Original: Rurōni Kenshin: Meiji kenkaku roman tan (2012) von Keishi Ohtomo

In den Kämpfen zwischen Gegnern und Anhängern des Kaisers im Jahre 1868 gelangt ein junger Assassine wegen seiner fast übermenschlichen Schnelligkeit und einer Spezialtechnik im gleichzeitigen Kampf gegen mehrere Gegner unter dem Namen Battosai zu Berühmtheit. Doch er findet sich auf der Seite der Verlierer und schwört angesichts des Blutvergießens, sein Schwert nie wieder einzusetzen um andere zu töten.

Zehn Jahre später zieht er als Ronin unter dem Namen Kenshin Himura (Takeru Sato) durch die Lande und begegnet der jungen Kaoru (Emi Takei), die den Ruf der Kampfschule ihres Vaters bewahren will. Denn unter deren Namen begeht ein Mann, der sich Battosai nennt, eine Serie blutiger Morde. Als auch noch die Medizinerin Megumi (Yu Aoi) sich vor dem Opiumhändler und seiner Gang, für die sie Drogen entwickeln soll, in Kaorus Schule flüchtet, wird es für Kenshin immer schwerer, seinen Schwur einzuhalten.

Als Abschluss des JFFH2013 lieferte Samurai X nochmal solide Unterhaltung. Handwerklich ist der Film sehr gut gemacht, die Kämpfe sind rasant geschnitten, gut choreografiert und absolut auf der Höhe der Zeit. Was jedoch auffällt im Unterschied zu Hollywood-Blockbustern ist das Fehlen des seit dem Erfolg der Bourne-Trilogie zu beachtenden Realismus-Trends, und das obwohl der Film sich klar in der historischen Realität verortet. Ganz im Gegenteil sind Charaktere und teilweise auch Handlung stark überzeichnet, was den Ursprung in einer Manga-Serie eindeutig erkennen lässt.

Mit den manga-esken Charakteren geht leider auch einher, dass diese doch sehr schablonenhaft sind und ihnen teils jegliche nachvollziehbare Motivation fehlt. Überrascht hat mich in dieser Hinsicht lediglich die von Yu Aoi gespielte Megumi, die zwar auch einige Inkonsistenzen aufweist, die aber zumindest undurchsichtig und unberechenbar ist. Fast etwas nervig fand ich – vor allem im ziemlich konstruierten Finale – den ständigen Verweis auf Kenshins friedliebende, Gewalt ablehnende Lebenseinstellung.

In Japan war diese Adaption des Mangas von Nobuhiro Watsuki letztes Jahr einer der erfolgreichsten heimischen Filme. Auch auf dem JFFH herrschte großer Andrang und als Popcorn-Unterhaltung ist der Film ganz gut anzusehen und macht durchaus Spaß, vor allem weil er sich selbst nicht so bierernst nimmt. Unter dem Strich kann er mich aber nicht wirklich überzeugen: Er ist zu vorhersehbar als dass wirklich Spannung aufkommen könnte, die Charaktere sind wenig interessant und sooo bombastisch sind die Kämpfe dann doch nicht, dass sie den Film allein tragen könnten.

Die NipponConnection findet dieses Jahr erstmals nicht an der Frankfurter Uni statt, sondern weicht auf andere Locations wie den Mousonturm und die Naxoshalle aus. Und sie findet rund zwei Monate später statt, im Juni statt im April. Diese Neuerungen organisatorischer Natur ändern aber nichts daran, dass die NC das absolute Mekka für Liebhaber des japanischen Films ist – inzwischen weltweit.

Unbeeindruckt von Terminverschiebung und neuen Locations haben die Macher ein beeindruckendes Programm (pdf Download) zusammengestellt. Leider bin ich dieses Jahr nicht mit dabei, aber wenn ich dort wäre, würde ich mir diese 10 Filme auf keinen Fall entgehen lassen:

