mit Theorien zur befreienden Wirkung des Ehebruchs. Tsutomu greift diesen Gedanken nur zu gerne auf, beisst dabei aber bei Michiko auf Granit. Seine Bemerkung, Liebe sei Freiheit und Freiheit gebe Kraft, kontert sie mit den Worten „Kraft erwächst immer aus Moral“. So ist Tsutomu hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Symbolfiguren und sucht mal das schnelle Vergnügen und den schnellen Sex in Tokyo und mal die reine, wahre Liebe in Musashino.

Diese Konflikte sind aber stellenweise doch sehr an den sozialen und historischen Kontext gebunden.  So ist es aus heutiger Sicht trotz Kinuyo Tanakas Präsenz nicht einfach, sich mit Michiko zu identifizieren, die zwischen der auf traditionellen Vorstellungen von Ehre und Moral basierenden Loyalität zu ihrem Mann auf der einen und ihren Gefühlen auf der anderen Seite hin- und hergerissenen ist. Zudem wirkt die etwas hölzerne Darstellung des Tsutomu durch Akihiko Katayama phasenweise wenig  glaubwürdig und authentisch. Großartig ist dagegen Masayuki Mori als große Reden schwingender Möchtegern-Ehebrecher, der sich letztlich doch immer an irgendeinem Rockzipfel festhalten will.

Lady Musashino Screenshot 4

Interessanterweise gibt Die Dame von Musashino in vieler Hinsicht so etwas wie ein zeitgenössisches Spiegelbild zum drei Jahre später entstandenen Eine Erzählung nach Chikamatsu ab, unter umgekehrten Vorzeichen: Beide befassen sich mit einer Frau, die zwischen der Loyalität zu Mann und Familie und ihren wahren Gefühlen entscheiden muss. Während der eine allerdings in der Gegenwart spielt und eine  Frau zeigt, die sich an ihrem inneren Konflikt zerreibt, spielt der andere in der feudalen Vergangenheit und hat eine Heldin, die in diesem Konflikt klar Position bezieht und sich gegen traditionelle Erwartungen zur Wehr setzt.

Die Dame von Musashino kann nicht mit solch herausragenden Meisterwerken Mizoguchis wie Ugetsu oder Das Leben der Frau Oharu mithalten. Neben zahlreichen seiner anderen Filmen, in denen starke Frauen versuchen, sich gegen sozialen Druck zu behaupten, wirkt er zudem vergleichsweise konservativ.  Dennoch ist er ein berührender Film über eine aufrechte,  tragische Heldin, die in der damaligen Zeit das Dilemma vieler japanischer Ehefrauen versinnbildlicht haben dürfte.

[Dies ist die erweiterte und überarbeitete Fassung eines ursprünglich am 9. Oktober 2006 veröffentlichten Artikels.]

Während Hirokazu Kore-eda in diesen Tagen mit den Dreharbeiten zu seinem neuen Film Kiseki beginnt, in dem es um zwei Brüder geht, die ihre geschiedenen Eltern wieder zusammen bringen wollen, gibt es Neuigkeiten über seinen vorletzten Film Still Walking.

Der kommt nämlich am 18. November in die deutschen Kinos! Hinter dem Kinostart steht das Freiburger Independent-Label Kool, das bereits den Oscar-Gewinner Departures nach Deutschland geholt und das scheinbar dazu gelernt hat und den etablierten, internationalen Titel des Films dieses Mal beibehält, anstatt ihn durch einen deutschen Titel ohne jeglichen Bezug zum Original zu ersetzen.

Diese Nachricht freut mich ungemein! Still Walking war letztes Jahr auf der Nippon Connection mein Favorit und die UK-DVD steht bereits seit einer Weile in meinem Regal. Aber um in Familie und Freundeskreis für den Film werben zu können, braucht es einfach eine deutsche Ausgabe mit deutschen Untertiteln. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass der Film möglichst viele Menschen in den Kinos erreicht und anschließend eine würdige DVD bekommt!

via Kinozeit

Original: Kanzashi (1941) von Hiroshi Shimizu

Der Soldat Nanmura (Chishu Ryu) verbringt seinen Sommerurlaub in einem Gasthaus in den Bergen. Eines Tages tritt er beim Baden in eine Haarnadel und verletzt sich, so dass er seinen Aufenthalt verlängern muss. Als die bereits abgereiste Besitzerin der Haarnadel, die Geisha Emi (Kinuyo Tanaka), von dem Unglück erfährt, kehrt sie umgehend zurück.  Dabei ahnt sie genauso wenig wie Nanmura, dass dessen Zimmernachbarn bereits einen Plan aushecken, um die beiden zu verkuppeln.

