Archive for the ‘Gendaigeki Filme’ Category

Original: Banshun (1949), von Yasujiro Ozu

In seinem dritten Nachkriegsfilm, dem Auftakt der sogenannten Noriko-Trilogie, lässt Ozu die Kriegsereignisse (die seine beiden vorherigen Filme sehr stark geprägt hatten) hinter sich und legte den Grundstein für alle seine weiteren Werke.

Die 27jährige Noriko (Setsuko Hara) und ihr verwitweter Vater Shukichi (Chishu Ryu) leben harmonisch zusammen und haben eine sehr enge Bindung. Doch Shukichi ist sich bewusst, dass es für Noriko an der Zeit ist, zu heiraten. Die will davon aber nichts wissen, teils weil sie ihren Vater nicht allein lassen will, teils auf Grund abschreckender Beispiele wie ihrer geschiedenen Freundin Aya (Yumeji Tsukioka). Erst als Shukichi sanften Druck ausübt und beginnt, für sich selbst eine erneute Ehe in Betracht zu ziehen, kann er Noriko von einer Heirat überzeugen.

Late Spring Screenshot 1

Der entscheidende Moment des Films ist ein Gespräch zwischen den beiden auf ihrer Abschiedsreise nach Kyoto. Obwohl Noriko der Hochzeit bereits zugestimmt hat, bekommt sie während der Reise Zweifel daran, ob sie in einer Ehe ähnlich glücklich sein könnte wie im Leben mit ihrem Vater und will ihre Entscheidung zurücknehmen. In einem langen Monolog (wie ich ihn selten bei Ozu gesehen habe) macht Shukichi deutlich, dass Glücklichsein einem nicht gegeben wird, sondern dass man es sich erarbeiten muss, gerade in einer Ehe. Denn in deren Zentrum stünde nicht das Glück, sondern der Neubeginn eines gemeinsamen Lebens, über das man dann den Weg zum Glück finden könne.

Damit bringt er eine der zentralen Botschaften des Films auf den Punkt, nämlich die, welche sich mit dem großen Thema Ehe befasst. Ozu beleuchtet dieses in Später Frühling aus einer Reihe von Perspektiven: Vorneweg natürlich Noriko, die eine Hochzeit zwar vage mit Glück assoziiert, aber andererseits auch vor der dadurch hervorgerufenen Veränderung in ihrem Leben zurückschreckt. Dann ihre Freundin Aya, die ein sehr pragmatisch-modernes Verhältnis zur Ehe hat und Noriko rät, sich einfach scheiden zu lassen, wenn ihr Mann nicht spurt.

Shukichi sieht die Ehe dagegen als eine schlichte Notwendigkeit um sicherzustellen, dass Noriko für den Fall seines Todes gut versorgt ist. In seiner traditionellen Sicht geht er davon aus, dass Mann und Frau sich zusammenraufen und sich das Glück erarbeiten. Alle diese Ansichten stehen gleichberechtigt nebeneinander, auch wenn am Ende Noriko in eine traditionell arrangierte Ehe einwilligt, die für sie die richtige Variante sein mag, womit sich aber keine universelle Wertung verbindet.

Late Spring Screenshot 2

Das zweite große Thema des Films ist die Loslösung der Kinder von ihren Eltern, in diesem Fall der Tochter vom Vater. Die Hochzeit von Noriko ist trotz der damit für sie verbundenen Selbstüberwindung im Kern positiv, da ein Aufbruch zu etwas Neuem. Dem Abschied der Kinder dagegen haftet nichts positives an: Die traurig-melancholische Schlussszene des Films, in der Shukichi erschöpft in das nun leere Haus heimkehrt, allein am Tisch sitzend einen Apfel schält und dann stumm in sich zusammensinkt, bevor der Film mit einem Bild der Meeresbrandung endet, ist einfach herzzerreissend!

Typisch für Ozu, aber so auffallend wie in kaum einem anderen seiner Filme, sind die Auslassungen entscheidender Handlungselemente. Das beginnt mit dem arrangierten Date, bei dem Noriko ihren Zukünftigen kennenlernen soll, das Thema vieler Gespräche ist, sich aber off-screen ereignet. Der ganze Rest des Films läuft dann auf Norikos Hochzeit als Höhepunkt zu, aber als diese dann bevorsteht und Noriko sich im Hochzeitskleid von ihrem Vater verabschiedet, schneidet Ozu statt zu der Zeremonie in eine Bar, in der sich Shukichi und Aya anschließend unterhalten. So haben wir Norikos Bräutigam im ganzen Film nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, obwohl die ganze Zeit über ihn geredet wird!

Late Spring Screenshot 4

Dazu passt natürlich Ozus anekdotischer Erzählstil, der sich weniger an einem roten Handlungsfaden orientiert als vielmehr an für die Charakterausformung entscheidenden einzelnen Gesprächen und kleinen, alltäglichen Ereignissen. Ebenfalls typisch sind die kaum vorhandenen zeitlichen Bezüge, was es dem Zuschauer nahezu unmöglich macht, die Dauer der Handlung einzuschätzen (es könnten ein paar Monate, genausogut aber auch nur 14 Tage sein).

Auch die weiteren bekannten Elemente seiner Filme sind alle vorhanden, von der niedrigen Kamera über die ungewöhnliche Nutzung des Raums, die überleitenden Stillleben, die familienbezogene Thematik bis zu der Verengung des Bildes und den altbekannten Mitwirkenden – nicht zu vergessen die trocknende Wäsche. Wobei Setsuko Hara hier eine ungewöhnlich lebendige, fast jugendlich-naive Noriko gibt, im Gegensatz zu den eher gereiften Frauenrollen die sie sonst bei Ozu übernahm. Etwas ungewöhnlich erschienen mir auch einige Szenen im Freien (ein Spaziergang und ein Fahrradausflug), in denen für Ozu ungewöhnliche Kamerafahrten zum Einsatz kamen.