  • Outrage Beyond: Die (unerwartete) Fortsetzung zu Takeshi Kitanos unterkühlter Abrechnung mit und zugleich Neubelebung des Yakuza-Genres.
  • For Love’s sake: Zu Takashi Miike muss ich wohl nicht mehr viel sagen, hier mixt er mal wieder einen abenteuerlichen Genre-Cocktail, dieses Mal aus Musical, Highschool-Komödie und Gangsterfilm.
  • A Story of Yonosuke: Regisseur Shuichi Okita kann man mit Mitte 30 grade noch so zu den Nachwuchstalenten zählen, er wurde letztes Jahr erstmals einem größeren Publikum bekannt mit der Komödie The Woodsman and the Rain. Auch hier handelt es sich wieder um eine Komödie.
  • The Land of Hope: Nach Himizu widmet sich Shion Sono nochmal des Umgangs mit der Katastrophe von Fukushima, dieses Mal anhand eines fiktiven Szenarios, oder sollte ich besser sagen, Gedankenexperiments?
  • I’m Flash: Toshiyaki Toyoda ist inzwischen ebenfalls einer der großen Namen und seit seinem Debut 1998 mit Pornostar für unkonventionelles, stylisches Independent Kino bekannt. Hier verbindet er einen klassischen Thriller mit Fragen nach der eigenen Existenz.
  • The Drudgery Train: Es gibt wohl keinen zweiten der es so wie Nobuhiro Yamashita versteht, sich augenzwinkernd und verständnisvoll gesellschaftlicher Außenseiter und Loser anzunehmen. Spätestens seit Linda Linda Linda ist er auch einem größeren internationalen Publikum bekannt.
  • Isn’t anyone alive: Der neueste Film von Sogo Ishii, dem die diesjährige NipponRetro gewidmet ist. Hier bringt er ein Theaterstück auf die Leinwand, in dem sich eine Gruppe Studenten angesichts des bevorstehenden Weltuntergangs mit der Banalität ihrer eigenen Existenz konfrontiert sehen.
  • Wolf Children: Mamoru Hosoda hat in den letzten Jahren mit Das Mädchen das durch die Zeit sprang und Summer Wars einen kometenhaften Aufstieg genommen und ist zu einem der erfolgreichsten und bekanntesten Anime-Regisseure geworden. Für Wolf Children gründete er sein eigenes Produktionsstudio und landete letztes Jahr damit direkt in den Top5 der erfolgreichsten japanischen Filme.
  • Bad Film: Nochmal Shion Sono, aber ganz anders, denn das Material für dieses Werk entstand bereits 1995 auf Hi8-Video. Das Projekt konnte er damals aber nicht zu Ende bringen und schnitt daraus jetzt diese halbdokumentarische, nicht-lineare und offenbar nur bedingt logische Momentaufnahme vom Ende eines Jahrhunderts.
  • Thermae Romae: Die Erfolgskomödie des letzten Jahres mit Hiroshi Abe, die auf einer denkbar beknackten Idee basiert, aber vielleicht gerade deshalb so gut ankam.

Das sind schon ne ganze Menge an must-see-Filmen, aber wer noch etwas – oder besser, reichlich – Zeit hat sollte sich unbedingt auch noch Kiyoshi Kurosawas Penance ansehen. Diese exzellent besetzte (Yu Aoi! Sakura Ando! Eiko Koike! Kyoko Koizumi!), sechsstündige (!!!) Miniserie dreht sich um den Mord an einer Grundschülerin und die Rachegelüste ihrer Mutter – wer sich jetzt ein wenig an Confessions erinnert fühlt, liegt goldrichtig, denn beide Filme basieren auf Romanen derselben Autorin.

Egal, ob ihr euch diese oder andere Filme anschaut, viel Spaß allen Besuchern der NipponConnection! 🙂

Im letzten Jahr hab ich mich ja ziemlich ausgelassen über den einen oder anderen, mir nicht genehmen Trend beim Japanischen Filmfest Hamburg: Technische Probleme, sogar eine ausgefallene Vorstellung, wenig spannendes Rahmenprogramm und andere Dinge waren mir etwas auf den Senkel gegangen. Dieses Jahr gab es überhaupt keinen Grund, sich über etwas derartiges zu beschweren! Bei den Filmen lief alles glatt, sie wurden durchweg in sehr guter Qualität gezeigt, Pannen gab es keine, alles lief wie geschmiert. Dazu kamen wieder eine Vielzahl Gäste, darunter auch die Kengekikai Kampfkunst-Truppe, die extra aus Kyoto eingeflogen war und rund um das Festival und den Japantag in Hamburg Shows und Workshops anbot. Wer also nicht nur Filme sehen sondern auch darüber hinaus was erleben wollte, dem bot sich reichlich Gelegenheit.

