Osaka Elegy

Original: Naniwa ereji (1936) von Kenji Mizoguchi

Osaka Elegy entstand unmittelbar vor Die Schwestern von Gion und markiert gemeinsam mit diesem einen Meilenstein in der stilistischen und thematischen Entwicklung von Mizoguchi, der mit diesen beiden Filmen zu seinem „feministischen“ Kino der ausgebeuteten, leidenden Frauen fand.

Die Telefonistin Ayako (Isuzu Yamada) ist mit ihrem Kollegen Susumu verlobt, muss sich aber permanent der aufdringlichen Avancen von Asai, Präsident der Firma, erwehren. Da ihr Vater Geld unterschlagen hat und ihr älterer Bruder sein Studium bezahlen muss, bittet sie Susumu, die Mittel aufzutreiben. Doch Susumu lehnt ab, worauf sie widerstrebend einwilligt, gegen Geldgeschenke zur Geliebten ihres Chefs zu werden. Dessen Frau bleibt die Affäre aber nicht lange verborgen, es kommt zum Skandal und sowohl Susumu als auch ihre Familie verstoßen Ayako.

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Der erste Auftritt von Ayako zeigt sie in ihrer Telefonkabine sitzend, hinter Glas, eingerahmt von der Tür. Dieses Motiv des Gefangenseins zieht sich durch den ganzen Film: Immer wieder sehen wir sie durch Fenster hindurch oder eingerahmt von Vorhängen, Türen, Schatten. Sie ist eingezwängt von der Verpflichtung gegenüber ihrer in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Familie und gerät dadurch in Abhängigkeit von Männern wie Susumu, der sie im Stich lässt, und ihrem Chef, der sie ausnutzt.

Am verachtenswertesten ist jedoch die Reaktion der Familie, die nur durch Ayakos große Opferbereitschaft ihre prekäre finanzielle Lage meistern kann: Der Bruder kann sein Studium fortsetzen und seine Aussicht auf eine rosige Zukunft wahren, der Vater dem Gefängnis entgehen. Doch anstatt Ayakos Opfer und ihre Selbstlosigkeit anzuerkennen, sehen sie nur die Schande des Skandals und dass dies die Familie kompromittiert.

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Am Ende des Films steht Ayako einsam auf einer Brücke unter einer Straßenlampe und starrt hinunter in die dunkle Leere, die zugleich ihre Zukunft symbolisiert. Dann wendet sie sich vom Licht der Lampe ab, geht die Brücke entlang und schließlich in einer langen Großaufnahme direkt auf die Kamera zu. Sie wirkt dabei gefasst und entschlossen, das Leben bei den Hörnern zu greifen, doch den Zuschauer beschleicht angesichts dieses offenen Endes das Gefühl, dass sie in dieser Welt nicht viel zu lachen haben wird. Ein Ende, das auf frappierende Weise das in Truffauts 23 Jahre später entstandenem Sie küssten und sie schlugen ihn vorwegnimmt, und auch genau dieselbe Stimmung transportiert.

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Auch wenn noch einiges an Konsequenz fehlt, habe ich (trotz der leider ziemlich miesen Qualität der Kopie, die ich ergattern konnte) doch alle für Mizoguchi typischen Elemente angetroffen. Bereits die Eröffnungsszene im noblen Haus Asais – der amüsanterweise völlig unter dem Pantoffel seiner Frau steht – zeigt in einer langen Einstellung nichts als einen Korridor, durch den ein, zwei Dienstboten huschen.

Im anschließenden Gespräch von Asai, dessen Frau und einem befreundeten Arzt offenbaren sich in wenigen Sätzen der Zynismus und die Kälte zwischen dem Ehepaar, dessen glückliche Tage lange zurückliegen. Mizoguchi zeigt die drei Personen immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei die Kamera auch die 180-Grad-Linie überschreitet, und so die allgegenwärtige Spannung zwischen Mann und Frau und ihr zerbrochenes Verhältnis unterstreicht.

Immer wieder folgt die Kamera Personen in ausgedehnten, für die damalige Zeit großartig umgesetzten Schwenks und Fahrten, die schon eine Vorahnung der unnachahmlich fließenden Kamerabewegungen in Mizoguchis späteren Filmen vermitteln.

