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Der Oscar für Okuribito war für viele eine Überraschung, nicht zuletzt für die Macher des Films selbst. Nach der Oscar-Verleihung nahmen Kinos überall in Japan den eigentlich bereits im Herbst gelaufenen Film wieder ins Programm, die Menschen strömten in Massen in die Kinos und katapultierten den Film direkt auf Nummer 1 der Kino-Charts.

Chris vom Toronto J-Film Pow-Wow stellt sich nun angesichts der unerwarteten Preisverleihung die Frage, ob Okuribito eine neue „Goldene Ära“ des japanischen Films einläuten könnte. Er vergleicht die gegenwärtige Siutation dabei besonders mit dem Überraschungserfolg von Rashomon bei den Filmfestspielen von Venedig vor knapp 60 Jahren und vermutet bzw. hofft, dass ähnlich wie damals Filmemacher und clevere Geschäftsleute nun versuchen werden, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu reproduzieren:

Personally, I have to hold out hope that what happened in the early 1950s could under the right circumstances somehow happen again. I don’t think any of us could deny that 2008 was a high watermark year for Japanese cinema, but now we just have to see if the flood will continue and if the world will be receptive if it does.

Dabei lässt er außer Acht, dass die Regisseure, von denen die Goldene Ära der 1950er geprägt wurde, entweder bereits seit langem in der Industrie waren und bereits in den 1930ern großartige Filme produziert hatten (Ozu, Mizoguchi, Naruse, Yamamoto, Inagaki) oder Schüler dieser Filmemacher waren (Kurosawa, Honda, Kinoshita, Ichikawa). Insofern hatte die damalige Goldene Ära relativ wenig damit zu tun, dass Rashomon zufällig einen renommierten internationalen Preis gewann. Vielmehr war diese Ära Ergebnis der Verfassung der japanischen Filmindustrie selbst, die damals vor Talenten nur so strotzte und diese dank eines umsatzstarken Heimatmarktes sich austoben lassen konnte.

Und hier sehe ich die eigentliche Parallele im Hintergrund: In den letzten 20, 25 Jahren haben sich in Japan eine Reihe hochtalentierter Filmemacher etabliert, deren Filme sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern Anerkennung fanden. Ich denke da an einen Yoji Yamada, Hirokazu Kore-eda, Takeshi Kitano, Kiyoshi Kurosawa, Shinji Aoyama oder Sion Sono und natürlich die Anime-Künstler Hayao Miyazaki, Isao Takahata oder Mamoru Oshii. Der Oscar für Okuribito ist gewissermaßen die Bestätigung für deren Arbeit.

Insofern liegt die Bedeutung des Oscars eher darin, dass die Werke dieser Filmemacher jetzt stärker wahrgenommen werden und bessere Chancen haben, ein internationales Publikum zu erreichen. Denn auf dem heimischen Markt hat sich die „neue“ Goldene Ära in den letzten Jahren ja bereits in den stark gestiegenen Zuschauerzahlen für japanische Produktionen niedergeschlagen. Natürlich gilt es, diese Chance zu nutzen. Grundsätzlich ist das Fundament für eine solche Ära also zweifellos bereits vorhanden. Davon zeugen auch die verschiedenen japanischen Filmfeste, die in den 90ern überall auf der Welt entstanden sind und sich in den letzten Jahren einer rasant steigenden Beliebtheit erfreuen.

Die kritische Frage ist für mich vielmehr, ob es gelingt, den zusätzlichen Schwung des Oscar-Gewinns in positive künstlerische Energie umzuwandeln, ob junge Talente nachkommen und eine Chance erhalten, oder ob jetzt möglicherweise unrealistische Erfolgserwartungen geschürt werden, die jegliche Kreativität ersticken. Der Versuch, die „Erfolgsformel“ von Okuribito zu kopieren, könnte bereits ein erster Schritt in eine solche Sackgasse sein.