Und dann gibt es in Später Frühling noch ein Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht: japanische Traditionen und Zeremonien. Gleich die Eröffnungssequenz beginnt mit einer Teezeremonie (siehe den obigen Screenshot), später besuchen Noriko und Shukichi eine Noh-Vorstellung, die ausführlichst gezeigt wird. Dann die Reise nach Kyoto, bei der Vater und Tochter japanische Wahrzeichen wie den Kiyomizu-Tempel und den berühmten Steingarten von Ryoan-ji besuchen und natürlich am Ende die traditionelle Hochzeit.

Late Spring Screenshot 3

So ganz weiß ich nicht, wie ich das einordnen soll, dazu kenne ich mich mit der Bedeutung dieser Zeremonien und besonders des Noh-Stückes nicht aus. Aber ich könnte mir denken, dass Ozu damit vier Jahre nach Kriegsende und nach Filmen, die einen starken Bezug zum Krieg und seinen Folgen hatten, symbolisch wieder in die „japanische“ Normalität zurückkehren und die Bedeutung japanischer Traditionen angesichts des raschen gesellschaftlichen Wandels unter der amerikanischen Besatzung herausstreichen wollte. Somit sehe ich den Film in einem Subtext auch als politisches Statement.

Überhaupt ist Später Frühling für mich persönlich der Film aus Ozus Werk, der mich bisher am tiefsten berührt hat. Zusammen mit all den anderen bereits angesprochenen Punkten macht ihn das für mich definitiv zu einem seiner herausragendsten Werke neben Tokyo Story.

Original: Gembaku no ko (1952), von Kaneto Shindo

Jahre sind vergangen seit die Kindergärtnerin Takako (Nobuko Otowa) das letzte Mal in ihrer Heimatstadt Hiroshima war. Nun kehrt sie für ein paar Tage zurück, um alte Freunde und die Kinder zu besuchen, die sie vor dem Abwurf der Atombombe betreut hatte. Bei der Ankunft in der Stadt und dem Besuch des durch die Bombe zerstörten Hauses ihrer Familie, leben zunächst ihre eigenen Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag wieder auf, bevor sie nach und nach mit jeder Person der sie begegnet mit den Folgen für die Überlebenden konfrontiert wird.

Da ist ihre Freundin und frühere Kollegin, die gerade mit ihrem Mann ein Kind adoptieren will, weil sie selbst steril wurde. Ein Mädchen, das plötzlich an den Spätfolgen der Strahlung stirbt. Eine Frau, die unter ihrem eigenen, einstürzenden Haus begraben und zum Krüppel wurde. Und natürlich die Kinder, von denen viele zu Waisen wurden, die nun in Heimen aufwachsen.

children of hiroshima screenshot 1

Shindo verlagert dann den Schwerpunkt des Films langsam von der Auseinandersetzung mit dem Leid der Vergangenheit und der Gegenwart aber auf den Kampf um die Zukunft. Symbolisiert wird diese durch den Enkel eines ehemaligen Angestellten von Takakos Familie, der durch den Blitz der Bombe erblindete, nun als Bettler dahinvegetiert und das Kind daher in ein Heim geben musste. Takako bietet ihm an, sich um den Jungen zu kümmern und ihn zu ihrer Verwandtschaft mitzunehmen, wo er in sicheren Verhältnissen aufwachsen würde und ihm die Zukunft offenstünde.

Für den alten Mann ist sein Enkel jedoch der einzige Halt in diesem von der Bombe zerstörten Leben. Er lehnt das Angebot zuerst ab, gerät dadurch aber in einen schweren Gewissenskonflikt, den er schließlich nur durch Selbstmord zu lösen im Stande ist. So kann Takako am Ende doch den kleinen Jungen aufnehmen und ihm den Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft öffnen, angedeutet in der letzten Szene des Films: Hand in Hand machen sich die beiden an Bord eines Schiffes auf zu neuen Ufern, Hiroshima und die Vergangenheit hinter sich lassend.

children of hiroshima screenshot 3

Dass die Wunden des Erlebten nicht ganz so einfach heilen, macht Shindo vorher aber noch sehr nachdrücklich deutlich: Als Takako sich am Hafen von ihrer Freundin verabschiedet, ist das Motorengeräusch eines einzelnen Flugzeugs in der Ferne zu hören. Unwillkürlich blicken beide besorgt und verängstigt gen Himmel und werden erst durch den Jungen, der ganz unbedarft – fast begeistert – auf das Flugzeug reagiert, in die Gegenwart zurückgeholt.

Die Kinder von Hiroshima war meines Wissens der erste Film, der sich mit dem Atombombenabwurf beschäftigte. Die Ereignisse des 6. August 1945 selbst spielen dabei eine sehr untergeordnete Rolle und werden nur kurz mittels einiger Flashbacks aus Takakos Sicht beleuchtet.

Regisseur Kaneto Shindo nahm nur ganz wenige, kurz aufblitzende schockierende Bilder zu Hilfe, was auch dem fast dokumentarischen Charakter des Films entspricht. Dieser ist zum einen geprägt von der Trauer um die Toten und Takakos Mitgefühl für das Leiden der Überlebenden, ohne dabei aber allzu sehr auf die Tränendrüse zu drücken. Zum anderen geht es um die Überwindung des Traumas und um einen Neuanfang für die nachkommenden Generationen, was dem Film am Ende einen fast hoffnungsvollen Touch verleiht.

children of hiroshima screenshot 2

Somit geht es dem Film weniger darum, die Grausamkeit der Bombe (und damit die Amerikaner) anzuklagen, als vielmehr, das Leid der Betroffenen zu beklagen, aber dieses letztlich auch zu überwinden. Mit diesem Ansatz enttäuschte Shindo zwar nicht das Publikum, aber wohl seinen Auftraggeber, die Lehrergewerkschaft.

Diese wollte sich des Films als Mittel im Streit um die politisch-historische Wertung des Bombenabwurfs bedienen und die japanische Opferrolle untermauern (die Verharmlosung japanischer Kriegsverbrechen setzt sich nahtlos bis in die Gegenwart fort). Vermutlich hatte man sich von Shindo, der aus dem sozialistischen Lager kam, eine anti-amerikanische Haltung versprochen, wurde darin aber enttäuscht. Er nutzte die Gelegenheit statt dessen, um einen durch und durch unpolitischen und humanistischen, zeitlosen Film zu machen, der dadurch bis heute sehenswert und in seinem reifen Umgang mit der schwierigen Materie beeindruckend ist.

Originaltitel: Gion no shimai (1936), von Kenji Mizoguchi

Der Film schildert die Geschichte zweier Schwestern, beide Geishas, aber mit sehr verschiedener Einstellung zu ihrem Beruf. Die ältere, Umekichi (Yoko Umemura), legt großen Wert auf Traditionen, Loyalität und ihren guten Ruf und bleibt deshalb mit ihrem Patron Shimbei Furusawa auch dann zusammen, als dieser Bankrott geht und verarmt. Ihre jüngere Schwester Omocha (Isuzu Yamada) dagegen sieht sich als das Opfer männlicher Unterdrückung und Ausbeutung. Loyalität und traditionelle Normen sind für sie lediglich Vehikel zur Ausnutzung von Frauen durch die Männer, weshalb sie sich von möglichst vielen verschiedenen Männern aushalten lassen will.

Screenshot Sisters of Gion1

Zu diesem Zweck spinnt sie ein Netz aus Lügen und nützt die Gefühle eines Verehrers aus. Auch ihre Schwester, der sie einen neuen Patron aufdrängen will, hintergeht sie und missachtet deren Gefühle. Doch dann stürzt ihr Lügengebäude ein, und als ihr Verehrer dahinter kommt, dass er die ganze Zeit von Omocha nur benutzt und zum Narren gehalten wurde, rächt er sich und sie landet im Krankenhaus.

Während man bis hierher dem Treiben von Omocha ungläubig, fast mit Entsetzen zusieht, sie immer mehr die Rolle einer kaltblütigen, nur auf ihren Vorteil bedachten Femme fatale annimmt und man ihr die Abreibung durch ihren zutiefst in seiner Ehre verletzten Verehrer regelrecht gönnt, verkehrt sich nun schlagartig alles ins Gegenteil: Während Omocha im Krankenhaus liegt, wird nämlich Umekichi, die treu zu ihrem alten Patron Furusawa hielt und diesen sogar mit ihrem kleinen Einkommen unterstützte, von diesem verlassen. Er kehrt zu seiner Frau aufs Land zurück, um eine Stelle anzutreten. Zurück bleiben eine am Boden zerstörte Umekichi und Omocha, die im Krankenbett liegend die Männer und die Abhängigkeit der Frauen von den Männern verflucht.

Screenshot Sisters of Gion3

Durch diese Wendung in letzter Minute wird Omochas Verhalten, das zuvor als verwerflich erschien, in ein völlig anderes Licht gerückt. Auf einmal wird dem Zuschauer klar, dass sie mit all ihren Ermahnungen an Umekichi und ihrem Misstrauen gegenüber Männern Recht hatte. Dadurch, dass sie auch noch im Krankenbett liegt, erhält ihre Anklage (€žWarum müssen wir so leiden? Warum gibt es Geishas?€œ) eine gesteigerte Eindringlichkeit, die Mizoguchi noch zusätzlich durch eine der ganz wenigen Großaufnahmen des Films unterstreicht. Diese unvergessliche finale Szene des Films ist sozialkritisches Kino par excellence und von allerhöchster emotionaler Intensität.

Mizoguchi kritisiert aber nicht nur die Stellung der Frau und der Geishas im Besonderen. Er thematisiert am Beispiel der beiden unterschiedlichen Schwestern auch die kulturellen und sozialen Gegensätze im Japan der 1930er Jahre, das hin- und her gerissen ist zwischen den alten Traditionen und den modernen, westlichen Einflüssen, die innerhalb weniger Jahrzehnte auf das Land einstürmten und es völlig verwandelten. Er bleibt dabei seiner Linie treu, die Familie als Mikrokosmos der Gesellschaft zu betrachten und Frauen €“ in diesem Fall Geishas €“ in den Mittelpunkt seiner Filme zu stellen.

Wie sehr die beiden, sowohl Omocha mit ihrem Drang nach Unabhängigkeit als auch Umekichi mit ihrer Treue, letztlich Gefangene einer sozialen Ordnung sind, verdeutlicht auch ein den Film stark prägendes visuelles Motiv: Der Einsatz von negativem Raum, der unsere Aufmerksamkeit fokussiert und auf die beiden Protagonistinnen lenkt sowie, dass diese immer wieder von Türen, Fenstern, Gängen umrahmt sind, Symbole des Gefangenseins.

Screenshot Sisters of Gion2

Zusammen mit dem im selben Jahr produzierten Film Osaka Elegie gilt Die Schwestern von Gion als erstes großes Meisterwerk Mizoguchis, die beide auch den Beginn der langen Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautoren Yoshikata Yoda markieren. Trotz des hohen künstlerischen Werts, der kontroversen Thematik und der Besetzung mit Yoko Umemura, einer etablierten Star-Schauspielerin, die seit Anfang der 1920er – unter anderem mit The Woman who touched the legs – sehr erfolgreich gewesen war, wurde Die Schwestern von Gion kein finanzieller Erfolg, ganz im Gegenteil: Obwohl die Produktion des Films nur wenige Wochen in Anspruch nahm, ging die Produktionsfirma Daiichi Eiga Bankrott. Dies wird vor allem auf Vertragsstreitigkeiten mit der Verleihfirma zurückgeführt, welche in einen Boykott des Films durch den Verleiher mündete.

[Hinweis: Dies ist eine stark erweiterte und überarbeitete Version eines Beitrags, der ursprünglich am 23. September 2006 erschien.]

Originaltitel: Ikiru (1952), von Akira Kurosawa

Von all den großartigen, mitreißenden, beeindruckenden und gedankenanstoßenden Filmen Kurosawas ist Einmal wirklich leben mir der Liebste. Kein anderes Werk konzentriert sich so auf einen Charakter, verzichtet so konsequent auf handlungsinduzierte Spannung und bringt doch so sehr auf den Punkt, worum es Kurosawa in der ersten Hälfte seiner Regiekarriere ging.

Ikiru Screenshot2

Kanji Watanabe (Takashi Shimura), Abteilungsleiter einer städtischen Beschwerdestelle, steht kurz vor der Pensionierung als er erfährt, dass er an Magenkrebs leidet und nur noch wenige Monate zu leben hat. Nach dem ersten – großartig inszenierten – Entsetzen klammert er sich an die Dinge seines Lebens, die ihm Halt geben sollen.

Doch seine Enttäuschung ist schmerzhaft und allumfassend: Seine Auszeichnungen von der Behörde erscheinen ihm beedeutunglos, ja wie Hohn. Ihm wird schmerzhaft bewusst, dass er all die Jahre als machtloses Rädchen in der Bürokratie verschwendet hat. Sein über alles geliebter Sohn kümmert sich nicht um ihn und ist nur um sein Erbe sorgt. Arbeit und Familie, die Eckpfeiler des Lebens, erweisen sich als bloße Fassade, die nun, da Watanabe auf sie angewiesen wäre, in Trümmern gehen.

Ikiru Screenshot4

Nun wendet er sich den weltlichen Freuden zu, stürzt sich ins Nachtleben, trinkt, spielt und tanzt und kann dadurch seine Einsamkeit doch nicht abschütteln. Er beginnt auch eine kurze Freundschaft mit einer früheren Mitarbeiterin, doch sie weiss nicht so recht, was sie mit dem alten Mann anfangen soll und ihm wird klar, dass er das was er sucht, nämlich eine Bestätigung für den Sinn seines Lebens, nicht durch sie finden kann.

Bei einer Begegnung der beiden in einem Cafe, in dem gerade eine Geburtstagsfeier stattfindet, erinnert sich Watanabe an einige Frauen aus einem armen Stadtviertel, die für ihre Kinder einen Spielplatz bei seiner Behörde beantragt hatten. Er beschließt, diesen Spielplatz wahr werden zu lassen und kämpft ohne Unterlass, ohne Rücksicht auf seine eigene Person und seinen Ruf gegen die Widerstände der Bürokratie, um seinem Leben doch noch einen Sinn zu geben.

Ikiru Screenshot3

An dieser Stelle bricht Kurosawa den Film in zwei Teile, die Handlung springt in die Zukunft, Watanabe ist tot. Bei seiner Beerdigung streiten die Politiker und Beamten sich darum, wem die Ehren für den Bau des Spielplatzes zustehen, die Bürokratie hat sich nicht verändert und ignoriert weiterhin die Bedürfnisse der Menschen. Aber für ein paar spielende Kinder hat Watanabe die Welt verändert. Und was das wichtigste ist, er hat durch das was er getan hat zu sich selbst und damit zum Glücklichsein gefunden. Richard Brown bezeichnete Ikiru als beispielhaften cineastischen Existenzialismus:

What it says in starkly lucid terms is that ‚life‘ is meaningless when everything is said and done; at the same time one man’s life can acquire meaning when he undertakes to perform some task which to him is meaningful. What everyone else thinks about that man’s life is utterly beside the point, even ludicrous. The meaning of life is what he commits the meaning of his life to be.

Dieser Schnitt Kurosawas war sehr gewagt und wirkt auf den Zuschauer zunächst frustrierend: Genau in dem Moment, als der Anti-Held endlich zum Helden wird, werden wir von ihm weggerissen und zu seiner Beerdigung versetzt. Doch Kurosawas waghalsiges Manöver geht auf. Nachdem wir im ersten Teil des Films die Wahrheit über Watanabe erfahren haben, ihn und seine Motivation kennengelernt haben, sehen wir ihn nun durch die Perspektive seiner Mitmenschen, seiner Kollegen und Verwandten. Sie versuchen, hinter den Grund seiner plötzlichen Verwandlung zu kommen, interpretieren und spekulieren und nähern sich nach und nach der uns bereits bekannten Wahrheit an, die dadurch nochmals bekräftigt wird.

Zugleich kommt Kurosawa damit wieder auf die bereits zu Beginn des Films vorgebrachte heftige Kritik an der Politik, den Behörden und großen Organisationen ganz generell zurück. Damit berührt er eine zweite, globale Thematik, nämlich die Kritik an der industriellen Gesellschaft, die den Menschen einer seelenlosen Bürokratie unterwirft und ihn zu bedeutungslosen Tätigkeiten verdammt.

Ikiru Screenshot1

Einmal wirklich leben ist voller unvergesslicher Szenen, brillanter Szenen. Zur Eröffnung zeigt uns Kurosawa eine Röntgenaufnahme von Watanabes Magen, zu der ein Erzähler aus dem Off unmissverständlich klar macht, dass Watanabe nur noch wenige Monate zu leben hat. Dann sehen wir Watanabe selbst, zusammengekauert hinter seinem Schreibtisch, mechanisch Papiere wälzend, und hören den Erzähler sagen, dass Watanabe eigentlich bereits seit 20 Jahren tot ist.

Absolut genial auch, wie Kurosawa die Beziehung Watanabes zu seinem Sohn und die ganze Geschichte dieser Beziehung in wenigen Minuten zusammenfasst und die Bedeutung der Liebe Watanabes zu seinem Sohn herausstreicht. Als sein Sohn nach ihm ruft, huscht ein Glanz über sein Gesicht, er springt freudig auf und wird dann doch nur ermahnt, die Tür abzuschließen. Mitanzusehen, wie Watanabe von seinem Sohn, für den er sich jahrzehntelang aufopferte, dann in einer einzigen Sekunde in die Bedeutungslosigkeit gestoßen wird, das ist ein Moment von so schlichter und doch überwältigender Emotionalität wie es ihn kaum in einem andern Film Kurosawas gibt.

Ganz wunderbar auch die Sterbeszene Watanabes, der im Schneegestöber auf einer Schaukel „seines“ Parks sitzend, leise traurige Lieder vor sich hin singt und dabei endlich glücklich ist. Der Friede der eingeschneiten Natur wird hier zum Seelenfrieden.

Ikiru Screenshot5

Ich könnte noch seitenweise eine brillante Szene nach der anderen aufzählen, aber diesen Film muss man einfach selbst gesehen haben. Vor allem muss man auch die fantastische Leistung Takashi Shimuras herausstreichen und bewundern, der mit seiner Interpretation der Rolle des Kanji Watanabe (die stark von den ursprünglichen Vorstellungen Kurosawas abwich) eine Ikone des Weltkinos schuf. Ein ganz großer Klassiker!

[Hinweis: Dies ist die stark erweiterte und ergänzte Version eines ursprünglich am 24. September 2006 veröffentlichten Beitrags.]

Original: Kagirinaki hodo (1934) von Mikio Naruse

Die mir vorliegende Fassung hat leider keine Tonspur, was zwar nicht so furchtbar ist, da es sich um einen Stummfilm handelt. Aber ich fand es doch sehr schade, weil ich überaus gespannt war, welche Musik zum Einsatz kommen würde. Außerdem schien es mir, als fehlte eine Szene gegen Ende des Films, der Übergang war an einer Stelle merkwürdig abrupt. Somit steht die folgende Rezension unter einem gewissen Vorbehalt. Die mir bereits zuvor aufgefallene stilistische Experimentierfreude des jungen Naruse wurde aber eindrucksvoll bestätigt, dazu gleich mehr.

Im Zentrum des Films steht Sugiko (Setsuko Shinobu), Kellnerin in einem kleinen Restaurant in der Ginza. Sie und ihr Geliebter wollen heiraten, obwohl seine Familie für ihn eine Hochzeit arrangiert hat. Auf dem Weg zu einem Treffen wird Sugiko von einem Auto angefahren und vom Besitzer des Wagens, Hiroshi (Hikaru Yamanuchi), ins Krankenhaus gebracht, wo dieser sich in Sugiko verliebt. Ihr Verlobter, der sie in dem Auto mit einem fremden Mann sah, kehrt enttäuscht zu seiner Familie zurück und bläst die Hochzeit ab.

Street without end Screenshots2

Dafür wird sie nun von Hiroshi umworben, Sohn einer angesehenen, reichen Familie. Obwohl diese die aus einfachen Verhältnissen stammende Sugiko ablehnt, heiraten die beiden, im Vertrauen darauf, dass ihre Liebe alle Hindernisse überwinden werde. Doch die permanente Spannung zwischen Sugiko und ihrer Schwiegermutter sowie ihrer Schwägerin vergiftet die Ehe. Als Hiroshi zu trinken beginnt und der Konflikt eskaliert, reist Sugiko zu ihrem Bruder. Dort erreicht sie die Nachricht, dass Hiroshi bei einem Autounfall schwer verletzt wurde. Sie macht sich auf, um ihn zu besuchen und seine Familie zu konfrontieren.

Dieser „Showdown“ zwischen der liebenswerten, hochanständigen und aufrechten Sugiko und ihrer hochmütigen, kalten Schwiegermutter sowie der intriganten, hochnäsigen Schwester, denen beiden der Name der Familie über alles geht, besteht aus einer Abfolge absolut bemerkenswerter Schnitte. Während des Gesprächs der drei (das hauptsächlich Sugiko und die Schwiegermutter bestreiten) schneidet Naruse mit fast jeder neuen Einstellung über die Handlungsachse hinweg. Diese massive Verletzung des Continuity Editing führt dazu, dass Personen scheinbar im Raum springen, im Hintergrund plötzlich andere Personen auftauchen (eine Krankenschwester und ein Freund der Familie) und die Hauptakteure mal von vorne, dann wieder von hinten oder aus anderen, verschiedensten Blickwinkeln zu sehen sind.

Street without end Screenshots3

Da die Schnitte zudem erstaunlich schnell erfolgen, wirkt die eigentlich statische Gesprächsszene dadurch sehr dynamisch, man muss sich regelrecht konzentrieren, um den Personen über die Schnitte hinweg folgen zu können. Damit erhöht Naruse die Spannung der Szene erheblich und überträgt die emotionale Aufgewühltheit der Charaktere exzellent auf den Zuschauer.

Nur wenig später folgt eine ebenfalls sehr ausdrucksstarke Passage: Sugiko wird zunächst frontal gezeigt, dann im Profil von links und rechts, wobei sie jeweils einen Schritt nach vorn, ins Bild hinein macht. Dabei wirkt sie sehr entschlossen und selbstsicher, als hätte sie eben eine wichtige Entscheidung getroffen, von der sie absolut überzeugt ist. Schließlich läuft sie schnell auf die Kamera zu.

Am Ende des Films ist Hiroshi gestorben und Sugiko in ihr altes Leben als Kellnerin zurückgekehrt. Wir sehen sie gedankenversunken in ihrer Uniform am Straßenrand stehen, der Dinge harrend, die das Schicksal noch für sie bereithält. Durch die zuvor gezeigte Einstellung, in der sie als selbstbewusste, willensstarke und durchsetzungsfähige Frau etabliert wurde, ist aber klar, dass sie ihr Leben so oder so meistern wird.

Street without end Screenshots1

Neben den bereits beschriebenen Achsensprüngen überraschte mich Naruse noch mit anderen Stilmitteln, die mir aus seinen späteren Filmen nicht bekannt waren. Dazu gehören insbesondere zahlreiche sehr schnell geschnittene Szenen (Sugikos Unfall, Hiroshis Unfall, Szenen aus Ginza am Ende) sowie Reißschwenks. Die Innovationsfreude des jungen Naruse, die sich bereits in Wife! Be like a rose! angedeutet hatte, wird durch Street without End also eindrucksvoll bestätigt und wirft ein ganz neues Licht auf den Regisseur.

Davon abgesehen ist Street without End in vieler Hinsicht ein direkter Vorgänger späterer Filme wie Summer Clouds, When a Woman ascends the Stairs oder Yearning, in denen er die Suche von Frauen nach Erfüllung und Glück thematisiert, die schließlich an Konventionen, Traditionen, sozialen Gegensätzen, familiären Zwängen und schwachen Männern scheitern. Dass der Film von seiner Thematik her so eng mit den späten Filmen verwandt ist, aber stilistisch ganz andere Wege geht, macht ihn für mich zum vielleicht interessantesten Film Naruses, den ich bisher gesehen habe. Dafür fehlt ihm die Brillanz, mit der in den späteren Werken verschiedene Handlungsstränge miteinander verwoben und zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden, sowie die Vielschichtigkeit und Balance der Charaktere.

Original: Tengoku to Jigoku (1963) von Akira Kurosawa

Unter den vielen guten Filmen aus Akira Kurosawas Werk ist dies einer der besten, nicht zuletzt weil er Kurosawas eigenen Ansprüchen an seine Filme, nämlich sowohl spannend und unterhaltsam als auch kritisch hinterfragend und reflektierend zu sein, in herausragender Weise entspricht.

Zwischen Himmel und Hölle ist streng in zwei Teile gegliedert, mit einer kurzen Übergangssequenz. Im ersten Teil fädelt der Manager Gondo (Toshiro Mifune) gerade den Coup seines Lebens – die Übernahme eines Unternehmens – ein, als sein Sohn entführt wird. Die Bezahlung des Lösegeldes würde nicht nur den Übernahmeplan zerstören, sondern auch seine Existenz, da Gondo sich zur Durchführung seines Vorhabens hoch verschuldet hat. Als sich herausstellt, dass nicht Gondos Sohn sondern der seines Chauffeurs entführt wurde, muss Gondo sich seinem Gewissen und seiner Menschlichkeit stellen und ringt sich schließlich dazu durch, zu bezahlen.

Darauf folgt eine rasante, nur wenige Minuten dauernde Sequenz in einem Expresszug, in der das Geld an den Entführer übergeben wird. Im anschließenden zweiten Teil des Films tritt Gondo in den Hintergrund und die Handlung konzentriert sich nun auf Inspektor Tokura (Tatsuya Nakadai) und sein Team. Im Zuge der Ermittlungen erhalten wir tiefe Einblicke in die Lebensumstände und Motivation des Entführers Takeuchi (Tsutomu Yamazaki), die schließlich in einer Konfrontation mit Gondo gipfeln.

High and Low Screenshot1

Die klare Strukturierung des Films wird unterstrichen durch eine entsprechende stilistische Gestaltung. Der erste Teil spielt ausschließlich in Gondos Villa hoch über Yokohama, und zwar überwiegend im riesigen Wohnraum mit seiner Fensterfront auf die Stadt. Dort sehen wir Gondo zunächst bei einem Meeting, in dessen Verlauf im Hintergrund die helle, leicht gemaserte Wand zu sehen ist.

Nach der Entführung und dem Eintreffen der Polizei werden die zugezogenen Vorhänge zum allgegenwärtigen Hintergrundmotiv mit starker vertikaler Strukturierung, einem Symbol für die plötzliche Zerrissenheit Gondos angesichts der schwierigen Entscheidung, die er zu treffen hat.

High and Low Screenshot2

Trotz des auf einen einzigen Raum beschränkten Rahmens der Handlung in der ersten Stunde des Films und des sich daraus ergebenden, an eine Theaterinszenierung erinnernden Stils, gelingt es Kurosawa, eine ermüdende Statik zu vermeiden. Dazu setzt er auf häufige Perspektivwechsel, konstruiert mit Hilfe der anwesenden Personen verschiedene Bildebenen in denen immer irgend jemand in Bewegung ist und schafft mittels Kontrasten zwischen Vorder- und Hintergrund sowie hell und dunkel spannende Bildkompositionen.

In krassem Gegensatz dazu steht die hochdynamische Sequenz im Expresszug, in der Gondo vom Entführer genaue Anweisungen für die Geldübergabe erhält, das entführte Kind im Vorbeifahren für einen Sekundenbruchteil zu sehen bekommt und anschließend das Geld aus dem fahrenden Zug wirft. Die Kamera hetzt dabei geradezu halsbrecherisch durch Zugabteile und Gänge, quetscht sich mit Gondo und Tokura in Toiletten und vermittelt so das Gefühl, unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein. Ganz ähnlich wie in Das Boot entsteht zudem eine bedrückende, fast klaustrophobische Stimmung.

High and Low Screenshot3

Der zweite Teil beginnt mit einem Blick auf Gondos hoch oben auf einem Hügel thronender Villa aus der Perspektive des in ärmlichen Verhältnissen lebenden Entführers. Durch die Offenbarung der Identität des Entführers versetzt Kurosawa den Zuschauer in eine der Polizei überlegene Position und verleiht so den detailliert gezeigten Ermittlungen zusätzliche Spannung. In einer Reihe von Flashbacks und kurzen Einschüben verfolgen wir, wie die Polizei ein immer engeres Netz um den Entführer zieht, dessen Identität erkennt und denselben Wissensstand erreicht wie der Zuschauer. Anschließend entsteht dann wieder Spannung aus der Unsicherheit darüber, wie die Verhaftung ablaufen und ob sie gelingen wird.

Was den Spannungsbogen angeht, braucht Zwischen Himmel und Hölle den Vergleich mit den besten Hitchcocks nicht zu scheuen und hat darüber hinaus noch sehr viel mehr zu bieten. Fragen von Ethik und Morakt werden nicht nur anhand des Konflikts, dem Gondo sich gegenübersieht, aufgeworfen. Auch sein Assistent Kawanishi, dessen Loyalität zu Gondo geprüft wird, und Inspektor Tokura, der ein großes Risiko eingeht, um sicherzustellen, dass der Entführer die Höchststrafe erhält und dazu auch windige Abkommen mit der Presse schließt, stellen uns vor die Frage von moralisch richtigem und falschem Handeln.

Ein wichtiger Subtext des Films, der im Titel und der zweigeteilten Struktur zum Ausdruck kommt, ist die Kritik an der Ungleichverteilung von Reichtum in einer modernen Industriegesellschaft. Zwischen Gondos luxuriösem Haus mit dem herrschergleichen Blick auf die unter ihm liegende Stadt und den Schauplätzen des zweiten Teils (zwielichte Bars, das ärmliche Zimmer des Entführers, die Drogenszene, der Hafen Yokohamas) klafft ein gigantischer Abgrund. Diese dennoch alltäglichen Gegensätze nähren Neid und Missgunst und führen dadurch die moralischen Konflikte der Hauptpersonen herbei.

High and Low Screenshot4

Somit sieht sich Gondo mit dem Dilemma konfrontiert, dass es letztlich seine eigenen Taten und sein Erfolg waren, die ihn und seine Familie zum Ziel des Hasses und der Entführung machten. Dies bringt Kurosawa in der Schlussszene des Films zum Ausdruck, als Gondo gleichermaßen dem inhaftierten und zum Tode verurteilten Entführer im Gefängnis und seiner eigenen Reflexion in der Panzerglaswand gegenübersitzt. Beide wurden sie Opfer der eigenen Taten, aber auch eines größeren Kontexts.

Original: Baruto no gakuen (2006) von Masanobu Deme

Nach der Eroberung des deutschen Protektorats Qingdao durch die Japaner im Ersten Weltkrieg werden tausende Deutsche in Kriegsgefangenenlager nach Japan gebracht. Im Lager Bando sorgt der Kommandant Matsue (Ken Matsudaira) für eine außergewöhnlich lockere, fast freundschaftliche Stimmung zwischen den Deutschen und der japanischen Bevölkerung. Für Matsue ist der respektvolle Umgang mit den Gefangenen eine Herzensangelegenheit, da er in seiner Kindheit selbst erfahren musste, was es heisst, besiegt zu werden.

Als der Krieg mit der deutschen Niederlage endet und die Gefangenen vor der Heimkehr stehen, studieren sie auf Bitte ihres Generals Heinrich (Bruno Ganz) Beethovens Neunte Sinfonie ein. Zu Ehren Matsues und als Dankeschön an die Bevölkerung wird sie zum ersten Mal überhaupt auf japanischem Boden aufgeführt.

Dieser kurze Abriss mag einen wirklich interessanten Film über Völkerverständigung, die grenzenlose Magie der Musik, kulturelle Konflikte zwischen den deutschen Gefangenen und ihren japanischen Bewachern bzw. der Bevölkerung oder ein an Die Brücke am Kwai erinnerndes Duell der beiden großartigen Schauspieler Ganz und Matsudaira versprechen. Leider wurde aus dem großen Potenzial dieser wirklich wunderbaren Geschichte ziemlich wenig gemacht.

Der Film verliert sich in einer Vielzahl von Handlungssträngen um einzelne, seltsam hölzern wirkende Personen, deren Zusammenhänge im Unklaren bleiben und die oft mit Kitsch überladen sind. Für das Ende des Films mit der Aufführung der Sinfonie wichtige motivierende Zusammenhänge sind nur schwer nachvollziehbar. So wird etwa der General Heinrich in mehreren Szenen als überaus wichtig für die Moral seiner Truppe dargestellt. Tatsächlich ist er außer beim abschließenden Konzert aber nie mit seinen Soldaten zu sehen, so dass man sich fragt, worauf dieses innige Verhältnis basieren soll.

In Japan lief Ode an die Freude wohl ziemlich erfolgreich (deutscher Kinostart ist der 12. Juli), was ich einfach mal auf die Starbesetzung mit Matsudaira, Reiko Takashima und Ganz zurückführe. Davon ist Matsudaira der einzige, der seinem Charakter Tiefe und eine nachvollziehbare Motivation verleihen kann. Zudem ist etwa die Hälfte seiner Texte auf Deutsch, und er zieht sich dabei sehr achtbar aus der Affäre. Meine Hochachtung! Obwohl der Film also alle Voraussetzungen (tolle Geschichte, gute Schauspieler, wunderbare Ausstattung und Sets) mitbringt, will der Funke einfach nicht überspringen. Schade.

Skandal

Original: Shubun (1950) von Akira Kurosawa

Für die meisten Regisseure wäre dies ein ganz vorzeigbarer Film, für Kurosawas Standards ist er ein Debakel. Skandal sollte ein Protestfilm gegen die nach dem Krieg um sich greifenden Auswüchse der Yellowpress werden, verfehlt dieses Ziel aus mehreren Gründen aber meilenweit.

Der erste liegt im Verlauf des Plots begründet: Der Maler Aoye (Toshiro Mifune) begegnet bei seiner Arbeit in den Bergen der bekannten Sängerin Miyako Saijo (Shirley Yamaguchi), die ihren Bus verpasst hat und der er deshalb anbietet, sie auf seinem Motorrad mitzunehmen. Beide übernachten im selben Hotel und werden dort gemeinsam von Paparazzi fotografiert. Das Foto wird zu einer Affäre aufgebauscht, worauf Aoye die Zeitschrift verklagt und dazu den Anwalt Hiruta (Takashi Shimura) engagiert.

Der ist ein totaler Versager und gibt den Bestechungsversuchen des Herausgebers der Zeitschrift nach. Hirutas an Tuberkulose erkrankte Tochter ahnt jedoch, dass ihr Vater nicht ehrlich zu Aoye ist, was die ohnehin vorhandenen Gewissensbisse des Anwalts noch verstärkt. Nach dem überraschenden Tod der Tochter nimmt Hiruta sich ein Herz und beichtet vor Gericht die Bestechung, das Magazin wird verurteilt und Hirutas Seelenheil ist gerettet.

Skandal1

Schon aus dieser kurzen Zusammenfassung ist erkennbar, dass durch das Auftreten des Anwalts Hiruta der Film komplett auf den Kopf gestellt wird. Die eigentliche Skandalgeschichte, der Kampf gegen das Unwesen der Paparazzi und gewissenlose Journalisten, wird durch Hirutas verzweifelten Kampf mit sich selbst einfach beiseite gewischt und zum bloßen Hintergrund degradiert. In den Gerichtsszenen am Ende des Films wird somit nicht über den Skandal gerichtet, sondern eigentlich über Hiruta, was auch die Inszenierung seiner abschließenden Beichte zum Ausdruck bringt.

Nicht ganz unschuld an dieser gänzlich unerwarteten Entwicklung des Films dürfte die brillante Leistung von Takashi Shimura sein, der schon mit seinem ersten Auftritt alle anderen Charaktere in den Schatten stellt. Sowohl seine guten Seiten als liebender Vater und angesichts der Verzerrung der Wahrheit durch die Paparazzi empörter Anwalt, wie seine schlechten als schwacher, der Verlockung des Geldes erlegener Mann werden von Shimura eindringlich und mit großer Präsenz vorgetragen.

Skandal2

Dass Shimuras Leistung so herausragt liegt aber sicher auch an der zweiten großen Schwäche des Films, den einseitigen, schablonenhaft gezeichneten anderen Figuren: Der Maler Aoye ist einfach nur ein netter Kerl, der Herausgeber der Zeitschrift ein durchtriebener, skrupelloser Lügner und die Tochter Hirutas eine engelsgleiche Verkörperung des Guten. Die Sängerin Saijo wird zur reinen Staffage und taucht in der zweiten Hälfte des Films kaum noch auf. Durch diese holzschnitthafte Darstellung der Kontrahenten verliert Skandal den für einen guten Protestfilm notwendigen Realismus und die Glaubwürdigkeit.

Kurosawas außergewöhnliches Talent blitzt dennoch in einigen Szenen auf, beispielsweise als Aoye in der Redaktion des Magazins den Artikel über seine angebliche Affäre im Beisein des Herausgebers das erste Mal liest. Wie Kurosawa hier allein mit kontrastierenden Großaufnahmen der beiden Darsteller Spannung aufbaut ist aller Ehren wert. Oder in den Gerichtsszenen am Ende des Films, als alle Anwesenden auf Hirutas abschließende Stellungnahme warten, während dieser zusammengekauert wie ein eingeschüchtertes Tier auf seinem Platz sitzt und die Stille immer unerträglicher wird.

Skandal3

Die Flachheit der Charaktere, besonders die einseitig negative Darstellung der Journalisten ist um so verwunderlicher, wenn man bedenkt, wie wichtig Kurosawa in seinen anderen Filmen die Relativität von Gut und Böse sind und wie viel Wert er im Allgemeinen auf vielschichtige, komplexe Charaktere legt.

Trotz dieser Schwächen ist Skandal aber in Relation zum Gesamtwerk des Regisseurs gesehen trotzdem ein interessanter nd sehenswerter Film. Denn in so mancher Hinsicht ist in der Figur von Hiruta die des Beamten Watanabe aus Ikiru angelegt. Außerdem passiert Kurosawa in seinem zweiten großen Protestfilm Die Bösen schlafen gut genau dasselbe wie in Skandal, er zeigt sich von der Entwicklung eines Charakters so fasziniert, dass der Film seine Balance verliert und vom ursprünglichen Thema abzuschweifen beginnt. Aber dazu ein andermal mehr.