Und über all dem schwebt natürlich das Thema der unverschuldeten Abhängigkeit einer starken, selbstbewussten und anständigen Frau von Männern, die keinem dieser Attribute entsprechen. Das Dilemma, genau das zu tun was die Gesellschaft von Frauen erwartet (nämlich sich selbst für ihre Familie aufzuopfern), dadurch aber aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, griff Mizoguchi im Verlauf seines Schaffens immer wieder auf.

Es ist mal wieder soweit, die Japan Foundation schickt die Retrospektive eines großen Regisseurs auf die Reise durch die deutschen Kinosäle – oder zumindest eine Handvoll Kinosäle. Dieses Mal ist es Seijun Suzuki, das Enfant terrible, der Experimentator, der durchgeknallte Einzelgänger mit der großen Lust am Unkonventionellen. Seit Januar waren stolze 15 Filme seines Werkes bereits im JKI in Köln zu sehen, in Nürnberg lief die Retrospektive im Filmhaus und nun kommen sie auch ins Metropolis nach Hamburg! Yiehhaaaa! 🙂

Bisher sind lediglich die Juli-Termine bekannt, aber es sollen auch im August noch weitere Filme gezeigt werden*

  • Love Letter (1959): 7. Juli
  • Branded to Kill (1967): 7. & 9. Juli
  • Down with Wicked (1963): 10. & 11. Juli
  • The Young Rebel (1963): 14. & 15. Juli
  • Youth of the Beast (1963): 16. & 17. Juli
  • Kanto Wanderer (1963): 18. & 21. Juli
  • Flower and Rage (1964): 22. & 23. Juli
  • Gate of Flesh (1964): 25. & 26. Juli
  • Story of a Prostitute (1965): 27. & 28. Juli
  • Tattooed Life (1965): 30. & 31. Juli

Klar, dass ich mir davon möglichst keinen entgehen lassen will, schließlich sind auch einige Filme dabei, die sonst wohl auf Jahrzehnte hinaus nicht wieder zu sehen sein werden, schon gar nicht auf der großen Leinwand!

* Diese Retro ist übrigens wieder ein herausragendes Beispiel für die katastrophale Kommunikationspolitik rund um die Retrospektiven der Japan Foundation. Eine simple Google-Suche bringt so gut wie gar keine hilfreiche Informationen zutage, der Link zum JKI Köln führt auf eine leere Seite. Es gibt ein paar Foren- und Blogbeiträge, in denen Fans jeweils auf die Vorstellungen in ihrer Stadt verweisen (so wie ich), aber keinerlei zentrale Informationsmöglichkeit, in welchen Städten die Filme wann zu sehen sind. Von einem aktiven Bewerben der Filme ganz zu schweigen. Einfach unterirdisch. Und auch das Metropolis enttäuscht, außer im aktuellen Programmheft ist nirgends eine Info zu der Retro zu finden.

Update mit Programm vom August:

  • Tokyo Drifter (1966): 3. & 8. August
  • Fighting Elegy (1966): 6. & 9. August
  • Carmen from Kawachi (1966): 12. & 13. August
  • Zigeunerweisen (1980): 15. & 16. August
  • Heat Shimmer Theater (1981): 19. & 20. August
  • Yumeji (1991): 24. & 25. August

Isuzu Yamada

isuzu-yamadaIsuzu Yamada, eine der ganz großen Charakterdarstellerinnen aus der goldenen Ära des japanischen Films, starb am Montag im Alter von 95 Jahren in Tokyo.

Geboren am 5. Februar 1917 in Osaka als Tochter des Schauspielers Kazuo Yamada, lernte sie schon in ihrer Kindheit die Welt des Theaters kennen und machte sich mit traditionellen darstellerischen Künsten wie etwa Tänzen bekannt. Im Alter von nur 13 Jahren gab sie ihr Leinwanddebüt und arbeitete in den folgenden Jahren vor allem mit Regisseur Daisaku Ito zusammen, dem Meister der klassischen Jidai-geki. Ihren endgültigen Durchbruch als anerkannte Charakterdarstellerin brachte die Zusammenarbeit mit Regisseur Kenji Mizoguchi, in dessen wegweisenden Filmen Osaka Elegy und Die Schwestern von Gion sie in kontroversen Hauptrollen brillierte.