Lustigerweise passt so gar nicht zu diesem eigentlich sehr gelungenen Eindruck, dass wohl in der Organisation einiges drunter und drüber ging. Ich bin zwar nicht mehr im Team selbst aktiv, habe aber noch einen guten Draht zu einigen Team-Mitgliedern und bekomme so einiges mit. So hatte das Team sowohl mit dem Wegbrechen einiger erfahrener Helfer als auch von Fördermitteln der Stadt zu kämpfen. Das äußerte sich dann unter anderem darin, dass das Programmheft erst am Tag vor der Eröffnung verfügbar war, dass kaum Plakate gedruckt werden konnten und dass natürlich die verbliebenen Helfer noch mehr Stress hatten. Dass trotzdem das Filmfest weitgehend glatt lief, ist vor diesem Hintergrund eine noch größere Leistung!

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Kurze Durchsage: Wenn du aus dem Raum Hamburg bist und schon immer mal hinter die Kulissen eines Filmfests schauen wolltest, melde dich direkt bei mir oder in den Kommentaren! Ich stelle sehr gerne den Kontakt her.
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So, kommen wir damit zu den Filmen, denn um die geht es ja letztlich bei der ganzen Chose. Die Filme haben mir in diesem Jahr wirklich einige Sorgenfalten auf die Stirn getrieben. Einen echten „wow!“-Film gab es schon letztes Jahr nicht, und von den Filmen die ich gesehen habe verdienten nur zwei oder drei das Prädikat „gut“ (die werde ich noch gebührend vorstellen, eine Bestenliste macht da aber keinen Sinn). Der Rest war mehr oder weniger belangloses Mittelmaß und einer so richtig schlecht. OK, ich habe Himizu verpasst und Kuro, der wohl eines der Highlights sein sollte, musste leider kurzfristig noch aus dem Programm genommen werden. Trotzdem muss ich leider konstatieren, dass ich zum ersten Mal in 7 Jahren enttäuscht bin.

Die Enttäuschung wird nicht gerade kleiner wenn ich auf das Programm der NipponConnection schiele, die in zwei Wochen startet und eine ganze Latte von Hochkarätern zu bieten hat, die ich alle verpassen werde weil ich dieses Jahr leider nicht nach Frankfurt fahre. Mein Bauchgefühl vom letzten Jahr, dass sich das JFFH beim Versuch, zahlenmäßig mit der NipponConnection und ihren weit über 100 Filmen mitzuhalten, überhebt und Quantität mehr und mehr die Qualität verdrängt, hat sich leider verstärkt. Und das ist kein gutes Gefühl, denn ich hänge nach wie vor sehr am JFFH, habe tolle Erinnerungen sowohl an grandiose filmische Momente als auch an den ganzen Spaß im Team. Enttäuscht nach Hause zu gehen nach einem Festivaltag tut mir weh und ich hoffe und drücke die Daumen, dass es im nächsten Jahr wieder richtig geniale Filme gibt!

Tokyo Family

Original: Tokyo kazoku (2013) von Yoji Yamada

Tomi (Kazuko Yoshiyuki) und Shukichi (Isao Hashizume), ein älteres Ehepaar, reisen aus der Provinz nach Tokyo, um ihre Kinder und Enkelkinder zu besuchen. Nach der anfänglichen Freude und Begeisterung anlässlich des Wiedersehens müssen die beiden bald erfahren, dass ihre Kinder angesichts der Arbeit und ihrer eigenen Familien kaum Zeit und Geduld haben, sich mit den beiden Alten abzugeben. Nur ihr jüngster Sohn Shoji (Satoshi Tsumabuki) kann sich als Freiberufler etwas Zeit freischaufeln und sie zumindest auf einer Bustour durch die Stadt begleiten.

So organisieren die Kinder für ihre Eltern ein Hotel, wo die beiden es aber nicht lange aushalten. Zurück in Tokyo müssen sie jedoch feststellen, dass sie keine Unterkunft haben, weshalb Shukichi einen Bekannten besuchen und Tomi bei Shoji unterkommen möchte. Dort lernt sie überraschend dessen Freundin Noriko (Yu Aoi) kennen und schließt sie sofort in ihr Herz. Doch bevor sie Shukichi davon erzählen kann, erleidet Tomi einen Schlaganfall und fällt ins Koma. Die Überraschung in der Familie ist groß, als Shoji mit Noriko im Krankenhaus auftaucht, um von der Mutter Abschied zu nehmen.

