Archive for the ‘Kurosawa Akira’ Category

Rashomon

Originaltitel: Rashōmon (1950), von Akira Kurosawa

Rashomon war der Film, der das japanische Kino nach den Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs mit einem Paukenschlag wieder ins Bewusstsein des Westens rückte: Völlig überraschend wurde er in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Kurosawa selbst wuste nicht einmal, dass sein Werk auf der Biennale gezeigt wurde!

Der Film basiert auf zwei Kurzgeschichten von Ryunosuke Akutagawa, die Kurosawa zusammenführt und um einige Elemente anreichert. Das daraus hervorgegangene Werk schildert die unterschiedliche Wahrnehmung der Realität durch die Menschen und wie sie Geschehnisse interpretieren, um ihre Selbstwahrnehmung aufrecht erhalten zu können. Thema ist also die unbewusste Lüge, das alltägliche Zurechtdrehen der Realität, was letztlich dazu führt, dass Menschen, die gemeinsam etwas erlebt haben, völlig verschiedener Meinung darüber sind, was eigentlich passiert ist.

Illustriert wird dies anhand eines Überfalls im feudalen Japan, in dessen Zuge ein Samurai stirbt und seine Frau vergewaltigt wird. Dieser Überfall wird aus der Sicht aller dreier Beteiligter, der Frau (Machiko Kyo), des Banditen (Toshiro Mifune) und des Samurais (Masayuki Mori) gezeigt, was zu stark voneinander abweichenden Versionen führt. Allen Versionen gemein ist nur, dass der jeweilige Erzähler sich die Schuld am Tod des Samurai zuschreibt und sich dadurch als ehrenhaft und aufrecht darstellt.

Rashomon Screenshot2

Dieser Teil der Handlung spielt in einem Wald, ein von Kurosawa häufig verwendetes Symbol für die Undurchdringlichkeit der menschlichen Seele, das Chaos der Gefühle. Die drei Versionen des Verbrechens werden eingerahmt von einer Gerichtsverhandlung, bei der alle Beteiligten ihre Aussagen machen sowie dem Gespräch dreier Männer unter dem mächtigen Rashomon-Tor. Diese unterhalten sich über die Gerichtsverhandlung und die Aussagen und schließen darauf auf die Armseligkeit und Verwerflichkeit des Menschen sowie den erschreckenden Zustand der Welt.

Dass am Ende angesichts der Lügengebäude, auf denen die Menschen ihre Existenz aufbauen, und der Verkommenheit der Welt nicht der Pessimismus obsiegt, sondern ganz im Gegenteil ein Gefühl der Hoffnung im Zuschauer zurückbleibt, ist der aus meiner Sicht eigentliche Geniestreich Kurosawas. Wir haben etwas über unsere eigenen Schwächen und die unserer Mitmenschen gelernt, in den Abgrund geschaut, und haben nun die Möglichkeit, an diesen Schwächen zu arbeiten. Ein für den frühen Kurosawa typischer Gedanke, auf dem viele seiner Filme basieren, der dazu beiträgt, Rashomon zu einer fast erhebenden Erfahrung zu machen.

Rashomon Screenshot3

Drei Handlungsorte (Wald, Gericht, Tor), an denen jeweils drei Personen zugegen sind, sowie drei Versionen des Verbrechens: Rashomon ist bestimmt durch die Zahl drei. Diese Konsequenz setzt sich bei der visuellen Gestaltung des Films nahtlos fort, indem Kurosawa jedem Handlungsort bestimmte lineare Muster zuweist. Während der Gespräche am Tor (mit denen der Film beginnt) gießt es in Strömen, der herabstürzende Regen, die Pfeiler des Tors und die Maserungen des Holzes sorgen hier für eine Dominanz vertikaler Linien. Ganz im Gegensatz dazu steht der Gerichtshof, wo horizontale Linien – der Schatten eines Daches, die Hofmauer, der First der Mauer) – vorherrschen. Der Wald schließlich ist ein einziges Chaos aus Licht und Schatten.

Dem Film wurde zunächst großes Unverständnis entgegengebracht, allen voran vom produzierenden Studio selbst. So wurde bemängelt, dass keine vernünftige Handlung existiere und niemand den Film verstehen würde. Nur weil Kurosawa zuvor einige in Japan sehr erfolgreiche Filme gedreht hatte, konnte er seinen Willen durchsetzen. Doch Rashomon besticht nicht nur durch eine faszinierende Idee und eine außergewöhnliche Botschaft, sondern auch durch eine enorme atmosphärische Dichte, zu der insbesondere die großartige Musik und die innovative Kameraführung beitragen.