Bis in die frühen fünfziger Jahre wirkte sie in vielen erfolgreichen und gefeierten Filmen bekannter Regisseure wie Masahiro Makino, Mikio Naruse, Kajiro Yamamoto oder Teinosuke Kinugasa mit und brachte dabei sowohl ihr komödiantisches als auch dramatisches Talent ein. So lebhaft wie ihre Filmkarriere gestaltete sich auch ihr Privatleben: Nach drei Scheidungen heiratete sie im Jahr 1956 bereits zum vierten Mal, für das damals noch sehr traditionelle Japan ein erstaunlicher Vorgang!

Nach einigen ruhigen Jahren begann ab 1957 mit Rollen in Akira Kurosawas Das Schloss im Spinnwebwald sowie Nachtasyl, durch die sie auch im Westen bekannt wurde, der zweite Frühling ihrer Karriere. Bis 1970 drehte sie noch fast 30 weitere Filme mit einer jungen Generation von Regisseuren wie Masahiro Shinoda oder Kon Ichikawa. Anschließend klang ihre Karriere als Filmschauspielerin, in der sie in mehr als 100 Filmen und zahlreichen TV-Serien ihr außerordentliches Können und ihre große Bandbreite unter Beweis gestellt hatte, langsam aus.

Zu ihren wichtigsten Filmen zählen:

1931: Adauchi senshu
1935: Osen mit den Papierkranichen (Orizuru Osen)
1936: Osaka Elegie (Naniwa erejî)
1936: Die Schwestern von Gion (Gion no shimai)
1941: Shanhai no tsuki
1944: Shori no hi made
1952: Gendai-jin
1957: Das Schloss im Spinnwebwald (Kumonosu jo)
1957: Nachtasyl (Donzoko)
1960: Bonchi
1961: Yojimbo €“ Der Leibwächter (Yojimbo)

Genau rechtzeitig für den Weihnachtseinkauf kommen von Amazon.com zwar keine Einkaufsgutscheine, dafür aber saftige Rabatte auf Criterion DVDs! Insgesamt über 100 Titel aus dem Katalog sind um rund 40 Prozent reduziert, darunter auch die Boxen der Eclipse-Reihe und ein paar echte Schmankerln für Liebhaber japanischer Klassiker, beispielsweise:

Und noch ein paar mehr, da hat der Weihnachtsmann ganz schön zu schleppen! 😉

Originaltitel: Gion no shimai (1936), von Kenji Mizoguchi

Der Film schildert die Geschichte zweier Schwestern, beide Geishas, aber mit sehr verschiedener Einstellung zu ihrem Beruf. Die ältere, Umekichi (Yoko Umemura), legt großen Wert auf Traditionen, Loyalität und ihren guten Ruf und bleibt deshalb mit ihrem Patron Shimbei Furusawa auch dann zusammen, als dieser Bankrott geht und verarmt. Ihre jüngere Schwester Omocha (Isuzu Yamada) dagegen sieht sich als das Opfer männlicher Unterdrückung und Ausbeutung. Loyalität und traditionelle Normen sind für sie lediglich Vehikel zur Ausnutzung von Frauen durch die Männer, weshalb sie sich von möglichst vielen verschiedenen Männern aushalten lassen will.

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Zu diesem Zweck spinnt sie ein Netz aus Lügen und nützt die Gefühle eines Verehrers aus. Auch ihre Schwester, der sie einen neuen Patron aufdrängen will, hintergeht sie und missachtet deren Gefühle. Doch dann stürzt ihr Lügengebäude ein, und als ihr Verehrer dahinter kommt, dass er die ganze Zeit von Omocha nur benutzt und zum Narren gehalten wurde, rächt er sich und sie landet im Krankenhaus.