Sechzig Jahre nach Yasujiro Ozus Meisterwerk Tokyo Story machte sich Yoji Yamada an ein Remake, und das mit der dem Original gebührenden Ehrfurcht. Die Story ist nahezu unverändert geblieben, ganze Szenen bis in kleinste Details hinein wurden übernommen: Vom schüchternen Enkelsohn, der bei der Ankunft der Großeltern davonläuft über den Schwiegersohn, der für Tomi und Shukichi Süßigkeiten mit nach Hause bringt und sie fast im Alleingang aufisst bis hin zu Tomis Uhr, die Shukichi Noriko am Ende schenkt – wer das Original kennt und schätzt wird auf Schritt und Tritt altbekanntem begegnen.

Die wichtigsten Änderungen wurden an der Charakterkonstellation vorgenommen. Aus ursprünglich fünf Kindern wurden drei, wobei der mittlere Sohn Shoji – im Original im Krieg gefallen – nun am Leben ist und neben den beiden Großeltern in eine zentrale Rolle rückt. Nicht nur ist es hauptsächlich er, der Zeit mit den beiden verbringt, in seiner Figur kristallisiert sich zugleich die Modernisierung von Ozus Klassiker. Während seine älteren Geschwister Koichi und Shige wie im Original als Arzt respektive Besitzerin eines Schönheitssalons einen klassischen Beruf haben, verkörpert er nämlich eine junge Generation Japaner, die sich oft mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durchs Leben schlägt.

Mit seiner unsteten, künstlerischen und nicht auf eine erfolgreiche Karriere ausgelegten Freiberufler-Tätigkeit stößt er auf Unverständnis und Kritik bei seinem Vater und auch bei seinen Geschwistern, die ihn mehr oder weniger für einen Versager halten. So ist es auch kein Wunder, dass Shoji und Shukichi ein sehr gespanntes Verhältnis haben und im Umgang miteinander kaum ein Wort über die Lippen bringen. Ausgerechnet Shoji – bzw. dessen Freundin Noriko – ist es dann aber, die dem alles in allem enttäuschenden Besuch in Tokyo eine erfreuliche Wendung geben.

Zwar bleibt Yamada bei seinem Remake sehr nahe an der Handlung, er hat aber erfreulicherweise der Versuchung widerstanden, dem Film auch noch den „Ozu-Look“ mit dessen typischen stilistischen Merkmalen zu verpassen. Die berühmte niedrige Kameraposition etwa kommt so selten zum Einsatz, dass die wenigen Momente eher wie eine verbeugende Hommage denn wie ein Stilmittel wirken, und die Frontalaufnahmen bei Gesprächen fehlen fast völlig.

Es fehlt aber auch der wichtige und bedeutungsschwere Schluss des Originals, so dass der Film alles in allem so leichter und zugänglicher wird, aber auch etwas an Tiefe verliert. Dennoch würde ich die – vor allem von Shoji und Noriko verkörperte – vorsichtige Modernisierung durchaus als gelungene Neu-Interpretation ansehen, so weit ich das mit nur einer Sichtung im Flugzeug beurteilen kann. Bleibt zu hoffen, dass der Bezug zum Ozu-Meisterwerk vielleicht für eine Veröffentlichung auch bei uns reicht.

Seit ein paar Tagen ist das komplette Programm des Japanischen Filmfests Hamburg auf der Webseite nachzulesen, gerade rechtzeitig um noch vor dem Filmfest ein bisschen Stimmung zu machen und die Werbetrommel zu rühren 🙂

Ich habe noch nicht alle Filme angesehen – sind ja auch wieder verdammt viele, um die achtzig – aber ein paar hab ich mir schon rausgeguckt. Zu den Highlights dürfte wohl der Eröffnungsfilm, der bildgewaltige und effektgeladene historische Actionfilm The Floating Castle gehören, oder Helpless and Reckless, eine düster-mitreißende Inzestgeschichte.

Spannend klingen auch Ushijima the loanshark oder Ringing in their ears, sowie My Departure, der neue Film von Tetsu Maeda, der im letzten Jahr mit Sukiyaki einen der Knallerfilme zum Festival beigesteuert hatte. Dieses Mal scheint  er sich eher im Bereich Familiendrama zu bewegen, mal sehen, wie er sich da zurecht findet. Eher witzig klingt dafür Nana and Kaoru, ebenso wie einer der wenigen Anime den wir auf dem JFFH zu sehen bekommen werden, Memories of Family. Und dann ist da natürlich noch Himizu, Sion Sonos vor dem Hintergrund der Tsunami-Katastrophe spielendes Coming-of-Age Drama, das ich mir auf keinen Fall entgehen lassen werde!