Während Emi Nanmura bei seinen Laufübungen hilft, freunden sich die beiden schnell an und so entsteht um die beiden und einige weitere Gäste, besonders zwei kleine Jungs, eine Art Familiengefühl. Das und die idyllische Landschaft lassen Emi fast ihr tristes, in Abhängigkeit von einem Patron geführtes Leben in Tokyo vergessen und den Wunsch in ihr reifen, dieses Leben hinter sich zu lassen. Doch Nanmuras Heilung kommt gut voran und der Sommer nähert sich unweigerlich seinem Ende…

Ornamental Hairpin Screenshot 1

Über weite Strecken ist Ornamental Hairpin eine ziemlich seichte, wenn auch sympathische Komödie mit einigen recht stereotypen Figuren. So etwa der grantige Professor, der anfangs ständig am nörgeln ist und jeden mit seinen eloquent vorgetragenen Meinungen einschüchtert, aber eigentlich ein gutes Herz hat. Oder das Paar, bei dem der Mann sich kaum traut, etwas zu sagen, ohne seine Frau zu fragen. Die Gäste beharken sich gegenseitig, nur um sich gleich wieder zu vertragen. Dazwischen eingestreut sind ein paar running gags, wie die ständig ausgebuchten Masseure.

Die spannendste und zentrale Figur ist ganz ohne Zweifel Emi. Das verdeutlicht schon die Eingangsszene, in der  sie uns auf dem Weg zum Gasthaus vorgestellt wird. Die Szene besteht fast ausschließlich aus einer Art walk and talk-Sequenz, in der sie und eine Freundin sich frontal auf die zurückweichende Kamera zu bewegen (siehe Screenshot oben). Danach tritt Emi für einige Zeit in den Hintergrund, aber nach ihrer Rückkehr dreht sich der Film in seiner zweiten Hälfte mehr und mehr um ihre verzwickte Situation, die dem Film am Ende ihren Stempel aufprägt.

Als zentrales Motiv nutzt Shimizu dabei genialerweise die Laufübungen des verletzten Nanmura, die dieser angetrieben von zwei kleinen Jungs als Wettbewerbe aufzieht. Schnell lässt sich auch Emi von der Begeisterung der Jungs anstecken, so dass die Übungen zunächst ein wesentliches Vehikel für die zart angedeutete romantischen Gefühle zwischen den beiden abgeben. Als Nanmura bei einer dieser Übungen von einem Steg fällt, trägt Emi ihn sogar zurück ans Ufer, eine recht intime Geste in der damaligen japanischen Gesellschaft. Überhaupt bleiben Emotionen zwischen den beiden immer unausgesprochen und beschränken sich auf Gesten und Blicke.

Ornamental Hairpin Screenshot 2

Die heitere Stimmung kippt plötzlich bei Nanmuras letzter Übung, einer Treppe, deren erfolgreiches Erklimmen bedeutet, dass er gesund genug ist, um nach Tokyo zurückzukehren. Schlagartig wird Emi bewusst, dass die schönen Wochen vorüber sind, das Urlaubs- und Familienidyll nichts als eine kurze, romantische Illusion war und sie jetzt wieder von ihrem alten Leben und den überfälligen, schweren Entscheidungen eingeholt wird. In den letzten Szenen des Films sehen wir Emi, nach der Abreise der anderen Gäste allein zurückgeblieben, durch den nun herbstlichen Wald die Treppe hinaufgehen.

Diese tragische Wendung in den letzten Minuten des Films wandelt dessen gesamten Charakter. Sie nimmt zugleich Bezug auf eine Episode vom Anfang des Films, als der Professor Nanmura „romantische Illusionen“ über die – zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte – Besitzerin der Haarnadel unterstellt und sich sorgt, was das Platzen dieser Illusion für den verletzten Soldaten bedeuten könnte. Am Ende ist es dann jedoch Emi, die jäh aus ihrer Illusion gerissen wird und nun niemanden mehr hat, der ihr beisteht. Dieses Finale wirkt umso stärker, weil es in solch krassem Gegensatz zu den belanglosen Scherzen und familiären Kabbeleien steht, die den Film die meiste Zeit über prägten.

Ornamental Hairpin Screenshot 3

Damit lässt sich der Film auch als Kommentar auf die damalige Situation der Filmemacher in Japan interpretieren, die sich einer zunehmend strengen Zensur unterwerfen mussten. Filme wurden genau geprüft und durften nur realisiert und gezeigt werden, wenn sie eine positive Stimmung förderten und zum Bild des Zusammenhalts und der Kraft des japanischen Volkes beitrugen. Das führte natürlich dazu, dass viele flache, beschönigende und eskapistische Komödien in die Kinos kamen, wie Ornamental Hairpin es über weite Strecken auch eine ist. Nur, dass Shimizu in den letzten Minuten des Films diese Illusion auf geniale Weise platzen lässt.

Mich hat dieser Film sehr beeindruckt. Kinuyo Tanaka ist großartig und harmoniert exzellent mit dem im Vergleich dazu etwas eindimensional angelegten Chishu Ryu. Ich halte Ornamental Hairpin, der einer der letzten Filme Shimizus vor Kriegsende war, angesichts der Vorgaben der Zensoren und wie er mit diesen spielt, für einen kleinen Geniestreich.

Kinuyo Tanaka

Kinuyo Tanaka, geboren am 28. November 1910, war fast ein halbes Jahrhundert lang eine der wichtigsten, beeindruckendsten Schauspielerinnen Japans. Zudem gelang ihr als erster Frau in der japanischen Filmgeschichte der Wechsel hinter die Kamera auf den Regiestuhl.

Kinuyo TanakaAls sie im Alter von 14 Jahren erstmals in einem Kinofilm auftrat, erholte sich die Filmindustrie gerade vom großen Kanto-Erdbeben. Junge, experimentierfreude und aufstrebende Regisseure drängten ins Rampenlicht, so etwa Hiroshi Shimizu, selbst gerade mal 21 Jahre alt, in dessen Mura no bokujo sie ihr Debut gab. In den folgenden Jahren spielte sie in zahlreichen Filmen von Heinosuke Gosho und ab 1929 auch in den Komödien des jungen Yasujiro Ozu. In den 30ern war sie dann nicht mehr aus der Filmwelt wegzudenken, drehte jedes Jahr mehrere Filme und arbeitete praktisch mit allen namhaften Regisseuren zusammen. Leider sind von diesen Vorkriegsfilmen viele nicht mehr erhalten, es scheint aber, als ob sie in dieser Phase ihrer Karriere dem Publikum vor allem in komödiantischen und romantischen Rollen vertraut war.

Das begann sich nach dem Krieg zu ändern, angetrieben nicht zuletzt durch die Hauptrollen in Kenji Mizoguchis frühen Nachkriegswerken Utamaro und seine fünf Frauen sowie Die Liebe der Schauspielerin Sumako. Besonders in der Rolle der Sumako Matsui, eine der allerersten Theaterschauspielerinnen Japans, konnte Tanaka die ganze Bandbreite ihres darstellerischen Talents ausleben und machte den letzten Schritt zu den großen tragischen (Mutter-)Rollen, für die sie heute hauptsächlich bekannt ist:  Sansho the Bailiff, The Munekata Sisters, Das Leben der Frau Oharu, Die Mutter, The Woman in the rumours, Ugetsu, Die Ballade von Narayama und viele andere unvergessliche Klassiker mehr wären ohne ihre Präsenz nur schwer vorstellbar.

1953 schlug sie dann noch ein weiteres Kapitel neben ihrer bemerkenswerten Karriere als Schauspielerin, in der sie in etwa 250 Filmen mitwirkte, auf. Als erste Japanerin überhaupt führte sie Regie, und zwar in Love Letter, einer als romantisches Melodrama verkleideten Auseinandersetzung mit den schwierigen Lebensumständen von Frauen in der Nachkriegswelt. Auch ihre nachfolgenden fünf weiteren Regiearbeiten hatten einen unübersehbaren feministischen Anklang, ohne aber direkt provozierend zu sein. Mitte der 1960er Jahre klang ihre Karriere dann aus, ihr letzter Auftritt war 1976 eine kleine Rolle in Yasuzo Masumuras Lullaby of the earth. Kinuyo Tanaka starb am 21. März 1977 im Alter von 66 Jahren.

Eine kleine Auswahl ihrer Filme:

1924 – Mura no bokujo
1926 – Machi no hitobito
1929 – I graduated but…
1931 – ABC Lifeline
1934 – Woman of that night
1941 – Ornamental Hairpin
1946 – Utamaro und seine fünf Frauen
1947 – Die Liebe der Schauspielerin Sumako
1948 – A hen in the wind
1949 – My love has been burning
1950 – The Munekata sisters
1952 – Die Mutter
1952 – Das Leben der Frau Oharu
1953 – Ugetsu
1953 – Love Letter (Regie)
1954 – The woman in the rumours
1954 – Sansho the Bailiff
1956 – Flowing
1958 – Die Ballade von Narayama
1958 – Equinox Flower
1961 – Girls of the night (Regie)
1962 – Ogin sama (Regie)
1963 – Alone on the Pacific
1974 – Sandakan 8
1976 – Lullaby of the earth