Während man bis hierher dem Treiben von Omocha ungläubig, fast mit Entsetzen zusieht, sie immer mehr die Rolle einer kaltblütigen, nur auf ihren Vorteil bedachten Femme fatale annimmt und man ihr die Abreibung durch ihren zutiefst in seiner Ehre verletzten Verehrer regelrecht gönnt, verkehrt sich nun schlagartig alles ins Gegenteil: Während Omocha im Krankenhaus liegt, wird nämlich Umekichi, die treu zu ihrem alten Patron Furusawa hielt und diesen sogar mit ihrem kleinen Einkommen unterstützte, von diesem verlassen. Er kehrt zu seiner Frau aufs Land zurück, um eine Stelle anzutreten. Zurück bleiben eine am Boden zerstörte Umekichi und Omocha, die im Krankenbett liegend die Männer und die Abhängigkeit der Frauen von den Männern verflucht.

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Durch diese Wendung in letzter Minute wird Omochas Verhalten, das zuvor als verwerflich erschien, in ein völlig anderes Licht gerückt. Auf einmal wird dem Zuschauer klar, dass sie mit all ihren Ermahnungen an Umekichi und ihrem Misstrauen gegenüber Männern Recht hatte. Dadurch, dass sie auch noch im Krankenbett liegt, erhält ihre Anklage (€žWarum müssen wir so leiden? Warum gibt es Geishas?€œ) eine gesteigerte Eindringlichkeit, die Mizoguchi noch zusätzlich durch eine der ganz wenigen Großaufnahmen des Films unterstreicht. Diese unvergessliche finale Szene des Films ist sozialkritisches Kino par excellence und von allerhöchster emotionaler Intensität.

Mizoguchi kritisiert aber nicht nur die Stellung der Frau und der Geishas im Besonderen. Er thematisiert am Beispiel der beiden unterschiedlichen Schwestern auch die kulturellen und sozialen Gegensätze im Japan der 1930er Jahre, das hin- und her gerissen ist zwischen den alten Traditionen und den modernen, westlichen Einflüssen, die innerhalb weniger Jahrzehnte auf das Land einstürmten und es völlig verwandelten. Er bleibt dabei seiner Linie treu, die Familie als Mikrokosmos der Gesellschaft zu betrachten und Frauen €“ in diesem Fall Geishas €“ in den Mittelpunkt seiner Filme zu stellen.

Wie sehr die beiden, sowohl Omocha mit ihrem Drang nach Unabhängigkeit als auch Umekichi mit ihrer Treue, letztlich Gefangene einer sozialen Ordnung sind, verdeutlicht auch ein den Film stark prägendes visuelles Motiv: Der Einsatz von negativem Raum, der unsere Aufmerksamkeit fokussiert und auf die beiden Protagonistinnen lenkt sowie, dass diese immer wieder von Türen, Fenstern, Gängen umrahmt sind, Symbole des Gefangenseins.

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Zusammen mit dem im selben Jahr produzierten Film Osaka Elegie gilt Die Schwestern von Gion als erstes großes Meisterwerk Mizoguchis, die beide auch den Beginn der langen Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautoren Yoshikata Yoda markieren. Trotz des hohen künstlerischen Werts, der kontroversen Thematik und der Besetzung mit Yoko Umemura, einer etablierten Star-Schauspielerin, die seit Anfang der 1920er – unter anderem mit The Woman who touched the legs – sehr erfolgreich gewesen war, wurde Die Schwestern von Gion kein finanzieller Erfolg, ganz im Gegenteil: Obwohl die Produktion des Films nur wenige Wochen in Anspruch nahm, ging die Produktionsfirma Daiichi Eiga Bankrott. Dies wird vor allem auf Vertragsstreitigkeiten mit der Verleihfirma zurückgeführt, welche in einen Boykott des Films durch den Verleiher mündete.

[Hinweis: Dies ist eine stark erweiterte und überarbeitete Version eines Beitrags, der ursprünglich am 23. September 2006 erschien.]

Mark Le Fanus 2005 erschienenes Buch Mizoguchi and Japan über Kenji Mizoguchi und dessen filmisches Schaffen ist das einzige ausschließlich Mizoguchi gewidmete, englischsprachige Buch, das derzeit auf dem Markt ist. Klar, dass ich daran nicht vorbeikam.