Rashomon Screenshot1

Berühmt wurde dabei besonders der Gang des Holzfällers (Takashi Shimura) durch den Wald vor der Entdeckung des Verbrechens. Nicht nur, dass Kazuo Miyagawa, einer der genialsten Kameramänner überhaupt, hier zum ersten Mal in der Geschichte direkt in die Sonne filmte, das Zusammenspiel aus wechselnden Perspektiven, Bewegungen, Licht und Schatten sowie der Bolero-Musik von Fumio Hayasaka schafft eine einzigartige Melange, deren Rhythmus der Zuschauer sich unmöglich entziehen kann und die Donald Richie als puren filmischen Impressionismus bezeichnete.

Somit wurde Rashomon Anfang der 1950er Jahre zum ersten japanischen Film, der auch international erfolgreich war. Für Regisseur Kurosawa und die Hauptdarsteller Toshiro Mifune und Machiko Kyo war er der internationale Durchbruch. Kurosawa und Mifune gelang wenig später mit Die Sieben Samurai ein weiteres Meisterwerk, mit dem sie endgültig zu Superstars wurden, Kyo wurde sogar für eine Komödie mit Marlon Brando engagiert.

[Hinweis: Dies ist die stark überarbeitete und erweiterte Version eines ursprünglich am 24. September 2006 veröffentlichten Posts.]

Werbepause

Gerade macht ein kleiner Werbespot für Wonda Coffee, einen japanischen Dosenkaffee des Getränkeriesen Asahi, die Runde. Das erste Mal hab ich ihn bei Ken gesehen, im Affenheimtheater läuft er auch, ursprünglich stammt er wohl von Japanprobe. Das Besondere daran: Akira Kurosawa, immerhin vor fast auf den Tag genau 9 Jahren verstorben, taucht darin auf:

[flash]http://youtube.com/watch?v=49No_dO9i-4[/flash]

Und dabei machte AK zu seinen Lebzeiten eigentlich für Suntory, einen Konkurrenten von Asahi, Werbung. Und erhielt dabei auch noch prominente Unterstützung von niemand geringerem als Francis Ford Coppola:

[flash]http://youtube.com/watch?v=xz7fQCE_icU[/flash]

Suntory ist übrigens genau die Whiskey-Marke, für die auch Bill Murray alias „Bobbu-san“ in Lost in Translation, dem großen Durchbruch von Coppolas Tochter Sofia, warb:

[flash]http://youtube.com/watch?v=cUt7JmUIix4[/flash]

In diesem Sinne… Cheers! 🙂

Und das ganz legal! Das Internet Archive bietet die beiden Klassiker aus der frühen Phase von Akira Kurosawas Schaffen in mehreren Versionen zum Download an. Alternativ kann man sie auch direkt im Browser in voller Länge ansehen. Rashomon liegt bereits seit längerem in einer 1 GB und einer 4 GB (!) Version bereit, Sanshiro Sugata gibt es immerhin in einer 760 MB großen Divx-Version.

Außerdem scheinen Ikiru und Stray Dog ebenfalls in Vorbereitung zu sein!

via Akira Kurosawa News and Info

Sanjuro

Original: Tsubaki Sanjuro (1962) von Akira Kurosawa

Zum zweiten Mal nach Sanshiro Sugata II versuchte sich Kurosawa an einer Fortsetzung. Diesmal ist es die Geschichte um Sanjuro, den namenlosen Ronin aus dem Vorjahresfilm Yojimbo, die in die zweite Runde geht, und der Kurosawa dabei einen ganz anderen Touch mitgibt als dem Vorgänger.

Wieder gerät Sanjuro (Toshiro Mifune) zwischen die Fronten zweier sich bekämpfender Gruppen in einer Stadt, doch diesmal sind seine Sympathien klar verteilt: Er schließt sich einer kleinen Gruppe junger Samurai an, um die kriminellen Machenschaften des Hofaufsehers Kikui (Masao Shimizu) und dessen rechter Hand Muroto (Tatsuya Nakadai) aufzudecken und um die Samurai vor sich selbst, ihrem Leichtsinn und ihrer Dummheit zu bewahren.