Das folgende Video zeigt einen Vortrag von William Tsutsui, Professor an der University of Kansas und Autor von Godzilla on My Mind und In Godzilla’s Footsteps, zu Godzilla und seiner Bedeutung in der japanischen Nachkriegsgeschichte. Tsutui vertritt die These, dass die Godzilla-Filme über die Jahrzehnte weniger eine klare Botschaft als vielmehr eine Reihe wiederkehrender Motive propagierten, und zwar auf sehr ambivalente Weise, welche die Zerrissenheit der japanischen Gesellschaft im Zuge der Modernisierung und Demokratisierung wiederspiegelt:

1. Anti-Amerikanismus in Form ständiger Anleihen und Referenzen an den Zweiten Weltkrieg, die immer wieder Parallelen zwischen den Angriffen der Amerikaner und Godzillas ziehen und indirekt die Besatzungsmacht USA kritisieren, weil deren Truppen nie auf Seiten der Japaner antreten

2. Wandel Godzillas vom Angreifer zum Verteidiger Japans, in Folge des japanischen Wirtschaftswunders und des damit gestiegenen Selbstbewusstseins und Stolzes

3. Verwundbarkeit Japans, in guter alter Tradition von Erdbeben, Taifunen, Tsunamis bis hin zum Platzen des japanischen Wirtschaftsbooms in den 1990er Jahren

4. Anti-Atomkraft und Technikskepsis, schließlich wurde Godzilla durch Atombombentests erweckt und wird (zumindest im ersten Teil) durch eine noch viel furchtbarere Waffe getötet

5. Hinterfragen von Autoritäten, etwa politischer Institutionen, die sich als unfähig erweisen, die Bevölkerung zu schützen.

Besonders spannend fand ich zudem seine Anmerkungen zur Rolle des Militärs, das besonders in den frühen Filmen in den 50er Jahren in einer nahezu verherrlichenden Weise porträtiert wurde, die im krassen Gegensatz zur Abrüstung und der neuen Verfassung standen, in der Japan dem Krieg für immer abschwört.

Achtung, das Video dauert inklusive Nachfragen fast eine Stunde, also nehmt euch etwas Zeit. Es lohnt sich aber wirklich, Tsutsui regt  einige sehr interessante Gedanken an! Nur seine Gags sind nicht so die Brüller…

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=UoJ-9VkV6ks[/flash]

Via Japan Navigator

Beim Durchsehen der Kommentare von Flo und Claus fielen mir ein paar Punkte auf, wie die beiden sich ein Filmfest vorstellen: Genannt werden da vor allem die Lokalitäten, also schöne, reizvolle Kinos und die Atmosphäre. Als Mit-Organisator eines Filmfestivals interessiert mich jetzt natürlich brennend, ob das alle so sehen, und welche Punkte noch wichtig sind.

  • Kinos: groß, alt, ehrwürdig, gemütlich, Technik vom Feinsten… was zählt für euch?
  • Filme: topaktuell, Klassiker, 35mm, große Namen oder eher Nachwuchskünstler?
  • Publikum: popcornmampfende Teenies vs. Rotweintrinker mit Goldrandbrille?
  • Rahmenprogramm: Podiumsdiskussion, Flohmarkt, Sushi-Kurs…

…wie müsste das Festival zum Anfassen für euch aussehen? Und was fehlt noch?

Wer keine Lust auf ausführliches Kommentieren hat, kann auch einfach bis zu drei Punkte aus der ersten Japankino-Abstimmung rechts auswählen. Freue mich aber schonmal auf eine interessante Diskussion mit den Festivalgängern hier!

Erst vor ein paar Tagen schrieb ich, wie wichtig es ist, sich den Unterschied zwischen Filmkritik und rein geschmacksbasierter Bewertung klar zu machen, wenn man sich mit dem Thema „Niedergang der Filmkritik“ beschäftigt. Durch Michas Kommentar dort wurde ich jetzt auf einen Artikel der Berliner Zeitung zur Bedeutung der Filmkritik aufmerksam, mit folgendem provozierendem Untertitel: Die Internet-Blogs zersetzen das informierte und unabhängige Urteil.

Dass der Autor Josef Schnelle (ehemaliger Präsident des Verbands deutscher Filmkritiker) mit diesem Pauschalurteil zunächst mal Ahnungslosigkeit oder wahlweise Ignoranz beweist, zeigen schon Thomas im filmtagebuch und Ekkehard Knörer im Perlentaucher auf. Was mir dabei besonders übel aufstößt, ist der Umstand, dass Schnelle die Blogs für etwas schilt, was ursprünglich aus dem Printbereich kommt, nämlich das – von ihm selbst auf Roger Ebert zurückgeführte – Phänomen der „Filmkritik als Warentest“, das sich in Printpublikationen wie z.B. Fernsehzeitschriften (TV Movie etc.) großer Beliebtheit erfreute und noch heute erfreut. Dort wurde und wird der Daumen gehoben bzw. gesenkt, und zwar von professionellen Journalisten. Dies machen nun eben auch die Amateure im Web, aber wenn die das machen zerstört das natürlich die Qualität der Filmkritik.

Warum greift Schnelle nicht die Übeltäter im eigenen Lager an und stürtzt sich statt dessen auf Blogs? Weil es einfacher ist, das Unbekannte und Unverständliche zu dämonisieren? Oder steckt einfach die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust dahinter, wie der Don immer wieder schreibt?

Anlässlich dieses Artikels habe ich mich neulich über den Niedergang der Filmkritik im Journalismus unterhalten. Feuilletons werden ausgedünnt, Kultur- und Filmjournalisten entlassen. Auf der anderen Seite wird man gerade im Netz überflutet von Meinungen zu Filmen, die einem oft als Filmkritik verkauft werden: Sieht man sich eine DVD auf Amazon an, erfährt man sofort, was andere Käufer vom Film hielten; sucht man Infos auf IMDb, kommt man an den Meinungen anderer nicht vorbei. Aber sind solche Stimmen überhaupt Filmkritik?

Zweifellos sind diese von Laien und Fans verfassten Texte manchmal sehr informativ und hilfreich, aber allzu oft bestehen sie nur aus ein paar Zeilen Geschmackskundgebung. Gleiches gilt für viele Foren und Blogs, wo mal eben der zuletzt im Kino gesehene Film als „genial“ gelobt oder „stinklangweilig“ kritisiert wird. Aber zu einer Filmkritik gehört viel mehr als die Aussage, ob der Film gefällt oder nicht. Eine Filmkritik zu schreiben bedeutet, Inhalte zusammenfassen, wichtige Elemente oder Muster des Films analysieren, vielleicht Motive oder die Aussage des Films interpretieren (wenn dieser das hergibt) und dann auf dieser Basis eine Bewertung abzugeben.

Wie viele der Millionen „Kritiken“ im Netz erfüllen diese Kriterien? Wahrscheinlich nur ein winziger Bruchteil, der Rest ist rein geschmacksbasiertes Rauschen, das mir zwar durch seine schiere Masse einen Rahmen, eine Orientierung gibt (wie etwa das Ranking bei IMDb). Worauf dieser Rahmen basiert und wie ich diesen einzuschätzen habe ist für mich aber überhaupt nicht nachvollziehbar, da mein Input allein auf dem Geschmack anderer beruht und mir so die Basis für eine Auseinandersetzung fehlt. Denn ohne intersubjektive Kriterien werde ich nie wissen können, ob diese Bewertungen für mich überhaupt relevant sind oder ob vielleicht der Prozentsatz an Nacktszenen für die Beurteilung ausschlaggebend war.

Mir fällt daher das Verteilen von Sternen und das Erstellen von Rankings auch so schwer, weil dies keine qualifizierte Aussage über Filme erlaubt. Dann schreibe ich eben lieber eine Kritik, in der ich meine Gedanken zum Film für andere nachvollziehbar offen lege, anstatt nur schnell ein Statement rauszuhauen. Das ist vielleicht nicht so sexy wie ein cooler One-Liner, mit dem ich den Film in den Himmel lobe oder zerreiße, und fordert mich und den Leser mehr. Aber letztlich ist eine solche Auseinandersetzung mit einem Film um ein Vielfaches befriedigender als nur der reine, durch ein paar Sterne angestoßene Konsum. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten meiner regelmäßigen Leser das genauso sehen. Das war übrigens auch von Anfang an einer meiner Ansprüche an den Japankino-Blog: Nicht einfach nur Filmtipps geben mit Daumen hoch oder runter, sondern sich an echter Filmkritik versuchen – wobei mir natürlich klar ist, dass ich auch nur ein Amateur bin.

Dennoch ist es jedes Mal wenn ich eine Filmkritik schreibe eine Gratwanderung: Weil ich auf der einen Seite für meine lieben „Stammleser“ schreibe, die viele der Filme – oder zumindest der Regisseure – mit denen ich mich beschäftige kennen, und zum anderen die Rezensionen auch für den Gelegenheitsbesucher, der vielleicht einfach nur über eine Google-Suche vorbeigekommen ist, noch interessant sein soll. Ausgedehnte Analysen und Interpretationen sind für diese zufälligen Besucher möglicherweise sogar kontrapduktiv und störend, weil dadurch die Spoiler-Gefahr steigt (genau deshalb versuche ich auch in meinen Zusammenfassungen das Ende der Filme nicht zu verraten). Aber wenn mir ein Punkt wichtig für meine Wahrnehmung, meine Bewertung des Films ist, dann wird der auch diskutiert, denn sonst würde ein wichtiges Element fehlen und meine Einschätzung wäre dadurch weniger nachvollziehbar.

Natürlich fehlt auch meinen „Filmkritiken“ die professionelle Basis, auch ich bin nur ein Amateur. Aber Amateur-Kritiken können gegenüber journalistischen Texten klare Vorteile haben. Amateure haben keine Verpflichtungen gegenüber Anzeigenkunden oder Sponsoren, keine Vorgesetzten die Druck machen und vor allem: sie können sich ganz den Filmen widmen, die sie interessieren. Insofern sehe ich derzeit zwar wie im eingangs erwähnten Artikel eine Krise der professionellen Filmkritik. Dafür haben nun die vielen Filmfans, die sich mit Themen und Filmen befassen, die sonst niemals Zugang zu einer Öffentlichkeit gefunden hätten, die Chance, ihre Gedanken und ihr Wissen anderen über das Netz zugänglich zu machen. Weniger professionelle Filmkritik muss eben nicht automatisch einen Verlust an Qualität bedeuten.

Das Jidaigeki-Genre, im Westen meist fälschlicherweise als „Samurai-Film“ bezeichnet, begann sich Anfang der 1920er Jahre herauszubilden. Die etablierte Erklärung für den anschließenden großen Erfolg des Genres ist, dass diese im feudalen Japan vor der Meiji-Restauration von 1867 spielenden Filme oft der Auseinandersetzung mit der Gegenwart dienten. Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, welche die Modernisierung Japans mit sich brachte, hätten sich in den historischen Stoffen wiedergespiegelt und so Künstlern und Publikum eine versteckte Auseinandersetzung mit der Gegenwart möglich gemacht.

Eine interessante, stärker am Zuschauer orientierte Variante dieser Theorie von Mitsuhiro Yoshimoto, die ich kürzlich gelesen habe, geht so:

When filmmakers turned their attention to contempary Japan, what they saw was not a fully modernized society but strains and contradictions caused by the ongoing process of modernization. As their daily lives were increasingly transformed by the modernizing forces of monopoly capitalism, the audiences demanded more speed and spectacle; yet because of the incomplete state of modernization, that demand could not always be satisfied by showing contemporary Japanese life.

Sprich: Es entstand ein Paradoxon, weil die Modernisierung dazu führte, dass das Publikum mehr Äktschn wollte, die in der gegenwärtigen Gesellschaft auf Grund der unvollständigen Modernisierung aber nicht abgebildet werden konnte, so dass die Nachfrage nach historischen Filmen stieg.

Besonders faszinierend an dieser Erklärung finde ich, dass sich damit der Zusammenbruch der Jidaigeki in den 1960ern wunderbar erklären lässt. Die Modernisierung war nämlich an einem Punkt angekommen, an dem sie die Gesellschaft so weit durchdrungen hatte, dass die Nachfrage nach „speed and spectacle“ nun nicht mehr mit historischen Stoffen befriedigt werden musste. Der Alltag der modernen Gesellschaft Japans bot nun genug eigene Stoffe, allen voran die Yakuzafilme, die eine Übertragung der Kämpfe, Rituale und Codices der Samurai in die Moderne möglich machten (man betrachte nur die zahlreichen Parallelen von der Clan-Struktur bis hin zum rituellen Selbstmord zur Aufrechterhaltung der Ehre) und somit konsequenterweise die Jidaigeki nahezu komplett verdrängten.

Ende der 1950er Jahre strotzte die japanische Filmindustrie geradezu vor Kraft, die Menschen drängten in die Kinos und kauften 1958 unglaubliche 1,127 Milliarden Eintrittskarten in fast 7500 Kinos. Japanische Filme hatten eine Reihe internationaler Preise gewonnen, inklusive des ersten Oscars – alles schien bestens.

Aber 1963, nur fünf Jahre später, hatte sich die Zahl der Kinogänge bereits mehr als halbiert, bis 1965 sank sie auf nur noch 373 Millionen, oder um insgesamt 75 Prozent. 1961 ging mit Shintoho das erste der sechs großen Studios in den Bankrott, 1971 folgte Daiei und Nikkatsu stellte im selben Jahr die Produktion neuer Spielfilme vorübergehend ein. Übrig blieben nur noch Toho, Shochiku und Toei.

Auslöser dieser Entwicklung war die zunehmende Verbreitung von Fernsehgeräten in den japanischen Haushalten, die besonders im Vorfeld der Olympischen Spiele von Tokyo 1964 stark voranschritt: Jeder wollte die Übertragungen der Wettkämpfe mitverfolgen. So stand Mitte der 1960er in 60 Prozent der Haushalte ein TV-Gerät, wer selbst keines hatte, guckte bei Verwandten, Freunden oder Nachbarn. 1970 gab es bereits 4 private und 2 öffentliche Fernsehsender und Japan war zum größten Produzenten von TV-Programmen weltweit aufgestiegen.

Die Filmstudios versuchten vergeblich, einen Anteil an dieser Entwicklung zu sichern: Sie versuchten, sich bei Sendern einzukaufen und bemühten sich, ihre Produktpalette umzustellen. Doch keinem gelang es, einen Fuß in den Fernsehmarkt zu bekommen. So überlebten die genannten drei großen Studios in erster Linie dank ihrer filmfernen Geschäftsfelder wie Freizeitparks, Immobilien oder Hotels.

Doch der Wandel der Studio-Landschaft machte sich natürlich auch bei den produzierten Filmen bemerkbar. In ihrer Verzweiflung suchten die Produzenten nach neuen Erfolgsformeln, neuen Genres und neuen Talenten. Mit Entsetzen musste beispielsweise Toei mitansehen, wie Jidai-geki-Serien im Fernsehen den zuvor so erfolgreichen chambara-Schwertkampffilmen des Studios Konkurrenz machten und an Popularität bald überholten. So suchte man nach einem neuen Setting für die alte Erfolgsformel und fand diese in der Unterwelt der Yakuza: Die Popularität dieser neuen Gangster-Filme machte den Jidai-geki endgültig den Garaus, rettete aber gleichzeitig das Studio vor dem Bankrott.

Shochiku wiederum überlebte die Siebziger fast ausschließlich dank des phänomenalen Erfolgs der Tora-san Reihe, die gerade ihr 40. Jubiläum feiert und mit 48 Teilen die am längsten laufende Filmserie der Welt ist. Toho dagegen setzte ganz auf in Serie produzierte Monsterfilme: Godzilla musste wieder und wieder antreten und erhielt im Lauf der Zeit illustre Verstärkung von Mothra oder Gamera. Nikkatsu nahm nach einiger Zeit die Filmproduktion zwar wieder auf, beschränkte sich dabei aber fast ausschließlich auf das selbst erfundene Genre des Roman poruno (pornographische Romanzen), ein Subgenre des Pink eiga. Diese Filme, die nur knapp über eine Stunde liefen und meist eine niedrige Qualität aufwiesen, machten in den 70ern etwa die Hälfte der gesamten japanischen Filmproduktion aus.

Von diesem Rückzug der großen Studios und dem Kollaps des dahinterstehenden Studiosystems mit rigiden Verträgen und genau durchplanten Karriereschritten für Filmschaffende profitierten andererseits aber unabhängige Filmschaffende. Diese konnten nun mit einfachen Mitteln experimentelle, kreative und sozialkritische Filme drehen und tatsächlich auch einem Publikum präsentieren. Viele davon, wie Nagisa Oshima, Koji Wakamatsu oder Shohei Imamura zählen heute zu den wichtigsten japanischen Regisseuren und trugen entscheidend zur Weiterentwicklung des japanischen Kinos bei.

Sie konnten jedoch den Bedeutungsverlust des Spielfilms nicht ausgleichen, und da den japanischen Produktionen auch der Weg auf den Weltmarkt verwehrt blieb, sah Joseph Anderson eine düstere Zukunft vorher:

At the bottom line in 1982, the Japanese film industry, in contrast to so many other Japanese manufacturers, had no significant foreign markets and the worst prospects at home. It had become Japan’s answer to Chrysler.

Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass die Rettung und der Weg zu neuem Glanz ausgerechnet von einem Genre kommen könnte, das im Fernsehen zu großer Popularität gelangt war. Mehr davon demnächst.

Lang hat es gedauert, der letzte Festivaltag liegt schon mehr als eine Woche zurück, aber jetzt ist Zeit für ein Fazit, denn Griechenland gegen Schweden ist einfach unerträglich langweilig! Gleich vorneweg der Hinweis dass ich zuallererst aus der Sicht des Filmfans Bilanz ziehen werde, weniger als Mitwirkender im Team.

Wie schon im letzten Jahr bot das Japanische Filmfest wieder eine bunte Mischung aus allerlei Genres, Klassikern, Bekanntem und Unbekanntem. Miike war wieder mit an Bord und noch eine Reihe weiterer großer Namen wie Mamoru Oshii oder Kaori Momoi, dazu viele talentierte Nachwuchskünstler, denen wir für ihre zukünftige Karriere das allerbeste wünschen. Allerdings war die Auswahl dann doch etwas eingeschränkter, einfach weil statt 40 auch „nur“ 31 Filme liefen. Das merkte ich zum Beispiel, als ich Freunden, die nicht gerade auf Gewalt, Horror oder Experimentelles stehen, Filme empfehlen wollte. Außer Bride of Noto oder Fuckin Runaway fiel mir da kaum was ein, das war letztes Jahr noch ganz anders! Selbes gilt besonders für die Anime, die 2007 mit Paprika und Tekkonkinkreet so ziemlich das Allerbeste zu bieten hatten, was die Animestudios hergaben. Dennoch hab ich alles in allem wieder nur gute bis sehr gute Filme gesehen, mit Sukiyaki Western Django als Ausreißer nach unten.

Damit komme ich dann auch zu meinen drei Top-Hits des JFFH2008, die mir wieder nicht gerade leicht gefallen sind (mit Rankings tue ich mir ja immer schwer…)

  1. Faces of a fig tree
  2. Noisy Requiem
  3. Fuckin Runaway

Auf Platz eins kommt bei mir Faces of a fig tree, weil mich das unkonventionelle, bitter-süße Hinterfragen von Familienleben und ganz Alltäglichem sehr beeindruckt hat, die Charaktere so schön schräg sind und der ganze Film so herrlich bunt ist. Schwere Themen werden hier auf sehr lockere Art angegangen, womit sich der Film wohltuend von den vielen anderen, eher schwer verdaulichen Werken abhebt. Auf Platz zwei dann der mit Abstand am schwersten zu verdauende von allen, Noisy Requiem, ein Film von solcher Radikalität und Konsequenz, dass es schon fast weh tut; den jeder der ihn einmal gesehen hat nie vergessen wird. Und auf Platz drei dann Fuckin Runaway, ganz knapp vor Chain, bei dem ich wirklich ganz lange geschwankt habe. Aber Fuckin Runaway ist dann doch etwas ausgereifter und runder und kann zudem mit wunderbar gezeichneten, problembeladenen Charakteren überzeugen.

Leider fehlten Festival-Highlights wie die Party oder das sonntägliche Filmfrühstück, für das mit Bride of Noto ein perfekter Film im Programm gewesen wäre. Aber aus organisatorischen Gründen war das dieses Jahr nicht drin, es war eben ein Jahr des Umbruchs und der Veränderungen im Team und das hat man gemerkt. Mehr dazu bei Gelegenheit. Dafür gab es den Bondage-Themenabend, der wohl ein Riesenerfolg war und der hoffentlich eine Fortsetzung finden wird. Dennoch bleibt einer meiner beiden Hauptkritikpunkte aus dem letzten Jahr bestehen: Es muss viel mehr um die Filme herum geboten werden, ein richtiges Rahmenprogramm gehört heutzutage zu einem guten Festival dazu. Hier gibts also noch Luft nach oben und ich bin sicher, dass sich nicht nur in diesem Bereich einiges tun wird in Zukunft.

Denn während das Festival-Team im Umbruch ist, steht das Metropolis-Kino kurz vor dem Abbruch, es müssen also auch neue Spielstätten her. Und weil 2009 das 10. Jubiläum ansteht, werden wir uns alle sehr ins Zeug legen, damit nächstes Jahr das beste Japanische Filmfest ever wird! Ich freu mich jetzt schon und würde am liebsten sofort mit der Vorbereitung anfangen, denn nach dem Festival ist vor dem Festival!