Umso enttäuschter war ich, als mir nach dem Lesen der ersten Seiten klar wurde, was das Buch nicht ist: Eine gut strukturierte, analysierende und nach Erkenntnisgewinn strebende Auseinandersetzung mit Mizoguchis Filmen. Mit gerade einmal knapp 200 Seiten ist es dafür auch fast schon zu dünn geraten. Jetzt könnte man meinen, dass es dann wohl eher eine Einführung ist, die einen knappen Überblick vermittelt, aber dafür nicht in die Tiefe geht. Aber auch das trifft es nicht. Ich hatte beim Lesen eher den Eindruck, dass Mizoguchi and Japan statt dessen einer Sammlung von Essays und Gedanken gleicht, die sich größtenteils mit Mizoguchis Filmen und daneben noch etwas mit der japanischen Kulturgeschichte befassen.

Le Fanu setzt bei seinen Auseinandersetzungen mit den Filmen vieles voraus, sowohl was den kulturellen Hintergrund betrifft als auch die Filme selbst. Wenn man diese selbst schon gesehen hat, liefert er reichlich Denkanstöße und Interpretationen, an denen man sich mit den eigenen Gedanken wunderbar reiben kann. So ging es mir beispielsweise bei seinen Besprechungen von Die Dame von Musashino oder Ugetsu. Ist dies nicht der der Fall, lässt das Buch den Leser ziemlich allein im Regen stehen.

Was das Lesen zudem erschwert, ist die mangelhafte Strukturierung. Zunächst werden wir kurz – all zu kurz, die japanische Filmindustrie etwa wird auf einer Seite abgehandelt – in den japanischen Kontext eingeführt, dann in die Arbeitsweise Mizoguchis. Hier wird es langsam interessant, es kommt unter anderem die lange Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Yoshikata Yoda zur Sprache, Mizoguchis Detailbesessenheit und sein kühles Verhältnis zu seinen Schauspielern. Doch auch diesen Teil wünscht man sich deutlich ausführlicher.

So weit so sinnvoll, doch nun beginnt Le Fanu die Auseinandersetzung mit den Filmen Mizoguchis direkt mit den „Großen Drei“, Das Leben der Frau Oharu, Ugetsu und Sansho Dayu. Anstatt also dem Leser aufzuzeigen, welche Entwicklung Mizoguchi und seine Filme nahmen, die letztlich zu diesem Dreigestirn seiner bekanntesten Werke führte, ihn darauf vorzubereiten, werden wir direkt mit der Nase darauf gestoßen. In vier weiteren daran anschließenden Kapiteln werden jeweils einige thematisch verwandte Filme zusammen besprochen:

  • Geisha, Prostitution and the street: Innerhalb dieses Kapitels werden sowohl die beiden bekanntesten Werke der 1930er, Die Schwestern von Gion und Osaka Elegy, wie auch die späten Werke besprochen.
  • Visions of History: Im längsten Kapitel des Buchs werden einige der großen jidaigeki vorgestellt, darunter Eine Erzählung nach Chikamatsu und Die 47 Samurai sowie Mizoguchis erste Farbfilme Empress Yang Kwei Fei und Tales of the Taira Clan. Die thematische Überschneidung mit dem Kapitel zu den „Großen Drei“ liegt auf der Hand.
  • Respectable Women: Hier handelt Le Fanu auf 20 Seiten ein halbes Dutzend der weniger bekannten Filme Mizoguchis aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zwischen 1946 und 1951 ab.

Diese sprunghafte, keinem klar erkennbaren Ordnungsschema oder einer übergeordneten Fragestellung folgende Beschäftigung mit den Filmen macht das Buch nicht nur schwer lesbar, sondern lässt auch kaum ein Bild vom großen Ganzen im Kopf des Lesers entstehen. In meinen Augen ist Mizoguchi and Japan eine vertane Chance.

Denn der Autor hat offenbar interessante Gedanken mitzuteilen und das über einen der ganz großen Filmemacher, über den bisher kaum publiziert wurde (jedenfalls außerhalb Japans). Hier hätte Le Fanu mit etwas mehr Struktur und Ausführlichkeit eine Marktlücke füllen und ein echtes Standardwerk schaffen können. Darauf muss der geschätzte Mizoguchi-Verehrer nun weiter warten und sich unterdessen damit trösten, dass trotz allem doch viel Gutes (auch wenn sich das in dieser Kritik anders anhören mag) in diesem Buch steckt.

Original: Chikamatsu monogatari (1954) von Kenji Mizoguchi

Auch wenn es sich dem Titel nach um die Adaption eines Stückes von Monzaemon Chikamatsu handelt, haben Mizoguchi und sein Drehbuchautor Yoshikata Yoda einen guten Teil der Geschichte bei Ihara Saikaku entliehen und aus den alten Werken beider Schriftsteller etwas eigenes geschaffen.

Osan (Kyoko Kagawa) ist mit dem reichen aber geizigen Hoflieferanten Ishun (Eitaro Shindo) verheiratet. Als sie ihn bittet, ihre Familie mit einem kleinen Betrag zu unterstützen, lehnt er brüsk ab. So wendet sie sich an seinen Buchhalter Mohei (Kazuo Hasegawa), der Osan heimlich verehrt und ihr verspricht, das Geld zu besorgen. Sein Versuch, das Geld aus der Kasse zu „leihen“ wird jedoch entdeckt und durch unglückliche Umstände entsteht bei seiner Flucht der Eindruck, er und Osan hätten eine Affäre.

Nun muss auch Osan fliehen, denn auf Ehebruch steht die Todesstrafe. Bald sehen die beiden keinen Ausweg mehr und wollen gemeinsam in den Tod gehen, als Mohei seiner Angebeteten endlich seine Gefühle offenbart. Da sie ihn ebenfalls heimlich liebte, ändert sich nun schlagartig alles, der Selbstmord ist vergessen, sie wollen ihre Liebe leben. Doch auch ihre Flucht in die Berge kann das unvermeidliche Schicksal nur hinauszögern.

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Anfangs trägt die Geschichte noch fast komische Züge mit operettenhaften Verwechslungen, einem ausgedehnten Wer-liebt-wen-Rätsel und Moheis steifen Bemühungen, die angemessene Distanz zu Osan zu wahren. Das ändert sich völlig, als aus dem angestrebten Doppelselbstmord eine romantische Liebesszene wird und beide erkennen, dass es sich lohnt, um ihr gemeinsames Leben zu kämpfen. Als beide am Ende doch dem gemeinsamen Tod durch Kreuzigung entgegen gehen, bemerkt eine frühere Dienerin am Straßenrand, sie habe die beiden nie so glücklich gesehen.

Die altertümlichen Moralvorstellungen, auf denen die zentralen Konflikte des Films basieren, machen ihn aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, fast anstrengend. Aber ich könnte mir denken, dass diese Welt dem japanischen Publikum vor über einem halben Jahrhundert noch sehr viel näher war, hatte man doch gerade ein Regime hinter sich, das traditionelle Werte wie Selbstaufopferung zugunsten der Familie und der Gesellschaft sowie die Ehre als oberstes Gut propagiert hatte.

Davon, sich diesen Erwartungen und Normen zu beugen, sind Osan und Mohei weit entfernt, sie wollen zusammen sein, ihre Liebe auskosten, und scheren sich nicht um den Ruf ihrer dem Ruin verfallenen Familien. Damit porträtiert Mizoguchi ein sehr modernes Paar, dem man als Zuschauer unwillkürlich die Daumen drückt, auch wenn einem klar ist, dass die Liebe tragisch enden muss.

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Als Ishun seiner Frau Osan beim ersten Verdacht der Untreue und ohne ihren Unschuldsbeteuerungen auch nur zuzuhören sofort den Selbstmord aufdrängen will – welcher ihm überaus gelegen käme, hat er doch selbst eine Affäre mit einer Hausangestellten – ignoriert sie ihn völlig. Auch als sie von ihrer Familie bedrängt wird, die sich bietende Chance auf Rückkehr in das alte Leben zu nutzen und die Familienehre zu wahren, lässt sie dies kalt.

Somit steht Chikamatsu monogatari in bester Tradition früherer Mizoguchi-Filme wie Osaka Elegy oder Die Schwestern von Gion, in denen ebenfalls starke Frauenfiguren versuchten, sich gegen sozialen Druck, die Erwartungen der eigenen Familie und ausbeuterische, untreue Männer zu behaupten. Die sich daraus ergebenden Konflikte sind in diesen frühen realistischen und in der Gegenwart spielenden Filmen aber sehr viel nachvollziehbarer und greifbarer als in dem in einer feudalen Vergangenheit spielenden Chikamatsu monogatari.