Gut, dass das Kurosawa-Buch so gut wie fertig ist, da kann das Filmfest kommen 🙂

Wegen der Arbeit an meinem Kurosawa-Buch herrscht seit einigen Wochen Funkstille hier auf Japankino, aber es gibt ja noch andere Blogger-Kollegen, die eifrig Artikel raushauen und die ich mir natürlich bei aller Geschäftigkeit nicht entgehen lasse 🙂

  • So hat Micha vom Schneeland gleich von zwei großen Filmfestivals berichtet, der Berlinale und dem Hongkong International Film Festival. Auf der Berlinale hat er unter anderem einen der weniger bekannten Filme Keisuke Kinoshitas gesehen, und war von Shito no densetsu sehr angetan: „ein schockierender, faszinierender, und zugleich wunderschöner Film, der so manchen Grenze überschreitet und sich ganz schön viel traut.“ Aus Hongkong hat Micha uns zwei aktuelle Filme ans Herz gelegt, einmal Takeshi Kitanos fortgesetzte Abrechnung mit dem Yakuza-Genre Outrage Beyond sowie A Story of Yonosuke von Shuichi Okita, den er als besten Film des Festivals lobt. Da heißt es Augen offen halten, vielleicht bekommen wir die ja bei einem der hiesigen, demnächst anstehenden Festivals auch zu sehen.
  • Auf Wildgrounds hat der andere Michael unterdessen ein spannendes Interview mit dem Journalisten Stephane du Mesnildot über das Werk und die Entwicklung des nicht mehr ganz jungen Enfant terribles Shion Sono geführt. Auch dessen neuester Film Himizu und dessen Bedeutung im Werk des Regisseurs werden besprochen. Und dann gibt er noch eine kleine Sneak Preview zu Evangelion 3.33, der dieses Jahr den Weg zu uns finden soll.
  • Damit kommen wir zum Thema Anime, und zwar zur Abwechslung mal Serien! Der Bateszi Anime Blog stellte nämlich ausführlich die mehr als 20 Jahre alte, auf einem Manga aus den 70ern basierende Serie Oniisama E vor, von der ich noch nie gehört habe, die aber nach einem echten Klassiker klingt – oder zumindest dem Potenzial dazu. Außerdem wird die aktuelle Serie Flowers of Evil gelobt, was zu einer veritablen Meta-Diskussion über die (negative? enttäuschende?) Entwicklung vieler Anime-Reihen der letzten Jahre in den Kommentaren führte. Auch deren Lektüre ist empfehlenswert!
  • Jonathan Clements griff das Thema kürzlich ebenfalls auf, aus Anlass einer Buchvorstellung. Und zwar geht es um Ian Condrys The Soul of Anime, dem Clements stellenweise zwar eine gewisse Naivität unterstellt, das er aber nachdrücklich empfiehlt. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Buch verweist er außerdem auf eine Forumsdiskussion von AniPages, in der sich Peter Chung zu Wort meldete und ausführlich seinen Standpunkt zu kulturellen Unterschieden zwischen Anime aus Japan und Animationsfilmen aus Hollywood darlegt. Absolute Pflichtlektüre für jeden, der sich intensiver mit Anime beschäftigt!

Das waren die Lesetipps für heute, und bald dann hoffentlich wieder regelmäßiger auch hier was zu Lesen 🙂

In den letzten Wochen war es ziemlich still hier im Blog weil die Arbeit an meinem Kurosawa-Buch in die heiße Phase eingetreten ist. Der Hauptteil des Inhalts steht, das Buch wird voraussichtlich etwa 150-200 Seiten haben. Das Feedback aus der Umfrage war sehr hilfreich und ich versuche, einiges davon zu berücksichtigen. Wie viel sich am Ende davon im fertigen Buch findet, muss sich noch zeigen, schließlich spricht auch der Verlag ein Wörtchen mit. Das Inhaltsverzeichnis sieht derzeit ganz unspektakulär aus:

  1. Einleitung
  2. Leben
  3. Filme
  4. Schluss
  5. Tipps zu weiterführender Literatur und DVDs
  6. Filmographie

Ich komme gut voran, aber mir fehlen bisher noch Ideen für einen knackigen Titel, der Arbeitstitel lautet im Moment schlicht „Kurosawa für Einsteiger“. Das ist natürlich eher zum Gähnen und da dachte ich mir, ich frage mal wieder meine Leser 🙂

Wenn du eine kreative Idee hast, wie ich mein Buch für Kurosawa-Einsteiger nennen könnte, dann schreib die doch einfach in einen Kommentar oder schick sie mir übers Kontaktformular. Wenn ein Vorschlag dabei ist, der mir und dem Verlag total gefällt, gibt es zwar keine Umsatzbeteiligung, aber ich lass mir dann ein hübsches Überraschungs-Dankeschön-Paket einfallen 🙂

Original: Yoidore tenshi (1948) von Akira Kurosawa

Im zerbombten Tokyo hat sich der Arzt Sanada (Takashi Shimura) ganz dem Kampf gegen die Tuberkulose verschrieben. Auch bei dem Gangster Matsunaga (Toshiro Mifune), der sich eigentlich wegen einer Schusswunde behandeln lassen will, diagnostiziert er die teuflische Krankheit und versucht, den Sturkopf zu einer Behandlung zu überreden. Aus Stolz und Furcht, eine Schwäche einzugestehen, lehnt dieser ab. Doch Sanada gibt nicht auf, die beiden fassen langsam Vertrauen zueinander und Sanada willigt schließlich in eine Behandlung ein.

Als der alte Boss Okada (Reisaburo Yamamoto) aus dem Gefängnis entlassen wird, muss Matsunaga jedoch um sein Standing kämpfen und nimmt dabei immer weniger Rücksicht auf seine Gesundheit. Zudem entdeckt Okada, dass seine Frau inzwischen bei Sanada als Krankenschwester arbeitet, was nun auch den Arzt ins Schussfeld bringt. Matsunaga muss sich entscheiden, auf wessen Seite er steht.

Das Zentrum des Films – sowohl im geographischen wie symbolisch-spirituellen Sinne – ist ein dreckiger Tümpel nahe Sanadas Praxis, der von den Anwohnern als Müllkippe benutzt wird und allerlei Krankheiten als Brutstätte dient. Bereits für die eröffnende Titelsequenz, aber auch für viele weitere entscheidende Szenen gibt er den Hintergrund ab und wird zu einem strukturierenden Element des Films. Zugleich wird der Tümpel von Kurosawa – und von Sanada als seine Stimme im Film – als ein Symbol zur Verdeutlichung des physischen und psychischen Zustands der Charaktere aber auch des ganzen Landes benutzt.

Um dieses Zentrum kreisen die Charaktere und definieren sich im Bezug darauf: Sanada, der das Übel erkannt hat, es bekämpft und andere auf den Weg der Besserung bringen will; Matsunaga, der sich in Passivität und Schicksalsergebenheit zurückzieht; Okada, der den Tümpel als sein Element sieht und sich das Übel zu nutze macht.

Vorangetrieben wird Engel der Verlorenen von der Konfrontation Matsunaga-Sanada, aber es bilden sich daneben noch andere Charakterpaare, die teils explizit, teils implizit als Gegensätze und konkurrierende Elemente dienen: Sanada und Okada wirken als zwei Pole, zwischen denen Matsunaga hin- und her gerissen wird. Die junge Kellnerin Gin (gespielt von der vor wenigen Tagen verstorbenen Noriko Sengoku), die sich heimlich in Matsunaga verliebt und davon träumt, mit ihm in ihre Heimat zurückzukehren und ihn gesund zu pflegen, steht im Kontrast zu Matsunagas Geliebter Nanae, einer verwöhnten Nachtclubsängerin. Das Pendant zu Matsunaga wiederum ist ein junges, wie er an Tuberkulose erkranktes Mädchen (die 17jährige Yoshiko Kuga in einer ihrer ersten Rollen), das allerdings Sanada vertraut und die Krankheit mit seiner Hilfe besiegt.

Diese Charakterpaare verkörpern die dem Film zugrunde liegende sozialkritische Botschaft: Japan ist ein zerstörtes, krankes Land, das für einen Neubeginn und eine bessere Zukunft mutige Menschen braucht. Menschen, die bereit sind, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, sich aus ihrer Passivität und mit der Vergangenheit zu brechen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und hart an sich selbst für ihre Zukunft zu arbeiten.