Neben der actionreichen und mit einer ordentlichen Portion – häufig aus der Dummheit der Samurai resultierenden – Komik gewürtzten Handlung gewinnt zunehmend das Verhältnis zwischen Sanjuro und Muroto an Bedeutung. Als Sanjuro in bewährter Manier dem gegnerischen Lager seine Dienste anbietet, zeigt Muroto sich von Sanjuros Kampfkünsten und seiner Intelligenz beeindruckt und fasst schnell Vertrauen zu dem Ronin, in dem er einen Artverwandten erkennt. Umso härter trifft ihn dann Sanjuros Verrat, der im dramatischen Showdown des Films nur mit Blut gesühnt werden kann.

Screenshot Sanjuro2

Die Konfrontation dieser beiden Charaktere ist es dann auch, die den Film letztlich interessant macht und Sanjuros Figur am Ende eine Tiefe gibt, die in der ersten Hälfte des Films fehlt. Denn im Gegensatz zu Yojimbo, als der gewissenlose Ronin sich auf zynische Art und Weise geradezu an den sich gegenseitig massakrierenden Banditen ergötzte, und sein gutes Herz nur in wenigen Szenen vage angedeutet wurde, wandelt er sich in Sanjuro regelrecht zum Gutmenschen. Lediglich seine grantige, ungehobelte Art lässt hier noch den Charakter aus Yojimbo erahnen.

Die düsteren Aspekte Sanjuros kommen dann gegen Ende des Films zum Vorschein. Wenn seine Gegner wie die Fliegen fallen, er sich Murotos Vertrauen erschleicht, dieses Vertrauen ausnutzt und ihn hintergeht, neigen sich die Sympathien fast ein wenig dem Schurken zu. Besonders das von dem in seinem Stolz getroffenen Muroto ersehnte Duell, das Sanjuro in Sekundenbruchteilen mit einem wahren Blutbad für sich entscheidet, zeigt dessen monsterhafte Züge.

Screenshot Sanjuro4

Und so setzt Sanjuro die lange Reihe von Filmen fort, in denen Kurosawa auf die Relativität von Gut und Böse abhebt indem er zwei Kontrahenten in einen Konflikt steuern lässt, an dessen Ende die Unterschiede zwischen ihnen verschwimmen und die Gemeinsamkeiten betont werden. „Er war genau wie ich, ein nacktes Schwert, das nicht in seiner Scheide bleiben konnte.“ Diese letzten Worte Sanjuros über seinen besiegten Gegner könnten es klarer nicht ausdrücken.

Mit diesem bahnbrechenden, blutigen finalen Duell ließ Kurosawa nicht nur eine Vorahnung auf ähnlich drastische Kampfszenen in Rotbart und ganz besonders Ran zu, sondern revolutionierte nebenbei auch das Samurai-Genre. Das setzte von nun an nämlich verstärkt auf drastische Szenen voller Gewalt, und Blutfontänen wurden zu einem allgegenwärtigen Wesensmerkmal billig produzierter Schwertkampffilme.

Einen interessanten Aspekt hebt Donald Richie hervor, nämlich den himmelweiten Unterschied zwischen Sanjuro und Muroto auf der einen und den naiven Samurai auf der anderen. Kurosawa zeige uns mit diesem krassen Gegensatz den Unterschied zwischen dem, was es bedeutet, wirklich ein Krieger zu sein, und der idealisierten, klischeehaften Vorstellung des Samurai. Dass dabei die Ideale verspottet und die realen Krieger als blutrünstig, ungehobelt und zynisch dargestellt werden, und dies auch noch auf so erfolgreiche Art und Weise, sei ein Schlag ins Genick der klassischen Schwertkampffilme gewesen.

Screenshot Sanjuro1

So sehr er damit auch Recht haben mag, mich hat die einseitige Darstellung der Samurai, die Sanjuro nie für voll nimmt und wie kleine Kinder behandelt, doch etwas enttäuscht. Gleiches gilt für die – mit Ausnahme der Schlussphase des Films – fehlende Vielschichtigkeit und Undurchschaubarkeit Sanjuros, die diesen Charakter in Yojimbo noch so spannend und prickelnd gemacht hatte. Dafür bietet Sanjuro eine feine, offene Komik, die Kurosawa erst 30 Jahre später in Madadayo wiederfinden sollte.

Ran

Original: Ran (1985) von Akira Kurosawa

Jahrelang hatte Kurosawa Geld gesammelt, Storyboards und Designstudien entwickelt, um sich auf dieses Projekt vorzubereiten, das die Krönung seines filmischen Schaffens werden sollte. Er ging sogar so weit, seinen vorhergehenden Film Kagemusha, der immerhin die Goldene Palme in Cannes gewann und für den Oscar nominiert war, als bloßen Testlauf für Ran zu bezeichnen. Und hat er erreicht, was ihm vorschwebte, nämlich sein Werk zu krönen? In mancher Hinsicht: ja.

Ran basiert auf Shakespeares Drama König Lear, versetzt die Handlung jedoch ins Japan des 16. Jahrhunderts. Der alternde Fürst Hidetora (Tatsuya Nakadai) beschließt, abzutreten und sein Reich unter seinen drei Söhnen aufzuteilen. Sein jüngster Sohn Saburo (Daisuke Ryu) hält nichts von diesem Plan und spricht seine Zweifel offen aus, weshalb Hidetora ihn verstößt. Doch schon bald erweist sich Saburos Skepsis als wohlbegründet, da die beiden Brüder Taro (Akira Terao) und Jiro (Jinpachi Nezu), getrieben von Ehrgeiz, Neid, Gier und der schönen aber hinterhältigen und skupellosen Lady Kaede (Mieko Harada) sich zuerst gegen Hidetora verbünden, ihn aus seinem Reich vertreiben und sich dann gegenseitig bekämpfen.

Dem Wahnsinn verfallen streift Hidetora durch sein zerfallendes Reich, begleitet und beschützt von einem treuen Vasallen und seinem philosophierenden Hofnarren. Während er von allen seinen Sünden, Schandtaten und dem Blutvergießen der Vergangenheit eingeholt wird, erkennt Hidetora, dass allein Saburo, sein von ihm selbst verstoßener Sohn, ihn wirklich liebte. Als dieser, unterstützt von einem benachbarten Fürsten, zurückkehrt, um seinen Vater zu retten, kommt es endgültig zum blutigen Untergang der Familie.

Ran Screenshot2

Kurosawa baut den Spannungsbogen langsam und gemächlich auf, die erste Hälfte des Films ist geprägt von Gesprächen Hidetoras mit seinen Söhnen und den Ratgebern sowie den von Kaede gesponnenen Intrigen am Hof, die zu Hidetoras Isolation und Rückzug auf eine einsame Burg führen. Wie aus dem Nichts bricht dann über Hidetora das Schicksal in Form eines Angriffs seiner Söhne, und über den Zuschauer eine Schlacht herein, wie es so noch keine gab.

Im Gegensatz zu den realistisch dargestellten Schlachten, die Kurosawa früher in Die Sieben Samurai oder Die verborgene Festung inszenierte, ist diese sehr stark stilisiert. Kurosawa verzichtet auf diegetischen Ton, nur die klagende Musik Toru Takemitsus liegt in der Luft und die Bilder sind fast ganz in Grautönen gehalten, vom Rot des vergossenen Blutes abgesehen. Und das Blut fließt in Strömen! In drastischen, alptraumhaften Bildern zeigt Kurosawa verstümmelte Kämpfer, hingemetzelte Konkubinen, abgehackte Gliedmaßen und brennende Körper. Krieg wird als abartige, barbarische Selbstzerstörung der Menschen thematisiert und die Welt als ein Ort dargestellt, an dem Werte nichts mehr gelten und die Menschheit am Abgrund steht. Besonders eindrücklich zeigt dies die Schlusszene, in der ein Blinder – verlassen vom Glauben und seinen ermordeten Mitmenschen – auf sich allein gestellt am Rand eines Abgrunds taumelt.

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Wie in keinem anderen Film zuvor inszeniert Kurosawa eine alptraumhafte Welt voll surrealer Bilder, die dem Zuschauer die kommentierende, pessimistische Perspektive des Regisseurs regelrecht aufdrängen. Exemplarisch dafür stehen neben der erwähnten Schlacht auch das im Screenshot gezeigte Abgleiten Hidetoras in den Wahnsinn, als er buchstäblich von den Armeen seiner Söhne durch die Hölle geschickt wird. Auch Dialoge sind voll von Verzweiflung und Resignation. Beispiele gefällig? „Der Mensch zieht Trauer der Freude vor, und Leiden dem Frieden.“ Oder: „Der Mensch wird weinend geboren. Wenn er genug geweint hat, stirbt er.“

Mit seiner verzweifelten Stimmung und düsteren Thematik stellt Ran zweifelsohne den Höhepunkt von Kurosawas pessimistischer Phase der 1970er und 80er Jahre dar, in der er sich völlig von seinem in Filmen wie Ikiru oder Yojimbo zum Ausdruck gebrachten Credo, menschliches Handeln und der menschliche Wille könnten alle Hürden überwinden, lossagte. Doch Ran ist nicht nur in dieser Hinsicht ein außergewöhnliches Werk Kurosawas.

Einzigartig ist auch die starke Verfremdung, Schematisierung und Generalisierung der Charaktere. Drei Söhne, denen jeweils eine Farbe fest zugeordnet ist, blau für Saburo, rot für Jiro und gelb für Taro und die idealtypische, konzentrierte Verkörperung menschlicher Eigenschaften und Gefühle durch bestimmte Personen: Ehrgeiz bei Jiro, Selbstlosigkeit und Loyalität bei Kurogane, Grausamkeit und Hinterhältigkeit bei Lady Kaede, Großmut und Güte bei Lady Sue, Aufrichtigkeit bei Saburo. Dies will so gar nicht zu den vielschichtigen, vom Kampf mit sich selbst und dem Ringen von Gut und Böse gekennzeichneten Charakteren früherer Filme passen, die immer auch für die Entwicklung von Persönlichkeit standen. Ran dagegen wird durch diese Abstraktion menschlicher Charakterzüge und ihre Projektion auf einzelne Personen sowie die surreale Atmosphäre zu einer Parabel menschlichen Handelns.

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Mit dieser außergewöhnlichen Abstraktion erreicht Kurosawas Schaffen tatsächlich einen besonderen Höhepunkt. Ganz anders als in früheren Filmen wie etwa Rotbart, in denen die dem Zuschauer vermittelte Lektion immer eine emphatische Komponente hatte, ist Ran nur intellektuell zu erfassen. Es gibt niemanden, mit dem man sich identifizieren, niemanden mit dem man mitfühlen könnte. Der Zuschauer wird immer auf Distanz gehalten während Kurosawa die Abgründe der menschlichen Seele seziert.

Zudem überragt die schiere Bildgewalt von Ran alle anderen Filme Kurosawas: Die grausamen Schlachten, die grandiosen Panoramen, die stilisierten, an das Noh-Theater angelehnten Auftritte von Kaede und das verstörende Ende suchen ihresgleichen. Doch so sehr der Film visuell und intellektuell auch beeindruckt, etwas fehlt. Nämlich eben die in seinen früheren Filmen immer spürbare Begeisterung und Anteilnahme an der Entwicklung seiner Helden sowie der Glaube, etwas bewirken zu können.

Mit Ran erreichte Kurosawa zwar zweifelsohne einen Gipfel seines Schaffens, um seine Botschaft unmissverständlich zu vermitteln opferte er aber Menschlichkeit, Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit. So kann Ran, bei all seiner atemberaubenden Ästhetik und brillanten Abstraktion, niemals dieselbe Faszination und Begeisterung wie Die Sieben Samurai, Ikiru oder Rotbart im Zuschauer wecken.

Original: Tengoku to Jigoku (1963) von Akira Kurosawa

Unter den vielen guten Filmen aus Akira Kurosawas Werk ist dies einer der besten, nicht zuletzt weil er Kurosawas eigenen Ansprüchen an seine Filme, nämlich sowohl spannend und unterhaltsam als auch kritisch hinterfragend und reflektierend zu sein, in herausragender Weise entspricht.

Zwischen Himmel und Hölle ist streng in zwei Teile gegliedert, mit einer kurzen Übergangssequenz. Im ersten Teil fädelt der Manager Gondo (Toshiro Mifune) gerade den Coup seines Lebens – die Übernahme eines Unternehmens – ein, als sein Sohn entführt wird. Die Bezahlung des Lösegeldes würde nicht nur den Übernahmeplan zerstören, sondern auch seine Existenz, da Gondo sich zur Durchführung seines Vorhabens hoch verschuldet hat. Als sich herausstellt, dass nicht Gondos Sohn sondern der seines Chauffeurs entführt wurde, muss Gondo sich seinem Gewissen und seiner Menschlichkeit stellen und ringt sich schließlich dazu durch, zu bezahlen.

Darauf folgt eine rasante, nur wenige Minuten dauernde Sequenz in einem Expresszug, in der das Geld an den Entführer übergeben wird. Im anschließenden zweiten Teil des Films tritt Gondo in den Hintergrund und die Handlung konzentriert sich nun auf Inspektor Tokura (Tatsuya Nakadai) und sein Team. Im Zuge der Ermittlungen erhalten wir tiefe Einblicke in die Lebensumstände und Motivation des Entführers Takeuchi (Tsutomu Yamazaki), die schließlich in einer Konfrontation mit Gondo gipfeln.

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Die klare Strukturierung des Films wird unterstrichen durch eine entsprechende stilistische Gestaltung. Der erste Teil spielt ausschließlich in Gondos Villa hoch über Yokohama, und zwar überwiegend im riesigen Wohnraum mit seiner Fensterfront auf die Stadt. Dort sehen wir Gondo zunächst bei einem Meeting, in dessen Verlauf im Hintergrund die helle, leicht gemaserte Wand zu sehen ist.

Nach der Entführung und dem Eintreffen der Polizei werden die zugezogenen Vorhänge zum allgegenwärtigen Hintergrundmotiv mit starker vertikaler Strukturierung, einem Symbol für die plötzliche Zerrissenheit Gondos angesichts der schwierigen Entscheidung, die er zu treffen hat.

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Trotz des auf einen einzigen Raum beschränkten Rahmens der Handlung in der ersten Stunde des Films und des sich daraus ergebenden, an eine Theaterinszenierung erinnernden Stils, gelingt es Kurosawa, eine ermüdende Statik zu vermeiden. Dazu setzt er auf häufige Perspektivwechsel, konstruiert mit Hilfe der anwesenden Personen verschiedene Bildebenen in denen immer irgend jemand in Bewegung ist und schafft mittels Kontrasten zwischen Vorder- und Hintergrund sowie hell und dunkel spannende Bildkompositionen.

In krassem Gegensatz dazu steht die hochdynamische Sequenz im Expresszug, in der Gondo vom Entführer genaue Anweisungen für die Geldübergabe erhält, das entführte Kind im Vorbeifahren für einen Sekundenbruchteil zu sehen bekommt und anschließend das Geld aus dem fahrenden Zug wirft. Die Kamera hetzt dabei geradezu halsbrecherisch durch Zugabteile und Gänge, quetscht sich mit Gondo und Tokura in Toiletten und vermittelt so das Gefühl, unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein. Ganz ähnlich wie in Das Boot entsteht zudem eine bedrückende, fast klaustrophobische Stimmung.

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Der zweite Teil beginnt mit einem Blick auf Gondos hoch oben auf einem Hügel thronender Villa aus der Perspektive des in ärmlichen Verhältnissen lebenden Entführers. Durch die Offenbarung der Identität des Entführers versetzt Kurosawa den Zuschauer in eine der Polizei überlegene Position und verleiht so den detailliert gezeigten Ermittlungen zusätzliche Spannung. In einer Reihe von Flashbacks und kurzen Einschüben verfolgen wir, wie die Polizei ein immer engeres Netz um den Entführer zieht, dessen Identität erkennt und denselben Wissensstand erreicht wie der Zuschauer. Anschließend entsteht dann wieder Spannung aus der Unsicherheit darüber, wie die Verhaftung ablaufen und ob sie gelingen wird.

Was den Spannungsbogen angeht, braucht Zwischen Himmel und Hölle den Vergleich mit den besten Hitchcocks nicht zu scheuen und hat darüber hinaus noch sehr viel mehr zu bieten. Fragen von Ethik und Morakt werden nicht nur anhand des Konflikts, dem Gondo sich gegenübersieht, aufgeworfen. Auch sein Assistent Kawanishi, dessen Loyalität zu Gondo geprüft wird, und Inspektor Tokura, der ein großes Risiko eingeht, um sicherzustellen, dass der Entführer die Höchststrafe erhält und dazu auch windige Abkommen mit der Presse schließt, stellen uns vor die Frage von moralisch richtigem und falschem Handeln.

Ein wichtiger Subtext des Films, der im Titel und der zweigeteilten Struktur zum Ausdruck kommt, ist die Kritik an der Ungleichverteilung von Reichtum in einer modernen Industriegesellschaft. Zwischen Gondos luxuriösem Haus mit dem herrschergleichen Blick auf die unter ihm liegende Stadt und den Schauplätzen des zweiten Teils (zwielichte Bars, das ärmliche Zimmer des Entführers, die Drogenszene, der Hafen Yokohamas) klafft ein gigantischer Abgrund. Diese dennoch alltäglichen Gegensätze nähren Neid und Missgunst und führen dadurch die moralischen Konflikte der Hauptpersonen herbei.

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Somit sieht sich Gondo mit dem Dilemma konfrontiert, dass es letztlich seine eigenen Taten und sein Erfolg waren, die ihn und seine Familie zum Ziel des Hasses und der Entführung machten. Dies bringt Kurosawa in der Schlussszene des Films zum Ausdruck, als Gondo gleichermaßen dem inhaftierten und zum Tode verurteilten Entführer im Gefängnis und seiner eigenen Reflexion in der Panzerglaswand gegenübersitzt. Beide wurden sie Opfer der eigenen Taten, aber auch eines größeren Kontexts.

Auf AKNI gesehen: Eine Dokumentation mit Interviews von Akira Kurosawa und Blicken hinter die Kulissen der Dreharbeiten von Rhapsody in August. Der Großmeister gibt Einblicke rund um seine Filme und philosophiert, was Filmemachen für ihn ausmacht. Das Ganze besteht aus elf Teilen, von denen sich jeder mit einem Aspekt der Entstehung eines Films befasst und dies an Beispielen aus Kurosawas Schaffen verdeutlicht.

  1. Inspiration
  2. Drehbuch und Charakterentwicklung
  3. Storyboards und Spontaneität am Set
  4. Einsatz der Kamera
  5. Beleuchtung und Farben
  6. Perfektion beim Set Design
  7. Kostüme & Makeup
  8. Schnitt
  9. Zusammenarbeit mit dem Komponisten Fumio Hayasaka
  10. Arbeit mit Schauspielern und Niedergang der Filmindustrie
  11. Motivation und Freude beim Filmemachen

Viele der Anekdoten finden sich in ähnlicher Form bereits in seiner Autobiographie, an deren Ende sich ja auch eine Reihe von „Tipps für Regieanfänger“ findet. Trotzdem ist die Dokumentation schön gemacht und die Interviews mit dem Tenno sowie die Aufnahmen von den Dreharbeiten zu Rhapsody in August (bei denen der simultane Einsatz mehrerer Kameras beobachtet werden kann) sind natürlich absolut sehenswert (auch wenn die Untertitel manchmal arg daneben sind).

Highlights sind für mich die wunderbaren Storyboards zu Madadayo in Teil 3, die Demonstrationen typischer Kameratechniken in Teil 4, seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als Cutter in Teil 8, die Anekdoten zum  Einsatz der Musik in Rashomon und Die Sieben Samurai in Teil 9 sowie der Rückblick auf seine frühen Tage als Regieassistent in Teil 10.

Außerdem bereitet die University Press of Mississippi ein Buch mit einer umfangreichen Sammlung von Kurosawa-Interviews vor, das Inhaltsverzeichnis gibt es auch bei AKNI.

Skandal

Original: Shubun (1950) von Akira Kurosawa

Für die meisten Regisseure wäre dies ein ganz vorzeigbarer Film, für Kurosawas Standards ist er ein Debakel. Skandal sollte ein Protestfilm gegen die nach dem Krieg um sich greifenden Auswüchse der Yellowpress werden, verfehlt dieses Ziel aus mehreren Gründen aber meilenweit.

Der erste liegt im Verlauf des Plots begründet: Der Maler Aoye (Toshiro Mifune) begegnet bei seiner Arbeit in den Bergen der bekannten Sängerin Miyako Saijo (Shirley Yamaguchi), die ihren Bus verpasst hat und der er deshalb anbietet, sie auf seinem Motorrad mitzunehmen. Beide übernachten im selben Hotel und werden dort gemeinsam von Paparazzi fotografiert. Das Foto wird zu einer Affäre aufgebauscht, worauf Aoye die Zeitschrift verklagt und dazu den Anwalt Hiruta (Takashi Shimura) engagiert.

Der ist ein totaler Versager und gibt den Bestechungsversuchen des Herausgebers der Zeitschrift nach. Hirutas an Tuberkulose erkrankte Tochter ahnt jedoch, dass ihr Vater nicht ehrlich zu Aoye ist, was die ohnehin vorhandenen Gewissensbisse des Anwalts noch verstärkt. Nach dem überraschenden Tod der Tochter nimmt Hiruta sich ein Herz und beichtet vor Gericht die Bestechung, das Magazin wird verurteilt und Hirutas Seelenheil ist gerettet.

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Schon aus dieser kurzen Zusammenfassung ist erkennbar, dass durch das Auftreten des Anwalts Hiruta der Film komplett auf den Kopf gestellt wird. Die eigentliche Skandalgeschichte, der Kampf gegen das Unwesen der Paparazzi und gewissenlose Journalisten, wird durch Hirutas verzweifelten Kampf mit sich selbst einfach beiseite gewischt und zum bloßen Hintergrund degradiert. In den Gerichtsszenen am Ende des Films wird somit nicht über den Skandal gerichtet, sondern eigentlich über Hiruta, was auch die Inszenierung seiner abschließenden Beichte zum Ausdruck bringt.

Nicht ganz unschuld an dieser gänzlich unerwarteten Entwicklung des Films dürfte die brillante Leistung von Takashi Shimura sein, der schon mit seinem ersten Auftritt alle anderen Charaktere in den Schatten stellt. Sowohl seine guten Seiten als liebender Vater und angesichts der Verzerrung der Wahrheit durch die Paparazzi empörter Anwalt, wie seine schlechten als schwacher, der Verlockung des Geldes erlegener Mann werden von Shimura eindringlich und mit großer Präsenz vorgetragen.

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Dass Shimuras Leistung so herausragt liegt aber sicher auch an der zweiten großen Schwäche des Films, den einseitigen, schablonenhaft gezeichneten anderen Figuren: Der Maler Aoye ist einfach nur ein netter Kerl, der Herausgeber der Zeitschrift ein durchtriebener, skrupelloser Lügner und die Tochter Hirutas eine engelsgleiche Verkörperung des Guten. Die Sängerin Saijo wird zur reinen Staffage und taucht in der zweiten Hälfte des Films kaum noch auf. Durch diese holzschnitthafte Darstellung der Kontrahenten verliert Skandal den für einen guten Protestfilm notwendigen Realismus und die Glaubwürdigkeit.

Kurosawas außergewöhnliches Talent blitzt dennoch in einigen Szenen auf, beispielsweise als Aoye in der Redaktion des Magazins den Artikel über seine angebliche Affäre im Beisein des Herausgebers das erste Mal liest. Wie Kurosawa hier allein mit kontrastierenden Großaufnahmen der beiden Darsteller Spannung aufbaut ist aller Ehren wert. Oder in den Gerichtsszenen am Ende des Films, als alle Anwesenden auf Hirutas abschließende Stellungnahme warten, während dieser zusammengekauert wie ein eingeschüchtertes Tier auf seinem Platz sitzt und die Stille immer unerträglicher wird.

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Die Flachheit der Charaktere, besonders die einseitig negative Darstellung der Journalisten ist um so verwunderlicher, wenn man bedenkt, wie wichtig Kurosawa in seinen anderen Filmen die Relativität von Gut und Böse sind und wie viel Wert er im Allgemeinen auf vielschichtige, komplexe Charaktere legt.

Trotz dieser Schwächen ist Skandal aber in Relation zum Gesamtwerk des Regisseurs gesehen trotzdem ein interessanter nd sehenswerter Film. Denn in so mancher Hinsicht ist in der Figur von Hiruta die des Beamten Watanabe aus Ikiru angelegt. Außerdem passiert Kurosawa in seinem zweiten großen Protestfilm Die Bösen schlafen gut genau dasselbe wie in Skandal, er zeigt sich von der Entwicklung eines Charakters so fasziniert, dass der Film seine Balance verliert und vom ursprünglichen Thema abzuschweifen beginnt. Aber dazu ein andermal mehr.