Das tut dem Film letztlich nur geringen Abbruch, will er doch in erster Linie eine epische Liebesgeschichte erzählen, was ihm auch absolut gelingt. Ungewöhnlich für einen Liebesfilm jeder Zeit ist jedoch die Distanz, welche die Kamera die meiste Zeit hält und die uns kaum einmal einen close-up genehmigt, was aber zentraler Bestandteil von Mizoguchis Stil ist. Die ebenso typischen langen Kamerafahrten und die extrem langen Einstellungen dagegen kommen nur sporadisch zum Einsatz. In mancher Hinsicht ein typischer Mizoguchi, weicht Chikamatsu monogatari dann doch vom üblichen Kanon des Meisters ab.

Der Star vieler Kurosawa- und unzähliger anderer Filme wurde am 12. März 1905 unter dem bürgerlichen Namen Shoji Shimazaki als Sohn einer Samurai-Familie in Ikuno, Hyogo, geboren. Seine Schauspielkarriere begann zunächst auf der Bühne, 1935 stand er dann zum ersten Mal vor der Kamera.

Seine Zusammenarbeit mit Akira Kurosawa, mit dem er 19 Filme drehte, begann bereits mit Sanshiro Sugata, mit dem Kurosawa seinen Durchbruch erlebte. Die Zusammenarbeit der beiden war von großem gegenseitigem Respekt geprägt, ihr persönliches Verhältnis beruhte aber auf einer sehr viel weiter gehenden Zuneigung und Freundschaft: Kurosawa nannte den fünf Jahre älteren Shimura „Ojichan“, zu deutsch Onkel. Auch das Verhältnis zu seinem kongenialen Partner in Die Sieben Samurai und anderen großen Filmen, zu Toshiro Mifune, war durch eine innige Freundschaft geprägt.

Shimura spielte im Lauf seiner Karriere praktisch alle Rollen, vom grausamen Verhörspezialisten in Kein Bedauern für meine Jugend über Yakuza-Gangster, einen dem Alkohol verfallenen Arzt, den aufrechten Samurai, den Wissenschaftler in Godzilla und den einfachen Bauern in Rashomon bis hin zu Musical-Rollen. Seine für mich größte und mitreißendste Rolle ist jedoch die des krebskranken Kenji Watanabe in Ikiru. Wie er den vom Schmerz und von der Sinnlosigkeit seiner Existenz zerfressenen, in seinen Schreibtischstuhl versunkenen todkranken Beamten porträtiert, ist absolut herausragend. Watanabe wirkt in all seinen Bewegungen, Körperhaltungen, dem Ton seiner Sprache durch und durch authentisch und echt. Seine verzweifelte Suche nach einem Sinn im Leben und die unbändige Energie, die ihn durchfließt, als er diesen Sinn letztlich findet, werden von Shimura grandios gespielt! Ich habe selten eine so überzeugende schauspielerische Leistung gesehen.

Es ist diese Vielseitigkeit gepaart mit absoluter Glaubhaftigkeit, die noch dazu ohne große Effekte auskommt, die ihn meiner Meinung nach zum besten japanischen Schauspieler überhaupt macht, noch vor dem sehr viel bekannteren Toshiro Mifune. Takashi Shimura, einer der größten Schauspieler der Filmgeschichte, starb am 11. Februar 1982 in Tokyo.

Ein auszugsweiser Überblick über sein filmisches Schaffen, das Rollen in 197 Filmen umfasst:
1935: Chuji uridasu
1936: Osaka Elegy (Naniwa erejî)
1939: Oshidori utagassen (engl: Singing Lovebirds)
1943: Sugata Sanshiro
1946: Kein Bedauern für meine Jugend (Waga seishun ni kuinashi)
1950: Rashomon
1952: Das Leben der Frau Oharu (Saikaku ichidai onna)
1952: Einmal wirklich leben (Ikiru)
1954: Die Sieben Samurai (Shichinin no samurai)
1954: Godzilla
1957: Das Schloß im Spinnwebwald (Kumonosu jo)
1961: Yojimbo
1962: Chushingura
1965: Rotbart
1968: Zatoichi
1978: Ogin-sama (engl: Lady Ogin)
1980: Kagemusha