Archive for the ‘Gedanken’ Category

Nach dem Blick auf das vergangene Jahr und der kritischen Auseinandersetzung mit Zielen, Hoffnungen und dem Erreichten folgt nun der Ausblick auf das nächste Jahr. Ich habe mir einige Dinge vorgenommen, kurzfristiges und langfristiges ebenso wie inhaltliches und technisches. Entsprechend lässt sich die ToDo-Liste auf drei Bereiche herunterbrechen: Was ich am Blog selbst verändern und verbessern möchte (hier steht vor allem das Basteln an der WordPress-Installation im Zentrum), was ich an den Inhalten verändern oder neu aufgreifen möchte sowie ein fünfteiliges Special, das in den nächsten Tagen und Wochen auf dem Programm steht.

Die Technik:

Ich grübele schon lange über eine Möglichkeit, die Blogposts auch in anderen Sprachen anzubieten. So weiß ich, dass ich eine Reihe von Besuchern aus Übersee (sowohl USA wie Japan) habe. Und viele der relevanten Blogs zum Thema werden auf Englisch geführt, so dass ich mir von einem solchen Schritt nicht zuletzt eine bessere Vernetzung erhoffe. Es gibt verschiedene Plugins zur Verwendung mehrsprachiger Posts, und sogar eine Möglichkeit der Open-Source-Übersetzung. Muss mir dazu noch Gedanken machen.

Auch würde ich gern, vor allem für die vielen Besucher, die über eine Suchmaschine aufs Blog kommen, eine Auswahl relevanter oder thematisch verwandter Artikel anzeigen lassen. WordPress-Plugins dazu gibt es verschiedene und ich kenne auch einige Blogs, die das machen. Richtig damit befasst habe ich mich bisher aber noch nicht. Kann jemand einschlägige Tipps geben?

Die langfristigen Inhalte:

Finally! It’s Ozu-time! Ich möchte mich endlich auch mit dem unter Cineasten vielleicht meistgeschätzten Regisseur der klassischen Periode, Yasujiro Ozu, beschäftigen. Da wird definitiv einiges kommen, Ozu könnte das große Thema der nächsten 12 Monate werden, schließlich gibt es auch reichlich Literatur zu diesem außergewöhnlichen Regisseur. Im Zusammenhang damit möchte ich gern die Kategorie Buchtipp verstetigen und ausbauen, ähnlich wie ich das bei der Blogschau schon gemacht habe.

Sehr schick wäre auch ein Co-Autor, der sich mit Gebieten beschäftigt, auf denen ich nicht so bewandert bin, wie etwa Genre-Filme (Yakuza, Monster, Samurai). Da hab ich aber nunmal wenig Einfluss drauf. Wer interessiert wäre, soll sich einfach melden, es muss ja keine regelmäßige Mitarbeit sein, ich wäre auch für Gastbeiträge immer offen.

Außerdem habe ich folgende Filmrezensionen auf dem Zettel, die im nächsten Jahr auf jeden Fall anstehen:

Das Jubiläums-Special:

Ich werde in den nächsten Tagen und Wochen fünf Besprechungen von bekannten Filmklassikern aus der Frühphase des Blogs komplett überarbeiten und – unter anderem um Screenshots – ergänzen. Vier davon hab ich mir ausgesucht, über den fünften entscheidet ihr!

So, jetzt wisst ihr Bescheid, was ich mir so alles vorgenommen habe. Fehlt was? Ich greife gern Ideen und Vorschläge auf. Obwohl, allein die bisherige Liste dürfte schon richtig in Arbeit ausarten! 😉

Tja, so schnell vergeht die Zeit! Als ich vor einem Jahr mit dem Bloggen anfing, hatte ich mit vielem nicht gerechnet. Allein die Zahlenbilanz hätte ich so nie erwartet. In dieser Hinsicht und was den Spaß angeht, den ich beim Bloggen habe, wurde der Japankino-Blog also zum vollen Erfolg. Denn es ist vor allem dem Riesenspaß den ich habe zuzuschreiben, dass ich statt der ursprünglich von mir selbst erwarteten 100 Posts über 160 geschrieben habe. Bei all dem Spaß und der Freude über das erste volle Jahr, gibt es doch zwei Aspekte, bei denen meine Erwartungen nicht erfüllt wurden.

Der erste betrifft den Austausch in der Blogosphäre. Vielleicht war ich einfach ein bisschen naiv und blauäugig, aber mein Eindruck als außenstehender Leser von Blogs war eigentlich immer, dass ein hoher Grad an Vernetzung unter Bloggern besteht. Was sich für mich nach außen hin darin äußert, dass häufig wechselseitig verlinkt und kommentiert wird. Davon habe ich in meinem ersten Jahr relativ wenig gemerkt (die wenigen Ausnahmen unter den Blogger-Kollegen wissen, dass ich sie damit nicht meine). Das mag einerseits damit zu tun haben, dass mein Thema ziemlich far out ist, sprich, dass es wenig thematisch verwandte Blogs gibt, bei denen sich Verlinken und Mitdiskutieren anbieten. Und zum anderen muss man sich natürlich erst einen Namen machen und eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber inzwischen sollte das eigentlich nicht mehr das große Problem sein, die Aufmerksamkeit ist ja durchaus da. Umgekehrt merke ich natürlich auch, dass ich selbst (außer in der Blogschau) eher selten andere Blogs aufgreife, einfach weil es sich selten anbietet. Und wenn, sind es überwiegend englischsprachige Blogs. Also hängt scheinbar doch alles mit dem sehr speziellen Thema zusammen… Oder mache ich etwas falsch?

Kommen wir zur unerfüllten Erwartung Nummer 2, die sich direkt auf eines meiner Hauptziele, das ich mit dem Bloggen erreichen wollte, bezieht. Ich hatte nämlich die Hoffnung, via Blog mit anderen Cineasten und Japanbegeisterten die von mir besprochenen Filme und natürlich auch andere mittels der Kommentarfunktion (oder zur Not auch per Mail) diskutieren zu können. Von nächtelangen Diskussionen über die „richtige“ Interpretation von Go, go second time virgin oder gemeinsamen Lobgesängen auf Hayao Miyazaki hatte ich geträumt. Doch gerade die Filmreviews sind die Beiträge, die alles in allem die wenigsten Kommentare erhalten. Außer in ein oder zwei Fällen kam es zu keinerlei Diskussion über den Film und die unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationsansätze. Liegt das an meinen Reviews? Erschlage ich vielleicht jegliche Diskussion durch Überinterpretation? Sind meine Standpunkte und Aussagen nicht kontrovers genug, als dass sich eine Diskussion daran entzünden könnte? Oder hängt auch das wieder mit dem Faktor Exotik zusammen, und es kennt einfach niemand die von mir besprochenen Filme? Naja, zumindest bei einigen kann das eigentlich nicht der Grund sein…

Sollte sich an diesen beiden Punkten im zweiten Jahr Japankino was bewegen, dann hätte ich tatsächlich noch mehr Spaß, würde das Bloggen noch mehr Freude machen als ohnehin schon. Im Moment kann ich mir das nur schwer vorstellen, aber das vergangene Jahr war ja auch voller Überraschungen! 🙂

Am 1. September startete Evangelion 1.0 – You are (not) alone in den japanischen Kinos und übernahm mit einem Einspielergebnis von 280 Mio. Yen (1,8 Mio. Euro) auch gleich die Spitze der Box Office Charts. Und das, obwohl Toho KlockWorx nur 84 Kopien des Films zum Start auflegte, wie Mark Schilling berichtet. Zum Vergleich: Hollywood-Blockbuster starten in den USA gewöhnlich mit mehreren Tausend Kopien, und allein in Tokyo dürfte es mehr als 84 Kinos geben.

Bedenkt man dazu die große Heimlichtuerei, die Toho KlockWorx und das Produktionsstudio Gainax vorher um das Mammutprojekt der Neuauflage des Anime-Klassikers Neon Genesis Evangelion betrieben haben, stellt ich mir die Frage, ob hier eine Strategie der künstlichen Verknappung vorliegt. Ziel könnte es sein, den Hype um den Film dadurch zu steigern, dass das Sehen des Films einerseits ein Muss ist, gleichzeitig aber so wenig Tickets zur Verfügung stehen, dass man sich dafür gedulden muss.

Das wäre eine diametral andere Strategie als die von US-Studios zum Start ihrer Blockbuster angewendete. Diese versuchen üblicherweise, durch eine möglichst große Zahl von Kopien besonders gute Einspielzahlen am ersten Wochenende zu erzielen und den Film so ins Gerede zu bringen und die mediale Aufmerksamkeit zu erhöhen.

Bin mal gespannt, ob Toho KlockWorx diese Strategie konsequent weiterfährt oder ob die Zahl der Kopien bei anhaltendem Erfolg erhöht wird. Und wieviel der Film am Ende einspielt. Und wie das mit dem internationalen Release dann wird…

Update: Das endgültige Einspielergebnis lag bei 2 Mrd Yen (12,7 Mio Euro), womit er immerhin auf Rang 15 der japanischen Produktionen in diesem Jahr landete und eine Reihe von Blockbustern wie 300 oder Shrek the Third deutlich hinter sich ließ. Bei den Erlösen pro Kopie lag Evangelion 1.0 mit rund 15.000 Euro ganz vorne, die Strategie scheint also aufgegangen zu sein. Nur von einem internationalen Release hat man leider noch nichts gehört…

Viel habe ich über diese Anime-Serie nachgedacht, zweimal habe ich sie mir angesehen, und doch ist es unglaublich schwer, sie zusammenzufassen, auf ihre wesentlichen Bestandteile und die Kernaussagen herunterzubrechen. Genau das war ja auch der Grund, warum ich mich gleich in einer fünfteiligen Artikelreihe dem Phänomen Neon Genesis Evangelion gewidmet habe. Und das ist noch keineswegs der Schlusspunkt, denn es gibt da ja noch einen Film, und weitere sind im Anmarsch.

Fünf Artikel, in denen ich mich mit den wichtigsten Charakteren beschäftigt habe. Ganz außen vor blieben dabei (offensichtlich für jeden, der die Serie kennt) nicht nur eine Reihe von Nebenfiguren, die in einzelnen Episoden durchaus von zentraler Bedeutung sind, wie etwa Misatos Liebhaber Kaji oder Shinjis Schulkameraden.

Vor allem aber habe ich die eigentliche Handlung komplett links liegen lassen: Kein Wort zu den Engeln, die der Prophezeiung eines sagenumwobenen antiken Dokuments zufolge die Vernichtung der Menschheit herbeiführen und dem verzweifelten Kampf, den Shinji und die anderen gegen diese Bedrohung führen. Auch die aus der Prophezeiung erwachsenden mythologischen Aspekte sowie die Science-Fiction-Elemente blieben unerwähnt. Ebenso die Verschwörungen und Rivalitäten zwischen den verschiedenen Organisationen, welche den Kampf gegen die Engel vorantreiben und organisieren (neben den fiktiven SEELE und NERV wären da vor allem die Vereinten Nationen zu erwähnen).

Mir ging es hier ausschließlich um die Charaktere, ihre Probleme und Ängste, ihre Vergangenheit und ihre Beziehungen zueinander. Denn um diese geht es eigentlich in Neon Genesis Evangelion. Die Kampfszenen, die immer wieder an die biblische Symbolik angelehnte Bildsprache und Mythologie (sowie die daran anknüpfenden wilden Interpretationsversuche) und all das ganze Ballyhoo außenrum, ist zwar wunderbar anzusehen, immer wieder spannend, manchmal (sehr) verwirrend, aber letztlich nur der Honig, der die Fans auf den Leim führen soll. Im eigentlichen Zentrum der Serie stehen so Langweiler-Themen wie die Familie, das Erwachsenwerden und wie sich beide gegenseitig beeinflussen.

Vier Zusammenhänge weisen auf die zentrale Bedeutung der Familie hin:

  1. Alle Hauptcharaktere stammen aus schwierigen familiären Verhältnissen und haben – unter teilweise hochgradig traumatischen Umständen – Eltern verloren.
  2. Shinji als die Hauptperson, deren Schicksal die Serie folgt, wird zu einem großen Teil über die zerstörte Beziehung zu seinem Vater definiert.
  3. Die Entstehung einer Art Ersatzfamilie mit Shinji und Misato als Kern und Asuka als Kontrastpunkt, die es allen dreien zumindest phasenweise ermöglicht, besser mit ihren Problemen umzugehen, die aber letztlich an der Unfähigkeit aller scheitert, echte menschliche Bindungen einzugehen.
  4. Die direkte Verbindung, die immer wieder zwischen den psychischen Problemen der Akteure und ihren schwierigen Familienverhältnissen hergestellt wird.

Besonders der letzte Punkt rückt nun die Verbindung zum Erwachsenwerden in den Vordergrund. Denn die traumatischen familiären Erlebnisse (sei es der Selbstmord der Mutter bei Asuka, das Verlassenwerden durch den Vater bei Shinji) liegen in der frühen Kindheit, die Piloten selbst stehen mit 14 Jahren nun am Übergang zum Erwachsenwerden. An den in der Serie präsenten Erwachsenen wird aber deutlich gezeigt, wie sehr diese unter ihren eigenen, ähnlich gelagerten Kindheits- und Jugenderlebnissen leiden und durch diese geprägt werden.

Die zentrale Frage, die über den Kindern schwebt, ist also: Können sie ihre familiären Altlasten im Zuge des eigenen Erwachsenwerdens so verarbeiten, dass es ihnen gelingt, die daraus resultierenden Komplexe, Ängste und die Unfähigkeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen zu überwinden? Oder bleibt es bei einer reinen Verdrängung (besonders von Asuka praktiziert), die letztlich aber dazu führen muss, dass ihre Persönlichkeitsentwicklung leidet, ihr Charakter sich verbiegt, und am Ende doch alles wieder hervor bricht (wie bei Misato)? Besonders die bereits im Erwachsenen-Post besprochenen Parallelen von Asuka und Misato lassen diesen Zusammenhang klar hervortreten.

Wie diese Frage zu beantworten ist, bleibt – wie eigentlich alles in NGE – ein Stück weit offen. Die Original-Serie endet zwar mit einem Shinji, der scheinbar den Schlüssel zur Überwindung seiner Probleme und den Weg zum Glücklichsein gefunden hat: Die Erkenntnis, dass zwischen Realität und Wahrheit die Selbstperzeption steht, die letztlich darüber entscheidet, welches Bild von sich selbst als wahr empfunden wird. Ob aber allein diese Erkenntnis schon die Lösung aller Probleme sein kann?

Symbole der Beschwernis des Wegs zum Erwachsensein und zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit sind in NGE, und hier kommen wir zum wahrscheinlich gewagtesten Teil meiner Interpretation, die EVAs selbst. Für mich stehen diese oft unverständlichen, von Geheimnissen umgebenen, zugleich aber mit großer Macht ausgestatteten Monstren für den sich in der Pubertät verändernden, voller Geheimnisse steckenden Körper, der sich manchmal nur schwer beherrschen lässt (siehe die wiederholten Andeutungen in der Serie auf so rätselhafte Vorgänge wie Menstruation und Erektion), zugleich aber fantastische neue Möglichkeiten bietet.

Im Mittelpunkt des Umgangs der Kinder mit diesen fremdartigen Körpern, in die sie im wahrsten Sinne des Wortes hineingesteckt werden, steht denn auch die „Synchronisierung“. In einem mehr oder weniger langwierigen Lernprozess müssen sie ihre Gedanken und Gefühle mit den EVAs synchronisieren, sie auf die neue Umgebung abstimmen. Damit schließt sich dann der Kreis zur oben erwähnten Überwindung von Ängsten und Unsicherheit mittels einer veränderten Selbstwahrnehmung: Denn sind Denken und Gefühlswelt erst einmal mit den neuartigen körperlichen Gegebenheiten „synchronisiert“, ergibt sich die neue Perspektive auf die eigene Person ganz von selbst. Und die alten Probleme werden auf einmal unbedeutend und obsolet.

Damit komme ich zum Ende meiner persönlichen Verarbeitung dieser außergewöhnlichen Serie, die gerade deshalb so außergewöhnlich ist, weil sie so viel unserer Fantasie überlässt und dadurch Auslegungen und Interpretationen Tür und Tor öffnet. Weshalb ich mich natürlich auch gern mit anderslautenden Ansichten in den Kommentaren auseinandersetze. In diesem Sinne:

Thankyou to my father
Goodbye to my mother
And to all the readers…
Congratulations!

Die weiteren Artikel meiner NGE-Reihe:

Neben den drei jugendlichen Piloten gibt es noch drei spiegelbildlich aufgestellte erwachsene Charaktere, die eine wichtige Rolle in Neon Genesis Evangelion spielen: Shinjis Vater Gendo Ikari sowie Misato Katsuragi und Ritsuko Akagi, die genau wie Asuka und Rei so etwas wie gegensätzliche Pole darstellen. Von diesen drei nimmt Misato mit Abstand den größten Raum in der Serie ein, Ritsuko und Gendo spielen zwar wichtige Nebenrollen, aber eben doch nur Nebenrollen, so dass man vergleichsweise wenig über sie erfährt. Ich werde alle drei kurz (Misato ausführlicher) vorstellen und dann auf einige Gemeinsamkeiten untereinander eingehen und einen Vergleich mit den Piloten ziehen.

Misato Katsuragi:
Als taktische Offizierin kommandiert sie die Kampfeinsätze der EVAs und ist somit die direkte Vorgesetzte der drei Piloten. Da sie Shinji und Asuka nach deren Ankunft in ihrer Wohnung unterbringt, entwickelt sie sich speziell für Shinji zudem zu einer Art großer Schwester oder fast Ersatzmutter. Sie ist sehr attraktiv, verhält sich aber häufig wenig damenhaft, was Shinji öfters peinlich ist. Sie selbst ist davon gänzlich unberührt und wirkt überhaupt äußerst selbstbewusst, sowohl was ihre Arbeit bei NERV angeht als auch in ihrem Privatleben.

Dieses Selbstvertrauen wird jedoch in den späten Folgen der Serie mehrfach erschüttert, als sie zunächst eine alte Affäre mit dem undurchsichtigen Kaji wiederbelebt und dann versucht – teilweise auf Hinweis Kajis – hinter die Geheimnisse der EVAs zu kommen. Zudem erfahren wir Zuschauer, dass Misato ebenso wie die Piloten einen Elternteil (bei ihr den Vater) verloren hat und in der Folge eine schwere Kindheit verbrachte. Vor diesem Hintergrund macht sie sich selbst Vorwürfe, hinterfragt die Beziehung zu Kaji und das Bild von sich selbst, das sie anderen gegenüber geschaffen hat.

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Dass Misato ihre „dunkle“ Seite, und damit sind wohl vor allem die Aspekte ihrer Persönlichkeit gemeint, die ihr Sexualleben bestimmen, Shinji gegenüber unterdrücken will, untermauert die Mutterrolle, in der sie sich selbst ihm gegenüber sieht. Aus diesem Gegensatz erwachsen jedoch ein Rechtfertigungsdruck und große Selbstzweifel.

Damit bildet Misato gewissermaßen das erwachsene Gegenstück zu Asuka. Beide treten nach außen hin sehr selbstbewusst auf, lassen ihrer Emotionalität freien Lauf und sind nicht zuletzt attraktiv, sie unterdrücken jedoch Aspekte ihrer Persönlichkeit, die diesem Bild widersprechen könnten. Außerdem haben beide mit einem traumatischen Verlust in ihrer Kindheit zu kämpfen, dem jeweils große Strahlkraft auf die Charakterentwicklung zugeschrieben werden.

Ritsuko Akagi:
So wie Rei der Gegenpol zu Asuka ist, so verhält sich Dr. Ritsuko Akagi, die wissenschaftliche Leiterin des EVA-Projekts, zu Misato, wenn auch nicht in vergleichbar extremer Ausprägung. Generell erfährt der Zuschauer relativ wenig über Ritsuko, sie tritt zumeist nur als distanzierte, kühl berechnende und weitgehend emotionslose Wissenschaftlerin auf. Doch auch sie hatte eine schwierige Beziehung zu ihrer (verstorbenen) Mutter, in deren Fußstapfen sie gleich in mehrerer Hinsicht trat.

Zum einen setzt sie die Arbeit ihrer Mutter fort, die an den Grundlagen des EVA-Projekts arbeitete und dabei auch die gigantischen Computergehirne entwickelte und programmierte, die alles in Neo-Tokyo 3 kontrollieren. Zum anderen liebt sie den gleichen Mann wie ihre Mutter: Gendo Ikari, und das schon seit ihrer Jugend. Dass sie wie ihre Mutter ein Verhältnis mit ihm hat und diese zu deren Lebzeiten sogar um die Beziehung beneidete, macht Ritsuko zur reinsten Verkörperung des Elektrakomplexes unter all den komplexbehafteten Charakteren der Serie.

Gendo Ikari:
Shinjis hartherziger Vater ist so etwas wie die Spinne im Netz der NGE-Geheimnisse: Er ist der Leiter des gesamten EVA-Projekts und Verbindungsperson zur Geheimorganisation SEELE, zugleich verfolgt er aber im Verborgenen eigene Pläne, die nie näher umrissen werden. Es lässt sich nur vage erahnen, dass diese irgendwie mit Rei und einer geplanten evolutionären Weiterentwicklung der Menschheit zu tun haben. Zur Umsetzung seiner Pläne ist Gendo zu allem bereit und geht eiskalt vor, was ihm besonders von seinem vernachlässigten Sohn Shinji angekreidet wird.

Über Gendos Persönlichkeit erfährt der Zuschauer kaum etwas, und das wenige, das wir erfahren, stammt überwiegend aus den Erzählungen anderer Personen, insbesondere von Shinji und Rei. Als die einzige zentrale starke männliche Person in der Serie (Kaji spielt eher eine untergeordnete Nebenrolle) ist er somit für die Deutung der Serie sehr wichtig, die vielen Unbekannten machen dabei aber zugleich viele verschiedene Ansätze möglich.

Mir scheint jedoch klar, dass die Charakterisierung Gendos und seine zentrale (und mit Macht ausgestattete) Rolle in der Serie auf eine Symbolisierung der Figur des Vaters und Familienoberhaupts hinauslaufen. Er wird dieser Rolle und den damit verbundenen Anforderungen jedoch in keiner Weise gerecht, ist nur auf seine eigenen Ziele aus und ordnet diesen auch rücksichtslos die Bedürfnisse anderer Menschen, sogar die seines eigenen Sohnes, unter. Die von Gendo ausgehende Kälte und Ablehnung gegenüber Shinji ist zu einem großen Teil für dessen emotionale Probleme und psychische Instabilität verantwortlich.

Fazit:
Die Erwachsenen, zumindest die beiden Frauen, sind genauso komplexbehaftete Persönlichkeiten wie die drei Kinder, es wird sogar wiederholt deutlich, dass es familien- und erziehungsbezogene Vorkommnisse wie Verlust eines Elternteils oder Vernachlässigung waren, die für die Probleme der Erwachsenen (mit)verantwortlich sind. Dass sich diese Probleme bei Misato und Ritsuko in einer explizit sexuellen bzw. ihre Beziehungen beeinflussenden Weise äußern, ist ein bei den Kindern nur vage angedeuteter Aspekt der Probleme.

Besonders Misato und Ritsuko, die zu Beginn der Serie mit ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Professionalität und ihrer Kompetenz wie potenzielle Vorbilder präsentiert werden, erfahren zum Ende ein komplette Dekonstruktion. Von diesen nach außen präsentierten Rollen bleibt kaum etwas erhalten, sie zerfallen komplett. Darin steckt eine heftige Kritik an der nur allzu menschlichen Taktik, sich im Laufe der Zeit bestimmte Images zurechtzulegen um entweder vor sich selbst oder anderen besser dazustehen und unangenehme Aspekte der eigenen Persönlichkeit auszublenden.

Dass diese Persönlichkeitsprobleme immer mit Erziehung und kaputten Familienverhältnissen zusammenhängen, und Gendo gewissermaßen eine idealtypische – wenn auch übersteigerte – Verkörperung des schlechten Vaters darstellt, impliziert nicht nur, dass die geschilderten Probleme der Kinder sich auf dem Weg zum Erwachsensein verfestigen. Es wird auch eine klare kausale Verbindung hergestellt und eine Wertung vorgenommen, die meiner Meinung nach der eigentliche Kern der ganzen Serie ist. Mehr dazu im letzten Teil der NGE-Reihe!

Weitere Artikel aus der NGE-Reihe:

Rei Ayanami ist die dritte Pilotin neben Shinji und Asuka und zugleich die undurchsichtigste Gestalt im ohnehin nebulösen NGE-Kosmos. Lange konnte ich mir überhaupt keinen Reim auf sie machen, bis ich kürzlich von einem guten Freund und Anime-Fan eine mögliche Deutung erzählt bekam, auf der aufbauend ich endlich zu einer sinnvollen (?) Interpretation gefunden habe. Danke Stefan!

Rei zeigt so gut wie nie Emotionen, ihre Gesichtszüge bleiben permanent unverändert – erst gegen Ende der Serie sieht man sie mal kurz lächeln – und ihre Stimme ist immer gleich monoton. Mit ihren Mitschülern und anderen Mitmenschen hat sie kaum Kontakt, sie ist introvertiert und wirkt auf Grund ihres neutral-distanzierten Umgangs mit anderen Menschen fast schüchtern. Sie lebt allein in einer an ein Krankenhauszimmer oder eine Gefängniszelle erinnernden kleinen Wohnung.

Über ihre Vergangenheit und ihre Herkunft werden nur vage Andeutungen gemacht, die darauf hinweisen, dass sie eine geklonte Version von Shinjis verstorbener Mutter Yui ist. In einer der letzten Folgen opfert sie sich, um Shinji zu retten, nur um wenig später in einer neuen „Kopie“ ihres Körpers, in den ihr Geist implantiert wurde, wieder aufzutauchen. Zu dieser rätselhaften Person passt, dass „rei“ im Japanischen auch „null“ bedeutet. Aber nicht nur der Zuschauer steht bezüglich Rei oft vor einem Rätsel, auch sie selbst hinterfragt wiederholt ihre Identität, den Zweck ihrer Existenz und sich selbst.

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Mit ihrer Introvertiertheit und Ausgeglichenheit ist Rei das genaue Gegenteil von Asuka, für die diese Gegensätze im Lauf der Serie immer mehr zum Anlass von Ablehnung, ja Aggressivität werden. Weil Rei kaum Gefühle zeigt und widerspruchslos Befehle akzeptiert und umsetzt, beschimpft Asuka sie häufig als seelenlose Puppe oder Roboter. Rei lässt dies völlig kalt, von ihrer Seite besteht keinerlei Interesse an Asuka, von ihrer „professionellen“ Zusammenarbeit als Piloten natürlich abgesehen.

Völlig anders entwickelt sich ihr Verhältnis zu Shinji. Der ist von der ersten Begegnung an von der geheimnisvollen Rei fasziniert, weiß aber nicht so recht, worauf diese Faszination basiert und was er damit anfangen soll. Sein Interesse an ihrer Person, seine Zuneigung und dass er sich für sie einsetzt, ihr im Kampf sogar das Leben rettet, können die Distanziertheit und Gefühlslosigkeit schließlich durchbrechen. Ihm gegenüber kann Rei erstmals Dankbarkeit, Zuneigung und so etwas wie Freundschaft entwickeln.

Diese freundschaftlich-sorgende Beziehung erhält vor dem Hintergrund, dass Rei fast so etwas wie eine Wiedergeburt von Shinjis Mutter ist, eine ganz besondere Note. Die fast übernatürliche Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübt, wird so verständlich. Da auch sexuelle Aspekte zu dieser Anziehungskraft beitragen, wird die ohnehin komplexe Beziehung der beiden noch durch einen ödipalen Aspekt erweitert.

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Neben Reis zurückhaltendem, manchmal fast unterwürfigem Auftreten sind ihre scheinbar unzerstörbare Loyalität zu Gendo, Shinjis Vater, und die Bereitschaft, sich selbst zu Gunsten eines größeren Ziels bis zur Selbstaufgabe einzusetzen, kombiniert mit großer Willensstärke die herausragenden Eigenschaften, die ihre Person ausmachen. Damit entspricht sie in vieler Hinsicht dem klassischen japanischen Idealbild der Ehefrau.

Da sie jedoch gleichzeitig als weitgehend emotionsloser Klon präsentiert wird, immer wieder von Zweifeln bezüglich ihrer Identität und des Sinns ihres Daseins geplagt wird, erscheinen diese typischen Ideale in einem ganz anderen Licht. Verstärkt wird diese Kritik noch dadurch, dass Rei sich nach dem Tag sehnt, an dem sie wieder eins werden kann mit dem Nichts, also dem Ende ihrer Existenz. Diese tiefe Unzufriedenheit mit ihrem Leben und ihrer eigentlich von vielen klassischen Idealvorstellungen geprägten Persönlichkeit wird so zu einer beißenden Kritik an eben diesen Idealen.

Die weiteren Artikel der NGE-Reihe:

Der 14-jährige Shinji ist der einzige männliche zentrale Charakter und zugleich der Hauptcharakter in NGE. Er ist ein ziemlich schüchterner, in sich gekehrter Junge, der sich mit Hilfe seines Walkmans von der Außenwelt und seinen Mitmenschen abschließt und sich doch nach deren Anerkennung sehnt. Nach dem Tode seiner Mutter, die bei einem Experiment mit einem der EVAs starb, wurde er von seinem Vater Gendo als Kleinkind in eine Pflegefamilie abgeschoben, worunter er und die Entwicklung seiner Persönlichkeit stark litten.

Entsprechend ist ein großes Thema der Serie die zerbrochene, zwiespältige Beziehung Shinjis zu seinem Vater, der Shinji nur als Mittel zum Zweck zu gebrauchen scheint, nie für ihn da war, auch weiter unerreichbar bleibt und an einer emotionalen Beziehung nicht interessiert wirkt. Shinji dagegen schwankt zwischen der Sehnsucht nach Anerkennung durch seinen Vater und dem Hass auf denselben Vater, dem er seine schwierige Kindheit, sein nicht-existentes Selbstbewusstsein und den Tod der Mutter anlastet.

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So kommt es immer wieder zu Szenen, in denen Shinji halbherzig die Konfrontation mit seinem Vater sucht, nur um im letzten Moment vor der Auseinandersetzung mit ihm zurückzuschrecken. Anlässlich eines gemeinsamen Besuchs am Grab der Mutter scheint für einen Augenblick eine Annäherung von Vater und Sohn möglich, doch keiner der beiden ist in der Lage, seine Gefühle zu verbalisieren und es bleibt beim Austausch von Floskeln. Umgekehrt schreckt Shinji aber auch lange vor dem endgültigen Bruch mit seinem Vater zurück.

Umgekehrt wird Shinji aus der Sicht seines Vaters als eine einzige große Enttäuschung präsentiert, als ein Feigling, der vor der Pflicht, der Verantwortung, der Realität davonläuft. Das von Misstrauen und enttäuschten Erwartungen geprägte Verhältnis der beiden wird noch zusätzlich belastet durch das zwar mysteriöse, aber dem Anschein nach enge Verhältnis zwischen Gendo und Rei Ayanami, der dritten Pilotin, die in vieler Hinsicht das exakte Gegenteil Shinjis ist und nicht zuletzt deshalb von ihm bewundert aber auch beneidet wird. Denn sie erscheint wie ein Ersatz für Shinji, als das Kind, das Shinji nie sein konnte oder durfte.

Doch nicht nur sein Vater nimmt Shinji als Enttäuschung wahr, insbesondere von seiner Hassliebe Asuka (die Beziehung der beiden steht im Zentrum des Kinofilms The End of Evangelion, mehr dazu ein andermal) wird er permanent als Idiot, Versager und Weichei beschimpft. Aber auch er selbst sieht sich und seine Existenz als nutzlos und wertlos und begreift deshalb seine Funktion als Pilot eines EVA – nach anfänglicher Ablehnung – als seine große Chance, sich zu beweisen und endlich die Anerkennung von den Menschen zu erhalten, nach der er sich so sehnt. Dass Shinji dann am Ende der Serie gegen einen ihm nahestehenden Freund kämpfen und ihn töten muss, lässt plötzlich auch diese scheinbar sinnstiftende Fähigkeit, seine einzige herausragende Fähigkeit, in einem düsteren, zerstörerischen Licht erscheinen und stürzt ihn in eine tiefe Krise.

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Ein weiterer Komplex in Shinjis umfangreicher Sammlung ist sein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Obwohl sich sein Leben hauptsächlich zwischen den drei weiblichen Hauptcharakteren Asuka, Rei und Misato abspielt und er alle drei – aus unterschiedlichen Gründen – respektiert, fast bewundert, ist er doch nicht in der Lage, sich und seine Gefühlswelt zu öffnen, sich anzuvertrauen und normale Beziehungen aufzubauen. Und das, obwohl gerade Misato wiederholt versucht, auf seine Gefühle einzugehen, ihn zu trösten, zu unterstützen und in jeder Beziehung die natürliche Ersatzmutter abgäbe.

Das Verhältnis zu den beiden gleichaltrigen Pilotinnen Rei und Asuka ist sehr viel komplexer, spielen hier doch auch sexuelle Aspekte eine gewichtige Rolle. Es gibt mehrere peinlich-anzügliche Szenen mit Rei, in denen Shinji am liebsten vor Scham im Boden versinken würde, während Rei völlig stoisch bleibt – ganz im Gegensatz zu Asuka, die in vergleichbaren Situationen schallende Ohrfeigen verteilt. So geben die beiden heranwachsenden Frauen ihm immer wieder Rätsel auf, die noch verstärkt werden durch seine eigene Unsicherheit und seine Unfähigkeit, sich über seine Gefühle klar zu werden und diese zu artikulieren.

So ist die von Ängsten getriebene, von Zweifeln zerrissene Figur des Shinji Ikari letztlich die Summe aller männlichen Makel und Ängste, gewissermaßen die verkörperte Impotenz. Dass ein solcher Charakter die Hauptperson darstellt, steht meiner Meinung nach symptomatisch für das – nicht nur in Japan – in seinen Grundfesten erschütterte Rollenschema des „modernen“ Mannes.

Die weiteren Artikel der NGE-Reihe:

Wie mein cineastisch veranlagter Leser sicher weiß, verstarben vorgestern – also am 30. Juli – innerhalb weniger Stunden zwei der herausragendsten Regisseure der Kinogeschichte: Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni. Beide hatten mit ihren Werken der 1950er und 60er Jahre Kinogeschichte geschrieben und nicht nur das europäische Autorenkino entscheidend geprägt.

Doch der Anlass dieses Posts (eigentlich wollte ich heute Abend den nächsten Beitrag meiner NGE-Reihe zu Shinji Ikari schreiben) ist nicht so sehr der Tod dieser beiden Meisterregisseure, sondern vielmehr meine Enttäuschung, als ich eben meinen Feedreader öffnete und feststellen musste, dass von den etwa 25 deutschen und englischen Blogs rund um Filme und Kino, die ich abonniert habe, sich nur ein einziger in den letzten beiden Tagen mit diesem Verlust für das Weltkino beschäftigt hat! OK, viele dieser Blogs haben teilweise thematisch sehr spezielle Schwerpunkte, so dass ich mir klar war, dass die beiden Todesfälle hier oder dort niemals Thema sein würden. Aber ein einziges Blogpost zu Bergmans Tod? Und keines zu Antonioni? Zwei Fragen drängen sich mir da auf: Sollte ich das eine oder andere Feed-Abo vielleicht überdenken? Und können Blogs – auch wenn sie noch so gut gemacht sind – klassische Medien ersetzen?

Erstere Frage werde ich jetzt hier nicht en détail erörtern, nur soviel: Ich war positiv überrascht von den Fünf Filmfreunden, deren exzellent gemachter Blog mir bisher für ein Abo zu mainstreamig war, die aber zwei anständige Nachrufe brachten und auch das Finale von Antonionis Zabriskie Point, diesen Meilenstein der Filmgeschichte, einbanden. Die zweite Frage muss für heute wohl mit einem klaren Nein beantwortet werden. Und so greife ich nach längerer Zeit mal wieder zur Süddeutschen, empfehle den Bergman-Nachruf von Fritz Göttler und den dazu passenden Aufriss der Biographie des großen Schweden sowie einen Rückblick auf Leben und Werk Antonionis.