Diese Botschaft – die natürlich auch ganz im Sinne der amerikanischen Besatzungsmacht war – steht im Zentrum zahlreicher Filme Kurosawas gerade in der Nachkriegszeit. Nirgends wird sie allerdings so unmissverständlich auf den Punkt gebracht wie in Engel der Verlorenen, als in der letzten Szene Sanada der geheilten Schülerin mit den Worten gratuliert „Die Kraft des Willens kann alle menschlichen Leiden heilen“.

Dabei ist Sanada selbst alles andere als ein Heiliger: Er ist aufbrausend, sarkastisch und cholerisch, trinkt zur Not auch mal verdünnten medizinischen Alkohol, der eigentlich für seine Patienten bestimmt wäre und erzählt freimütig von seinen jugendlichen Besuchen im Bordell. Wahrscheinlich sind es diese Schattenseiten, die ihn in Matsunaga sich selbst in jungen Jahren sehen lassen, und die seinen verzweifelten Kampf um Matsunagas Leben motivieren.

Stilistisch ist Engel der Verlorenen ein Traum. Die Bildkompositionen sind einfach grandios, das Spiel mit Licht und Schatten in einigen Szenen als Symbol für die Zerrissenheit der Charakter und der menschlichen Psyche allgemein deutet an, was in Rashomon dann zur Vollendung kommen sollte. Auffallend häufig arrangiert Kurosawa seine Charaktere so, dass eine Person den Vordergrund dominiert und eine andere Person klein dahinter zu sehen ist. Auch die Froschperspektive kommt dabei des öfteren zum Einsatz.

Der Tümpel ist allgegenwärtig, nicht nur als Hintergrund in verschiedenen Szenen sondern auch als Mittel der Überleitung zwischen Szenen, was dem ohnehin schon sehr klar aufgebauten Film noch zusätzliche Struktur gibt. In manchen Szenen besonders in der ersten Hälfte, in denen Sanadas Ausflüge in Matsunagas Straßengauner-Milieu gezeigt werden, fühlt man sich regelrecht in den Schwarzmarkt, die verrauchten Tanzlokale und verschwitzten Kneipen versetzt.

Es ist vor allem diese atmosphärisch dichte Darstellung der ärmlichen Verhältnisse, die dem Film immer wieder Vergleiche zum italienischen Neo-Realismus einbringen. Stephen Prince weist allerdings völlig zurecht darauf hin, dass es Kurosawa anders als Rossellini oder de Sica nicht um eine möglichst unverfälschte Wiedergabe der Realitäten ging. Vielmehr nutzt Kurosawa ausgiebig symbolhafte Darstellungen und ist weit von dem Anspruch entfernt, möglichst wenig manipulative Eingriffe vorzunehmen.

Der Film wird aber auch getragen von seinen Charakteren: Zum ersten Mal standen Takashi Shimura und Toshiro Mifune hier gemeinsam für Kurosawa vor der Kamera, und die gute Chemie zwischen den beiden ist vom ersten Moment an zu spüren. Wenn Mifune als möchtegern-cooler Gangster, der einem romantisierenden Bild der Unterwelt und ihres Ehrencodex nachträumt, und Shimura als mürrischer, trinksüchtiger Arzt mit dem großen Herz aufeinander prallen, dann sprühen die Funken!

Es ist eine wahre Freude, den beiden zuzusehen, und kein Wunder, dass Kurosawa diese Konstellation seiner Hauptdarsteller für die meisten seiner Filme der nächsten 15 Jahre beibehalten sollte. Und noch ein weiterer langjähriger Begleiter Kurosawas gibt in Engel der Verlorenen sein Debut, der Komponist Fumio Hayasaka, dessen schlichte, aber emotionale Musik die Stimmung des Films wunderbar aufgreift und verstärkt.

Engel der Verlorenen ist einer meiner persönlichen Lieblingsfilme aus Kurosawas Werk, vielleicht gerade deshalb, weil er noch nicht so geschliffen und perfektioniert ist wie spätere Filme, und eher an einen Rohdiamanten erinnert. Alle Elemente dessen, was einen Kurosawa-Film ausmacht, sind aber präsent und das Erfolgsteam der späteren Giganten wie Rashomon oder Die Sieben Samurai ist nahezu komplett. Hier kann man ihm beim Spannen der Muskeln zusehen, und das ist ein Anblick, den man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte!